Digitales Programm
Fr 07.10.
„Mensch, Musik!“ #5
Grenzfragen – Eine Erkundung
19:30 Haus des Rundfunks
Ludwig van Beethoven
Ouvertüre zu Goethes Trauerspiel „Egmont“ f-Moll op. 84
Mauricio Kagel
Marsch Nr. 1 aus „10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen“
Samaquias Lorta
Interlude I für fünf Live-Musiker und Elektronik
Charles Ives
„The Unanswered Question“ für Trompete, vier Flöten und Streichorchester
Mauricio Kagel
Marsch Nr. 5 aus „10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen“
Samaquias Lorta
Interlude II für fünf Live-Musiker und Elektronik
Iannis Xenakis
„Voile“ für Streichorchester
Mauricio Kagel
Marsch Nr. 6 aus „10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen“
Samaquias Lorta
Interlude III für Elektronik
Richard Wagner
„Lohengrin“ – Vorspiel zum 1. Akt der romantischen Oper WWV 75
Samaquias Lorta
Interlude IV für Elektronik
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 9 Es-Dur op. 70, 1. Satz: Allegro
Mauricio Kagel
Marsch Nr. 9 aus „10 Märsche, um den Sieg zu verfehlen“
Ralph Vaughan Williams
Sinfonie Nr. 6 e-Moll, 4. Satz: Epilogue
Besetzung
Tarmo Peltokoski, Dirigent
tauchgold, Konzept und szenische Einrichtung
Samaquias Lorta, Elektronische Musik
Doron Sadja, Klanginstallation
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Text von tauchgold ©
Grenzfragen – Eine Erkundung
„Die Grenzen der Seele wirst du nicht finden, auch wenn du alle Straßen abschrittest; so tief ist sie und so weit.“
Heraklit
Welche Grenzen müssen wir verteidigen?
Welche ich?
Welche Grenzen müssen wir aufgeben?
Welche ich?
Welche Grenzen sind unnötig?
Welche willkürlich?
Wer bestimmt, was eine Grenze ist?
Wer, wo sie liegt?
Woher nehmen wir das Recht, eine Grenze zu ziehen?
Woher ich?
Wo ziehen wir die Grenze, wenn wir über Grenzen reden?
Musikalische Grenzgänge
Text von Steffen Georgi ©
Die Niederländer kämpfen gegen die Spanier. Ihr Anführer, Graf Egmont, wird 1568 durch Herzog Alba hingerichtet. Am Ende siegt der Freiheitswille der Niederländer, von Ludwig van Beethoven in eine triumphale Hymne gegossen, welche dem militärischen Gestus der französischen Revolutionsmusik verpflichtet ist. Iannis Xenakis schließt sich als Student während des Zweiten Weltkrieges in Athen dem kommunistischen Widerstand an. Er kämpft aktiv mit der Waffe gegen die Besatzer, zuerst gegen die Italiener, dann gegen die Deutschen, am Ende gegen die Engländer, die im Bürgerkrieg nach 1945 die antikommunistischen Kräfte unterstützen. Ein englischer Granatsplitter verletzt ihn schwer im Gesicht. Kaum genesen, flieht der von der neuen Diktatur in Griechenland zum Tode Verurteilte 1947 nach Frankreich und findet in Paris als ausgebildeter Architekt im Büro von Le Corbusier Arbeit. 1958 widmet er sich endgültig der Musik.
Dmitri Schostakowitsch komponiert 1945 mit der Sinfonie Nr. 9 genau nicht jene pathetische Siegesfeier, welche die sowjetischen Machthaber – und nicht nur diese – von ihm erwartet haben.
Ralph Vaughan Williams arbeitet in England zur gleichen Zeit an der Sinfonie Nr. 6, der man die persönliche Betroffenheit unmittelbar anhört.
Willkürliche Begrenzungen und deren mutwillige Überschreitung verknäulen sich in Richard Wagners „Lohengrin“ zu einem komplexen Beziehungsgeflecht. Das Vorspiel zu der romantischen Oper trägt mit einer betörend schönen „Alles wird gut“-Vision das mögliche Scheitern bereits in sich.
Charles Ives, amerikanischer Zeitgenosse von Arnold Schönberg, stellt mit der für ihn typischen Gleichzeitigkeit aus gewichtigem Ernst und augenzwinkernder Ironie die ewige Frage nach dem Woher, Wohin, Warum. Die Streicher weben einen Teppich aus raunenden diatonischen Harmonien ohne fühlbaren Puls (Ives: „Das Schweigen der Druiden – nichts wissend, nichts sehend, nichts hörend“). Der Trompete entringt sich „die ewige Frage nach dem Sein“, eine gewundene atonale Ranke voll ausgetüftelter Rhythmik, in dornenreicher Unerbittlichkeit sieben Mal wiederholt. Darauf verrennen sich vier Flöten in ungeduldigen Antwortversuchen, steigern sich hinein in kurzatmiges Vorlautsein, immer quirliger und quengelnder, immer schneller und schriller. Aber die einsam fragende Trompete dräut unbeeindruckt weiter. Wie der Fuchs, der die Trauben kurzerhand für zu sauer erklärt, weil sie ihm zu hoch hängen, verhalten sich die antwortenden Bläser ganz wie moderne Menschen: Sie geben das Suchen nach Antworten auf und beginnen stattdessen, die große Frage zu verspotten. Schließlich verlieren sie das Interesse und wenden sich ab. Noch einmal schwebt die Frage durch den Raum, dann trollen sich auch die wiegenden Violinharmonien in die Ewigkeit. Mauricio Kagels „Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen“ transportieren auf grandios komische Weise die Botschaft, dass die weitverbreitete Annahme, man könne im Gleichschritt die Probleme der Welt lösen, eine Illusion ist. Eine Botschaft, die der Komponist und Performance-Künstler Samaquias Lorta aufnimmt, um ihr noch einmal neue, digitale Wendungen zu geben.
tauchgold - Heike Tauch und Florian Goldberg
Biographien
Tarmo Peltokoski
Tarmo Peltokoski tritt im Herbst 2022 seine Position als Musikalischer und Künstlerischer Direktor des Lettischen Nationalen Sinfonieorchesters an. Seit Februar 2022 ist er außerdem Principal Guest Conductor der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Nur wenige Monate zuvor hatte der 21-jährige finnische Dirigent sein jeweiliges Debüt bei den beiden Orchestern gegeben.
Eine Reihe von Festivals und Orchestern lädt den außergewöhnlich Begabten aktuell für Dirigate ein, darunter alle namhaften Orchester Finnlands, das hr-Sinfonieorchester, das Orchester der Komischen Oper Berlin, das Orchestre Philharmonique de Radio France, das Kammerorchester Basel sowie Orchester in Toronto, Rotterdam, Amsterdam, Hamburg und Toulouse. Beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) erwarten wir mit Spannung sein Debüt im Herbst 2022.
tauchgold
Seit 2007 realisieren tauchgold (Heike Tauch und Florian Goldberg) Stücke auf der Schnittstelle von Hörfunk und Bühne. Zu ihren Werken zählen Gesellschaftssatiren, Geschichtsdramen und philosophische Stoffe. Immer jedoch spielt eigens komponierte Musik eine zentrale Rolle. 2019 hatte in München ihr Bühnenwerk „Das Gläserne Meer – Ein Narratorium für Streicher und Stimmen“ Premiere, das mit einer Komposition von Cathy Milliken auf Grundlage des Hörstücks „Metamorphosen“ entstand. Für „Geborgte Landschaft – Ein Narratorium für Klaviertrio und Stimmen“ schrieb der Komponist Dai Fujikura die Musik (2022). Im Juni 2022 realisierte tauchgold bereits das „Mensch, Musik!“#4-Projekt des RSB unter dem Titel „Wanderungen“. Auch die beiden im Februar und im April 2023 folgenden „Mensch, Musik!“-Projekte („Heimkehr in die Fremde“ und „Statt Land Meer“) entstehen gemeinsam mit tauchgold.
Samaquias Lorta
Catalyst-Absolvent Samaquias Lorta ist ein interdisziplinärer Künstler, der sich mit elektronischer und live gespielter Musik, aber auch geistiger Gesundheit und ökologischem Denken beschäftigt. In seinen Arbeiten fragt er häufig, wie der Einsatz von Technologie und Performance-Techniken aufschlussreiche Erkenntnisse oder Lösungen liefern kann. Samaquias Lorta nutzt Sound, um sowohl Details als auch größere Zusammenhänge zu erforschen und damit Geschichten zu erzählen. Für seine Aufführungspraxis zentral sind Klangperformance und Klangdesign.
Doron Sadja
Doron Sadja ist ein amerikanischer Künstler, Komponist, Pädagoge und Instrumentenbauer, der in seiner Arbeit Wahrnehmungsweisen und die Erfahrung von Klang, Licht und Raum erforscht. Sadja inszeniert epische Performances, die das Publikum in eine futuristische Landschaft aus reinem Klang und Licht eintauchen lassen. Sadja verschmilzt unberührte elektronische Klänge mit romantischen Synthesizern und dunklen Geräuschen, um eine hyperemotionale Klangarchitektur zu schaffen. Sein vielfältiges Repertoire reicht von immersiven Mehrkanal-Klangstücken bis zu 360-Grad-Projektionen, von Streichorchesterwerken bis hin zu speziell angefertigten motorisierten Lautsprechersystemen. Doron Sadja ist Dozent am Catalyst Institute for Art and Technology in Berlin, wo er im Rahmen des Masterstudiengangs Creative Technologies und im Rahmen des Bachelorstudienganges Electronic Music Performance and Composition unterrichtet.
RSB-Abendbesetzung
Violine 1
Erez Ofer, Kosuke Yoshikawa, Marina Bondas, Karin Kynast, Steffen Tast, Bettina Sitte, Maria Pflüger, Anna Morgunowa, Anne Feltz, Misa Yamada, Richard Polle, Divna Toncic
Violine 2
Nadine Contini, Ania Bara, Brigitte Draganov, Martin Eßmann, Maciej Buczkowski, Neela Hetzel de Fonseka, Enrico Palascino, Eva Wetzel*, David Marquard*, Cathy Heidt*
Viola
Lydia Rineker, Gernot Adrion, Christiane Silber, Emilia Markowski, Alexey Doubovikov, Carolina Montes, Hyeri Shin, Inha Moon*
Violoncello
Hans-Jakob Eschenburg, Ringela Riemke, Volkmar Weiche, Peter Albrecht, Andreas Kipp, Anastasia Deligiannaki*
Kontrabass
Marvin Wagner, Nhassim Gazale, Fridtjof Ruppert, Jakub Zón*
Flöte
Ulf-Dieter Schaaff, Rudolf Döbler, Franziska Dallmann, Markus Schreiter
Oboe
Gabriele Bastian, Florian Grube, Gudrun Vogler
Klarinette
Oliver Link, Peter Pfeifer, Christoph Korn
Fagott
Miriam Kofler, Clemens Königstedt, Thomas Gkesios
Horn
Martin Kühner, Ingo Klinkhammer, Frank Stephan, Felix Hetzel de Fonseka
Trompete
Guillaume Couloumy**, Jörg Niemand, Simone Gruppe
Posaune
Guntram Halder**, Fabian Schmidt**, Jörg Lehmann
Tuba
Fabian Neckermann
Pauken
Jakob Eschenburg
Schlagzeug
Tobias Schweda, Juris Azers**
* Orchesterakademie
** Gäste
Kammermusikbesetzung
Rudolf Döbler, Piccoloflöte; Florian Grube, Oboe; Ann-Kathrin Zacharias, Klarinette; Christoph Korn, Klarinette; Guillaume Couloumy, Trompete; Jörg Lehmann, Posaune; Fabian Neckermann, Tuba; Tobias Schweda, Schlagzeug; Juris Azers, Schlagzeug
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin