Digitales Programm

Fr 24.5. Mensch, Musik „VerFührung“

19:30 Haus des Rundfunks

Jonathan Stockhammer, Dirigent
tauchgold, Text, Konzept, Realisation
Jocelyn B. Smith, Rezitation und Gesang
Veronika Bachfischer, Schauspiel
Emme Moises und Samaquias Lorta, Electronic Music
Schüler:innen der Sophie-Scholl-Schule, Rap-Chor
Ariane Stamatescu, Regieassistenz
Ossagrosse, Performance im Foyer
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Konzert mit Deutschlandfunk Kultur, Übertragung am 31. Mai 2024 um 20.03 Uhr.

Kooperationspartner, Catalyst – Institute for Creative Arts and Technology

Die Performance findet ohne Pause statt.

 

VerFührung allüberall

Im Leben geht es immer wieder um Fragen von Führung und Verführung, angefangen damit, dass ich mein eigenes Leben führen und mit den verschiedenen Verführungen umgehen muss, die sich mir präsentieren. Aber noch nie war Verführung so allgegenwärtig wie heute. Mehr denn je erlaubt der technologische Fortschritt eine zielgerichtete Beschallung und Bebilderung jedes und jeder Einzelnen zu jeder beliebigen Zeit und an jedem beliebigen Ort. Ständig sind wir den Einflüsterungen der verschiedenen politischen, ökonomischen und erotischen pick-up artists ausgesetzt, die die weltweite Öffentlichkeit bevölkern.

Wie gehe ich als Einzelne:r damit um? Welche Führung und welche Verführung suche ich? Welcher erliege ich, welcher widersetze ich mich? Von wem lasse ich mich führen? Von wem verführen? Mit anderen Worten: Wie finde ich meinen eigenen Boden und wie stehe ich darauf?

„VerFührung“, die letzte Performance innerhalb der dreijährigen Reihe „Mensch, Musik!“ des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, greift diese Fragen auf und erweitert sie um die Überlegung, ob und wie man Menschen mit ästhetischen Mitteln zum Guten verführen kann. Im Zentrum steht diesmal ein Werk für Rezitation, Rap-Chor und Sinfonie-Orchester, „…said the shotgun to the head“ von Thomas Kessler (Musik) und Saul Williams (Text).

Abendprogramm

Franz Liszt (1811 – 1886)
„Les Préludes“ – Sinfonische Dichtung Nr. 3 (Ausschnitt 1)

Frank Zappa (1940 – 1993)
„G-Spot Tornado“ (Orchesterfassung)

tauchgold
„Nur diese eine Frage – Drei Verführungen“ (1)

Emme Moises & Samaquias Lorta
“Deflecting Prism” (1)

Thomas Kessler (1937 – 2024)
„…said the shotgun to the head“ für Raprezitation, Rapchor, Streichquartett und Orchester,

Text von Saul Williams (Ausschnitt 1)

Franz Liszt
„Les Préludes“ (2)

Dai Fujikur (geb. 1977)
„Tocar y Luchar“ für Orchester (gekürzt)

Emme Moises & Samaquias Lorta
“Deflecting Prism” (2)

tauchgold
„Nur diese eine Frage – Drei Verführungen“ (2)

Thomas Kessler
„…said the shotgun to the head“ (2)

Franz Liszt
„Les Préludes“ (Ausschnitt 3)

tauchgold
„Nur diese eine Frage – Drei Verführungen“ (3)

Heiner Goebbels (geb. 1952)
„Dwell Where The Dogs Dwell“ – Horatier-Song Nr. 3 aus „Surrogate Cities“ für Stimme und Orchester

Paul Hindemith (1895 – 1963)
„Engelskonzert“ – 1. Satz aus der Sinfonie „Mathis der Maler“

Emme Moises & Samaquias Lorta
“Deflecting Prism” (3)

Thomas Kessler
„…said the shotgun to the head“ (3)

Lili Boulanger (1893 – 1918)
„D’un matin de printemps“ für Orchester

“/Sleep” von Ossagrosse – Performance im Foyer

Im Foyer im Haus des Rundfunks ist vor und nach der Performance im Großen Sendesaal die KI-basierte Kurzfilm-Installation „/Sleep“ von Ossagrosse zu erleben. Die Kurzgeschichten spielen in Supermärkten, belebten Straßen und anderen alltäglichen Umgebungen, die von der Erzählerstimme und den fast menschlichen Figuren, die diese Welten bevölkern, mal distanziert, mal intim erzählt werden. Das Ergebnis dieser Arbeit im Raum ist eine Reihe von Bildern und Klängen, die zusammenkommen, um einen Bewusstseinsstrom zu schaffen, eine lebendige Umgebung, die spricht.

„Les Préludes“ von Franz Liszt

Keusch ist der Titel, suggestiv die Musik. Seines Zeichens einer der am meisten dämonisierten Verführungskünstler der Musikgeschichte, gelang dem legendären Klavierzauberer Franz Liszt 1854 mit der sinfonischen Dichtung „Les Préludes“ ein mitreißendes Orchesterwerk ohnegleichen. So mitreißend, dass die Nationalsozialisten sich seiner auf inflationäre Weise bedienten, um die Siegesmeldungen der deutschen Wehrmacht im Rundfunk anzukündigen.

Das Berliner Funkorchester, das nachmalige Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, hatte die martialische Fanfare im Frühjahr 1941 just in jenem Sendesaal im Haus des Rundfunks erstmals aufgenommen, in dem wir heute Abend sitzen. Die Fanfare wurde erstmals eingesetzt, um am 22. Juni 1941 den deutschen Überfall auf die Sowjetunion frenetisch zu feiern.

Zappas Tornado

Es geht eigentlich nicht viel ab in Frank Zappas 1986 produziertem Album „Jazz From Hell“, schon gar nichts Höllisches. Dennoch schaffte es der (textlose) Song „G-Spot Tornado“ allein wegen seines provokanten Titels auf den Index der von besorgten US-amerikanischen Politikerehefrauen 1985 ins Leben gerufenen Kontrollinstanz „Parents Music Resource Center“. Frank Zappa verteidigte sich bei der Anhörung mit rein musikalischen Argumenten.

Er habe hochkomplexe Polyrhythmen und bizarre Sounds am Synthesizer programmiert, die kein Mensch jemals live spielen könne. Nun, er tat es bald selber in seinen Konzerten und übertrug den Song sogar für Sinfonieorchester.

Die wilden Harmoniesprünge und durchdringenden Soundcluster machen großen Effekt im Umfeld der „ernsten“ zeitgenössischen Musik, wie Frank Zappa bei eigenhändig von ihm dirigierten Aufführungen immer wieder feststellen konnte. Die Musik entlarvt die wuchtigen Reizworte „G-Punkt“, „Tornado“ und „Hölle“ als schelmische Spielereien eines seriösen Humoristen. „Jazz From Hell“ brachte Frank Zappa 1988 den lang verdienten ersten „Grammy“ ein.

Die Flinte am Kopf – Thomas Kesslers Rap-Oratorium

Kaum vier Wochen ist es her, dass der Schweizer Komponist und Pionier der elektronischen Musik, Thomas Kessler, im Alter von 87 Jahren gestorben ist. Bis zuletzt pflegte er eine enge Zusammenarbeit unter anderem mit dem Dirigenten des heutigen Abends, Jonathan Stockhammer.

Das halbstündige Rap-Oratorium „…said the shotgun to the head“ auf einen Text von Saul Williams bringt ganz neue Musikformen zusammen: Rezitation, Rap-Chor, Sinfonieorchester.

Das Feuerwerk von Rap-Gedicht, ein nahezu ununterbrochener Wortschwall, korrespondiert mit klug gesetzten musikalischen Akzenten, die trotz ihrer zeitgenössischen Sprache geradezu keusch wirken. Das Rap-Gedicht wird auf 182 Seiten erzählt, kennt keine Unterbrechungen – wie das mittelalterliche Nibelungenlied – und schleudert uns einen Wortreiz nach dem anderen um die Ohren. Ein markantes Beispiel sind die Zeilen, die der Komposition den Titel gegeben haben:

„Ölverschmierte Federn / faulig stinkendes Wasserbett / „Mutter Natur ist eine Hure“ / sagte die Schrotflinte an den Kopf / Und es roch nach Teenagergeist / Angst getrieben unsicher / ein Land in der Fäulnis / ein Land im Krieg“

Heiner Goebbels – auf den Hund gekommen

„Der Stoff ist uralt, von Livius überliefert und in zahlreichen Theaterstücken (von Corneille bis Brecht) und Opern (von Cimarosa bis Mercadante) bearbeitet: eine bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung zwischen zwei benachbarten Städten, die von zwei Männern stellvertretend geführt werden soll, um Kräfte zu sparen. Trotz ihrer Verwandtschaft (der eine ist der Schwester des anderen verlobt) besiegt der Horatier für Rom den Curiatier, der für Alba kämpft, verschont ihn nicht und hofft, dafür zu Hause gebührend gefeiert zu werden. Als seine Schwester stattdessen in Tränen ausbricht, ermordet er sie. Rom hat nun zwei Männer in einem: einen Sieger und einen Mörder. Wie damit umgehen?“ (Heiner Goebbels) Das ist die Kernfrage in Heiner Müllers Adaptation, die Heiner Goebbels in „Drei Horatier-Songs“ vertont hat. Jocelyn B. Smith sang am 8. September 2002 die Uraufführung der Ensemblefassung, Jonathan Stockhammer leitete das Ensemble Modern. „Dwell Where the Dogs Dwell“, der letzte der „Drei Horatier-Songs“, entstand bereits 1991 für Gail Gilmore und die Musiktheaterarbeit „Römische Hunde“. Für Goebbels „Surrogate Cities“ wurde „Dwell Where the Dogs Dwell“ orchestriert.

In der antiken Sage wird der fanatische Held für seine Vaterlandsliebe zuerst geehrt und dann für den Mord an der Schwester hingerichtet. Gehört beides zusammen, zum Menschen? Wie halten wir es heute mit der Verantwortung?

Drei Verführungen (Nur diese eine Frage) von tauchgold

I

Gruppenvergewaltigung in Indien
Sieben Männer
Glorreiche Sieben
Männer
Fallen
Über zwei spanische Traveller her
Verprügeln den Mann
Vergewaltigen die Frau
Shanti shanti shanti
Denkt nicht böse nicht
Alle hier sind so nur
Wenige von fast anderthalb
Milliarden
Derweil die Russen
Hören das deutsche Militär ab
Publizieren die Mitschnitte
Während der deutsche Kanzler weiterhin alles richtig
Macht
Macht
Macht
Erlaubt
Der amerikanische Supreme Court
Dem Maha-MAGA bei der Präsidentschaftswahl in Colorado
Anzutreten
Und auch überall sonst
In den Staaten
Trotz allem
Hungern und sterben weiter
Kinder in Gaza
Vegetieren in unterirdischen Löchern
Geiseln der Hamas
Holt ein rechtsextremer Kandidat sechzig Prozent der Stimmen in einem sächsischen Kaff
Verblutet ein iranischer Exiljournalist in Londons Tube
Und an der Costa Blanca ein russischer Überläufer
Während ein deutscher Lokführer mit dem überraschenden
Gedanken
Spielt diesmal wirklich
Wirklich
wirklich! das ganze Land
Und dafür unabsehbar lange
Lahmzulegen
Zu Verführerisch zu
Verführerisch die Macht
Ach
Krone der Schöpfung

II

Krone der Schöpfung!
Inkarniert in ein paar postpubertären Schwachköpfen mit lukrativer
Inselbegabung die sich
God bless
God bless our
Sacred algorithms
Die Taschen so voll machen dass auch
Riesenwindeln
Keine Abhilfe schaffen würden die sie
Wie ich lese
Zum allgemeinen Gaudium
Tatsächlich
Für Gäste ihrer Superreichenparty anfertigen ließen
Picture that!
Die reichsten Menschen des Erdballs traut vereint in
Gigantic Diapers
Und mit goldenen Schnullern in der Schnute.
So sweet!
Money! Power! Longevity for the Few!
My sweet billionaire overlord in deinem Luxusbunker
Das
Hat uns wirklich noch gefehlt mit
Anderen Worten
Der Welt
Geht’s richtig
Richtig
Richtig! gut zumindest
Aus Sicht all jener aussterbenden Arten die
Aus reinem Selbstinteresse
Schon lange darauf spekulieren dass
Mit etwas Glück der Mensch
Sich
Wir
Uns
Vielleicht noch vorher selbst
Abschafft
Abschaffen
Man muss es neidlos anerkennen wir
Menschen
Sind chancenlos absolut
Chancenlos gegen uns selbst du glaubst
Es nicht schau hin
Ach
Krone der Schöpfung
Selbst
Eine Wildgans ist
Klüger

III

Dann aber
Nach all den
Medial vermittelten
Digital ermittelten
Von Flatscreens heimgeleuchteten
Tag- und Nachtmaren
Erwache ich morgens in deine Augen
Und es zerreißt mir
Die Gründe und Begründungen und
Ich erinnere mich und
Will nicht
Will nicht gehen bevor
Ich weiß woher
Das Sanfte und das Gute kommt
Und ich denke
Nicht schaden
Nicht Schaden!
Das wäre schon mal
Ein Anfang
Ein Weg
Eine Philosophie und
Ich fürchte dann
Wäre es auch schon wieder
Vorbei sobald
Die Zartheit dieses Moments in
Eine Philosophie geronnen in
Eine Methode gezwungen in
Ein Produkt verkehrt
Und doch
Will ich nicht gehen und
Will nicht dass du gehst
Bevor ich weiß bevor
Wir wissen woher
Das Sanfte und das Gute
Aber vielleicht reicht
Schon diese Frage
Mit uns
Ohne uns
Nach uns
Nur diese eine
verführerische
Frage!

Spielen und Kämpfen – Dai Fujikura

„Tocar y Luchar“ war dem 30. Geburtstag des in Venezuela geborenen Dirigenten Gustavo Dudamel gewidmet, der bei der Uraufführung das Simon-Bolivar-Jugendorchester leitete. Die Komposition feiert die Schwarmintelligenz in der Natur und überträgt sie auf das nachhaltige öffentliche Unterstützungsprogramm für Kinder in Venezuela, auf „El Sistema“. „Um mich auf das Schreiben dieser Arbeit vorzubereiten, habe ich über ‚El Sistema‘ recherchiert. Das Programm ermöglicht den Kindern, ein Instrument zu erlernen und es in einem Orchester zu spielen. Ich entschied, dass das Konzept von ‚Tocar y Luchar‘ eine Bedeutung von ‚Schwärmen‘ haben sollte, so wie es in der Natur Vögel oder Fische tun. Viele kleine Vögel fliegen zusammen und werden zu einem großen Vogel. … Musikalisch ist das gesamte Stück also wie eine große Melodie, die aus vielen kleinen Phrasen besteht, manchmal zusammen, manchmal im Kontrapunkt, aber sie fliegen oder schwimmen immer zusammen als eine große Phrase. Ich interessiere mich für den Übergang von der Textur zu Phrasen, von Phrasen zu rhythmischen Mustern und zurück zu umfangreich geformten Phrasen.“ (Dai Fujikura)

Wo bist du, guter Jesus? – fragt Paul Hindemith

1932 machte der Schott-Verlag Paul Hindemith den Vorschlag, eine Oper über einen großen Deutschen aus der Vergangenheit zu schreiben, etwa Gutenberg oder Grünewald. Hindemith lehnte ab, zu Gutenberg fand er keinen Zugang, Grünewald schien ihm praktisch ungeeignet, zu sehr Maler, zu wenig Musiker. Stattdessen begann er einen Entwurf für eine Liebesgeschichte – zwischen einem französischen Kriegsgefangenen und einem deutschen Mädchen. Jetzt erschrak der Verlag: Pazifismus und Internationalismus anno 1933? War Hindemith von Sinnen? In bitterer Einsicht plante der nun eine Oper über die Anfänge der Eisenbahn, schön unpolitisch. Doch im Juni 1933 siegte Hindemiths Gewissen, keine Eisenbahngeschichte, sondern doch Grünewald.

„Dieser Mensch, mit der denkbar höchsten Vollkommenheit und Erkenntnis seiner künstlerischen Arbeit begnadet, dafür aber offenbar von allen Höllenqualen einer zweifelnden, suchenden Seele geplagt, erlebt mit der ganzen Empfänglichkeit einer solchen Natur am Beginn des 16. Jahrhunderts den Einbruch einer neuen Zeit mit ihrem unvermeidlichen Umsturz der bisher geltenden Anschauungen…

... Er gerät in die damals gewaltig arbeitenden Maschinerien des Staates und der Kirche, hält mit seiner Kraft dem Drucke dieser Mächte wohl stand, in seinen Bildern berichtet er jedoch deutlich genug, wie die wildbewegten Zeitläufe mit all ihrem Elend, ihren Krankheiten und Kriegen ihn erschüttert haben.“ Die Zusammenfassung seines Grünewald-Bildes, welches Hindemith 1938 formulierte, offenbart den starken autobiographischen Bezug, den der Komponist des 20. Jahrhunderts zum Maler des 16. Jahrhunderts herzustellen vermochte.

Das „Engelskonzert“ nimmt Bezug auf eine Tafel des Isenheimer Altars von Mathias Grünewald und ist durchaus wörtlich zu nehmen. In einer überirdisch verklärten Atmosphäre stimmen nacheinander Posaunen, Hörner und Trompeten/ Klarinetten/ Oboen ein altes Kirchenlied an, den cantus firmus „Es sungen drei Engel“. Hindemith vernetzt die Melodie mit einem kunstvollen polyphonen Geflecht.

Trauermarsch ins Leben – Lili Boulanger

Die französische Komponistin Lili Boulanger gehört zu den Großen des frühen 20. Jahrhunderts. Was hätte aus ihr erst werden können, wenn ihr länger auf Erden zu verweilen vergönnt gewesen wäre als nur vierundzwanzig Jahre!

Marie-Juliette Olga (Lili) Boulanger wurde 1893 in Paris geboren, sie starb 1918. Es war ein angekündigter Tod, denn die junge Frau litt zeitlebens unter chronischen Gesundheitseinschränkungen, ausgelöst von Lungenproblemen in der Kindheit und später von einer Krankheit ähnlich dem bis heute gefürchteten Morbus Crohn.

Ihre Ausbildung bestand aus Privatstunden und immer neuen Anläufen, ein reguläres Studium aufzunehmen. Dennoch wurde Lili Boulanger 1913 mit dem Prix de Rome ausgezeichnet. Der Kritiker Émile Vuillermoz verstieg sich in der Zeitschrift „Musica“ im Juli 1913 zu der ungeheuerlichen Bemerkung „Wenn die Porzellanpuppen der Musik sich entschließen, mit Ihm um offizielle Lorbeeren zu kämpfen, hat Er schon verloren, ehe Er überhaupt angefangen hat.“ „Er“ meint hier wohl mit unverschämter Selbstverständlichkeit den komponierenden Mann schlechthin, der sich im Juli 1913 in Paris zum ersten Mal in der Geschichte des Rom-Preises einer Frau geschlagen geben musste. „D‘un matin de printemps“ und „D‘un soir triste“ sind die beiden letzten von Lilis eigener Hand geschriebenen Werke. Im Frühjahr 1917 begonnen und im Januar 1918 weitgehend fertiggestellt, bilden sie ein Diptychon, also quasi die zwei Seiten einer Medaille. Das sollte man wissen, auch wenn – wie im heutigen Konzert – nur einer der beiden Teile erklingt. Die orchestrale Komplexität, die rhythmische Mehrschichtigkeit und die reichen instrumentalen Farben des üppig besetzten Orchesters sowohl im „Traurigen Abend“ als auch im „Frühlingsmorgen“. lassen das junge Alter von Lili Boulanger völlig vergessen. Ihre Schwester Nadia Boulanger gab das eigene Komponieren nach dem Tod von Lili auf, aber sie wurde eine der angesehensten Kompositionslehrerinnen des 20. Jahrhunderts.

© Texte von tauchgold und Steffen Georgi

Kurzbiographien

Jonathan Stockhammer

Sowohl in der Welt der Oper als auch der klassischen Sinfonik und der zeitgenössischen Musik hat sich Jonathan Stockhammer auf beiden Seiten des Atlantiks einen Namen gemacht. Als ein hervorragender Kommunikator bringt er ein besonderes Talent für die Moderation von Konzerten mit und stellt mit den verschiedensten Mitwirkenden eine Arbeitsbeziehung auf Augenhöhe her – ob in großen Opernproduktionsteams, mit jugendlichen Musikern, jungen Rappern oder Stars wie Bully Herbig und den Pet Shop Boys. Die Liste seiner Operndirigate, darunter Zemlinskys Eine florentinische Tragödie, Sciarrinos Luci mie traditrici und Monkey: Journey to the West von Damon Albarn, weist ihn als Dirigenten aus, der komplexe Partituren und spartenübergreifende Produktionen als willkommene Herausforderung begreift und meistert.

Jocelyn B. Smith

Jocelyn B. Smith (*New York, 1960), lebt seit über 30 Jahren in Deutschland. Sie hat mehr als 3.000 Live-Konzerte gegeben und mit so unterschiedlichen Künstlern wie Lenny White, Till Brönner, Falco, Alphaville oder Komponisten wie Mikis Theodorakis, Heiner Goebbels und Zülfu Livanelli gearbeitet. Im Jahr 2011 wurde Jocelyn gebeten, „Amazing Grace“ bei der Berliner Gedenkfeier zum 11. September am Brandenburger Tor zu singen, die von CNN weltweit übertragen wurde. Sie nahm am letzten Konzert vor der Schließung des „Tränen Palastes“ an der ehemaligen deutschen Grenze vor besonderen Gästen teil, darunter Erzbischof Desmond Tutu, Angela Merkel, die US-Präsidenten Barack Obama und Bill Clinton, der deutsche Bischof Wolfgang Huber, Mitglieder des Deutschen Bundestages, die Bundespräsidenten Roman Herzog und Horst Köhler. 2018 wurde Jocelyn von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier für ihr soziales Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 2019 erhielt sie den Verdienstorden durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin Michael Müller und 2020 wurde ihr der Beethoven-Preis für ihr soziales Engagement und ihren Aktivismus verliehen.

tauchgold

Seit 2007 realisiert tauchgold (Heike Tauch und Florian Goldberg) Stücke auf der Schnittstelle von Hörfunk und Bühne. Zu ihren Werken zählen Gesellschaftssatiren, Geschichtsdramen und philosophische Stoffe. Immer jedoch spielt eigens komponierte Musik eine zentrale Rolle. 2019 hatte in München ihr Bühnenwerk „Das Gläserne Meer. Ein Narratorium für Streicher und Stimmen“ Premiere, das mit einer Komposition von Cathy Milliken auf Grundlage des Hörstücks „Metamorphosen“ entstand. Für „Geborgte Landschaft. Ein Narratorium für Klaviertrio und Stimmen“ schrieb der Komponist Dai Fujikura die Musik (2022). Die englische Bühnenfassung „BORROWED LANDSCAPE“ erlebte 2023 seine Premiere in New York. Seit 2022 realisiert tauchgold als Autoren-Regieteam die RSB-Reihe „Mensch, Musik!“

Tom Zips

Tom Zips wuchs in einer Plattenbausiedlung in Berlin-Marzahn auf.  Seine Wahlheimat fand er im Alter von 18 Jahren im Brandenburger Brisetal bei Bergfelde. Dort begann er seiner musikalischen Leidenschaft nachzugehen und schrieb erste Lieder zunächst in Eigenregie im Bereich Rockmusik. Später nahm er Gitarren- und Gesangsunterricht, was auch sein Songwriting Popmusik affiner werden ließ.

In dieser Zeit war Tom Zips hauptberuflich gelernter Industriekaufmann und im Bereich Marketing über 10 Jahre lang sehr erfolgreich in der Berliner Werbebranche tätig. 2020 machte er die Leidenschaft zum Beruf und gründete das Charity-Songwritingprojekt “Hr. Bluse & Die Muse”, in dem er hilfsbedürftigen Menschen Lieder widmet.

Tom Zips veröffentlichte unter eigenem Namen im April 2024 seine erste Debütsingle “Menschenkind”, die thematisch für mehr friedliche Lösungen in der menschlichen Unterschiedlichkeit steht.

Emme Moises

Emme Moises ist eine elektronische Musikerin, Produzentin und Live-Performerin aus Argentinien, die in Berlin lebt. Seit 2016 kreiert und performt sie verschiedene visuelle und akustische Live-Performances in Europa und Südamerika. Ihre Musik absorbiert das Publikum und lädt es auf eine innere Reise ein, auf der die Realität durch Klang wahrgenommen und transformiert wird. Neben ihren Engagements als Komponistin umfasst ihre Arbeit Veranstaltungen wie Showcases für Moog, Workshops und Live-Sets für Kunstkollektive und A/V-Performance mit Tanz und reaktiven Visuals auf Festivals. Emme arbeitet auch als Tontechnikerin in einem Berliner Club, als Technikerin für Events und Festivals, als Mastering-Engineer für Ambient/Experimentalmusik und als Kuratorin/Produzentin von Kulturveranstaltungen.

Samaquias Lorta

Samaquias Lorta ist ein interdisziplinärer Künstler, der sich mit geistiger Gesundheit und ökologischem Denken beschäftigt. In seiner Arbeit greift er häufig darauf zurück, wie der Einsatz von Technologie und DIY-Performance-Techniken aufschlussreiche Erkenntnisse oder Lösungen liefern kann. Obwohl er häufig visuelle Komponenten ersinnt, ist der zentrale Aspekt seiner Praxis die Klangperformance und das Design. Er nutzt Sound, um sowohl feine Details als auch größere Zusammenhänge zu erforschen und erzählt nahtlos Geschichten durch Audio.

Samaquias Lorta setzt verschiedene immersive Technologien ein, um interaktive Live-Performances zu kreieren. Er nutzt Instrumente zur Bewegungserkennung, um Audio-Assets durch die Bewegung von Performern zu erstellen. Seine binaurale Arbeit für den Soundwalk im Berliner Herzberg-Museum führt das Publikum durch die Geschichte und die Erzählungen eines historischen Krankenhauses. Samaquias Lorta lässt keine Gelegenheit aus, sich kreativ zu vernetzen. Dadurch entstanden zahlreiche Koproduktionen mit Unterstützung von Amplify Berlin, Eufonia Festival, Catalyst Institute, HZT Berlin und anderen. Sein Bildungshintergrund umfasst Cello Performance und Musikkomposition an der Boise State University. Im Jahr 2020 schloss er seinen Bachelor in elektronischer Musikproduktion und Performance am Catalyst Institute ab. Seine Ausbildung hat die Ideen des Geschichtenerzählens und des kreativen Designs gestärkt, die seine aktuellen Erkundungen beeinflussen.

Veronika Bachfischer

Veronika Bachfischer © Meike Kenn

Veronika Bachfischer ist Schauspielerin und Sprecherin. Geboren in Augsburg, studierte sie Philosophie in Wien und Schauspiel an der Folkwang Universität der Künste Essen. Seit 2016 ist sie Ensemblemitglied an der Schaubühne Berlin. Im selben Jahr wurde sie mit dem Goldenen Fächer ausgezeichnet und erhielt mit »Stolpersteine Staatstheater« (Regie: Hans-Werner Kroesinger) eine Einladung zum Theatertreffen Berlin. Ihre Monologfassung von „Erinnerung eines Mädchens“ von Annie Ernaux (Regie: Sarah Kohm), für die sie als Co-Autorin in Erscheinung trat, läuft seit der Premiere 2022 mit großem Erfolg an der Schaubühne Berlin. Neben ihrer Arbeit am Theater ist sie regelmäßig als Sprecherin für Funk und Lesungen tätig und in Film und Fernsehen zu sehen.

Ossagrosse

Ossagrosse (geb. 1995) ist ein italienischer Künstler, der die Welt der Kunst mit einer besonderen Perspektive erfasst. Er ‚fischt‘ nach Ideen in dem, was er liebevoll als ’neuen Pool des kollektiven Bewusstseins“ bezeichnet. Sein Werk umfasst sowohl Standbilder als auch Videos die in Zusammenarbeit mit KI entstanden sind. Ossagrosse verwendet wiederkehrende visuelle Elemente, um ein Werk zu schaffen, in dem jedes Stück Teil einer übergreifenden Erzählung ist. Mit seinem Hintergrund in Bild und Ton, er belegt MSVM-Kurs bei Catalyst Berlin, zeigen die Videoarbeiten eine Kombination aus KI und traditionellen Techniken, so dass die Grenzen verschwimmen. Seine Arbeiten wurden bereits auf Red Eye, Fisheye, Artribune, Les Inrockuptibles und in dem Buch Spells:Pioneers von Max Kuwertz. Ossagrosse ist derzeit Teil von Fellowship.xyz, einer Gruppe von Künstlern, koordiniert von Alejandro Cartagena, der neben dem Künstler Niceaunties, Ossagrosse’s Sammlung „Downscale“, als Teil der Gruppenausstellung Ausstellung Post Photographic Perspectives III kuratierte. „Ossa“ lebt derzeit in Berlin.

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Wolters, Rainer
Yoshikawa, Kosuke
Bondas, Marina
Beckert, Philipp
Drechsel, Franziska
Tast, Steffen
Morgunowa, Anna
Feltz, Anne
Polle, Richard
Yamada, Misa
Oleseiuk, Oleksandr
Scilla, Giulia
Leung, Jonathan
Gullier, Antoine

Violine 2

Contini, Nadine
Seidel, Anne-Kathrin
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Manyak, Juliane
Hetzel de Fonseka, Neela
Bara-Rast, Ania
Palascino, Enrico
Vatseba, Vasy
Romano, Diego
Granovskaya, Irina

Viola

Rinecker, Lydia
Adrion, Gernot
Silber, Christiane
Markowski, Emilia
Doubovikov, Alexey
Drop, Jana
Montes, Carolina
Inoue, Yugo
Yoo, Hyelim
Kantas, Dilhan

Violoncello

Hakhnazaryan, Mikhael
Riemke, Ringela
Weiche, Volkmar
Weigle, Andreas
Bard, Christian
Kipp, Andreas
Paetsch, Raphaela
Montoux-Mie, Romane

Kontrabass

Wagner, Marvin
Figueiredo, Pedro
Schwärsky, Georg
Ahrens, Iris
Gazale, Nhassim
Moon, Junha

icon

Flöte

Hasel, Michael
Döbler, Rudolf
Wassermeyer, Henrike

Oboe

Fernanda Hernandez, Maria
Grube, Florian
Vogler, Gudrun

Saxophon

Elßner, Karola

Klarinette

Link, Oliver
Korn, Christoph
Simpfendörfer, Florentine

Fagott

You, Sung Kwon
Voigt, Alexander
Königstedt, Clemens

Horn

Kühner, Martin
Holjewilken, Uwe
Stephan, Frank
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Linke, Sören
Ranch, Lars
Niemand, Jörg

Posaune

Manyak, Edgar
Hauer, Dominik
Lehmann, Jörg

Tuba

Neckermann, Fabian

Harfe

Edenwald, Maud

Schlagzeug

Thiersch, Konstantin
Ruppert, Rüdiger
Tummes, Daniel
Azers, Juris
Trimolt, Sebastian

Pauke

Eschenburg, Jakob

Mandoline

Croatto, Julian

Klavier/Orgel/Celesta

Syperek, Markus
von Radowitz, Florian

Gitarre

Tsiachris, Nikolaos
Santorsa, Ruben Mattia

Kooperation

catalyst-logo-schwarz-weiss

Bildrechte

Portrait Veronika Bachfischer © Meike Kenn
Portrait tauchgold © Anke-Beims
Bilder Jonathan Stockhammer © Peter Meisel
Portrait Tom Zips © Tom Zips