Digitales Programm

Mi 15.10.2025 Vladimir Jurowski & Christian Tetzlaff

20:00 Uhr Philharmonie

Anna Korsun

“Terricone” für Sinfonieorchester

Alban Berg

Konzert für Violine und Orchester

Johannes Brahms

Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Mitwirkende

Vladimir Jurowski Dirigent

Christian Tetzlaff Violine

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Konzerteinführung: 19:10 Uhr, Südfoyer, Steffen Georgi

Foto- und Videoaufnahmen sind während des Konzerts nicht gestattet.

Berge versetzen

Es liegt nahe, dass bei dem viertelstündigen Werk „Terricone“ (2022) von Anna Korsun die Schlagzeuger mächtig Hand anlegen müssen. Denn der Begriff „Terricones“ bezeichnet jene landschaftsverändernden, menschengemachten Halden aus taubem, oft lange Zeit unbegehbarem Gestein, das nach dem Abbau von Erzen, Salzen oder Kohle übrigbleibt. Die Berge von festen Abfällen umfassen auch Deponien, die durch die Ablagerung von Müll entstehen. So etwas in Musik für Sinfonieorchester zu setzen, das hat die 1986 in der Ukraine geborene Sängerin, Pianistin, Organistin, Dirigentin und Komponistin Anna Korsun unternommen. Ihre spektakulären Werke experimentieren mit geräuschhaltigen Orchesterfarben, ungewöhnlichen Klangtechniken und beziehen dabei bisweilen auch die menschliche Stimme mit ein.

Alban Berg begann mit der Komposition seines tief berührenden Violinkonzertes unmittelbar nach dem Tod von Manon Gropius. Die 19-jährige Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius war am 22. April 1935 an Kinderlähmung gestorben. Berg widmete das Werk „Dem Andenken eines Engels“. Im August 1935 beendete er die Partitur in seinem Sommerhaus am Wörthersee – am gegenüberliegenden Ufer hatte Johannes Brahms 1878 sein Violinkonzert komponiert. Im Dezember 1935 verstarb Alban Berg selbst, so dass das Violinkonzert nicht nur zum kompositorischen Vermächtnis, sondern zu seinem eigenen Requiem geworden war.

„…wenn ich Dir den Winter eine Sinfonie vorspielen lasse, so soll’s heiter und lieblich klingen, dass du glaubst, ich habe sie extra für Dich oder gar Deine jungfräuliche Frau geschrieben! Das ist kein Kunststück, wirst Du sagen, Brahms ist pfiffig, der Wörther See ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, dass man sich hüten muss, keine zu treten.“ Was Johannes Brahms hier Eduard Hanslick vorschwärmt, betrifft die Sinfonie Nr. 2. Sie entstand 1877 im nämlichen Sommerhaus wie im Jahr darauf das Violinkonzert. Im Vergleich zur Sinfonie Nr. 1 ging diesmal alles ganz schnell: Vier Monate Entstehungszeit gegenüber vierzehn Jahren, D-Dur statt c-Moll – ein Fliegengewicht, ein unbeschwertes Nachspiel, diese Zweite. „Die Leute werden meinen, diesmal hätte ich mir’s leicht gemacht“, vertraute er seinem Verleger Fritz Simrock an, fügte jedoch vielsagend hinzu: „aber Ihnen rate ich, vorsichtig zu sein!“

"Muss es sein?" - Der Konzertpodcast

Anna Korsun

“Terricone” für Sinfonieorchester

Zum Schreien

„Terricones“, das sind jene in die Landschaft eingreifenden, menschengemachten Halden aus taubem, oft lange Zeit unbegehbarem Gestein, die nach dem Abbau von Erzen, Salzen oder Kohle übrigbleiben. Die ukrainische Komponistin Anna Korsun kennt die gigantischen künstlichen Berge aus Bergbauabfällen, die weite Teile ihrer Heimat, die Landschaft der Donbass-Region, dramatisch verändert haben. „Terricones“ ist ihre zweite Komposition seit dem Beginn der russischen Invasion. Die anhaltende Gewalt gegenüber der menschlichen und der natürlichen Welt schreit förmlich nach musikalischer Reflexion. So beginnt das Werk tatsächlich mit einem Schrei, den verschiedene Musiker:innen auszustoßen haben, noch ehe sie ihr Instrument zur Hand nehmen. In der Partitur ist in die entsprechende Notenzeile ein Symbol des Schreiens eingezeichnet, vergleichbar dem berühmten Gemälde von Edvard Munch.

Das schockierende Fanal zu Beginn macht einem allmählichen Diminuendo Platz, in welchem sich die Musik allmählich in Richtung einer von Gustav Mahler inspirierten Klanglandschaft aus hoffnungsloser Klarheit und eisiger Isolation entwickelt, unterbrochen von Fetzen gequälten Vogelgesanges. Die apokalyptischen Töne bäumen sich auf zu unerhörten Geräuschen des Chaos und des Terrors. Es liegt nahe, dass bei dem viertelstündigen Werk „Terricone“ die fünf Schlagzeuger mächtig Hand anlegen müssen. Zum Schluss zersplittert das Geschehen, versinkt in lärmendem Aufruhr, zuletzt in urzeitlichem Nichts. Ein letztes Stottern der Hoffnung könnte das Überleben der Natur bedeuten, für die Menschheit scheint es längst zu spät zu sein.

So etwas in Musik für Sinfonieorchester zu setzen, das hat 2022 im Auftrag des Bournemouth Symphony Orchestra die Sängerin, Pianistin, Organistin, Dirigentin und Komponistin Anna Korsun unternommen. All ihre spektakulären Werke experimentieren mit geräuschhaften Orchesterfarben, ungewöhnlichen Klangtechniken und beziehen dabei mitunter die menschliche Stimme ein.

Die Komponistin Anna Korsun

Die Komponistin, Klangkünstlerin und Performerin Anna Korsun, geboren 1986 in Donezk, hat Komposition in Kyjiw und in München (Moritz Eggert) studiert. Sie komponiert für unterschiedliche Besetzungen einschließlich Stimme, Elektronik und Klangobjekten. Daneben arbeitet sie zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Theater, Tanz, Video und Literatur. Ihre Werke werden international auf Konzerten und bei Festivals aufgeführt, wie beim ECLAT Festival Neue Musik, den Darmstädter Ferienkursen, der ISCM, dem Warschauer Herbst oder den Wittener Tagen für neue Kammermusik. Die Neuen Vocalsolisten Stuttgart, das SWR Vokalensemble, Ensemble Mosaik, ascolta, Silbersee, das Ensemble Modern, das ensemble unitedberlin, AskoSchoenberg, die Camerata Silesia, das Bournemouth Symphony Orchestra und das Dallas Symphony Orchestra haben ihre Kompositionen bereits aufgeführt. Sie war u.a. Stipendiatin in der Villa Massimo in Rom, am Goethe Institut in Kanada, an der Akademie Schloss Solitude und in der Cité Internationale des Arts in Paris. Anna Korsun wurde mit zahlreichen Kompositionspreisen ausgezeichnet, darunter mit dem Preis der Christoph-und-Stephan-Kaske-Stiftung, dem Gaudeamus-Preis, dem Kunstpreis Berlin und dem Open Ear der Trillende-Lucht-Stiftung.

Neben ihrer kompositorischen Tätigkeit ist Anna Korsun als Interpretin zeitgenössischer Musik aktiv. Sie betätigt sich als Sängerin und spielt diverse Tasteninstrumente, leitet Musikprojekte und unterrichtet Komposition bei internationalen Kursen. Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin trifft sie zum ersten Mal zusammen.

Alban Berg

Konzert für Violine und Orchester

„Das Violinkonzert ist ja der Abschied Alban Bergs von dieser Welt, eine schmerzvoll-wehmütig-ergebene Sprache (die letzte), zu allem, was ihm hier lieb war, ein rein persönliches Bekenntnis seiner Beziehung zur Welt – zum Tod – zu Gott.“

Helene Berg, 12. August 1958

Das bezaubernde Mädchen

„Also das ist Manon, meine Tochter. Vom Gropius. Da kann eben keine mithalten... Haben Sie den Gropius einmal gesehen? Ein schöner, großer Mann. Genau was man arisch nennt. Der einzige Mann, der rassisch zu mir gepasst hat. Sonst haben sich immer kleine Juden in mich verliebt, wie der Mahler.“

Manon Gropius

Alma Schindler-Mahler-Gropius-Werfel kannte keine Zurückhaltung, wenn es um ihre Selbstinszenierung ging. Mit diesen Worten soll sie 1932 dem jungen Schriftsteller Elias Canetti ihre sechzehnjährige Tochter Manon vorgeführt haben. Canetti war gebannt: „Eine Gazelle kam ins Zimmer getrippelt, ein leichtes braunes Geschöpf, als junges Mädchen verkleidet, unberührt von der Pracht, in die es gerufen wurde ... Es verbreitete Scheu mehr noch als Schönheit um sich, eine Engels-Gazelle vom Himmel, nicht aus der Arche.“

Manons Vater, der Bauhaus-Architekt Walter Gropius, hatte sein Entzücken über die Tochter schon während ihrer ersten Lebensmonate so beschrieben: „Das Kind ist unsere Sonne. Sie ist bildhübsch, hat ewig wechselnde, kluge, große Augen, die schon bewusst in die Welt schauen, Händchen mit langen, schmalen Aristokratenfingern und lange, rundlich gepolsterte Glieder, handlange Haare, dunkelbraun... Alle Instinkte erwachen nun in ihr, sie ist wild und urlebendig, scheint voller Anlagen zu stecken.“ Zu dieser Zeit, im Herbst 1916, hatte der stolze Vater die Mutter seiner Tochter, Alma, bereits an Franz Werfel verloren. Aber auch der war begeistert von Manon: „Sie hatte sich zu einem bildschönen Mädchen entwickelt, sehr groß, sehr zart, mit überlangen Gliedern. Das Haar reichte ihr, im Widerspruch zur Mode, bis zu den Hüften. Trotz ihrer alten Vorliebe für das Pathetisch-Traurige hatte sich ihrem Wesen ein Humor beigemischt, der sich oft bis zu spöttischem Witz steigern konnte. Sie hatte ein scharfes Auge für Menschen“, erinnerte sich Werfel an seine Stieftochter in der autobiographischen Erzählung „Manon“.

Die schreckliche Alte

Manon Gropius, geboren am 5. Oktober 1916, starb am 22. April 1935 an Kinderlähmung, im Alter von 18 Jahren. Ihr Tod erschütterte nicht nur ihre nächsten Verwandten, sondern ganz Wien. „Es war einer jener Tode, angesichts derer der gläubigste Mensch daran zweifeln muss, dass die Güte eine Eigenschaft Gottes sei“, klagte Franz Werfel. Mit Geduld und Würde hatte die zunehmend gelähmte Manon ein Jahr lang ihre Krankheit und deren öffentliche Vorführung ertragen. Sogar eine Verlobung der Todgeweihten hatte Alma noch inszeniert.

„Es gab aber auch solche, die dieses schändliche Spiel mit Ekel und Ingrimm ansahen und sich mit ganz anderen Hoffnungen trugen“, machte Elias Canetti in seiner Lebensgeschichte „Das Augenspiel“ seinem Herzen Luft: „Diese, zu denen ich gehörte, hatten einen einzigen Wunsch: den nämlich, dass der Blitz in Mutter und Bräutigam schlage und sie in ein und demselben Augenblick lähme, nicht töte, lähme, und dass die Kranke vor Schrecken aus ihrem Rollstuhl aufspringe, geheilt. An ihrer Stelle aber würde von nun ab die Mutter herumgeschoben, ebenso schön herausgeputzt, sorgfältig bemalt, die kostbare Decke über den Knien, und der Bräutigam, stehend auf Rollen befestigt, würde an einer Kette zu ihr herangezogen und mühe sich um Handkuss und Verbeugung ab, die ihm nicht mehr möglich wären, aber der Alten gälten.“

Und die „Alte“? Weit rigoroser noch als Werfel haderte sie nach Manons Tod in ihrem Tagebuch: „Ich sehne mich verzweifelt nach Manon. Sie war die meinem Herzen Nächste... Wie furchtbar ist dieser Gott – und wenn er existiert ... wie verabscheuungswürdig!“ Und fügte den tiefsten Grund ihres Schmerzes hinzu: „Zerstört meine Fortsetzung in der reinsten Form!“

Der rätselhafte Komponist

Alban Berg begann mit der Komposition seines Violinkonzertes unmittelbar nach Manons Tod. Er widmete das Werk „Dem Andenken eines Engels“. Im August 1935 beendete er die Partitur in seinem Sommerhaus am Wörthersee – am gegenüberliegenden Ufer hatte Brahms 1878 sein Violinkonzert komponiert.

Das Werk ist überreich an berührender wie an intelligenter Musik, an genialen Einfällen ebenso wie an handwerklicher Meisterschaft. Kein Ton scheint zufällig, alles trägt offene oder versteckte Symbolkraft in sich. Weil es dabei so seelenvoll wie schwerelos klingt, avanciert es zu einem Meisterwerk, das auch in Jahrhunderten noch von jenem Alban Berg künden wird, der ab 1933 in der Preußischen Akademie der Künste keine Rolle mehr spielte, weil seine Musik den nationalsozialistischen Machthabern als „entartet“ galt.

Zweisätzig konzipiert, gliedert sich jeder der beiden Sätze nochmals in zwei Teile. Andante und Allegretto des ersten Satzes reflektieren das unbeschwerte Leben des „Engels“. Der musikalische Ausgangspunkt ist aus geigerischer Sicht eigentlich eine Unmöglichkeit: Im zweiten Takt streicht die Solovioline über alle vier leeren Saiten, leise zwar, aber deutlich vernehmbar ertönen die reinen Quinten, einmal aufwärts, einmal abwärts. Diese Geste dient dem Solisten nicht etwa dazu, sich „einzustimmen“, sondern die lapidare Inkarnation von Reinheit entpuppt sich als wesentliches strukturelles Element. Wenn der Solist im 15. Takt erstmals die komplette Zwölftonreihe – das ganze Werk ist darauf aufgebaut – vorträgt, so füllt er zunächst „nur“ die Quinten auf: abwechselnd mit je einer kleinen und einer großen Terz, so dass im Wechsel Moll- und Dur-Dreiklänge entstehen. Die verbleibenden vier Töne der Zwölftonreiche ordnet Berg abschließend zu einem Aufgang aus drei Ganztonschritten – einem weiteren substantiellen Strukturelement, auf das zurückzukommen sein wird.

Vorerst entfaltet der Komponist ein zartes Bild aus Reinheit, Zerbrechlichkeit. „Dolce“, „delicato“, „espressivo“, „grazioso“, „schattenhaft“ lauten die Vortragsbezeichnungen. Die Dissonanzen der atonalen Zwölftonmusik verschmelzen aufs Natürlichste mit den tonalen Inseln des harmonischen Materials. Solovioline und solistische Holzbläser winden ihre melodischen Girlanden anmutig umeinander. Allmählich beginnt der behutsame Beginn zu pulsieren.

Die verlorene Tochter

Den vier reinen Eröffnungsquinten liegt jeweils das physikalische Zahlenverhältnis 2:3 zugrunde. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Berg nicht nur Anagramme aus Tonbuchstaben (a-d-es-c-h-b-g für Arnold Schönberg etc.) vielfach in seine Musik einflocht, sondern auch geheimnisvolle Zahlenverhältnisse auskomponierte. So richten sich etwas Metronomzahlen, Taktzahlen, Anzahlen von Tönen eines Akkordes oder einer Melodie häufig nach solchen Chiffren. Berg sah zum Beispiel die Zahl 23 wegen mehrerer persönlicher Ereignisse für seine Schicksalszahl an. Hanna Fuchs-Robettin (die Schwester Franz Werfels), mit der Berg eine geheimnisvolle Liebe verband (verewigt in der Lyrischen Suite), über deren Existenz seine Frau Helene ebenso stillschweigend hinwegsah wie über andere Affären ihres Mannes auch, erhielt die Zahl 10. Wenn nun die Einleitung des Violinkonzertes 10 Takte lang ist, die Metronomzahlen der beiden Teile des ersten Satzes 56 und 112 betragen (2 mal 23 plus 10 bzw. 4 x 23 plus 2 mal 10), der zweite Satz genau 230 Takte zählt (Metronomzahl des Allegros: 69) und im ersten Satz just im 126. Takt die wienerische Lebensfreude Einzug hält, so sind das bei Berg keineswegs Zufälligkeiten.

Die 22 und die 4 stehen für das Todesdatum Manons. So beginnt das Konzert mit den vier leeren Quinten. Das Eingangsmotiv des im dritten Satz zitierten Chorals „Es ist genug! so nimm, Herr, meinen Geist“ von Johann Sebastian Bach setzt sich aus vier Ganztönen zusammen. Hingegen weist der gesamte Choral bei Berg 22 Takte auf (bei Bach nur 20). Im zweiten Satz erklingt in Takt 222 das Motiv b – a – c – h. Die Widmung „Dem Andenken eines Engels“ enthält genau 22 Buchstaben.

Doch damit nicht genug: Die Symbole walten auch auf anderen Ebenen. Ein Kärntner Volkslied schleicht sich ein in den zweiten Teil des ersten Satzes. Zum Wiener Walzer gesellt sich der dörfliche Ländler im rustikalen Gewand, wie er auch bei Gustav Mahler oft zu finden ist. „Ein Vogerl auf’m Zwetschgenbaum“, der Ländler „mit Überschlag“, steht für Bergs Jugenderinnerungen an das Landhaus der Familie in Kärnten. Dort war im Frühjahr 1902 Albine (!) Scheuchl gezeugt worden. Ihre Mutter Marie, das Dienstmädchen der Bergs, verließ den Ort noch vor der Geburt ihres Kindes am 4. Dezember 1902, obwohl der 18-jährige Alban Berg ihr ein Jahr später schriftlich bestätigte, „dass ich der Vater des Kindes bin“. Der junge Mann fiel durch die Schul-Abschlussprüfung und dachte an Freitod. Auch Alban Berg hatte also eine Tochter verloren. Er selbst war damals gerade so alt wie Manon, als sie sterben musste. Die Ehe von Helene und Alban Berg blieb dagegen kinderlos. Der Schlussakkord des Violinkonzertes besteht aus 18 Tönen.

Für das Violinkonzert hatte Berg die Arbeit an seiner unvollendet gebliebenen Oper „Lulu“ unterbrochen. Über Zusammenhänge zwischen der Figur der Lulu und etwa Manon oder den anderen Frauen aus Bergs Umgebung gibt es bisher kaum Überlegungen.

Der erlösende Tod

Im zweiten Satz lenkt Berg die Assoziationen der Zuhörer auf Krankheit und Tod Manons. Unruhe und Nervosität geben den Ton an. Im 23. Takt heißt es „molto ritmico“. Je rhythmischer, desto starrer. Unaufhaltsam marschiert die Kolonne der Töne auf die Katastrophe zu. Im 99. Takt schreit die Solovioline ihre leeren Quinten heraus, worauf die Harfe mit einem Absturz durch den gesamten Tonraum antwortet. Während der nächsten Minuten lässt sich die Solovioline noch einmal von ihrer schönsten Seite vernehmen, vereinsamt zunehmend (kaum Orchesterbegleitung), erlebt luzide Momente, bevor im Takt 125 der sogenannte Lähmungsakkord samt vier trockenen Schlägen den „Höhepunkt des Allegros“ bildet – so steht es in der Partitur.

Das abschließende Adagio hebt an mit den oben erwähnten vier Ganztönen, dem Abschluss von Bergs Zwölftonreihe. Sie sind zugleich die Anfangstöne des 300 Jahre alten Sterbechorals „Es ist genug“.

Es ist genug!
Herr, wenn es Dir gefällt,
so spanne mich doch aus!
Mein Jesus kommt:
nun gute Nacht, o Welt!
Ich fahr’ ins Himmelshaus,
Ich fahre sicher hin mit Frieden.
Mein großer Jammer bleibt darnieden.
Es ist genug!

Sterbechoral von Franz Joachim Burmeister (1633–1672)

Berg übernimmt diesen Choral in der originalen vierstimmigen Fassung von Johann Sebastian Bach aus dessen Kantate „O Ewigkeit, du Donnerwort“ BWV 60. Die Klarinetten spielen pianissimo den Bach-Satz, während die zweiten Geigen – ebenfalls pianissimo – zerbrochene Fragmente der Ganztonleiter einstreuen, ein bewegendes musikalisches Detail.

Mit verklärten Variationen über den Choral („misterioso“) geht das Violinkonzert zu Ende. Die Solovioline („molto espressivo e cantabile”) findet ihre Stimme wieder. Sie selbst führt die Zurückgebliebenen ins ewige Licht: „Von hier an übernimmt – auch dem Publikum hör- und sichtbar zum Bewusstsein kommend – der Solist die Führung über die Violinen und Bratschen, die sich ihm also in ihrem gemeinsamen Part ... anzuschließen und auch vortragsmäßig genau anzupassen haben!“ So will es Alban Berg.

„Wie aus der Ferne“ weht noch einmal das Volkslied aus Kärnten herein. Die Choralmelodie scheint magisch dazwischen auf. „Molto espressivo e amoroso“ transzendiert die Solovioline mit ihren Begleitern in lichte Fernen. Die reinen Quinten des Anfangs haben das letzte Wort.

Alban Berg hat die Uraufführung seines Werkes am 19. April 1936 in Barcelona, drei Tage vor Manons erstem Todestag, nicht mehr erlebt. Er war am 23. Dezember 1935 (nicht am 24., wie Helene Berg glauben machen wollte) an einer monatelang verschleppten Sepsis vermutlich infolge eines Insektenstiches verstorben. „Alban Berg hatte seit langem an Furunkulose gelitten ... Der arme Mensch litt furchtbar, sein ganzer Körper wurde zerschnitten, eine Operation nach der anderen vorgenommen, aber es war zu spät“, erinnerte sich Alma Mahler-Werfel. Penicillin, das rettende Antibiotikum, stand erst ab 1939 zur Verfügung. Alban Berg wurde wie Gustav Mahler nur 51 Jahre alt. Mit dem Violinkonzert hatte er sein eigenes Requiem geschrieben.

Johannes Brahms

Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Das dicke Ende

Nur ein ganz Großer, ganz Kauziger kann in der Mitte des 19. Jahrhunderts das notwendige Selbstvertrauen sammeln, um irgendwann den Mut aufzubringen, der Sinfonik nach Beethoven noch Gültiges hinzuzufügen. Von den Freunden gedrängt, nimmt Johannes Brahms nach langem Zögern die zugegebenermaßen ehrenvolle Bürde auf sich. Robert Schumann gibt den Anstoß: „Er soll sich immer an die Anfänge der Beethovenschen Sinfonien erinnern, er soll etwas ähnliches zu machen suchen“ (an Joseph Joachim, 1854). In aller Bescheidenheit knüpft Brahms mit seinen frühen Orchesterwerken, den Serenaden op. 11 und op. 16, zunächst bei den unverfänglichen Gattungen Divertimento und Notturno an. Er vermeidet es selbst, Streichquartette zu komponieren (stattdessen entstehen ein Trio und das herrliche Sextett op. 18). Gerade einmal an die Klaviersonate wagt er sich heran. Vierzehn Jahre lang ringt Brahms um seine erste Sinfonie. Und wäre ohne die vollendeten Tatsachen des weit unbekümmerteren Rivalen Bruckner vielleicht nie zu Ende gekommen.

So aber veröffentlicht Brahms endlich 1876 ein herbes, problembeladenes c-Moll-Werk in Per-aspera-ad-astra-Manier. Prompt wird die Sinfonie als „Beethovens Zehnte“ (Hans von Bülow) gefeiert, wenngleich ihre respektvolle Verbeugung vor der Gattung manchen einflussreichen Kritiker auch schaudern macht: „Zu einseitig scheint Brahms das Große und Ernste, das Schwere und Komplizierte zu pflegen auf Kosten der sinnlichen Schönheit. Wir gäben gern die feinsten kontrapunktischen Kunststücke (wie sie in Brahms’ Sinfonie zu Dutzenden vergraben liegen) um ein Stück warmen Sonnenscheins, bei dem uns das Herz aufgeht...“ (Eduard Hanslick, 1876). Das Erbe ist angetreten.

Einer „Sache auf Leben und Tod“ zweiter Teil

Als ob er Hanslick aufs Wort gehorchen wollte, goss Brahms seine Erleichterung über die gelungene Erste gleich darauf in eine überschwängliche Zweite. „Ich bin Dir von Herzen verbunden, und zum Dank soll’s auch, wenn ich Dir etwa den Winter eine Symphonie vorspielen lasse, so heiter und lieblich klingen, daß du glaubst, ich habe sie extra für Dich oder gar Deine jungfräuliche Frau geschrieben! Das ist kein Kunststück, wirst Du sagen, Brahms ist pfiffig, der Wörther See ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, daßman sich hüten muß, keine zu treten... (Brahms an Hanslick, Sommer 1877).

Vier Monate Entstehungszeit gegenüber vierzehn Jahren, D-Dur statt c-Moll; ein Fliegengewicht, ein unbeschwertes Nachspiel, diese Zweite. „Die Leute werden meinen, diesmal hätte ich mir’s leicht gemacht“, vertraute er seinem Verleger Fritz Simrock an, fügte jedoch vielsagend hinzu: „aber Ihnen rate ich, vorsichtig zu sein!“

Die Angst, missverstanden zu werden, ließ den scheuen und verletzlichen Brahms oft derbe Scherze erfinden und bis auf wenige Ausnahmen stets unterkühlt namentlich von seinen eigenen Werken sprechen. Verpackt in eine dicke Hülle aus Selbstironie, kündigte er Kompositionen, bei denen er recht sicher sein konnte, dass sie den Freunden auf Anhieb gefielen, als komplizierte, traurige Werke an. Und so erfuhr Simrock weiter über die Zweite: „Die neue Symphonie ist so melancholisch, daß Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so etwas Trauriges, Molliges geschrieben: Die Partitur muß mit Trauerrand erscheinen“ (22. November 1877). Auch die Freundin Elisabeth von Herzogenberg bekam von „Flor um den Arm“ zu hören, „weil’s gar so lamentabel klingt“.

Der Irrtum mit der Sinfonietta

Die verehrenden Freunde hatten nichts Eiligeres zu tun, als emphatisch zu widersprechen: „Das ist ja lauter blauer Himmel, Quellenrieseln, Sonnenschein und grüner Schatten! Am Wörther See muß es doch schön sein“ (Theodor Billroth, 14. November 1877).

Pörtschach am Wörthersee um 1865

Und Carl Friedrich Pohl nach der Uraufführung an Simrock: „Es ist ein prachtvolles Werk, das Brahms der Welt schenkt und zudem so recht zugänglich. Jeder Satz ist Gold und alle zusammen bilden in sich ein notwendiges Ganzes. Leben und Kraft sprudelt überall, dabei Gemütstiefe und Lieblichkeit. Das kann man nur auf dem Lande, mitten in der Natur komponieren“.

Für die weitere Rezeptionsgeschichte der Zweiten waren solche Bewertungen von Verhängnis. Der bedeutende Musikkritiker und Publizist Richard Specht schrieb 1923 in seinem Brahms-Buch davon, dass die Sinfonie „mehr Serenade als Symphonie ist und ... daran erinnert, daß nicht nur Beethoven, sondern auch Haydn und Mozart Symphonien geschrieben haben – die man heute lieber Sinfonietten nennen würde“. Dieses Urteil darf als symptomatisch für die Unterschätzung der Zweiten gelten, „eine Unterschätzung, die noch heute ihr Unwesen treibt und ausnahmslos im Gewand wohlwollenden Verständnisses auftritt für eine künstlerische Leistung, mit der Brahms nach den dramatischen Anspannungen der Sinfonie Nr. 1 sich und seinen Hörern nun behagliches Entspannen gönnen wolle – ein angebliches Nachlassen an Intensität und Gedankenfülle wird zum fatalen Signum von Popularität“ (Mathias Hansen).

Gleichem Denken entspringt der ebenfalls oft bemühte Vergleich des Werkpaares Sinfonien Nr. 1 und 2 von Brahms mit dem Sinfonienpaar Nr. 5 und 6 von Beethoven. Auch der verdienstvolle Brahms-Forscher Karl Geiringer sitzt dem Klischee auf, wonach Brahms – gleich Beethovens vermeintlichem Schritt von der „Schicksals“- zur „Pastoral“-Sinfonie – das Bedürfnis verspürte, nach der „mächtigen c-Moll-Symphonie... ein leichtes, unbeschwertes Werk der gleichen Gattung zu schreiben.“ „Dieses Missverständnis, gegenüber Beethoven wie nicht minder gegenüber Brahms, trifft nicht lediglich ein einzelnes Werk, sondern eine spezifische ästhetische Qualität, die als ‘Serenität’, als eine Art ‘höherer Heiterkeit’ bezeichnet werden kann“ (Hansen).

Idylle mit Posaunen

Nun steht es außer Zweifel, dass der wesenseigen stets um Mediation bemühte Brahms mit der Zweiten nicht auch einen „Gegenentwurf“ zur Ersten versucht haben könnte. Tatsächlich komponierte er das Werk 1877 nahezu aus einem Guss in der idyllischen Umgebung seines Sommersitzes Pörtschach am Wörthersee. In einem Brief vom 29. Juni 1877 an einen Freund, den renommierten Arzt Theodor Billroth, versteckte Brahms einen diskreten Hinweis auf seine Intention: „Hier – ja hier ist es allerliebst, See, Wald ‚drüber blauer Berge Bogen, schimmernd weiß in reinem Schnee‘“. Er zitierte damit den Text des Liedes „Blauer Himmel, blaue Wogen“ von Karl Joseph Simrock, das er 1873 als op. 59/2 vertont hatte:

Blauer Himmel, blaue Wogen,
Rebenhügel um den See,
Drüber blauer Berge Bogen
Schimmernd weiß im reinen Schnee.
Wie der Kahn uns hebt und wieget,
Leichter Nebel steigt und fällt,
Süßer Himmelsfriede lieget
Über der beglänzten Welt.
Stürmend Herz, tu auf die Augen,
Sieh umher und werde mild:
Glück und Friede magst du saugen
Aus des Doppelhimmels Bild.
Spiegelnd sieh die Flut erwidern
Turm und Hügel, Busch und Stadt,
Also spiegle du in Liedern,
Was die Erde Schönstes hat.

Die D-Dur-Sinfonie bezaubert mit ihrer sympathischen Wärme, jener oben als „Serenität“ bezeichneten „ernsthaften Heiterkeit“. Doch polternde Fröhlichkeit wird man in Brahms’ Schaffen nicht finden, ebensowenig aus Augenblickslaunen geborenen Sonnenschein. Ein Freund meinte Brahms am unbeschwertesten und aufgeräumtesten zu erkennen, wenn dieser „Das Grab ist meine Freude“ sänge.

Der erste Satz, Allegro non troppo, wächst aus einem düsteren, kleinschrittigen Drei-Ton-Motiv heraus. Leise, tief, unsicher, drohend tastet es sich zunächst durchs Nichts, bevor eine sanft tröstende Wiegenmelodie der Hörner und später der Violinen es an die Hand nimmt und allmählich herausführt.

Es handelt sich dabei um eine Mollvariante des bekannten Liedes „Guten Abend, gut‘ Nacht“, das Brahms 1868 nach einem Text aus der Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ als op. 49/4 vertonte. Das heute auch in der Melodie zum Volkslied gewordene Kunstlied von Brahms galt 1868 Bertha Faber, geb. Porubszky, zur Geburt ihres zweiten Sohnes „zu allzeit fröhlichem Gebrauch“. Der 26-jährige Johannes Brahms hatte die 17-jährige Wienerin bereits 1859 angeschwärmt, als sie in dem von ihm geleiteten Hamburger Frauenchor sang. Bekanntermaßen wurde aus Johannes und Bertha kein Paar. Wer wem einen Korb gegeben hatte, ist umstritten. Aber ein Liebeslied aus der österreichischen Heimat der jungen Dame blieb ihm derart im Gedächtnis, dass es in der Klavierbegleitung des späteren Wiegenliedes wieder auftauchte:

Du moanst wohl, du moanst wohl,
Die Lieb laßt si zwinga?
Du glaubst wohl, du glaubst wohl,
I bin a so a Bua?
Du moanst wohl, du moanst wohl,
Mi wickelst um d‘Finga,
Und denkst wohl und denkst wohl,
I lach noch darzua?
Doch glaub‘ mir, ‚s ist anderst,
Verlaß di darauf,
Zertrittst wo a Bleamerl,
Steht‘s nimmamehr auf.

Im Kopfsatz der Sinfonie schlagen nahezu sämtliche anmutigen Kantilenen unvermutet ins Schroffe um, offenbaren so ihre tiefe Gefährdung. Immer wieder stören Posaunen und (einmalig in Brahms‘ Sinfonik) die Tuba die idyllische Pastoralatmosphäre. „... flüchtig sage ich, daß ich sehr gewünscht und versucht habe, in jenem ersten Satz ohne Posaunen auszukommen... Aber ihr erster Eintritt, der gehört mir, und ihn und also auch die Posaunen kann ich nicht entbehren. Sollte ich jene Stelle verteidigen, da müßte ich weitläufig sein. Ich müßte bekennen, daß ich nebenbei ein schwer melancholischer Mensch bin, daß schwarze Fittiche beständig über uns rauschen, daß – vielleicht nicht so ganz ohne Absicht in meinen Werken auf jene Symphonie eine kleine Abhandlung über das große „Warum“ (gemeint ist die Motette „Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen“ op. 74 Nr. 1) folgt. Wenn sie die nicht kennen, so schicke ich sie Ihnen, sie wirft den nötigen Schlagschatten auf die heitre Symphonie und erklärt vielleicht jene Pauken und Posaunen...“ (Johannes Brahms an Vincenz Lachner, August 1879)

Kurz vor Schluss des Satzes flicht Brahms mit der ihm eigenen Lakonik noch ein weiteres eigenes Liedzitat ein. Es stammt aus „Es liebt sich so lieblich im Lenze“ op. 71/1 (1877 veröffentlicht) auf einen Text von Heinrich Heine:

Die Wellen blinken und fließen dahin,
Es liebt sich so lieblich im Lenze!
Am Flusse sitzet die Schäferin
Und windet die zärtlichsten Kränze.

Das knospet und quillt, mit duftender Lust,
es liebt sich so lieblich im Lenze!
Die Schäferin seufzt aus tiefer Brust:
„Wem geb’ ich meine Kränze?“

Ein Reiter reitet den Fluß entlang,
er grüßet so blühenden Mutes,
die Schäferin schaut ihm nach so bang,
fern flattert die Feder des Hutes.

Sie weint und wirft in den gleitenden Fluß
die schönen Blumenkränze.
Die Nachtigall singt von Lieb’ und Kuß,
es liebt sich so lieblich im Lenze!

Die zentrale Position in der Sinfonie Nr. 2 gehört dem vom Brahms-Biographen Max Kalbeck als „fast zu ernst“ empfundenen „Fremdkörper“: dem Adagio non troppo, einziger Adagio-Satz in einer Brahms-Sinfonie. In entrückter Tonart, H-Dur, verströmt er Ruhe, ohne wirklich zu beruhigen. Komplizierte harmonische Verflechtungen, dichtester Kontrapunkt, schmerzgedehnte Intervalle, abgründige Harmonien weisen voraus auf die langsamen Sätze der Sinfonien von Gustav Mahler.

Das folgende, rondoartige Allegretto grazioso kommt nicht ohne schwermütige Abschiedsgesten aus, während das turbulente Finale, Allegro con spirito, zunächst im Flüsterton an das Allegretto anschließt.

Zum letzten Mal komponiert Brahms einen „ordentlichen“ Sinfonieschluss, der – wie schon gelegentlich bei Beethoven – zu überreichlichem Jubel gerät. Für die Finali der Sinfonien Nr. 3 und 4 ging Brahms sechs Jahre später ganz neue Wege. In der Sinfonie Nr. 2 sprechen die äußeren und inneren Proportionen eine deutliche Sprache: Die Sätze drei und vier dauern zusammen kürzer als der gewichtige erste Satz.

Die Uraufführung fand am 30. Dezember 1877 unter Leitung von Hans Richter in Wien statt. Sie wurde ebenso wie die zweite Aufführung am 10. Januar 1878 mit Brahms am Pult in Leipzig zu einem rauschenden Erfolg. Seither hält sich weltweit der Brauch, die vermeintlich ungetrübte Natur-Idylle der Sinfonie Nr. 2 von Johannes Brahms leichtfertig zu bejubeln.

Kurzbiographien

Vladimir Jurowski

Vladimir Jurowski conducts.
Vladimir Jurowski © Peter Meisel

Vladimir Jurowski ist seit 2017 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des RundfunkSinfonieorchesters Berlin (RSB). 2023/2024 setzten seine Konzerte, Tourneen und Aufnahmen die Glanzpunkte der Jubiläumssaison „RSB100“. Sein aktueller Vertrag in Berlin läuft bis 2029. Parallel dazu ist er seit 2021 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.

Vladimir Jurowski, einer der gefragtesten Dirigenten unserer Zeit, der weltweit für seine innovativen musikalischen Interpretationen und ebenso für sein mutiges künstlerisches Engagement gefeiert wird, wurde 1972 in Moskau geboren und absolvierte den ersten Teil seines Musikstudiums am Music College des Moskauer Konservatoriums. 1990 siedelte er mit seiner Familie nach Deutschland über und setzte seine Studien an den Musikhochschulen in Dresden und Berlin fort. 1995 debütierte er beim irischen Wexford Festival mit Rimski-Korsakows „Mainacht“ und 1996 am Royal Opera House Covent Garden mit „Nabucco“. Anschließend war er Erster Kapellmeister der Komischen Oper Berlin (1997-2001).

Bis 2021 arbeitete Vladimir Jurowski fünfzehn Jahre lang als Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra (LPO) und wurde inzwischen zu dessen „Conductor Emeritus“ ernannt. In Großbritannien leitete er von 2001 bis 2013 als Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera eine breite Palette von hochgelobten Produktionen. Seine enge Verbindung zum britische Musikleben wurde im Frühjahr 2024 von König Charles III. dadurch gewürdigt, dass er Vladimir Jurowski zum Honorary Knight Commander of the Most Excellent Order of the British Empire (KBE) ernannte. Im April 2024 kehrte Vladimir Jurowski als Gast nach London zurück, um mit dem LPO in der Royal Festival Hall den konzertanten Aufführungszyklus von Wagners „Ring“ mit der „Götterdämmerung“ zu vollenden.

Ebenfalls bis 2021 war er Künstlerischer Leiter des Staatlichen Akademischen Sinfonieorchesters „Jewgeni Swetlanow“ der Russischen Föderation und Principal Artist des Orchestra of the Age of Enlightenment in Großbritannien, außerdem Künstlerischer Leiter des Internationalen GeorgeEnescu-Festivals in Bukarest. Darüber hinaus arbeitet er seit vielen Jahren mit dem Ensemble unitedberlin zusammen. Die Auftritte in Russland hat Vladimir Jurowski seit Februar 2022 ausgesetzt. Ukrainische Werke sind und bleiben Bestandteil seines Repertoires ebenso wie die Werke russischer Komponisten.

Vladimir Jurowski hat Konzerte der bedeutendsten Orchester Europas und Nordamerikas geleitet, darunter die Berliner, Wiener und New Yorker Philharmoniker, das königliche Concertgebouworchester Amsterdam, das Cleveland und das Philadelphia Orchestra, die Sinfonieorchester Boston und Chicago, das Tonhalle-Orchester Zürich, die Sächsische Staatskapelle Dresden und das Gewandhausorchester Leipzig. Er gastiert regelmäßig bei den Musikfestivals in London, Berlin, Dresden, Luzern, Schleswig-Holstein und Grafenegg. Obwohl Vladimir Jurowski von Spitzenorchestern aus der ganzen Welt als Gastdirigent eingeladen wird, konzentriert er seine Aktivitäten inzwischen auf jenen geographischen Raum, den er unter ökologischem Aspekt mit vertretbarem Aufwand gut erreichen kann.

Die gemeinsamen CD-Aufnahmen von Vladimir Jurowski und dem RSB begannen 2015 mit Alfred Schnittkes Sinfonie Nr. 3. Es folgten Werke von Britten, Hindemith, Strauss, Mahler und erneut Schnittke. Vladimir Jurowski wurde vielfach für seine Leistungen ausgezeichnet, darunter mit zahlreichen internationalen Schallplattenpreisen. 2016 erhielt er aus den Händen des heutigen Königs Charles III. die Ehrendoktorwürde der Royal Philharmonic Society. 2020 wurde Vladimir Jurowskis Tätigkeit als Künstlerischer Leiter des George-Enescu-Festivals vom Rumänischen Präsidenten mit dem Kulturverdienstorden gewürdigt.

Christian Tetzlaff

Christian Tetzlaff © Giorgia Bertazzi

„In jeder Ausdrucksrichtung strebt Tetzlaff nach dem Maximum… Mehr Intensität geht nicht.“
Süddeutsche Zeitung

Der Geiger Christian Tetzlaff wird für seine ausdrucksstarken, einfühlsamen und persönlichen Interpretationen hoch gelobt. Seine individuelle Herangehensweise an die Partitur, bei der er stets nach der emotionalen und strukturellen Tiefe der Komposition sucht, hat ihm im Laufe der Zeit eine treue Anhängerschaft beschert, die seine Darbietungen oft als existenzielle Erfahrung beschreibt. Seit seinem spektakulären Debüt mit dem Schönberg-Violinkonzert 1988 in Berlin, München und Cleveland ist er mit bedeutenden Orchestern von höchstem Rang aufgetreten, darunter die Berliner, Wiener und New Yorker Philharmoniker, die Bostoner und Chicagoer Symphonieorchester, das Royal Concertgebouw Orchestra, das London Symphony Orchestra und viele andere. Sein umfangreiches Repertoire reicht von Bachs Solosonaten und Partiten über weniger bekannte Konzerte von Giovanni Battista Viotti und Joseph Joachim bis hin zu zeitgenössischen Werken von György Ligeti, Jörg Widmann und Thomas Ades. Im Jahr 2023 übernahm er die künstlerische Leitung des SPANNUNGEN-Festivals in Heimbach, Deutschland.

In der Saison 2025/26 tritt Tetzlaff als Artist-in-Residence mehrfach mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin auf und spielt Violinkonzerte von Berg, Suk und Dvořák sowie Kammermusik mit Vladimir Jurowski. Im Februar 2026 gibt er die Weltpremiere von Ondrej Adameks Violinkonzert Nr. 2 in Paris, gefolgt von nationalen Premieren in der Schweiz und der Tschechischen Republik. Weitere Höhepunkte der Saison sind Duo-Konzerte mit Leif-Ove Andsnes, Solo-Rezitale in Berlin, Oslo und London sowie Konzerte mit dem BBC Symphony Orchestra, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, den Wiener Symphonikern, dem SWR Symphonieorchester, Helsinki Philharmonic und dem NHK Symphony Orchestra.

Tetzlaff arbeitet mit vielen der führenden Dirigenten zusammen, darunter Herbert Blomstedt, Karina Canellakis, Maxim Emelyanychev, Christoph Eschenbach, Daniele Gatti, Daniel Harding, Manfred Honeck, Jakub Hrůša, Marie Jacquot, Paavo Järvi, Vladimir Jurowski, Cristian Măcelaru, Andris Nelsons, Gianandrea Noseda, Sakari Oramo, Sir Antonio Pappano, Kirill Petrenko, Sir Simon Rattle, Esa-Pekka Salonen, Jukka-Pekka Saraste, John Storgårds, Robin Ticciati, and Juraj Valčuha.

Kammermusik ist ein fester Bestandteil seiner Karriere. 1994 gründete er zusammen mit seiner Schwester, der Cellistin Tanja Tetzlaff, das Tetzlaff Quartett. Das Ensemble geht jede Saison auf Tournee und tritt 2025/26 in Deutschland und Großbritannien auf. Das Tetzlaff Quartett wurde 2015 für seine Aufnahme von Bergs Lyrischer Suite und Mendelssohn mit dem Diapason d’or l’année ausgezeichnet. Christian und Tanja Tetzlaff treten auch regelmäßig als Trio mit der Pianistin Kiveli Dörken auf.

Seine umfangreiche Diskografie, hauptsächlich beim Label Ondine, wurde mit dem Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik, mehreren Diapason d’or-Auszeichnungen und dem Midem Classical Award geehrt. Zu den jüngsten Höhepunkten zählen Sibelius mit dem Finnischen Radio-Sinfonieorchester und Nick Collon sowie die Brahms‘ Klavierquartette, die letzten Aufnahmen des verstorbenen Lars Vogt. Die Violinkonzerte von Elgar und Adès mit dem BBC Philharmonic Orchestra und John Storgårds erscheinen im Herbst 2025. Bachs Werke für Solovioline nahm er dreimal auf, zuletzt im 2017.

Christian Tetzlaff spielt auf einer Violine des Geigenbauers Peter Greiner. Er unterrichtet an der Kronberg Academy und lebt mit seiner Frau, der Fotografin Giorgia Bertazzi, und den drei Kindern in Berlin.

The RSB in the Philharmonie Berlin, © Peter Meisel

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Wolters, Rainer
Nebel, David
Herzog, Susanne
Neufeld, Andreas
Drechsel, Franziska
Kynast, Karin
Morgunowa, Anna
Pflüger, Maria
Polle, Richard
Shalyha, Bohdan
Stangorra, Christa-Maria
Tast, Steffen
Hagiwara, Arisa
Kim, Myung

Violine 2

Kurochkin, Oleh
Simon, Maximilian
Drop, David
Petzold, Sylvia
Buczkowski, Maciej
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Hetzel de Fonseka, Neela
Manyak, Juliane
Palascino, Enrico
Seidel, Anne-Kathrin
Fan, Yu Chen

Viola

Errera Pavon, Karolina
Adrion, Gernot
Silber, Christiane
Drop, Jana
Doubovikov, Alexey
Montes, Carolina
Inoue, Yugo
Nell, Lucia
Roske, Martha
Solle, Miriam

Violocello

von Gutzeit, Konstanze
Breuninger, Jörg
Albrecht, Peter
Boge, Georg
Kipp, Andreas
Weigle, Andreas
Meiser, Oliwia
Ricard, Constance
Kleimberg, Elise
Bastian, Josephine

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Figueiredo, Pedro
Ahrens, Iris
Gazale, Nhassim
Schwärsky, Georg
Moon, Junha
Kostic, Dusan

Flöte

Schaaff, Ulf-Dieter
Döbler, Rudolf
Schreiter, Markus

Oboe

Lazzari, Leandro
Grube, Florian
Herzog, Thomas

Alt-Saxophon

Enzel, Christoph

Klarinette

Kern Michael
Korn, Christoph
Simpfendörfer, Florentine

Fagott

You, Sung Kwon
Königstedt, Clemens
Shih, Yisol

Horn

Ember, Daniel
Rast, Quirin
Mentzen, Anne
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Dörpholz, Florian
Ranch, Lars

Posaune

Hölzl, Hannes
Hauer, Dominik
Lehmann, Jörg

Tuba

Neckermann, Fabian

Harfe

Edenwald, Maud

Percussion

Tackmann, Frank
Thiersch, Konstantin
Lichtenfels, Jannis
Putz, Richard
Borges, Florian

Pauke

Eschenburg, Jakob

Kooperation

Bild- und Videorechte

Bild Vladimir Jurowski © Stefan Maria Rother
Bild Vladimir Jurowski 2 © Peter Meisel
Bild Christian Teztlaff © Giorgia Bertazzi
Bild Orchester in der Philharmonie © Peter Meisel
Bilder moderierte Probe © Josina Herrmann