Digitales Programm

Do 12.10. Vladimir Jurowski

20:00 Konzerthaus

Georg Philipp Telemann

„Don Quichotte“ – Burleske für Streichorchester

Joseph Bodin de Boismortier

Ouvertüre und Chaconne aus der Ballettmusik „Don Quichotte chez la duchesse“

Maurice Ravel

„Don Quichotte à Dulcinée“ – Drei Lieder für Bariton und Orchester

Jacques Ibert

„Chansons de Don Quichotte“

Pause

Richard Strauss

„Don Quixote“ – Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters op. 35

Besetzung

Vladimir Jurowski, Dirigent
Alejandro Regueira Caumel, Viola
Konstanze von Gutzeit, Violoncello
Paul Gay, Bariton
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Das Konzert wird live aus dem Konzerthaus von rbbKultur übertragen.

Konzerteinführung: 19.10 Uhr, Ludwig-van-Beethoven-Saal, Konzerteinführung von Steffen Georgi.

Wie klingt „Don Quijote“?

Wer kennt ihn nicht, den wenig ruhmreichen Ritter Don Quixote auf seiner Rosinante und den treuen Knappen Sancho Pansa auf der Suche nach Abenteuern. Die Geschichte des Miguel de Cervantes hat zahlreiche Künstler:innen und Komponist:innen inspiriert, fünf Ergebnisse dieser fruchtbaren Inspiration sind in diesem Konzert zu hören.

Georg Philipp Telemann

„Don Quichotte“ – Burleske für Streichorchester

Fleiß mit Witz

Der deutsche Barockkomponist Georg Philipp Telemann, vier Jahre älter als Johann Sebastian Bach, eröffnet unser heutiges Konzert. Telemann war ein enorm produktiver und vielseitiger Musiker. Nicht nur 1043 Kirchenkantaten und 46 Passionsvertonungen künden von seinem Fleiß. In Hamburg widmet er sich auch mit großem Erfolg der Instrumentalmusik und der Oper. Sein musikalischer Stil reicht vom charakteristischen Spätbarock bis zum neuen galantem Stil, den sein Patensohn Carl Philipp Emanuel Bach später zur Blüte führen wird.

In seinen reifen Jahren beschäftigt sich Telemann zweimal mit Episoden aus Cervantes’ berühmtem „Don Quijote“-Roman. 1739 entsteht das Orchesterwerk „Don Quijote auf der Hochzeit des Camacho“. Die Ouvertüren-Suite, im Titel beschrieben als „Burlesques de Quichotte“, skizziert in instrumentaler Form Episoden aus dem Leben des Ritters. 1761 legt Telemann noch eine einaktige Oper „Don Quichote, der Löwenritter“ nach. Beide Kompositionen erweisen dem 1605 und 1615 erstmals veröffentlichten Roman von Miguel de Cervantes ihre musikalische Referenz.

Ritterspiele

Schon die langsame Einleitung der französischen Ouvertüre, mit der die Suite beginnt, spiegelt Glanz und Elend des spanischen Granden der besonderen Art. Majestätisches und Lächerliches liegen oft dicht beieinander, wie wir auch in Deutschland nicht nur aus dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ wissen. Das Erwachen des Don Quijote zeichnet Telemann ganz lautmalerisch nach. Man meint das Blinzeln, das Rekeln, das Gähnen förmlich zu hören, bevor sich der tapfere Held doch noch einen kleinen Schlummer gönnt. Umso heller blitzt die Spitze seiner Lanze auf, wenn es gegen die Windmühlen geht. Mutig tritt er mit seiner bescheidenen Waffe dem übermächtigen Feind entgegen. Was würde wohl Prinzessin Dulcinea del Toboso sagen, wenn sie das sehnende Herz des Kämpfers klopfen hörte? Während Don Quijote sich in Leidenschaft verzehrt, muss sein Knappe Sancho Panza ausbaden, was sein Herr zuvor im Wirtshaus verzehrt hat – ohne zu bezahlen. Das heißt, Sancho Panza wird in einen Sack gestopft und durchgeprügelt. Die Reittiere der beiden Helden erscheinen auf der Bildfläche, Abbilder ihrer Herren. Don Quijotes elendes Pferd Rosinante charakterisiert Telemann in einem Satz, der die Beschreibung von Sancho Panzas Esel einrahmt. Während Rosinante ihre besten Tage hörbar schon hinter sich hat, aber selbst als Klepper noch von grandiosem Galoppgeklapper träumt, macht der Esel, was der Esel so macht: Er bockt und schreit „i-a“ – und bleibt sonst sehr gleichmütig. Nach so vielen Strapazen legt sich der Schlaf bleischwer auf Don Quijote.

Joseph Bodin de Boismortier

Ouvertüre und Chaconne aus der Ballettmusik „Don Quichotte chez la duchesse“

Der Poulenc des 18. Jahrhunderts

Jovial und frech müsse man sein, um sich für Joseph Bodin de Boismortiers „Don Quichotte“ zu öffnen, meint der französische Dirigent Hervé Niquet, der das Werk in seiner Laufbahn zweimal komplett eingespielt hat. Das Werk ist eine veritable französische Opéra-comique des 18. Jahrhunderts mit Anteilen des historisch ebenfalls in Frankreich beheimateten Ballet-comique. Es sind Boismortiers „genialer und unübertroffener Wahnsinn“ (Hervé Niquet), aber auch sein charmanter Witz und seine listige Phantasie, die uns diesen Komponisten auch heute noch lebendig und interessant sein lassen.

Mit Telemann teilt er nicht nur die selbe musikgeschichtliche Epoche, sondern auch die Tatsache, dass er mit 102 offiziellen und mit Opuszahlen versehenen (und gedruckten) Werken gleichermaßen künstlerisch fleißig wie pekuniär erfolgreich gewesen ist. Wie Telemann ist es Boismortier gelungen, seinen Stil schnell und flexibel auf die jeweils herrschenden Vorlieben und den Geschmack seiner Auftraggeber und seines Publikums anzupassen. Was für andere Komponisten eine Zumutung gewesen wäre, daraus haben diese beiden ihre Popularität gezogen. Eben nicht auf struktureller Tiefe und bedeutungsvollen Allgemeinaussagen lag das Hauptaugenmerk dieser beiden (und vieler anderer) Komponisten – was ihnen in den Augen der Analysten Geringschätzung eingebracht hat. Obwohl Boismortier weitaus anspruchsvollere Musik komponieren konnte, zum Beispiel für die Instrumentalisten des Concert Spirituel, erfreuen wir uns heute Abend an der unverstellten Frische der ersten und der letzten Nummer sowie von vier kurzen Tänzen aus der Opéra-comique über das Leben des „Don Quichotte“.

Telemann – und nicht nur er – hätte ihn sicher beneidet um das bereits in den 1720er-Jahren in Frankreich mögliche Leben eines liberalen, von allen offiziellen Funktionen unabhängigen Komponisten, der das bürgerliche Künstlerdasein im Europa des 19. Jahrhundert um einige Generationen vorweggenommen hat.

„Don Quichotte chez la Duchesse“ des 53-jahrigen Boismortier verkörpert eine Musik voller überraschender Wendungen und kühner Brüche, die sowohl der deftigen Theatralik der Handlung als auch dem galanten Geschmack genüge tut.

Der altfranzösische Stil kreuzt die Klinge mit dem neuen italienischen Geigenklang, frönt der Luftigkeit des italienischen Satzes, greift bereitwillig die gesanglichen und harmonischen Qualitäten der Italiener auf. Und zwingt Musikerinnen wie Zuhörer aller Provenienz in den Tanzsätzen mit flüssigen bis rasanten Tempi auf die vordere Stuhlkante.

Maurice Ravel

„Don Quichotte à Dulcinée“ – Drei Lieder für Bariton und Orchester

Das Weltall umarmen

Zwei französische Komponisten reagierten positiv, als der renommierte österreichische Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst sie 1932 einlud, Lieder zu einem Film über die Romanfigur Don Quichotte zu komponieren. Zur Zusage animiert wurden sie nicht zuletzt von der Aussicht, diese Lieder für den legendären russischen Bass Fjodor Schaljapin zu schreiben. In der Tat spielte Schaljapin, der seit 1921 nicht mehr in Sowjetrussland lebte und arbeitete, die Titelrolle in dem 1932 in Frankreich gedrehten Film, in der Wahlheimat des Regisseurs. Fjodor Schaljapin hatte sich für die Rolle nicht zuletzt dadurch empfohlen, dass er 1910 die Titelrolle in der Uraufführung von Jules Massenets Oper „Don Quichotte“ mit großem Erfolg gesungen und gespielt hatte. G.W. Pabst drehte seinen Don-Quijote-Film 1932 – vor der Erfindung der Synchronisation – parallel in drei Sprachen: in Französisch, Englisch und Deutsch. Die jeweiligen Uraufführungen fanden 1933 in Brüssel und London, 1934 in Wien statt. Die deutsche Fassung gilt heute als verschollen. In Deutschland nachweislich zum ersten Mal zu sehen war der Film 1968 im ARD-Fernsehen.

Dass am Ende nicht die Lieder in dem Film vorkamen, die Maurice Ravel komponiert hatte, lag an der verspäteten Abgabe der Partitur durch den Komponisten. Dies wiederum hatte seine Ursache in der zerebral-neurologischen Erkrankung Morbus Pick, die Ravel zunehmend seiner motorischen Fähigkeiten und seines Gedächtnisses beraubte und ihn überdies mit Phasen von Aphasie (Sprachverlust) belastete. Möglicherweise wusste Pabst nichts von der Erkrankung Ravels, er baute am Ende die pünktlich eingetroffenen Lieder des Komponisten Jacques Ibert in den Film ein.

Als der Streifen 1934 mit Iberts Musik in die Kinos kam, verklagte Ravel die Produzenten, ohne ein Gerichtsverfahren damit auszulösen. Ravel vollendete drei der vier geforderten Lieder, wobei er zumindest bei der Notation der Orchestrierung von Lucien Garban und Manuel Rosenthal unterstützt wurde. Noch zu Lebzeiten Ravels, im Dezember 1934, fand die erste öffentliche Aufführung der drei Lieder mit dem Bariton Martial Singher und einem kleinen Orchester unter der Leitung von Paul Paray im Pariser Théâtre du Châtelet statt.

O Dulcinée

Ravels drei Lieder, seine letzte Komposition, stellen Dulcinea ins Zentrum. Als fantasiertes Liebesobjekt macht die Dame in des Ritters Träumen verschiedene Metamorphosen durch.

Im eröffnenden „Romantischen Lied“ kokettiert Ravel mit Rhythmuswechseln von 6/8- und 3/4-Takt. Hintergrund des exotisch anmutenden Liedes ist das Tanzmuster der Quajira, eines einst von Andalusien über die Kanarischen Inseln nach Kuba exportierten Liedtypus, der im 19. Jahrhundert als Guajira zurück nach Europa gekommen und dort im Flamenco aufgegangen ist. An Kulminationspunkten tauchen zarte Dissonanzen auf. Der gehauchte Anruf „O Dulcinée“ am Schluss ist Sinnlichkeit pur. Das zweite Lied wendet sich gleichsam nach innen zum Gebet. Archaische Harmonien beschwören die Atmosphäre einer mittelalterlichen christlichen Liturgie herauf, huldigen der Madonna im blauen Mantel. So verleiht das „Epische Lied“ dem asymmetrischen baskischen Tanzrhythmus des Zortzico eine ungewöhnliche Intensität, indem es ihn in langsamem Tempo zelebriert. Im dritten Chanson, einem „Trinklied“, zieht der Rhythmus einer schier manischen Jota dem beschwipsten Don Quijote den Boden unter den Füßen weg. Mit kichernden Kapriolen ergeht er sich als berauschter Flamenco-Sänger, während das Orchester mit übermütigen Schnörkeln und Ornamenten den Wein im Glase perlen lässt.

Jacques Ibert

„Chansons de Don Quichotte“

Lang wie ein Jahr scheint mir jeder Tag, an dem ich meine Dulcinea nicht sehe

Lang und unermüdlich sind die Arabesken und Girlanden, mit denen Don Quijote seine zurechtgeträumte Angebetete einwebt und umgarnt. Jacques Ibert vertonte die schwärmerischen Verse 1932 für den Film „Don Quijote“ von G.W Pabst, wo sie von Fjodor Schaljapin gesungen wurden.

Jacques Ibert, prädestiniert für die Aufgabe nicht zuletzt durch seine Erfahrungen als praktischer Musiker für das seinerzeit noch junge Medium Film, legte wie von Pabst gewünscht vier Lieder für Don Quijote vor, eines sogar zusätzlich für Sancho Panza, und dirigierte auch die Aufnahmen mit Schaljapin für den Film. Praktischerweise gibt es die Lieder mit Klavierbegleitung, mit kleinem oder mit großem Orchester. Auch Ibert nimmt das spanische Idiom in seine Musik auf, wechselt jedoch im dritten und vierten Lied zu einer unverhofften Ernsthaftigkeit. Dulcinea wird zur idealen Projektionsfläche eines verbitterten ritterlichen Einzelgängers des 20. Jahrhunderts: „Singen will ich hier der Herrin meiner Träume, die mich hoch über dieses schmutzige Jahrhundert erhebt“, lässt er sich im Chanson du Duc vernehmen. Das letzte Lied ist ein so schlichter wie ergreifender Abschied von dem sterbenden Helden Don Quijote: Weine nicht, mein lieber Sancho, dein Herr ist nicht tot, nicht fern von dir. Er lebt auf einer glücklichen Insel, wo es nicht Falschheit noch Lüge gibt. Eines Tages kommst du nach. Das ist die Insel, die du dir und mir immer gewünscht hast.

Zwar sind alle Bücher verbrannt, die Don Quijote so geliebt hat. Aber ein einziges Buch, aus der Asche erstanden, hat Don Quijote unsterblich gemacht.

Wer ist Jacques Ibert?

Jacques Ibert wurde durch seine Mutter, eine versierte Pianistin, zur Musik hingelenkt. Als junger Mann verdiente er parallel zum Studium am Pariser Conservatoire (1910-1914) seinen Lebensunterhalt mit der Begleitung von Sängern und mit Klavierspielen in Stummfilmen. Während des Ersten Weltkrieges wurde er zum Militär eingezogen. Das unterbrach seine beginnende Karriere, doch 1919 war er gleich beim ersten Versuch erfolgreich, den begehrten Prix de Rome zu gewinnen. In den 1920er-Jahren konnte er sich gleichermaßen in Oper, Ballett, Liedern und Orchestermusik etablieren. Seit 1931 wandte er sich verstärkt der Filmmusik zu und komponierte binnen zehn Jahren elf Filmpartituren. Von 1937 bis 1960 war er Direktor der Académie de France in der Villa Medici in Rom. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb er die Musik für Orson Welles‘ „Macbeth“ (1948) und das Ballett „Circus“ für Gene Kellys „Invitation to the Dance“ (1952). Hierzulande ist zumindest sein Flötenkonzert im Konzertrepertoire zu hören.

Richard Strauss

„Don Quixote“ – Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters op. 35

Du sollst beim Dirigieren nicht schwitzen, nur dem Publikum soll warm werden.

Richard Strauss, 1927

Introduktion. Mäßiges Zeitmaß, ritterlich und galant –
Thema. Don Quixote, der Ritter von der traurigen Gestalt. Mäßig. Sancho Pansa. Maggiore –

1. Variation. Ausritt, Abenteuer mit den Windmühlen. Gemächlich

2. Variation. Kampf gegen Kaiser-Heer alias Hammelherde. Kriegerisch

3. Variation. Gespräch zwischen Sancho Pansa und Don Quixote. Mäßiges Zeitmaß

4. Variation. Abenteuer mit den Büßern. Etwas breiter

5. Variation. Waffenwache. Sehr langsam, frei deklamierend

6. Variation. Begegnung mit Dulzinea. Schnell

7. Variation. Der Ritt durch die Luft. Ein wenig ruhiger als vorher

8. Variation. Die Fahrt im verzauberten Nachen. Gemächlich

9. Variation. Kampf gegen einen Zauberer. Schnell und stürmisch

10. Variation. Zweikampf mit dem Ritter vom blanken Mond. Viel breiter

Finale. Don Quixotes Tod. Sehr ruhig.

Besiegte Schafe oder Edle gegen Eitle

Da verschlingt ein Hidalgo dutzendweise triviale Ritterromane, erhitzt daran sein Gemüt, tritt auf die Straße und sieht sich sogleich einem gewaltigen, bis an die Zähne bewaffneten Feind gegenüber. Tollkühn geht er drauf los, um der bedrohlich im Wege stehenden Windmühle die Flügel zu stutzen... also wirklich, so ein Trottel! Wo hat der nur sein Feindbild her?

Heute beschießen und beschmieren Menschen aus unserer Nachbarschaft harmlose S-Bahnzüge, werfen Steine auf Autobahnen und Schienen. Und ja, sie kämpfen auch gegen Windmühlenflügel, sollten diese zu einem Windrad gehören, das in der Nähe doch nur den Kohlenstoffdioxidausstoß auch ihres immensen Energiehungers reduzieren helfen soll. Die Quixotes von heute sind zahlreich – und weitaus aggressiver und gemeingefährlicher in ihrem Wahn als das historische Vorbild.

Miguel de Cervantes Saavedra (1547 – 1616) stammte selbst aus verarmtem spanischem Kleinadel (Hidalgo) und führte ein turbulentes Leben als Seefahrer, geriet in algerische Gefangenschaft, lebte fünf Jahre lang als Sklave und konnte erst 1580 mit dem gesamten Vermögen seiner Familie freigekauft werden. Später des Steuerbetruges bezichtigt und in einen Mordfall verwickelt, retteten ihn nur einflussreiche Gönner vor größerer Unbill. Seine literarischen Werke, Romane und Novellen, gehören zu den herausragenden Renaissance-Dichtungen und wurden in viele Sprachen übersetzt. So lernte man Don Quichote bereits 1621 in Deutschland kennen: als „Don Kichote de la Mantzscha. Das ist: Junker Harnisch aus Fleckenland.“

Phantastischer Phantasierer Strauss

Ursprünglich als bloße Satire gedacht, geriet der „scharfsinnige Edle“ zum ersten literarischen Exempel eines Menschen, der in einer Welt der Imagination die Wirklichkeit nicht mehr erkennen kann. Generationen von Philosophen, Science-Fiction-Autoren und Filmregisseuren sollte das Thema in den folgenden 400 Jahren beschäftigen.

Als sich Richard Strauss, etablierter Kapellmeister in München und Herr über außergewöhnliche kreative Kräfte, 1897 (nach „Don Juan“, 1888; „Till Eulenspiegels lustige Streiche“, 1895 und „Also sprach Zarathustra“, 1896) von Cervantes’ satirischem Roman „El ingenioso Hidalgo Don Quichote de la Mancha“ (1605/1615) zu seiner vierten großen Tondichtung anregen ließ, befand er sich in opulenter Gesellschaft. Seit Purcell, Caldara und Telemann hatten sich über 50 Komponisten dem „Ritter von der Traurigen Gestalt“ musikalisch genähert, unter ihnen Dittersdorf, Salieri, Donizetti, Moniuszko und Rubinstein. Abendfüllende Opern verfassten Jules Massenet und Wilhelm Kienzl.

Richard Strauss dürfte außer den bizarren Figuren des Ritters und seines Knappen Sancho Panza vor allem „der sprechende Kontrast von heroischer Traumwelt und kläglicher Wirklichkeit, von genialer Phantasiekraft und realer Welterfahrung“ (Ernst Krause) gereizt haben. Geistsprühend verschwendet Strauss sein Talent an augenzwinkernde Episodenmalerei. „Er ist sehr originell“, lobt er die eigene Erfindung 1898 gegenüber seiner Mutter, „durchaus neu in den Farben und eine recht lustige Vorführung aller Schafsköpfe, die’s aber nicht gemerkt haben“.

Spott lässt sich fabelhaft komponieren

Zwei Themen konstituieren den Ablauf. Das des Ritters gehört dem Solo-Violoncello; Sancho Pansa wird vorgestellt von Bassklarinette und Tenortuba, spielt dann auf der Solo-Bratsche weiter.

Der ausführlichen Einleitung folgen die einzelnen Abenteuer. Nach dem Fiasko mit der Windmühle wogt schon der nächste Gegner heran – leise blökend. Tremolo vielfach geteilter Bratschen, Einwürfe gedämpfter Bläser: Eine Hammelherde naht in voller Wolle! Tollkühn zersprengt unser Held die gefährliche Kampfformation.

Einem spitzfindigen Dialog zwischen dem verwirrten Edlen und seinem sehenden Begleiter (Variation III) folgt der Angriff Don Quichotes auf eine Prozession.

Die gefangene Prinzessin (das Marienbild) gilt es loszuschlagen – die frommen Pilger verprügeln ihn dafür. Von Sancho Pansa aus höchster Not befreit, hört man den Erschöpften rechtschaffen schnarchen: Glissando von Basstuba und Kontrafagott. Dann zeigt ein verliebt jauchzendes Violoncello unseren Ritter inbrünstig Liebe schwörend unterm Fenster seiner angebeteten Dulcinea (Variation V).

Des Knappen gutgemeinter Trost, nämlich eine derbe Bäuerin zu beschaffen für den Ritter, lehrt selbigen das Fürchten (Variation VI). Nun ist Zeit für den berühmten Ritt durch die Lüfte. Flöten flattern, Sturm heult (Windmaschine!), das Blech schmettert das Quixote-Thema – Wagners „Walkürenritt“ und Berlioz’ „Hexensabbat“ lassen gleichermaßen eifrig grüßen.

In Variation VIII erfahren der Draufgänger und sein Schutzengel, dass Wasser keine Balken hat, um gleich darauf zwei böse Zauberer in die Flucht zu schlagen – mit quäkendem Fagottgedudel illustriert Strauss die zwei verschreckten Mönche, denen der Angriff galt.

Erst in Variation X trifft Quixote auf seinen Meister, der dem Besiegten das Versprechen abnimmt, weitere Heldentaten andere begehen zu lassen.

Verklärend verabschiedet sich Strauss von seinem Verirrten. Das Publikum hielt den Komponisten 1898 nach der Uraufführung durch Franz Wüllner und das Kölner Gürzenich-Orchester selbst für einen solchen.

Kurzbiographien

Vladimir Jurowski

Vladimir Jurowski ist seit 2017 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Seinen Vertrag hat er mittlerweile bis 2027 verlängert. Parallel dazu ist er seit 2021 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.

Der Dirigent, Pianist und Musikwissenschaftler Vladimir Jurowski wurde zunächst an der Musikhochschule des Konservatoriums in Moskau ausgebildet. 1990 kam er nach Deutschland, wo er sein Studium an den Musikhochschulen in Dresden und Berlin fortsetzte. 1995 debütierte er beim britischen Wexford Festival mit Rimski-Korsakows „Mainacht“ und im selben Jahr am Royal Opera House Covent Garden mit „Nabucco“. Anschließend war er u.a. Erster Kapellmeister der Komischen Oper Berlin (1997– 2001) und Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera (2001–2013). 2003 wurde Vladimir Jurowski zum Ersten Gastdirigenten des London Philharmonic Orchestra ernannt und war von 2007 bis 2021 dessen Principal Conductor.

Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin war er 2022/2023 bei Konzerten in verschiedenen Städten Deutschlands, Italiens und in Antwerpen in den Niederlanden zu erleben. Die gemeinsamen CD-Aufnahmen von Vladimir Jurowski und dem RSB begannen 2015 mit Alfred Schnittkes Sinfonie Nr. 3. Es folgten Werke von Britten, Hindemith, Strauss, Mahler und demnächst erneut Schnittke. Vladimir Jurowski wurde vielfach für seine Leistungen ausgezeichnet, darunter mit zahlreichen internationalen Schallplattenpreisen. 2016 erhielt er aus den Händen von Prince Charles die Ehrendoktorwürde des Royal College of Music in London. 2018 kürte ihn die Jury der Royal Philharmonic Society Music Awards zum Dirigenten des Jahres. 2020 wurde Vladimir Jurowskis Tätigkeit als Künstlerischer Leiter des George-Enescu-Festivals vom Rumänischen Präsidenten mit dem Kulturverdienstorden gewürdigt.

Alejandro Regueira Caumel

Alejandro Regueira Caumel, geboren 1991 in Málaga/Spanien, begann als Sechsjähriger mit dem Geigen- und Klavierspiel. In Madrid studierte er bei Anna Baget und wechselte 2008 als Bratschist zu Dionisio Rodríguez. 2009 kam er nach Deutschland und studierte an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ bei Pauline Sachse und Tabea Zimmermann. Meisterklassen bei Wilfried Strehle, Andreas Willwohl, Roberto Díaz, Felix Schwartz und Jean Sulem ergänzten seine Ausbildung.
Einen besonderen Schwerpunkt in seiner bisherigen Laufbahn stellt die Kammermusik dar. So nahm er am Kammermusik-Festival der „Kronberg Academy“ und an der „Seiji Ozawa International Academy Switzerland“ teil, trat wiederholt mit dem Frielinghaus Ensemble auf und ist regelmäßig bei Kammermusik Festivals wie dem „Festival Ribeira Sacra“ oder im Nikolaisaal Potsdam zu hören. Außerdem gewann er erste Preise bei verschiedenen Wettbewerben, darunter beim „Concurso Ibérico de Música de Cámara con Arpa“ (im Duo mit der Harfenistin Maud Edenwald), beim XII. Internationalen Wettbewerb für Viola und Cello „Villa de Llanes“, beim „Concurso María Cristina“ für junge Solisten und beim Wettbewerb von „Jeunesses Musicales“ in Spanien.
Alejandro Regueira Caumel sammelte Orchestererfahrung als Mitglied des Gustav-Mahler-Jugendorchesters und des Spanischen Nationalen Jugendorchesters, sowie durch Aushilfetätigkeiten bei den Berliner Philharmonikern und als Solobratscher bei den Bamberger Symphonikern, bei der NDR Radiophilharmonie Hannover, im NDR Elbphilharmonie Orchester, im Philharmonia Orchestra London, im Orquestra de la Comunitat Valenciana und im Orquesta Nacional de España.
Von 2010 bis 2012 war er Akademist beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und ist seit 2015 dessen Solobratscher.

Konstanze von Gutzeit

Geboren in eine Musikerfamilie, begann Konstanze von Gutzeit mit dem Cellospiel im Alter von drei Jahren. Ihre Studien absolvierte sie ab dem dreizehnten Lebensjahr bei Heinrich Schiff in Wien, später bei Jens Peter Maintz in Berlin und Wolfgang Emanuel Schmidt in Weimar.
Seit 2012 hat Konstanze von Gutzeit die Position als Solocellistin des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin inne. Darüber hinaus ist sie international als Solistin und Kammermusikerin aktiv. Sie konzertierte mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, den Bochumer Sinfonikern, dem Wiener, Münchner und Stuttgarter Kammerorchester, der Kammerakademie Potsdam, dem Bruckner-Orchester Linz und vielen anderen.
Dabei arbeitete sie mit Dirigenten wie Kurt Masur, Vladimir Jurowski, Michael Sanderling, Marek Janowski, Alexander Shelley und Yuri Bashmet zusammen. Auf Festivals wie dem Schleswig-Holstein Musik Festival, dem Lucerne Festival, dem Verbier Festival und den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern war sie im Rahmen zahlreicher Rezitale und Kammermusikkonzerte zu Gast.
Von Beginn ihrer musikalischen Laufbahn an machte Konstanze von Gutzeit durch zahlreiche internationale Wettbewerbserfolge auf sich aufmerksam. Sie ist Preisträgerin des Grand Prix Emanuel Feuermann 2010 und der International Prague Spring Competition 2012. 2013 wurde sie beim „Felix Mendelssohn Bartholdy“-Hochschulwettbewerb in Berlin mit dem 1. Preis sowie dem spartenübergreifenden „Mendelssohn-Preis“ ausgezeichnet. Ebenso war sie Gewinnerin des Domenico-Gabrielli-Wettbewerbes in Berlin, des Wettbewerbes „Gradus ad Parnassum“ in Österreich, des „International Gianni Bergamo Classic Music Award“ in der Schweiz und des „International Suggia Prize“ in Portugal. Beim Deutschen Musikwettbewerb 2010 wurde sie mit einem Stipendium des Deutschen Musikrates ausgezeichnet und in die Bundesauswahl „Konzerte Junger Künstler“ aufgenommen.
Konstanze von Gutzeit spielt ein Violoncello von Gioffredo Cappa aus dem Jahre 1677 sowie einen Neubau des Berliner Instrumentenbauers Ragnar Hayn aus dem Jahr 2017.

Paul Gay

Der französische Bassbariton Paul Gay ist international für seine Darstellungen von Hauptrollen im fanzösichen Repetoire bekannt. Sein Hauptrepetoire umfasst Golaud/Pelléas et Melisande (Debussy), eine Rolle, die er an den Opernhäusern von Paris, Brüssel, Oslo, Frankfurt, Turin, und in Lyon gesungen hat, und Mephisto/Faust (Gounod), den er in Paris, beim Maggio Musicale in Florenz und in Bordeaux interpretiert hat. Andere charaketeristische Rollen sind die Titelrolle Saint François d´Assise (Olivier Messiaen), mit der er in einer Neuproduktion an der Bayerischen Staatsoper debütierte, wo er auch den Der Zwerg/Don Estoban (Alexander von Zemlinsky), I Capuletti e i Montecchi/Lorenzo (Vincenzo Bellini) und L’Enfant et les Sortilèges/der Sessel (Maurice Ravel) gesungen hat.

Paul kehrt regelmäßig an die Pariser Oper zurück, wo er schon Rollen wie Don Fernando/Fidelio (Beethoven), Harasta/The Cunning Little Vixen (Leos Janacek), Achilla/Giulio Cesare (Handel), Le Comte des Grieux/Manon, Don Diègue/Le Cid (Jules Massenet) und Flint/Billy Budd (Benjamin Britten) interpretiert hat. Er singt ebenfalls regelmäßig in Brüssel, Frankfurt und Lyon, und gab 2010 sein nordamerikanisches Debüt als Escamillo/Carmen (Bizet) bei der Canadian Opera Company. 2016 sang er auch den Frère Laurent in Roméo et Juliette von Berlioz an der Oper in Amsterdam.

Er hat an mehreren zeitgenössischen Uraufführungen teilgenommen, darunter L’Ecole des Femmes von Rolf Liebermann an der Oper in Bordeaux und Yvonne Princesse de Bourgogne von Philippe Boesmans, eine Inszenierung, die in Paris, Brüssel und Wien gespielt wurde.

Nach dem Studiumabschluss und dem Gewinn eines ‚Premier Prix‘ (Ersten Preises) am Pariser Konservatorium machte Paul seine erste Opernerfahrung als Mitglied des Ensembles in Osnabrück in Rollen wie Colline/La Bohème (Giacomo Puccini), eine Rolle, die er auch 2016 in Barcelona sang, Walter/Luisa Miller (Verdi) und die Titelrolle Don Quichotte von Jules Massenet. Er ist Preisträger von einigen internationalen Gesangswettbewerben, die die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt haben und er hat bei dem renommierten Bass Kurt Moll studiert, um an seiner stimmlichen Entwicklung zu feilen.

Das RSB in der Philharmonie Berlin, Foto: Peter Meisel

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Ofer, Erez
Wolters, Rainer
Nebel, David
Herzog, Susanne
Yoshikawa, Kosuke
Neufeld, Andreas
Beckert, Philipp
Drechsel, Franziska
Kynast, Karin
Tast, Steffen
Pflüger, Maria
Morgunowa, Anna
Feltz, Anne
Polle, Richard
Oleseiuk, Oleksandr
Scilla, Giulia

Violine 2

Contini, Nadine
Simon, Maximilian
Drop, David
Petzold, Sylvia
Seidel, Anne-Kathrin
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Manyak, Juliane
Hetzel de Fonseka, Neela
Bauza, Rodrigo
Färber, Juliane
Bara, Anna
Palascino, Enrico
Guillier, Antoine
Wenzel, Izabela

Viola

Regueira-Caumel, Alejandro
Adrion, Gernot
Silber, Christiane
Zolotova, Elizaveta
Markowski, Emilia
Drop, Jana
Doubovikov, Alexey
Montes, Carolina
Nell, Lucia
Inoue, Yugo
Yoo, Hyelim
Roske, Martha

Violoncello

Eschenburg, Hans-Jakob
Riemke, Ringela
Breuninger, Jörg
Albrecht, Peter
Boge, Georg
Weigle, Andreas
Bard, Christian
Kipp, Andreas
Kleimberg, Elise

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Figueiredo, Pedro
Rau, Stefanie
Buschmann, Axel
Ahrens, Iris
Gazale, Nhassim
Zón, Jakub
Thüer, Milan

Flöte

Schaaff, Ulf-Dieter
Schreiter, Markus
Kronbügel, Annelie

Oboe

Bastian, Gabriele
Grube, Florian
Vogler, Gudrun
Herzog, Thomas

Klarinette

Link, Oliver
Pfeifer, Peter
Korn, Christoph

Saxophon

Enzel, Christoph

Fagott

Kofler, Miriam
Voigt, Alexander
Königstedt, Clemens
Gkesios, Thomas

Horn

Kühner, Martin
Holjewilken, Uwe
Klinkhammer, Ingo
Mentzen, Anne
Stephan, Frank
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Dörpholz, Florian
Niemand, Jörg
Gruppe, Simone

Posaune

Manyak, Edgar
Vörös, József
Lehmann, Jörg

Tenortuba

Hölzl, Hannes

Tuba

Neckermann, Fabian

Harfe

Edenwald, Maud

Schlagzeug

Tackmann, Frank
Thiersch, Konstantin

Pauke

Eschenburg, Jakob

Cembalo

Schneider, Arno

Laute

Arend, Andreas

Gitarre

Tsiachris, Nikolaos

Kooperation

Das Konzert wird live aus dem Konzerthaus von rbbKultur übertragen.

Bildquellen

Portrait Vladimir Jurowski © Peter Meisel

Portrait Konstanze von Gutzeit © Bettina Stöß

Portrait Paul Gay © Marianne Rosenstiehl

Portrait Alejandro Regueira Caumel © Bettina Stöß

Bilder Orchester © Robert Niemeyer