Digitales Programm
Fr 24.03. Nicholas Carter
20:00 Philharmonie
Maurice Ravel
„Le Tombeau de Couperin“ Suite für Orchester
Erich Wolfgang Korngold
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op.35
Pause
Richard Strauss
„Ein Heldenleben“ Tondichtung für großes Orchester op.40
Besetzung
Nicholas Carter, Dirigent
James Ehnes, Violine
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Konzerteinführung: 19.10 Uhr, Südfoyer, Konzerteinführung von Steffen Georgi
Radioübertragung auf Deutschlandfunk Kultur 26.03.2023, 20.03 Uhr
Kooperationspartner: Der Tagesspiegel
Teil sein vom Ganzen
„Es war seine Überzeugung, dass das tonale System nicht erschöpft sei, niemals erschöpft werden könne; dass noch unendliche melodische und harmonische Klangkombinationen im Weltall auf ihren „Erlöser“ warteten. Er verglich oft den künstlerischen Schaffensprozess mit dem der sich ewig erneuernden Natur.“ Das von Luzi Korngold überlieferte Herangehen ihres Mannes an die Musik als einer immerwährenden, der Natur innewohnenden Kontinuität gehört zu den sympathischsten und fruchtbarsten Theorien von Musik, die je von Menschen aufgestellt worden sind. Das ganze Programm von Nicholas Carter ist unter dieser Ägide zu verstehen. Und James Ehnes ist der richtige Solist dafür, Korngolds „Versuch für das Überleben des melodischen Typs der sinfonischen Musik“ mit prallem Leben zu erfüllen.
Ravel und Strauss verorten sich nicht weniger klar als Korngold in der Tradition der Musik. Wenn Strauss im „Heldenleben“ autobiographisch-gutmütig und durchaus selbstironisch ein „Maulheldenleben“ erzählt, so hat er sich anderswo ebenso liebevoll wie sein französischer Kollege Ravel mit dem einst legendären Cembalomeister und Komponisten François Couperin auseinandergesetzt.
Texte von Steffen Georgi ©
Podcast „Muss es sein?“
Maurice Ravel
„Le Tombeau de Couperin“ – Suite für Orchester
In Wirklichkeit wendet sich diese Huldigung weniger an Couperin selbst als an die französische Musik des 18. Jahrhunderts
Maurice Ravel
1917 als sechssätzige Tanzfolge für Klavier komponiert, stellt der Komponist 1919 die Nummern 1, 3, 5 und 4 zu einer Suite zusammen und instrumentiert sie für Orchester. „Le tombeau de Couperin“ klingt wie etliche von Ravels frühen Werken („Pavane pour une infante défunte“, „Menuet antique“, „Menuet sur le nom de Haydn“) nach alter Zeit. Aber es blitzt von Geist und Humor.
Gutmütige Nostalgie
Ravels bunter Couperin-Verschnitt geht scheinbar respektlos mit dem geistigen Eigentum des Kollegen um. Der französische Cembalo-König hätte sicher Gefallen an den gutmütigen Überzeichnungen, den virtuosen Klangzaubereien, den raffinierten und delikaten Orchesterfarben gefunden, mit denen Ravel seine Stückchen herausgeputzt hat.
Ravel mag an seinem viel gespielten „Tombeau“ gut verdient haben – ebenso wie Strauss an der Suite nach den „Pièces de Clavecin“ des 200 Jahre älteren François Couperin. Eine andere Instrumentation aus jenen neoklassizistischen Jahren, die des „Ricercar a 6“aus Bachs „Musikalischem Opfer“ von Anton Webern, hebt den analytischen Zeigefinger. Webern hat vermutlich kein Geld damit verdient.
Erich Wolfgang Korngold
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35
„Es war seine Überzeugung, dass das tonale System nicht erschöpft sei, niemals erschöpft werden könne; dass noch unendliche melodische und harmonische Klangkombinationen im Weltall auf ihren ,Erlöser‘ warteten. Er verglich oft den künstlerischen Schaffensprozess mit dem der sich ewig erneuernden Natur.“
Luzi Korngold
Korngoldene Jugend
Bei Erich Wolfgang Korngold kam der Fluch des 20. Jahrhunderts hinzu. Geboren 1897 in Brünn als Sohn des Musikkritikers und Hanslick-Nachfolgers Julius Korngold, entsprach der Junge im antisemitisch aufgeputschten Wien der Jahrhundertwende und im Deutschland der 1920er- und 30er-Jahre verhängnisvoll gut dem Klischee des genialischen, aber nie zu Tieferem fähigen, jüdischen Künstlers. Zwei kleine Märchenkantaten („Nixe“ und „Gold“), die der achtjährige Korngold komponiert hatte, verblüfften Gustav Mahler. Der reichte den „kleinen Korngold“ an Alexander Zemlinsky weiter, der ihn von 1909 bis 1911 unterrichtete. An der Wiener Hofoper gelang dem dreizehnjährigen Genie mit der Pantomime „Der Schneemann“ ein international beachteter Paukenschlag. Kein geringerer als Richard Strauss fühlte sich förmlich bei den Geheimnissen seiner eigenen Kunst ertappt:
Das erste Gefühl, das einen überkommt, ist Schrecken und Furcht, daß ein solch frühreifes Genie auch die normale Entwicklung nehmen möge, die ihm so innig zu wünschen wäre. Diese Sicherheit im Stil, diese Beherrschung der Form, diese Eigenart des Ausdrucks in der Klaviersonate, diese Harmonik – es ist wirklich erstaunenswert.
Richard Strauss
Korngold war siebzehn, als die größten Dirigenten der Zeit seine Orchesterwerke dirigierten: Arthur Nikisch, Felix von Weingartner, Bruno Walter, Richard Strauss waren die Interpreten der auf die Schauspielouvertüre op. 4 (1911) folgenden Sinfonietta op. 5 (1912), der Suite zu Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ (1919) und der Sinfonischen Ouvertüre „Sursum Corda“ (1920).
Schmeichelndes Hollywood
„Erich Korngold sagte heute: ‚Wir haben eine unerhört starke Musikwelle knapp hinter uns. 1907 Richard Strauss, ‚Elektra‘, 1909 Gustav Mahler, ‚Das Lied von der Erde‘, 1912 Igor Strawinsky, ‚Petruschka‘, 1913 Arnold Schönberg, ‚Pierrot Lunaire‘.’ Er hat recht, die Jahrhundertwende war reich und kostbar. Wir standen so nah, daß wir die Größe der Geschehnisse nicht empfanden. Mir fehlt in der Liste Pfitzners ‚Palestrina‘ und Charpentiers ‚Louise‘“. Dies erinnerte – wenn man ihrem Buch „Mein Leben“ trauen darf – Alma Mahler Ende August 1943. Gut zwei Jahre später hieß es dann bei Alma über die vertrauten Nachbarn im amerikanischen Exil: „... Da ist vor allem Erich Korngold mit seiner schönen Frau. Wenn er sich ans Klavier setzt, da haben wir unsere helle Freude. Was von ihm bleiben wird, kann ich nicht sagen, aber genial ist er auf jeden Fall, zum mindesten genialisch“.
Der Schlüssel zu Korngolds ebenso großer wie vorübergehender Popularität war – ähnlich wie bei Franz Schreker – die Fähigkeit zu opulentestem Klangrausch und feinst verästelter Klangmagie mit Hilfe einer raffinierten Instrumentation. Sogartige Effekte erzielte Korngold mit schroff-schrecklichen Dissonanzen und gewaltigen harmonischen Plustereien, welche umso seliger die Entspannung genießen ließen, welche anschließend gewöhnlich in schlicht-nostalgischen, fast kitschigen Melodien dahinflutete. Er traf einen Lebensnerv der Zeit, ihr rückwärtiges Sehnen, ihre Sucht nach Schein, ihr schauriges Spiel mit Tod und Vergänglichkeit, kurz: den Geist des Fin-de-Siècle.
Ästhetisch war der Weg von solcher außergewöhnlichen musikalischen Suggestionskraft hin zum Hollywoodfilm der 1930er-Jahre nicht weit. Denn genau dort fand sich Erich Wolfgang Korngold sehr bald wieder. Was 1934 als bloße Gefälligkeit für Max Reinhardt begonnen hatte, die Einrichtung der (Mendelssohnschen!) Musik für die Verfilmung des „Sommernachtstraumes“, gereichte 1938 nach der Annektierung Österreichs durch Hitler für den Juden Korngold zur einzigen Perspektive. Korngold sperrte sich anfangs gegen die künstlerisch naiven und wirtschaftlich kalkulierten Angebote von Warner Brothers. Schließlich willigte er ein und schrieb in den USA während der nächsten elf Jahre achtzehn Filmscores.
Kein anderer als Korngold setzte damit die Maßstäbe für das, was heute als typischer Hollywood-Soundtrack der 1930er- und 40er-Jahre empfunden wird.
Nicht Korngold klingt wie Filmmusik, sondern die Filmmusik in Hollywood klingt irgendwann nach Korngold.
Der Österreicher Korngold hat diesen Sound geprägt – aus seinen europäischen Wurzeln heraus. Waren es anfangs seine Ouvertüren, Opern und Konzerte, die sich in den Filmpartituren wiederfanden, so übernahm Korngold später konkrete filmmusikalische Ideen in konzertante Werke (was auch Schostakowitsch oder Schnittke taten). Korngold blieb paradoxerweise über alle ästhetischen Gräben hinweg, an denen er fleißig selbst mit geschaufelt hatte, seinem Personalstil treu, nannte seine Filmscores „Opern ohne Gesang“, tauschte munter die Melodien wechselseitig aus und achtete zugleich auf eine strikte theoretische Trennung zwischen absoluter und Filmmusik. Jedes neue Filmprojekt bereitete ihm Gewissensqualen.
Wie sehr er an seiner eigenen Unterschätzung mitgearbeitet hatte, wie verfallen auch er dem arroganten kulturellen Dominanzdenken des Alten Europa blieb, wird einerseits aus der künstlerischen Schmach deutlich, die er als Filmkomponist empfand und andererseits aus seinen verzweifelten Versuchen, nach dem Krieg in Europa wieder als „seriöser“ Komponist von „autonomer“, von „wahrer“ Musik Fuß fassen zu wollen.
Violinistengerangel
Das Erstaunliche: Bereits im Violinkonzert op. 35 (1945) findet sich Themen-Material aus vier Filmen. Und das 1946 komponierte Cellokonzert in C op. 37 bedient sich zu 100 Prozent aus dem Film „Deception“ – naheliegend, weil dort ein Cellist in einer tragischen Liebesgeschichte die Hauptrolle spielt. Doch Korngold war kein um gute Ideen verlegener Recycler, sondern er lebte seinen Stil, er konnte praktisch gar nicht unterscheiden zwischen Film und Ernst, zwischen Schein und Sein.
Im Fall des Violinkonzertes – Alma Mahler gewidmet – lassen sich mindestens vier solcher filmmusikalischen „Vorläufer“ ausmachen. Doch dürfte eine ausführlichere Beschäftigung mit diesen ohnehin längst vergessenen Filmen kaum zu wichtigen Erkenntnissen führen, stattdessen ist es an der Zeit, das Violinkonzert als ein vollwertiges virtuoses Konzert in spätromantischer Tradition zu hören.
Die Namen von zwei großen Geigern des 20. Jahrhunderts sind mit dem Werk, das für Korngold keineswegs das erhoffte „Comeback“ ins „richtige“ Musikleben mit sich brachte, verknüpft: Bronislaw Hubermann und Jascha Heifetz. Luzi Korngold, die Ehefrau des Komponisten erinnert sich:
„Seit dreißig Jahren, so oft er Erich begegnete, war es Hubermanns stehende Phrase: ‚Was ist’s mit meinem Violinkonzert?‘ Auch an jenem Abend … stellte er wieder die altgewohnte, halb scherzhafte Frage … Erich stand sofort auf, ging zum Klavier und spielte ein Thema … Hubermann horchte auf: ‚Das ist – das wird mein Konzert‘, sagte er lebhaft.“ Es ergab sich, dass zunächst Jascha Heifetz die Noten erhielt, behielt und am Ende die Uraufführung spielen sollte. Hubermann, generös: „Auch wenn Heifetz es uraufführt – ich werde es auf jeden Fall spielen.”
Wohllautend soll es sein
Doch bereits bei seiner Premiere am 15. Februar 1947wurde das Violinkonzert sogar in den USA als „Hollywood Concerto“ abgetan. Korngolds war sich treu geblieben, harmonisch bewegte er sich unbeirrt auf dem gleichen Terrain, auf dem er seit fast vierzig Jahren unterwegs war – und auf dem er seinerzeit als Vertreter der Moderne gefeiert wurde. Jetzt aber, am Ende des zweiten Weltkrieges, nach den Violinkonzerten von Berg, Strawinsky oder Bartók, wollte kaum noch jemand Korngolds Wohllaut hören, seine süchtig machenden Melodien, seine schönheitstrunkene Harmonik und seine nie ganz das Wienerische verleugnenden Rhythmen.
„Mein Violinkonzert ist ein Versuch, für das Überleben des melodischen Typs der sinfonischen Musik zu kämpfen. Ich will eine Bestätigung, eine Antwort auf die Frage, welche von entscheidender Bedeutung für mich ist: Gibt es noch einen Platz und eine Chance für Musik mit Ausdruck und Gefühl, mit langen melodischen Themen, geformt und entwickelt nach den Prinzipen der klassischen Meister, Musik, die im Herzen erdacht und nicht auf dem Papier konstruiert ist? Diese Frage brennt seit langer Zeit in mir. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich war nie ein Reaktionär oder ein altmodischer Komponist, und bin es auch heute nicht.“
Richard Strauss
„Ein Heldenleben“ – Tondichtung für großes Orchester op. 40
Erhellt der Held, was ihn erhält?
Ein 34-jähriger Autodidakt packt den Stier bei den Hörnern. Im Land der Nibelungen schwingt sich der junge Recke zum Chefdirigenten der Berliner Hofoper auf. Schon strotzt er vor Selbstbewusstsein. Und beschließt, als Komponist damit zu protzen. „Ein Heldenleben“ meint niemanden anderen als sich selbst. „Ich finde mich ebenso interessant wie Cäsar, Napoleon oder Alexander den Großen.“ Welch gigantische Selbstvergötzung. Ein Maulheldenleben.
Wenn es so einfach wäre. Aber es ist Richard Strauss. Der geniale Schelm unter den Tondichtern zieht am 27. Dezember 1898 in Berlin-Charlottenburg den Schlussstrich unter eine Dreiviertelstunde Musik, die Zwischenbilanz seines Lebens.
Richard Strauss, das Prinzip Gesundheit. Der Sohn des ersten Hornisten der Hofoper und der Bierbrauerstochter Josephine Pschorr, 1864 in München geboren, wohlbehütet in der Atmosphäre der alten süddeutschen Kunstmetropole aufgewachsen, von leichter Auffassungsgabe, musikalisch hoch talentiert. Unangefochten von Zweifeln, Todessehnsucht, Weltschmerz, bot er zur Zerrissenheit des Fin-de-Siècle den denkbar größten Kontrast. Gutbürgerliche Bildung, alltäglicher Luxus und gelassene Weltoffenheit waren ihm selbstverständlich. Zweifel am Beschaffensein dieser Welt stellten sich dabei nicht ein. Er liebte es zu leben. Zu diesem Zweck arbeitete, komponierte, dirigierte er. Nicht umgekehrt.
Heldenmüdigkeit
Ganz heroisch im beethovenschen Sinne, in der „Eroica“-Tonart Es-Dur, tritt Strauss’ Held streitlustig auf den Plan. Doch im Kampf gegen Philister und Dummköpfe wird er allmählich müde, resigniert schließlich in Entsagung. In wohliger Entsagung. Das ist nicht neu bei Strauss. Wir kennen es aus „Tod und Verklärung“. Und das Kämpfertum auf verlorenem Posten, kennzeichnet es nicht auch Till Eulenspiegel oder den Ritter von der traurigen Gestalt, Don Quichote, dessen musikalisches Ebenbild Strauss zeitgleich mit jenem des Helden des „Heldenlebens“ skizzierte?
Schon die instrumentalen Dimensionen des „Heldenlebens“ sind mehr als vollmundig: 16 Holzbläser, 18 Blechbläser, Pauken, Schlagzeug, 2 Harfen, dazu eine üppige Streicherbesetzung. „Der ‚Held’ wird vom schwungvollen Hauptthema vorgestellt; es offenbart seine Energie und Entschlossenheit. Drei Nebenthemen versinnbildlichen seine weiteren geistigen und charakterlichen Züge. ‚Des Helden Widersacher’ nähern sich als quengelnde Oboen, keifende Klarinetten, grunzende Fagotte und schrille Flöten. Die Tuben babbeln langweiliges Zeug dazu.“ (Ernst Krause) Unter diesem Eindruck welkt die kraftvolle Gebärde des Anfangs allmählich zu hohler Geste. In ihrem Gefolge blüht eine rührend-naive Menschlichkeit auf.
Gott ist eine Frau
Strauss führt mit den kapriziösen Arabesken der Solo-Violine „Des Helden Gefährtin“ ein. Ausführlich wirbt der Helde um die Holde. Endlich ergießt sich die Musik unter Mitwirkung von Oboe, Klarinette und Flöte in eine schwärmerische Liebesszene. „Meine Frau ist es, die ich darstellen wollte. Sie ist sehr kompliziert, ein wenig pervers, ein wenig kokett, sich selbst niemals ähnlich, von Minute zu Minute wechselnd ...“, kommentierte Richard Strauss die Szene von „Des Helden Gefährtin“, den mit Abstand längsten Abschnitt der Tondichtung. Es gibt keinen Zweifel: Strauss weiß genau, wie Erotik geht! Davon künden alle seine Opern, aber auch „Ein Heldenleben“ und natürlich die Sinfonia domestica.
Ausschweifend, nein, so lebte Strauss nicht. Keine stillen Anbetungen, keine wechselnden Beziehungen, keine käufliche Liebe, keine Skandale. Enttäuschend fast seine Geradlinigkeit, seine Treue, seine immerwährende Liebe zu Pauline de Ahna, zu seiner Gefährtin, mit der er fast 55 Jahre verheiratet war.
Hatte ihn die temperamentvolle, starke Frau tatsächlich zeitlebens mit dem „Stacheldraht ihrer Liebe“ eingezäunt, wie Strauss einmal derb scherzte? Gegenüber Dora Wihan, einer Angeschwärmten aus früher Jugend, hatte der 25-jährige Strauss beteuert – Richard Wagner zitierend: „Die Frauen sind noch unser Trost; denn jede Frau kommt als Mensch auf die Welt, während jeder Mann als Philister geboren wird und lange braucht, bis er sich, wenn überhaupt, zum Menschen durcharbeitet“.
Diese Anbetung der Frau an sich hinderte Strauss nicht daran, die verschlungenen Windungen der Solovioline in „Des Helden Gefährtin“ zusätzlich mit pikanten Spielanweisungen zu pflastern: „lebhaft – viel ruhiger – heuchlerisch schmachtend – lustig – leichtfertig – zart, etwas sentimental – sehr scharf – liebenswürdig – immer schneller und rasender – plötzlich wieder ruhig – drängend und immer heftiger – zornig – schnell und keifend – allmählich nachlassen – zart und liebevoll“.
Eine Lanze für die Elite
Verwöhnt von Liebesbeweisen, begibt sich der Held aufs Schlachtfeld, in „Des Helden Walstatt“. Kriegerisch? Nein. Missmutig lässt er sich zum Jagen tragen. Und widerwillig reagiert der zukünftige „Rosenkavalier“-Komponist auf die schrägen Scharmützel der Neutöner. Waren es anfangs nur die Bremsenstiche der Widersacher (von denen sich bekanntlich kein Rennpferd in seinem Lauf bremsen lässt), so machen jetzt die Speerspitzen des musikalischen Fortschritts orchestralen Ernst. Martialisch marschmäßig, freilich in schreiend falschem, grotesk hinkendem Dreiertakt, versuchen sie die Grundfesten der abendländischen Musik aus den Angeln zu heben.
Darauf hat der Held nur eine Antwort. Er lässt die eigenen musikalischen Figuren vorbeidefilieren, Prachtexemplare allesamt. Nicht weniger als 31 Eigenzitate bilden die Substanz von „Des Helden Friedenswerke“. Ohrenscheinlich identifiziert sich des Helden Mut mit jenem des Don Juan, um gleich noch Zarathustra mit ins Boot zu nehmen. Dann kommen „Don Quichote“, „Tod und Verklärung“, „Macbeth“, „Guntram“ und etliche Themen aus dem „Heldenleben“ selbst zu Wort.
Vitaler Abgesang
Kein Siegesmarsch oder Triumphzug krönt das „Heldenleben“, sondern „Des Helden Weltflucht und Vollendung“ (Strauss). Abgeklärt, ruhig, friedlich, ein kampfloser Heldenlebensabend in süßer Behaglichkeit. Ursprünglich sollte das Werk im Pianissimo enden. Das letzte Wort hätte die Solovioline gehabt! Aber man überredete Strauss, das Publikum nicht traurig nach Hause zu schicken. Also bequemte er sich zu einem nachkomponierten, dem eigenen „Zarathustra“ abgelauschten, letzten Aufbäumen.
Wahrlich nicht zum Fanatiker geboren, strebte Strauss lebenslang nach Ausgleich, nach Deeskalation, nach Frieden. Was war falsch daran? Sein Humanismus mutet angesichts zweier von Deutschland angezettelter Weltkriege mit Millionen von Toten schlicht hilflos an. Die Dimension der Katastrophe trat ihm nie wirklich ins Bewusstsein. Insofern war Strauss ein „Zeitgemäßer“ (Gustav Mahler), weil man sich seiner bedienen konnte, und zugleich hoffnungslos unzeitgemäß, ja antiquiert in seinem gelebten Widerspruch zwischen hohem griechischem Ethos und nackter, brutaler Realität. Strauss trotzte mit einem „Heldenleben“ voller Ironie, vor allem voller Selbstironie der Vergesellschaftung menschlicher Individualität an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, die beileibe nicht nur ihm einer Vermassung und Gleichschaltung gleichkam.
Abendbesetzung, Kurzbiographien
Nicholas Carter
Die Saison 2022/2023 ist Nicholas Carters zweite Saison als Chefdirigent und Co-Operndirektor der Oper Bern mit „Die Walküre“ (Wagner), „L‘enfant et les sortilèges“ (Ravel) und „Iolanta“ (Tschaikowsky). Erstmals zu Gast am Opernhaus Zürich, wird er Bizets „Die Perlenfischer“ leiten. An der Dresdner Semperoper debütiert er mit Mozarts „Die Zauberflöte“. An die Metropolitan Opera New York kehrt er mit „Peter Grimes“ zurück, an der Deutschen Oper Berlin leitet er eine Ballettproduktion mit der Musik von Verdis Requiem. Beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ist er nach 2019 (Dean, Vaughan Williams) zum zweiten Mal zu Gast.
Von 2018-2021 war Nicholas Carter Chefdirigent des Stadttheaters Klagenfurt und des Kärntner Sinfonieorchesters. Zu seinem Repertoire gehörten dort „Tannhäuser“, „Pelleas et Melisande“, „Simon Boccanegra“, „Rusalka“, „Elektra“, „Cendrillon“ und „La Clemenza di Tito“. Bei seinem Debüt an der Santa Fe Opera dirigierte er „Die Fledermaus“, kehrte 2021 mit „Eugen Onegin“ zurück und leitete auch „Don Carlo“ sowie „Don Pasquale“ an der Deutschen Oper am Rhein.
Der in Melbourne geborene Dirigent pflegt eine kontinuierliche Beziehung zu allen wichtigen Orchestern Australiens, insbesondere zum Adelaide Symphony, wo er von 2016 bis 2019 als Chefdirigent tätig war. In Europa war er zunächst Assistent von Simone Young an der Staatsoper Hamburg, danach seit 2014 Kapellmeister an der Deutschen Oper Berlin, wo er eng mit GMD Donald Runnicles zusammenarbeitete.
Nicholas Carter ist gleichermaßen in Opernhäusern und auf Konzertpodien präsent. Sinfonisches Repertoire dirigierte er zuletzt beim BBC National Orchestra of Wales, dem BBC Scottish Symphony Orchestra, dem Orchestre National de Lille, dem Orchestre Métropolitain (Montreal), dem Orchestre Symphonique de Quebec, bei den Bochumer Symphonikern, dem MDR Sinfonieorchester Leipzig, den Sinfonieorchestern von Dallas und Oregon sowie beim Hong Kong Philharmonic Orchestra.
James Ehnes
James Ehnes hat sich als einer der begehrtesten Geiger auf der internationalen Bühne etabliert. Mit einer seltenen Kombination aus atemberaubender Virtuosität, heiterer Lyrik und unbeugsamer Musikalität ist Ehnes ein beliebter Gast vieler der weltweit angesehensten Dirigenten, darunter Vladimir Ashkenazy, Marin Alsop, Andrew Davis, Stéphane Denève, Mark Elder, Iván Fischer, Edward Gardner, Paavo Järvi, Juanjo Mena, Gianandrea Noseda, David Robertson und Donald Runnicles. Ehnes‘ lange Liste von Orchestern, mit denen er zusammengearbeitet hat, umfasst die Sinfonieorchester von Boston, Chicago, London und Wien, die Philharmonischen Orchester von Los Angeles, New York, München und die Tschechische Philharmonie Prag sowie die Orchester von Cleveland und Philadelphia sowie das DSO Berlin.
Ehnes begann im Alter von fünf Jahren mit dem Geigenunterricht, wurde im Alter von neun Jahren Schützling des bekannten kanadischen Geigers Francis Chaplin und gab mit 13 Jahren sein Orchesterdebüt mit dem L’Orchestre symphonique de Montréal. Er setzte sein Studium bei Sally Thomas an der Meadowmount School of Music und der Juilliard School fort und erhielt nach seinem Abschluss 1997 den Peter-Mennin-Preis für herausragende Leistungen und Führungsqualitäten in der Musik. Er ist ein Fellow der Royal Society of Canada und wurde 2010 zum Mitglied des Order of Canada ernannt. Ehnes wurde 2017 mit dem Royal Philharmonic Society Award in der Kategorie Instrumentalist ausgezeichnet. Er spielt die „Marsick“ Stradivari von 1715.
RSB-Abendbesetzung
Violine 1
Nebel, David
Ofer, Erez
Herzog, Susanne
Neufeld, Andreas
Bondas, Marina
Beckert, Philipp
Drechsel, Franziska
Tast, Steffen
Pflüger, Maria
Morgunowa, Anna
Polle, Richard
Behrens, Susanne
Hildebrandt, Laura
Koike, Seika
Kang, Jiho
Heidt, Cathy
Violine 2
Contini, Nadine
Drop, David
Petzold, Sylvia
Seidel, Anne-Kathrin
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Manyak, Juliane
Hetzel de Fonseka, Neela
Bauza, Rodrigo
Bara, Anna
Leung, Jonathan
Marquard, David
Guillier, Antoine
Viola
Regueira-Caumel, Alejandro
Adrion, Gernot
Silber, Christiane
Zolotova, Elizaveta
Drop, Jana
Doubovikov, Alexey
Montes, Carolina
Nell, Lucia
Shin, Hyeri
Balan-Dorfman, Misha
Kreuzpointner, Isabel
Maschkowski, Anastasia
Violoncello
Eschenburg, Hans-Jakob
Riemke, Ringela
Breuninger, Jörg
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Boge, Georg
Weigle, Andreas
Bard, Christian
Kipp, Andreas
Kleimberg, Èlise
Kontrabass
Wagner, Marvin
Rau, Stefanie
Schwärsky, Georg
Buschmann, Axel
Ahrens, Iris
Gazale, Nhassim
Nejjoum-Barthélémy, Mehdi
Thüer, Milan
Flöte
Uhlig, Silke
Döbler, Rudolf
Dallmann, Franziska
Schreiter, Markus
Oboe
Esteban Barco, Mariano
Folgado, Iria
Vogler, Gudrun
Herzog, Thomas
Klarinette
Link, Oliver
Pfeifer, Peter
Kehrle, Alexandra
Korn, Christoph
Fagott
You, Sung Kwon
Hausig, Franziska
Gkesios, Thomas
Königstedt, Clemens
Horn
Ember, Daniel/Molnar, Dominic
Holjewilken, Uwe
Klinkhammer, Ingo
Mittler, Thomas
Stephan, Frank
Hetzel de Fonseka, Felix
Mentzen, Anne
Armbruster, Michael
Trompete
Dörpholz, Florian
Ranch, Lars
Niemand, Jörg
Gruppe, Simone
Hofer, Patrik
Posaune
Manyak, Edgar
Pfeuffer, Holger
Vörös, József
Lehmann, Jörg
Euphonium
Kerber, Fabian
Tuba
Neckermann, Fabian
Harfe
Edenwald, Maud
Ravot, Marion
Schlagzeug
Schweda, Tobias
Tackmann, Frank
Grahl, Christoph
Wucherpfennig, Dirk
Pauke
Wahlich, Arndt
Celesta
Inagawa, Yuki
Kooperation
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Bild- und Videoquellen
Portrait James Ehnes © B. Ealovega
Portaits Nicholas Carter © Simon Paul
Bilder Orchester © Peter Meisel