Digitales Programm

Fr 02.06. Funkkonzert

19:30 Haus des Rundfunks

Pavel Haas

Radio-Ouvertüre für Männerquartett, Rezitation und Orchester op. 11

Paul Hindemith

„Sabinchen“ – Ein musikalisches Funkspiel für Soli, Sprecher und kleines Orchester

Ernst Toch

„Bunte Suite“ für Orchester op. 48
(Ausschnitte)

Pause

Eduard Künneke

Tänzerische Suite für Jazzband und großes Orchester op. 26

Besetzung

Ernst Theis, Dirigent
BigBand der Deutschen Oper Berlin
Studierende der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, Gesangssoli
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Stefan Lang, Moderation

Deutschlandfunk Kultur überträgt das Konzert am 4. Juni 2023, 20.03 Uhr.

Der Rundfunk legt los – für wen?

1929 ist der deutsche Rundfunk sechs Jahre alt. Künstlerisch, kulturell und politisch ist er noch immer ein Novum, auf das einerseits leidenschaftlich Hoffnungen projiziert werden, um das andererseits heftig gestritten wird. Von 253 offiziell registrierten Radiohörern am ersten Tag ist deren Zahl 1929 auf mehrere Hunderttausend angestiegen – trotz der zahlreichen Schwarzhörer von Beginn an – und weiter in exponentiellem Wachstum begriffen. Die Anforderungen an die Redakteure, ein attraktives Programm vorzuhalten, sind größer denn je. Ende Mai 1929 wird in illustrer Runde der Grundstein für das erste spezifische Rundfunkgebäude der Welt, das Haus des Rundfunks in der Berliner Masurenallee, gelegt. Gleich nebenan auf dem Messegelände befindet sich seit 1924 das "Haus der deutschen Funkindustrie" unter dem 1926 eröffneten Berliner Funkturm, wo die jährlich stattfindende Funkausstellung für die Vermarktung und die kommerziellen Aspekte des neuen Mediums sorgt, das bereits im Begriff ist, ein Massenmedium zu werden.

Heinrich Strobel schildert 1930 in „Melos. Zeitschrift für Musik“ die damaligen grundsätzlichen Programmüberlegungen:

„Der Rundfunk schafft in jedem Fall eine neue soziologische Situation. Er kann nicht mit dem musikwilligen, traditionsgesättigten Hörer der Opernhäuser und Konzertsäle rechnen. Vor dem Lautsprecher haben die wenigsten die künstlerische Aufnahmebereitschaft, die sie sich im Konzert auf jeden Fall einzureden bemühen. Also musste man die Programme anders anlegen, musste man Rücksicht auf die verschiedenen Ansprüche nehmen, musste man auch einmal überlegen, welche Art Musik im Rundfunk zur sinngemäßen Wirkung kommt und welche nicht. Das Problem originaler Rundfunkmusik tauchte auf. Vielleicht überschätzt man es bei uns aus echt deutscher Gründlichkeit. Aber das steht fest: nur eine deutlich konturierte, klar instrumentierte, nur eine reinliche Musik setzt sich im Mikrophon durch.

funkkonzerte

Radiophone Musik

Das bedeutete, dass vor allem das gesprochene Wort und dessen Übertragung eine technische Stärke des neuen Mediums war, galt dessen Entwicklung doch ursprünglich der drahtlosen Übertragung von militärischen Nachrichten in Echtzeit. Für die differenzierte Wiedergabe des Klanges eines großen Sinfonieorchesters war die anfängliche Mikrophonierung und Lautsprechertechnik denkbar schlecht geeignet. Also suchte man nach Alternativen. Eine radiophone Musik musste her, die sowohl ästhetisch als auch technisch mit den neuen Anforderungen zurechtkam.

„Endlich wird ein Moment bei der Rundfunkmusik eine ganz besondere Bedeutung finden müssen: dass ihr Publikum nicht das gleiche ist wie das der Konzertsäle und Opernhäuser. Es ist chaotisch durcheinander gemengt aus Menschen aller Schichten und musikalischen Bildungsstufen. Rundfunkmusik ist der große Augenblick, wo zeitgenössisches Schaffen in seiner spezifischen unverzerrten Qualität an alle (ohne Podium!) herantritt. Dies ergibt für den Komponisten die schwere Aufgabe, die Ebene des gemeinsamen Verstehens, der gleichgerichteten schöpferischen Kraft aufzusuchen. Hier muss es sich um Gemeinschaftsmusik in unbedingtestem Sinne handeln.“

Frank Warschauer, „Anbruch“, Februar 1929

Wie heterogen die jeweiligen Versuche der sich beteiligenden Komponisten ausfielen, davon kann man im heutigen Konzert einen äußerst erhellenden – und bisweilen erheiternden – Höreindruck erhalten.

Texte © Steffen Georgi

Pavel Haas

Radio-Ouvertüre für Männerquartett, Rezitation und Orchester op. 11

Klang, Welle, Mikrophon und Lautsprecher

1930 erteilte der Rundfunk Brünn dem tschechischen Komponisten Pavel Haas den Auftrag zu einer Radio-Ouvertüre.

Pavel Haas

Das gut zehnminütige Werk für vier Männerstimmen und Orchester erlebte seine Uraufführung in der Ursendung am 2. Juni 1932 in tschechischer Sprache in Brünn. Bereits 1930 hatte Haas eine Fassung in deutscher Sprache erstellt, die unmittelbar nach der Ursendung ebenfalls gespielt und live nach Berlin übertragen wurde. Der Text von Pavel Haas‘ Bruder Hugo, einem seinerzeit populären Schauspieler und Regisseur am Brünner Theater, benennt halb technisch, halb philosophisch die vier Säulen des Radios: den Klang, die Welle, das Mikrophon und den Lautsprecher. Nacheinander treten die vier jeweils von einer Männerstimme verkörperten Radioidentitäten wie die biblischen vier Elemente an die Rampe und präsentieren ihre jeweiligen Vorzüge – gesprochen, gegen das volle Sinfonieorchester.

Text von Hugo Haas

Die ersten vier Strophen werden melodramatisch gesprochen, die fünfte Strophe wird von vier Männerstimmen gesungen.

Tenor I
Ich bin der Klang!
Mit Sehnsucht erfüllt tanz’ ich und singe und wieg’ mich auf Wellen; für große Ideen schreit’ ich zum Kampfe und töne, und sehne mich weit in die Fern’…

Bass II
Ich bin die Welle!
Und tanze den Klang durch Sphären und Zonen vom Morgengrauen, meine Damen und Herrn, bis in die Nacht; ich trage den Klang und speie den Ton in das Mikrophon…

Tenor II
Ich bin das Mikrophon!
Zart und empfindsam wie die Seele des Menschen fass’ und verschling’ ich die tönenden Wellen, die Adern schwellen mir an zum Zerplatzen, wir suchen den Weg zu menschlichen Ohren und preisen den Geist, der als Mensch geboren, und suchen das Amplion!

Bass I
Ich bin der Lautsprecher!
In meinem Innern trag’ ich den Klang, die Welle, das Mikrophon. Die Menschenhand bewirkt mit zwei Fingern, dass meine Seele an Millionen Ohren sich offenbart, sie lenkt meine Kraft, die die Welt umarmt.

Alle
Wir sind der große Viererbund! Wenn alle Menschen auf dem ganzen Erdenrund sich die Hände reichen.
Gleich fassen wir die ganze Welt! Im weiten Weltall dröhnen die Töne: Marconi, Marconi!!

Das Orchester malt den Klang, wiegt sich in Wellen, atmet ätherisch, säuselt vor dem Mikrophon und produziert lautsprecherisch „dröhnende Töne“. So heißt es am Schluss im Text, wenn die vier Herren hymnisch zu singen anheben zum Lobe des italienischen Radiopioniers und Nobelpreisträgers (1909) Guglielmo Marconi. Ästhetisch nimmt Haas Bezug auf die seinerzeit populären männlichen Vokalgruppen, u.a. in den USA die „Revelers“ und in Deutschland die Comedian Harmonists. Gerade deren gesangliche Qualitäten hatte der oben zitierte Frank Warschauer 1929 in einem „Radiobericht“ des „Anbruch“ wegen ihrer vibratolosen „Glätte“ als „wegweisend für jede dem Mikrophon anvertraute Musikwiedergabe“ herausgehoben.

Marconi, in späterer Zeit ein strammer Parteigänger der italienischen Faschisten, wird die Erfindung der Funktelegraphie zugeschrieben. Möglicherweise war er aber nur der erste, der sie am 2. Juni 1896 patentrechtlich auf seinen Namen angemeldet hatte, denn mehrere zum Teil schon vorher stattgefundene Versuche u.a. von Oliver Lodge, Alexander Popow und Nikola Tesla waren ebenfalls erfolgreich gewesen.

Pavel Haas ereilte ein anderes Schicksal, als er im Zuge der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Wehrmacht wegen seiner jüdischen Herkunft absolutes Aufführungs- und Erwerbsverbot erhielt. Erst im Konzentrationslager Theresienstadt durfte er noch einmal kompositorisch tätig werden. Seine Studie für Streichorchester diente als Klangkulisse für Kurt Gerrons makabren Film „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“. Unmittelbar nach Ende des Propagandaspektakels verboten die Nazis im Oktober 1944 alle künstlerischen Aktivitäten in Theresienstadt und deportierten die Lagerinsassen in das Vernichtungslager Auschwitz, wo Pavel Haas an einem der darauffolgenden Tage ermordet wurde.

Paul Hindemith

„Moritat für das Radio ,Sabinchen‘“

Sendespiele: kurz, knackig, unterhaltsam, massentauglich...

Das Radio will spielen

Eine der frühen Rundfunkideen bestand im Verfügbarmachen der musikalischen Weltliteratur des Musiktheaters in sogenannten Sendespielen: kurz, knackig, unterhaltsam, massentauglich – gerne zu Lasten der emotionalen Tiefe, lyrischen Qualität und geistigen Differenziertheit der jeweiligen Originale. Alternativ galt es, gleich neue Werke zu schreiben, die speziell auf die Erfordernisse des Rundfunks zugeschnitten waren. Der Komponist Max Butting formulierte eine Selbstverpflichtung seiner Zunft im Januar 1929 im „Anbruch“: „An ein Radiospiel werden folgende Anforderungen gestellt: Die äußere Vorbedingung dazu besteht in der Berücksichtigung der absoluten Ausschaltung der Optik, so daß der Inhalt dem Zuhörer restlos aus dem Gehörten klar wird. Auf etwa vorzutragende Regiebemerkungen oder Situationserklärungen muß verzichtet werden. Die handelnden Personen können im Notfalle vorher angesagt werden, müssen aber außerdem aus dem Gehörten ohne weiteres zu erkennen sein.“

Paul Hindemith, ein begeisterter Radiopionier der ersten Stunde neben Kurt Weill, Walter Braunfels, Max Butting, Hanns Eisler und vielen anderen, komponierte 1930 im Auftrag der „Funk-Stunde Berlin“ die Radio-Moritat „Sabinchen“. Hindemith gab seinem Affen gehörig Zucker und ergänzte zu den erwähnten Notwendigkeiten eines Funkspiels noch die Massentauglichkeit im Stile eines komponierten Groschenromans. Für die Tagung „Neue Musik Berlin 1930“ steuerte er mit „Sabinchen“ einen klingenden Diskussionsbeitrag bei. Auch wenn die Grenzen zwischen moderner ernster und Unterhaltungsmusik im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts noch fließender waren, als man heute glauben möchte, griff Hindemith tief in die Trickkiste der reißerischen Klamotte.

Mords-Gaudi zum Belauschen

Es wird erzählt die Moritat vom naiven Berliner Dienstmädchen Sabinchen, das vom smarten Schuster aus Treuenbrietzen erst eingelullt, dann ausgenutzt wird. Sie soll das Silberbesteck der Herrschaft für ihn stehlen. Weil der Schuster damit beim Pfandleiher keinen Erfolg hat, will er sich an ihr rächen, der er längst schon wieder überdrüssig ist.

Sabinchen, von ihrer Arbeitgeberfamilie in Schimpf und Schande davongejagt, beweint ihr Schicksal – wollte sie doch eigentlich glücklich und berühmt werden.

Der genervte Schuster schlitzt ihr kurzerhand die Kehle auf.

Im Kerker wartet er auf seine Verurteilung, als ihm Sabinchens Geist erscheint und darüber klagt, dass sie nun beide dem Vergessen anheimgefallen seien.

Paul Hindemith und der Textdichter Robert Seitz ziehen sich selbst am Kragen aus dem Sumpf, indem sie über das noch bevorstehende Geständnis des Schusters die alte Ballade von Sabinchen zu einem modernen Funkspiel aufwerten und der Geschichte damit zu medialer Unsterblichkeit verhelfen wollen.

Wenn das mal keine selbstironische Satire ist!

Robert Seitz erklärt 1930 in der Zeitschrift „Frauen- und Jugendfunk“ unverblümt den künstlerischen Ansatz: „Für Menschen, die davon überzeugt sind, daß ,Kunst‘ immer in gewaltigen Stiefeln gewichtig einherzuschreiten hat, werden die Hörspiele inhaltlich eine Enttäuschung sein. Wir werden aber heute nach des Tages Last und Mühe so viel von tiefgründigen Büchern und problematischen Theaterstücken heimgesucht, daß es vielleicht einmal angenehm ist, sich wieder an Heiterkeit und fröhliches Spiel zu erinnern. Meiner Ansicht nach scheint dieser Weg auch im Sinne des Rundfunks und seiner vielen Hörer liegen zu müssen.“ Und Hindemith ergänzt: „Die Art, wie man bisher musikalische Hörspiele geschrieben hat, halte ich nicht für richtig. Sie sind entweder ein in seltensten Fällen künstlerischen Anforderungen genügendes Gemisch akustischer Tricks, bei denen die Musik die Sprechstimmen und Geräusche stört, oder sie sind so mit Musik versehen, dass kein Unterschied zwischen ihnen und einer Oper, einer Kantate oder irgendeinem Stück absoluter Musik besteht. Ich habe versucht, in dem Hörspiel ,Sabinchen‘ die Musik als Grundlage alles akustischen Geschehens zu benützen. Die Musik bestimmt nicht nur den formalen Ablauf, aus ihr ergeben sich auch Rhythmus, Tonstärke und Farbe der jeweils benötigten sonstigen klanglichen Zutaten.“ (Programmheft der Uraufführung, 1930)

Die Uraufführung von „Sabinchen“ anlässlich der Tagung „Neue Musik Berlin“ am 19. Juni 1930 ging schief wegen technischer Schwierigkeiten. Drei Tage später gelang die Rundfunkübertragung mit Mitgliedern des Berliner Funkorchesters, des Vorgängers des heutigen Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, im Sinne der Autoren. Von dieser Ursendung haben sich knapp 14 der 18 Minuten auf Rundfunk-Wachsmatritzen im Deutschen Rundfunkarchiv erhalten. Sie und der erhaltene Klavierauszug bildeten die Quelle für die Rekonstruktion der Instrumentation durch Ernst Theis für eine CD-Produktion 2007 und für das heutige Konzert. Hindemiths Werk war nach seiner Rundfunkausstrahlung ungespielt geblieben und ironischerweise selbst in Vergessenheit geraten.

Ernst Toch

„Bunte Suite“ für Orchester op. 48 (Ausschnitte)

Funkisch bunt

1927 vom Frankfurter Rundfunk als Kompositionsauftrag bestellt, erlebte die Bunte Suite von Ernst Toch ihre Ursendung im Februar 1929. „Man bemerkt, wie die Suite sich immer mehr zur spezifischen Rundfunk-Form herausbildet. Die Buntheit resultiert aus Gegensätzen der Stimmung und der klanglichen Fassung. Ein Satz wird von Holzbläsern bestritten, ein anderer von den Streichern, ein dritter vom Blech, Klavier und Schlagzeug, ein vierter wird in Kammer- und die beiden übrigen in voller Orchesterbesetzung ausgeführt. Diese Abwechslung wirkt sich im Rundfunk entschieden günstig aus. Überhaupt ist in akustischer Hinsicht manches überraschend gut gelungen und im 1., 2., 4. und 6. Satz wird die wünschenswerte Durchsichtigkeit der Stimmführung erreicht. Minder günstig ist die Bevorzugung hoher Lagen (besonders auffallend im 3. Satz) und die stellenweise zu enge Führung der Stimmen, die im 5. Satz die thematische Arbeit verwischt. … Ausgiebig betont ist das tänzerische Element, das gleicherweise der Suitenform wie gegenwärtigen Strömungen entgegenkommt. (1. Satz: Marschtempo, 4. Satz: Marionettentanz, 5. Satz: Passacaglia, 6. Satz: Karussell). Im letzten Satz ist das Problem einer Geräuschmusik mit Glück gelöst und der Rummelplatz in stilisierter Aussage wird vor den Ohren des Hörers lebendig. … Alles in allem ein Werk, das im Spielerischen seine glücklichsten Wirkungen erzielt und, ohne bedeutend zu sein, schätzenswerte musikalische und funkische Qualitäten hat.“ (Ernst Latzko, „Rundfunkumschau“, in: „Melos“, März 1929)

Eduard Künneke

Tänzerische Suite

„Schafft neue Unterhaltungsmusik!“

Edmund Nick, der Musikchef des Breslauer Senders, ließ 1930 seine Träume erblühen: „In der richtigen Erkenntnis, welche Musik uns nottut, ist der Ruf erschallt: Schafft neue Unterhaltungsmusik! … die Kluft zwischen Kunstmusik und dem Volksbedürfnis zu überbrücken helfen, bis die ganze Vokabel ‚Unterhaltungsmusik‘ in ihrem heutigen Sinne entbehrlich ist.“

Nämlicher Nick, selber ein veritabler Komponist, erinnerte sich im Januar 1954 in der Zeitschrift „Musica“ an den prominenten Kollegen Eduard Künneke und dessen Tänzerische Suite. „Nach dem Friedensschluß von Versailles rückte dieser Künneke Jahr um Jahr mit einer neuen Operette heraus. Just die, die die Unglückszahl Opus 13 trug, sollte seinen Ruhm begründen und erhalten. Eine Nummer daraus, das Lied vom armen Wandergesellen, der so lieb Gute Nacht zu singen wußte, wurde ein Weltschlager von der besten Sorte. Dieser ‚Vetter aus Dingsda‘ war schon Künnekes vierte Operette. Nun ließ er ihr noch weitere 21 folgen und vier Singspiele dazu. Den ‚Vetter aus Dingsda‘ erreichte zwar keine mehr, aber in dem riesigen Oeuvre des Komponisten stehen herrliche, sorgfältig gearbeitete Stücke …

Ankündigung in der Zeitschrift "Funk-Stunde" vom 8. September 2023

Künneke war am Rhein geboren, ein Niederdeutscher also, und nicht gerade einer von der ganz leichtlebigen Sorte, wenigstens nicht in seiner Musik; eine Rarität schon darum, weil alle anderen Operettenkomponisten seiner Zeit von der Donau stammten. Sein Geburtstag trug dasselbe Datum wie der Mozarts, bis auf die Jahreszahl: 1885. Er hatte bei Max Bruch in Berlin Musik studiert, genau wie sein älterer Kollege Oscar Straus. Das Opernkomponieren, das ihm anfänglich Verpflichtung schien, gab er nie ganz auf; sechs Opern stehen auf seiner Werkliste. Aber seinen Namen verdankt er der heiteren Musik. Als man im Stummfilm dazu überging, für manche Filmwerke eigene Partituren in Auftrag zu geben, war er einer der ersten, die sich hierfür zur Verfügung stellten, und als der junge Rundfunk ihm einen Kompositionsauftrag erteilte, schuf er mit seiner Tänzerischen Suite, die eine Jazz-Band in ein sinfonisches Orchester einbaute, ein ganz einmalig herrliches Werk.“

Was für ein Lebensgefühl!

Es ist Ernst Theis zu verdanken, dass er die Tänzerische Suite von Eduard Künneke, die am 8. September 1929 durch das Berliner Funkorchester unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt und zugleich urgesendet worden war, Anfang des 21. Jahrhunderts in den Konzertsaal und in den Rundfunk zurückgeholt hat.

Die Tänzerische Suite nimmt ebenso Anleihen beim Jazz auf, wie sie musikalisch scheinbar Unvereinbares – etwa die Rhythmen und den Songstil von Kurt Weill ebenso wie die sinfonische Leidenschaft eines Pjotr Tschaikowsky – zu einer brillanten Partitur verschmilzt, deren Repertoirewert jahrzehntelang unentdeckt geblieben ist.

„Künneke hat dabei die eigentliche Aufgabenstellung – Musik für die technischen Gegebenheiten des Radios zu schreiben –, wie er selbst in einem eigenen Vorwort zur Partitur zugibt, bald aus den Augen verloren. Er gibt der Hoffnung Ausdruck, dass der Rundfunk die technischen Probleme bald überwunden haben wird, die eine Aufführung seines Werkes mit sich bringt. Und in der Tat, die gleichzeitige Aufnahme einer Jazzband und eines großen Sinfonieorchesters dürfte die Rundfunktechniker des Jahres 1929 vor ein fast unlösbares Problem gestellt haben.“ (Ernst Theis)

Heute ist das alles lösbar, und die Musik erklingt wieder unmittelbar an ihrem „Geburtsort“ ebenso wie kurz darauf im Rundfunk – so frisch wie am ersten Tag!

Die BigBand der Deutschen Oper Berlin

Biographien und Abendbesetzung

Ernst Theis

Geboren in Oberösterreich, studierte Ernst Theis Dirigieren in Wien an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (heute Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien).

Seine Anfänge als Dirigent liegen bei den Österreichischen Kammersymphonikern, als deren künstlerischer Leiter und Geschäftsführer er sich von 1991 bis 2003 intensiv mit Musik der Klassischen Moderne, Zeitgenössischer Musik und später auch mit der Wiener Klassik beschäftigt hat. Nach einem Einspringer 1996 an der Wiener Volksoper wurde er dort für fast vier Jahre Kapellmeister. Im selben Jahr nahm er an einem internationalen Dirigentenwettbewerb unter Vorsitz von Peter Eötvös im Rahmen der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt teil, den er als 1. Preisträger für sich entscheiden konnte.

Die Karriere führte ihn danach zu vielen Orchestern im In- und Ausland wie den St. Petersburger Philharmonikern, dem Sinfonieorchester Basel, den Bochumer Symphonikern, der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, den Warschauer Philharmonikern, den Orchestern der deutschen Radiostationen Saarbrücken/Kaiserslautern (SR), Köln (WDR), München (BR), Hannover (NDR), Leipzig (MDR) sowie dem RSO Wien (ORF), dem Brucknerorchester Linz, der Slowakischen Philharmonie und vielen anderen mehr.

Von 2003 bis 2013 war er Chefdirigent der Staatsoperette Dresden. Seine konzeptionell visionäre Herangehensweise an die künstlerische Arbeit eröffnete diesem Theater den Tonträgermarkt, ermöglichte nach und nach Gastspiele in renommierten Konzertsälen wie der Kölner Philharmonie, der Hamburger Laeisz-Halle oder dem Brucknerhaus Linz und führte wiederholt zu Einladungen zu renommierten Festivals wie dem Kurt Weill Fest Dessau. 2011 erfolgte der politische Beschluss für einen Theater-Neubau, das neue Theater wurde im Dezember 2016 eröffnet, womit der Bestand der Staatsoperette Dresden gesichert werden konnte.

Zu den zentralen künstlerischen Aktivitäten von Ernst Theis gehört das Projekt RadioMusiken, an dem er langjährig in Zusammenarbeit mit der Akademie der Künste Berlin, Deutschlandradio Kultur, dem Mitteldeutschen Rundfunk und dem deutschen CD-Label cpo als Tonträgerprojekt künstlerisch wie auch wissenschaftlich gearbeitet hat. Drei CD-Boxen aus den Jahren 2006/2007, eingespielt mit der Staatsoperette Dresden, präsentieren ein wertvolles Repertoire von Radiomusik, die Ernst Theis durch seine Forschungsarbeit überwiegend erst wieder zugänglich gemacht hat, darunter die beiden für das Berliner Funkorchester entstandenen Werke von Paul Hindemith (1930) und Eduard Künneke (1929), die beim RSB heute Abend zum ersten Mal seit der jeweiligen Ursendung wieder im Konzert und im Radio erklingen.

Ernst Theis forscht als Musikwissenschaftler an der JAM MUSIC LAB Privatuniversität Wien in den Bereichen historische und zeitgenössische Medienmusik mit Schwerpunkt Musiksoziologie. 2008 promovierte er über "Musik für das Medium Radio (1923-1934)". Die Dissertation ist in einer zweibändigen Buchausgabe 2022 im THELEM-Verlag erschienen. Im Februar 2020 präsentierte er das Projekt RadioMusiken im Gewandhaus zu Leipzig zusammen mit dem MDR Sinfonieorchester mit großem Publikumserfolg. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin dirigiert Ernst Theis heute zum ersten Mal.

BigBand der Deutschen Oper Berlin

Das amerikanische Magazin „All About Jazz“ schreibt über die BigBand der Deutschen Oper Berlin: „Deutschland, das die darstellenden Künste in einem Maße unterstützt, das weit über dem liegt, was hier in den Vereinigten Staaten praktiziert wird, hat im Ergebnis dieser Förderung eine Anzahl von Weltklasse-Bigbands hervorgebracht. Das ist eine von ihnen.“

Als eigentliche Geburtsstunde der BigBand gilt ein Benefizkonzert im Jahre 2005 mit den 12 Blechbläsern und einem Schlagzeuger des Orchesters der Deutschen Oper. Anfangs leitete der Baritonsaxophonist Rolf von Nordenskjöld die Band. Inzwischen sorgt der Jazzposaunist, Komponist und Arrangeur Manfred Honetschläger für den richtigen Sound. Stars wie Katharine Mehrling, Madeline Bell, Lyambiko, Jocelyn B. Smith, Pe Werner, Bill Ramsey, Georgie Fame, Jiggs Whigham, Jeff Cascaro und Richard Galliano waren bereits Gäste. In Zusammenarbeit mit dem Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, Donald Runnicles, fand 2011 ein Crossover-Konzert statt. 2016 folgte die Uraufführung des Jazzmelodrams „Die Verführung des Pentheus“ von Manfred Honetschläger auf der großen Bühne der Deutschen Oper mit dem Orchester und der BigBand der Deutschen Oper Berlin, ebenso unter der Leitung des GMD Donald Runnicles und zusammen mit dem Schauspieler Ben Becker.

BigBand Abendbesetzung:

Tomasz Tomaszewski, Violine
Karola Elßner, Dieter Velte, Niko Zeidler; Saxophon
Thomas Schleicher, Martin Auer, Achim Rothe; Trompete
Guntram Halder; Posaune
Thomas Richter; Tuba
Rolf Zielke; Klavier
Kai Brückner; Banjo
Rüdiger Ruppert; Drums, Vibrafon, Xylofon

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Wolters, Rainer
Herzog, Susanne
Yoshikawa, Kosuke
Neufeld, Andreas
Bondas, Marina
Beckert, Philipp
Drechsel, Franziska
Morgunowa, Anna
Feltz, Anne
Yamada, Misa
Tast, Steffen
Behrens, Susanne
Hildebrandt, Laura
Scilla, Giulia

Violine 2

Contini, Nadine
Simon, Maximilian
Petzold, Sylvia
Seidel, Anne-Kathrin
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Manyak, Juliane
Hetzel de Fonseka, Neela
Bara, Ania
Marquard, David
Wenzel, Izabela

Viola

Rinecker, Lydia
Adrion,Gernot
Silber, Christiane
Drop, Jana
Doubovikov, Alexey
Montes, Carolina
Nell, Lucia
Shin, Hyeri
Kantas, Dilhan
Prokop, Maximilian

Violoncello

Eschenburg, Hans-Jakob
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Boge, Georg
Weigle, Andreas
Bard, Christian
Wittrock, Lukas
Montoux-Mie, Romane

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Buschmann, Axel
Schwaersky, Georg
Nejjoum-Barthélémy, Mehdi
Zón, Jakub
Wheatley, Paul

Flöte

Uhlig, Silke
Schreiter, Markus

Oboe

Bastian, Gabriele
Vogler, Gudrun

Saxophon

Elßner, Karola

Klarinette

Link, Oliver
Pfeifer, Peter

Fagott

You, Sung Kwon
Voigt, Alexander

Horn

Ember, Daniel
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Ranch, Lars
Gruppe, Simone

Posaune

Manyak, Edgar
Hauer, Dominik
Lehmann, Jörg

Tuba

Häfner, Joachim

Harfe

Edenwald, Maud

Percussion

Schweda, Tobias
Tackmann, Frank
Vehling, Hanno
Tummes, Daniel

Pauke

Eschenburg, Jakob

Klavier/Harmonium

Syperek, Markus

Kooperation

Konzert mit Deutschlandfunk Kultur
Übertragung am 4. Juni 2023, 20.04 Uhr.

Bild- und Videoquellen

Bilder Orchester und Solisten © Peter Meisel

Bild BigBand der Deutschen Oper Berlin © David Heerde