Digitales Programm

Sa 09.11. Adam Fischer

20:00 Konzerthaus

Joseph Haydn

Sinfonie Nr. 49 f-Moll Hob I:49 („La Passione“)

Pause

Gustav Mahler

Sinfonie Nr. 5 cis-Moll

Besetzung

Adam Fischer, Dirigent
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Das Konzert wird am 14.11. 2024 um 20:03 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur übertragen.
Konzerteinführung: 19.10 Uhr, Ludwig-van-Beethoven-Saal, Helge Grünewald.

Haydn und Mahler – durch Schuberts Brille

„Dritte Abtheilung“, Adagietto: herbeigesehnt von Publikum und Musikern, aber leider viel zu kurz. Für diesen langsamen Satz – wenn er denn ewig andauern würde – könnten viele Musikfreunde wohl auf einen Großteil der übrigen Musikgeschichte verzichten. Aber das Adagietto ist der kürzeste langsame Satz, den Gustav Mahler je einer Sinfonie beigegeben hat.
Ansonsten ist die Fünfte ein Koloss, der erste vor den Sinfonien Nr. 6, 7, 8, 9 und dem Fragment der Zehnten, gewaltig allesamt. Die Fünfte ist ein Kind der Liebe des frischvermählten Paares Alma und Gustav Mahler. Und doch ist sie Schmerzenskind, wie alle Musik von Mahler, entrungen einer seismographischen Seele im Zeitalter des Anbruchs der Moderne am Anfang des unheilvollen 20. Jahrhunderts.
Vier Kreuze machen das cis-Moll der Mahler-Sinfonie aus. Vier „b“ prägen das f-Moll der von Adam Fischer eigens ausgewählten Haydn-Sinfonie. Die Nummer 49 präsentiert einen bisweilen schmerzhaft gegen die Norm ankomponierenden Haydn, gar nicht klassisch rein oder etwa obligatorisch positiv.
In der Mitte aber zwischen den beiden Komponisten, als unsichtbares und dennoch unüberhörbares Verbindungsglied, steht Franz Schubert. Dessen Lied „Der Tod und das Mädchen“ (und das daraus entwickelte Streichquartett) scheinen 50 Jahre nach Haydn unmittelbar auf der melodischen und harmonischen Struktur des ersten Adagios der f-Moll-Sinfonie zu fußen. An kontrapunktischer Dichte, schmerzhaft gedehnter f-Moll-Klage nimmt Haydns Adagio-Thema das berühmte „Nachbild“ in beeindruckender Weise voraus.
Mahler wiederum denkt den Schubertschen Antagonismus aus Schmerz und Liebe in seinem ganzen Lebenswerk konsequent weiter. Dem Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ hat er übrigens 1894 eine Bearbeitung für Streichorchester an die Seite gestellt, 70 Jahre nach Schuberts Komposition und acht Jahre vor der Sinfonie Nr. 5.

Podcast "Muss es sein?"

Joseph Haydn

Sinfonie Nr. 49 f-Moll Hob I:49 („La Passione“)

Zopf ab

Der Erste im heutigen Programm heißt Joseph Haydn, nicht Papa Haydn. Beethoven hatte einst den älteren Freund und Kollegen quasi an Vaters Statt verehrt, ihm dabei in bester Absicht die zopfige Perücke fest angeklebt. So wurde aus Haydn, einem der geistreichsten und witzigsten Köpfe, die die europäische Musikkultur je hervorgebracht hat, ein weit unterschätzter Komponist.

Mit acht Jahren war Joseph Haydn als Chorknabe in die Wiener Domkapelle gekommen. Stellte sich in seinem leeren Magen schon hier das Gefühl ein, „als ließe man absichtlich mit dem Geiste zugleich den Körper verhungern“, so landete er nach dem Stimmbruch buchstäblich auf der Straße. Trotz existentieller Notlagen verging ihm weder die Lust an der Musik noch sonst eine. Beharrlich trieb er seine Ausbildung voran und trat 1758 eine erste feste Anstellung als Kammerkomponist und Musikdirektor beim Grafen Morzin an, „mit zweyhundert Gulden Gehalt, freyer Wohnung und Kost an der Offiziantentafel“. Haydn sorgte im Winter in Wien und im Sommer auf Schloss Lukavec bei Pilsen für die Musik zu den zahlreichen Festivitäten des Grafen Morzin – bis dessen Geld aufgebraucht war und er seine Hofkapelle entlassen musste. Zum Glück hatten bereits einige von Morzins adligen Gästen Haydns Talent erkannt. Fürst Paul Anton Esterházy – selbst kundig auf Violine, Flöte und Laute sowie ein passionierter Partiturensammler – bot Haydn 1760 eine Stellung als Vizekapellmeister an.

Der Alleskönner

Haydns mannigfaltige Aufgaben waren vertraglich genau festgelegt: Dirigent, Komponist, Bibliothekar, Instrumentenverwalter und zuständig für alle Personalangelegenheiten der Musiker. Doch der Rundumjob schien ihn nicht zu überfordern, im Gegenteil: Nachdem Paul Anton 1762 gestorben war, sah sein Nachfolger Nikolaus keinen Grund, an Haydns Stellung etwas zu ändern. Ab 1766 Hauptkapellmeister, hatte sich Haydn fortan auch noch um die Oper zu kümmern. Und so komponierte er Sinfonie auf Sinfonie, Oper auf Oper, Solokonzerte, Kammermusikwerke. Sein Ansehen wuchs, sein Einkommen ebenso. 1779 bezog er ein jährliches Gehalt von knapp 800 Gulden, hinzu kamen umfangreiche Naturalien. Auch das Ausland blickte auf den Kapellmeister von Schloss Esterháza: Aus Spanien, Frankreich, England trafen Huldigungen ein. In Italien wählte ihn die Philharmonische Gesellschaft von Modena zu ihrem Mitglied, Friedrich Wilhelm II. von Preußen und die russische Großherzogin und spätere Zarin Maria Federowna schickten kostbare Ringe... Verdient hat sich Haydn diese Ehren mit Fleiß, Experimentierfreude, Originalität und System.

Affekte in Moll

In seinen Sinfonien um 1770 kann sich Haydn bereits auf ein stabiles, selbstentwickeltes Formmodell aus vier Satzcharakteren stützen und darangehen, mit den Inhalten zu experimentieren. So zeichnen sich die Sinfonien dieser Jahre durch eine erhebliche Tonartenvielfalt aus. Dur steht neben Moll, wobei auch entlegene Gefilde wie fis-Moll (Nr. 45), H-Dur (Nr. 46) und f-Moll (Nr. 49) nicht gescheut werden. In der Sinfonie Nr. 49, von Haydn mit 1768 datiert, angereichert mit zwei Oboen und zwei Hörnern, experimentiert der unruhige Geist mit Affektausdeutungen in einer damals selten gebrauchten Molltonart. Der Tonart f-Moll sind vier „b“ vorgezeichnet, was zum Beispiel bedeutet, dass drei der vier leeren Saiten auf der Geige nicht benutzt werden können, das heißt, alle sonst bequemen Töne müssen nun ungleich mühsamer gegriffen werden.

Haydn verwendet die Tonart f-Moll in der Sinfonie Nr. 49 konsequent in allen vier Sätzen. Umso größer ist die Herausforderung, den Sätzen verschiedene Charaktere zu verleihen. Die ergeben sich aus den gegensätzlichen Tempi, die ihrerseits der barocken italienischen Kirchensonate aus dem Zeitalter der affekt- und symbolbetonten Kompositionsmanier entlehnt sind. Diese Verwandtschaft erklärt das traditionelle Formmodell: Langsam-Schnell-Langsam-Schnell.

Rau und wild

Doch bereits der Anfang des ersten Adagios weist in die Zukunft. Dessen melodische und harmonische Struktur wird Franz Schubert 50 Jahre später als direktes Vorbild für das Lied (und das daraus entwickelte Streichquartett) „Der Tod und das Mädchen“ dienen. An kontrapunktischer Dichte, an schmerzhaft gedehnter f-Moll-Klage steht Haydns Adagio-Thema dem berühmten „Nachbild“ in keiner Weise nach.

Mit unvermuteten Pausen, überraschenden harmonischen Kehrtwendungen, vertrackten Synkopen und allerlei sonstigen Schwierigkeiten erinnert der zweite Satz, Allegro di molto, an den wildesten Carl Philipp Emanuel Bach, zeigt aber zugleich eine regelgerechte, straffe Form. Das bizarr gespreizte Thema reißt die klassische Oberfläche rigoros auf. In der Durchführung wird ein Sprung der Violinen, der in der Exposition schon zwei Oktaven plus Terz umfasst hat, noch vergrößert auf zwei Oktaven plus Quinte. Selbst der ruhigere As-Dur-Teil der Exposition erfährt eine erregte Energieaufladung.

An dritter Stelle folgt ein Menuett, das seine Strenge aus dem Kunstgriff zieht, mit welchem Haydn das tänzerische Material in die herbe f-Moll-Umgebung zwingt. Oboen und Hörnern wird agile Flexibilität abverlangt, einzig im Trio kommt es zu vorübergehender Beruhigung.

Von rastloser motorischer Unruhe getrieben, jagen die Celli und Bässe schließlich das Finale vor sich her. Kurze, rasch hin- und hergeworfene Melodieglieder der Oberstimmen entfesseln in dauernder Verwandlung eine bemerkenswerte Unrast.

Leidenschaft mit Bedacht

„Sturm und Drang“ heißt das literarische Äquivalent zu dieser Musik. Jakob Lenz oder der junge Goethe werden eine Generation später die deutsche Sprache radikalisieren, Ecken und Kanten stehenlassen, den Sumpf der Sentimentalität austrocknen. Haydn: „Ich konnte als Chef eines Orchesters Versuche machen, beobachten, was den Eindruck hervorbringt und was ihn schwächt, also verbessern, zusetzen, wegschneiden, wagen.“

Die Sinfonie Nr. 49 f-Moll gehörte 200 Jahre lang neben der „Abschiedssinfonie“ (Nr. 45) zu den am meisten aufgeführten des Meisters. Die Bezeichnung „La Passione“, von fremder Hand hinzugefügt, könnte auf eine erste Aufführung während der Karwoche ihres Entstehungsjahres 1768 hindeuten, sie könnte aber auch den leidenschaftlich aufgerauten Charakter der Sinfonie hervorheben. Hier zeigt sich ein bisweilen schmerzhaft gegen die Norm gebürsteter Haydn, gar nicht klassisch rein oder etwa obligatorisch positiv.

„Bedächtig“ hat Haydn einmal seine Arbeitsweise selbst genannt, ein verhängnisvolles Wort. Beförderte es doch bis weit ins 20. Jahrhundert das Vorurteil, Haydn sei von der langsamen Sorte und folglich gemächlich zu musizieren. Der Komponist hatte aber „bedächtig“ in ganz anderem Sinne gebraucht: als bedenkend, abwägend, kalkulierend – sämtlich Kategorien von Sorgfalt und Präzision. Erst unter solchen Voraussetzungen entfalten die Sinfonien ihren unwiderstehlichen, suggestiven Reiz.

Gustav Mahler

Sinfonie Nr. 5 cis-Moll

„Er war jäh vertrauensvoll und jäh mißtrauisch wie ein Kind. Dieses Mißtrauen konnte sehr leicht geschürt werden; durch ein hingeworfenes Wort der Böswilligkeit, ja durch ein scheinbar unabsichtliches Lächeln oder einen Blick; aber es konnte dann kaum jemals wieder getilgt werden, und gerade damit ist viel an ihm und an anderen gesündigt worden.

Und vor allem: er war liebebedürftig wie ein Kind. Er brauchte Liebe, Verstehen, Zärtlichkeit wie wenig andere, und gerade an ihn, der doch wieder durch Schroffheit, durch abweisende Launenhaftigkeit und Sprunghaftigkeit von sich wegscheuchte, wagte sich diese Empfindung selten heran...“ - Richard Specht

Gustav Mahler

Wunder Mahler

Gustav Mahler hatte zwei der lukrativsten Positionen im Musikgeschäft inne, die ein Dirigent nur erreichen kann: Er war ab 1897 zehn Jahre lang Direktor des damals angesehensten Opernhauses der Alten Welt, der Wiener Hofoper, die er mit seinen Interpretationen nachhaltig revolutionierte. Anschließend leitete er für vier Jahre das bedeutendste Opernhaus der Neuen Welt, die Metropolitan Opera in New York, und war Chef des New York Philharmonic Orchestra. Für die Uraufführungen seiner eigenen Sinfonien wählte Mahler aber oftmals Städte aus, die weitab seines Wirkungskreises lagen. Zu sperrig, zu fremd für die verwöhnten Ohren der traditionellen Musikzentren schienen ihm selbst die eigenen Werke zu sein. Und nicht nur das Beispiel Bruckner hatte ihn gelehrt, wozu die Wiener Musikkritik fähig war. So kam es, dass Gustav Mahler seine Sinfonien Nr. 3, 5 und 6 in Krefeld, Köln und Essen aus der Taufe hob.
Zum Komponieren blieben ihm allein die Sommermonate. Dann zog er sich in die Alpen zurück, als junger Mann an den Attersee, dann nach Maiernigg am Wörthersee, später nach Toblach in Südtirol. Eigens „Komponierhäuschen“ ließ er sich errichten, spartanische Hütten in Waldeinsamkeit. In diesen Sommern entstanden Mahlers Kompositionen, seine Lieder und Sinfonien. Es lässt sich denken, wie er arbeitete: exzessiv, aufzehrend, rücksichtslos gegen sich und andere.

Was für ein Mann!

„Ich schätze, dass er nicht über 160 Zentimeter groß war... Ich konnte im Sonnenbad, das Mahler eifrig pflegte, seinen nackten Körper aufmerksam studieren. Dieser Körper war von großem Ebenmaß und ausgesprochen männlichen Proportionen. Die Schultern waren breiter, als der bekleidete Körper vermuten ließ, und vollkommen symmetrisch gebaut. Das Becken war sehr schmal. Die Beine, keineswegs besonders kurz, hatten absolut schön und regelmäßig gestellte Achsen, harte, klar entwickelte Muskeln und schwache Behaarung. Übertriebene Adernausprägung fehlte gänzlich. Die Füße waren klein mit hochgebautem Rist und kurzen, regelmäßigen, vollkommen fehlerfreien Zehen. Die Brust hatte kräftige Wölbung, geringe Behaarung und sehr klar gezeichnete Muskelansätze. Der Bauch war, bei starker Betonung des geraden Bauchmuskels, ohne jeden sichtbaren Fettansatz, wie übrigens der ganze Körper, und zeigte die Inskriptionen so deutlich wie bei einem Mustermodell... Ich konnte, als ich ihn zum erstenmal nackt sah, eine Bemerkung der Überraschung über diese Muskelpracht nicht zurückhalten. Mahler lachte gutmütig, da er merkte, dass auch ich durch das allgemeine Geschwätz über seine dürftige Körperlichkeit beeinflusst worden war...“

Nicht etwa seine Frau Alma beschrieb ihren Mann Gustav Mahler mit diesen emphatischen Worten, vielmehr gestand sie ihm (nicht ganz glaubwürdig) auf einem Spaziergang: „Ich liebe am Manne nur die Leistung: Je größer die Leistung, desto mehr muss ich ihn lieben.“ Nein, diese anatomisch genauen Beobachtungen an seinem Chef, dem gefürchteten Operndirektor Gustav Mahler, machte Alfred Roller, Jugendstilmaler und Bühnenbildner. Mahler lernte ihn 1902 im Wiener Künstler-Umkreis seiner jungen Frau kennen, engagierte ihn als „Leiter des Ausstattungswesens“ und inszenierte gemeinsam mit ihm und sehr erfolgreich „Tristan und Isolde“, „Fidelio“ und „Don Giovanni“.

Alma S. Mahler-Werfel (1879-1964).

Ein Kind der Liebe

Den Sommer des Jahres 1901 hatte Mahler noch wie gewohnt in Maiernigg am Wörthersee verbracht, wo er sich während der Sommermonate vom nervenaufreibenden und kräftezehrenden Amt des Hofoperndirektors erholte. Erholte? Er gönnte sich im Juli und August den Luxus des Komponierens: fieberhaft, weltentrückt, sich völlig verausgabend. Die beiden Anfangssätze der fünften Sinfonie und sieben Lieder waren das Ergebnis des Sommers 1901.

Ein Jahr später kommt er erstmals nicht mehr allein nach Maiernigg, sondern frisch vermählt mit einer jungen Frau. Am 7. November 1901 hatte Gustav Mahler die 22-jährige Alma Schindler, Tochter eines Wiener Landschaftsmalers, kennengelernt. Am 5. Dezember sprach man sich gegenseitig noch mit „Sie“ an, drei Tage später staunten Freunde über das vertraute „Du“ zwischen den beiden. Das Paar sollte sich am 7. Dezember heimlich verloben. „Wie wird es einmal sein, wenn Du Alles mit mir – ich mit Dir – teilen wirst, und wenn dieses heftige, verzehrende Sehnen, dasmit so viel Bangen und Sorgen gemischt ist, befriedet, und wir, auch getrennt, Alles von einander wissen, und unbekümmert uns lieben, durchdringen können! (Ich gebe Nichts her von Allem, was mir durch Dich zuteil wird - auch nicht Unruhe und Schmerz ...)“ – schrieb Gustav Mahler am 12. Dezember 1901 an seine Braut. Am 9. März 1902 heiratete der 42-jährige Gustav Mahler die hochgebildete, musikbegabte, selbstbewusste junge Dame.

Flitterwochen in Maiernigg? Mahler komponiert, seine schwangere Frau kopiert das Manuskript ihres Mannes handschriftlich in eine Partitur. Anfang September ist es soweit, zum ersten Mal spielt Gustav Mahler die Sinfonie der geliebten Gefährtin vor. Obwohl sie sich ihre Ehe anders vorgestellt hat, ist sie tief berührt von der musikalischen Liebeserklärung ihres Mannes.

„Er zweifelt an meiner Liebe... Und wie oft habe ich selbst daran gezweifelt... Jetzt vergehe ich vor Liebe – und im nächsten Moment empfinde ich nichts! ... Wenn ich nur mein inneres Gleichgewicht wiederfände!... Er soll nichts merken von meinen Kämpfen. Ich kopiere Tag für Tag die Partitur seiner 5. Sinfonie... Bruno Walter ist da. Gustav Mahler spielt ihm seine 5. Sinfonie vor. Er läßt Bruno Walter in seine Seele schauen..."

„...Bis jetzt hatte das Werk mir allein gehört! Ich hatte es ja kopiert, und wir hatten oft für uns die Themen gesungen... und jetzt gehört es den anderen Menschen! Bruno Walter ist der einzige, dem ich die Mitwisserschaft gönne. Und doch – ich ging aus dem Zimmer...“
Alma Mahler, in „Mein Leben“

Trauermarsch

Die Sinfonie beginnt mit einem Trauermarsch. Ist Mahler ein „Schwarzseher“? Unzählige Spekulationen über die einsamen Fanfaren zu Beginn der fünften Sinfonie sind angestellt worden. Blechgepanzert, trivial und schroff, mögen die Fanfaren Ausdruck von Mahlers Kindheitstrauma sein, der Militärmusik, die im böhmischen Iglau aus der nahen Kaserne drang. Und sie sind ein Widerschein des autobiographischen, einsamen Rufers in der Wüste, der in der Sinfonie Nr. 2 die verbrannte Erde durchschreitet, bevor das Wunder der Auferstehung den einzigen Ausweg aufzeigt.

Unvermittelt geben die rätselhaften Eröffnungstakte einen beseelten Streichergesang frei. Gleich darauf: Eben noch Unvereinbares fließt zusammen, strebt auseinander, reißt neue Abgründe auf, muss aber doch irgendwie miteinander auskommen.

Wie unterirdisch scheinen die entgegengesetzten thematischen Gestalten miteinander verstrickt zu sein. Mahlers konsequent ausgebildete Variantentechnik liefert die technischen Voraussetzungen für ein solches Netzwerk, dessen einziger Sinn darin zu bestehen scheint, stets aufs Neue zerrissen zu werden. „Die Musik gestikuliert, erhebt ein Geschrei des Entsetzens vor Schlimmerem als dem Tod. Von den Angstfiguren der Schönbergischen ‚Erwartung’ ward es nicht überboten…. In dem sich ins Wort fallenden Duett der schneidenden Trompeten und der regellosen Geigen verwirrt sich der Gestus des Hetmans, der zum Mord ermuntert, mit dem Jammer der Opfer: Pogrommusik, so wie die expressionistischen Dichter den Krieg prophezeiten“ (Theodor W. Adorno).

Raserei

Katastrophal schneidet der zweite Satz in die offene Wunde hinein, die der Trauermarsch aufgerissen hat. Nüchtern betrachtet, verhält sich dieser Teil wie die Durchführung zur Exposition im Sinfoniemodell. Beide Elemente, die schier explodierende Wut der Furie und die sanft tröstende Hand, rotieren wie im Käfig. Immer neue Ausbruchsversuche aus dem Teufelskreis scheitern. Alle Virtuosität müht sich ab, durch Abwandlung dem Immergleichen eine neue Dimension abzugewinnen. Aber sie rammt nur gegen kafkaeske Mauern, ermüdet schließlich. Ein letztes Aufbäumen gebiert einen gigantisch grellen Choral, das Gebäude stürzt – Freiheit, Sieg? Mitnichten, chaotische, sinnentleerte Raserei, klägliches Verlöschen. Die Partitur schreibt eine lange Pause vor.

Spaß muss sein

„Scherzo“ steht – zum ersten Mal bei Mahler – über dem folgendem, dem längsten Satz der fünften Sinfonie, der für sich allein die „Zweite Abtheilung“ bildet. Ländler-Banalität, aggressives Werben, verzagte Resignation, ironischer Tumult – ist das der verzweifelte Mut zur Hoffnung? Mahler hat am 5. August 1901 der ihn seit Jugendtagen unerwidert liebenden Natalie Bauer-Lechner anvertraut, hier sei „der Mensch im vollen Tagesglanz, auf dem höchsten Punkte des Lebens“ gezeichnet. Bruno Walter empfindet an dieser Stelle große Nähe zu Goethes Gedicht „An Schwager Kronos“. Mahler, der davon wusste, hat ihm nicht widersprochen.

Spute dich, Kronos!
Fort den rasselnden Trab!
Frisch, holpert es gleich,
Über Stock und Steine den Trott
Rasch in’s Leben hinein!
Ab denn, rascher hinab!
Sieh’, die Sonne sinkt!
Eh’ sie sinkt, eh’ mich Greisen
Ergreift im Moore Nebelduft,
Entzahnte Kiefer schnattern
Und das schlotternde Gebein.
Töne, Schwager, in’s Horn,
Raßle den schallenden Trab.

Am 14. Oktober 1904, mitten während der Proben zur Uraufführung, schreibt Mahler seiner Frau aus Köln: „... Das Scherzo ist ein verdammter Satz! Der wird eine lange Leidensgeschichte haben! ... das Publikum – o Himmel – was soll es zu diesem Chaos, das ewig auf’s Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zu Grunde geht, zu diesen Urweltsklängen, zu diesem sausenden, brüllenden, tosenden Meer, zu diesen tanzenden Sternen, zu diesen verathmenden, schillernden, blitzenden Wellen für ein Gesicht machen? Was hat eine Schafherde zu einem Brudersphären-Wettgesang anderes zu sagen, als blöken!?“

Fragiles Glück

„Dritte Abtheilung“, Adagietto: herbeigesehnt, aber leider viel zu kurz. Für diesen langsamen Satz – wenn er denn ewig andauern würde – könnten viele Musikfreunde wohl auf einen Großteil der übrigen Musikgeschichte verzichten. Aber das Adagietto ist der kürzeste langsame Satz, den Gustav Mahler je einer Sinfonie beigegeben hat. Mahler entwarf diesen einzigartigen Gesang bereits im November des Jahres 1901 – entgegen seiner sonstigen Komponiergewohnheit –, just unter dem Eindruck der Liebe seines Lebens. Das Privatissimum par excellence birgt unendliche Schönheit und kündet doch unablässig von Rückzug: kein Glück ohne drohendes Zerbrechen, kein Besitz ohne quälende Verlustangst. Schwebend zwischen Streichinstrumenten und Harfe, schimmert das Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ durch die feine Struktur.

120 Jahre Rezeptionsgeschichte haben dem Adagietto nicht nur genutzt. Bis heute dient es unzähligen Entspannungsgurus für ihre Seelenmassagen. Fast bis zur Unkenntlichkeit verklebt durch süßliche Missdeutungen, hat es Einzug gehalten in die kommerzielle Welt des Films und der Warenwelt. Am ehesten daraus zu befreien ist es durch Rückholung in die reine Welt der Sinfonie, deren untrennbarer Bestandteil es ist.

„Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capirt sie.“

Die Fünfte ist die erste jener Gruppe von rein instrumentalen Sinfonien Nr. 5, 6 und 7, die auf die sogenannten „Wunderhorn-Sinfonien“ Nr. 1, 2, 3 und 4 folgte. Instrumental bezieht sich hier sowohl auf die Besetzung als auch auf das bewusste Vermeiden von jeglicher Text- oder Programmbindung.

Mahler unterlässt inzwischen – anders als Strauss – nach bitteren Erfahrungen verbale Fingerzeige auf Inhalte seiner Musik. Gleichwohl wäre er nicht Mahler, wenn sein Gesamtwerk trotz aller Zerrissenheit nicht von zwingender personalstilistischer Kontinuität durchzogen wäre. Sein „Ich-kann-nicht-anders“ betrifft das gesamte Leben und Werk. Es drängt die äußerliche Zergliederung in textgebundene und in textlose Phasen in den Hintergrund.

„Hört Ihr’s? Das ist Polyphonie und da hab’ ich es her! – Schon in der ersten Kindheit im Iglauer Wald hat mich das so eigen bewegt und sich mir eingeprägt. Denn es ist gleich viel, ob es in solchem Lärme oder im tausendfältigen Vogelgesang, im Heulen des Sturmes, im Plätschern der Wellen oder im Knistern des Feuers ertönt.“

Aus solcher Polyphonie gewebt und gestrickt ist das „Rondo-Finale“, ein „sonatisiertes Rondo, das zahlreiche fugierte Abschnitte enthält“ (Constantin Floros). Nicht ganz geheuer sind diese Fugati, die erneut einen Choral aus den Angeln heben, ihn öde dröhnen lassen, um ihn bald im Geschwindmarsch, bald kichernd, bald derb wie einen Gassenhauer vor sich herzutreiben. Klingt so der Übermut? Ist Mahler angesichts der frisch gewonnenen Liebe tatsächlich zum Jubeln aufgelegt, so wie er sich im Finale der Fünften gibt? „Seine vergeblichen Jubelsätze entlarven den Jubel, seine subjektive Unfähigkeit zum happy end denunziert es selber“ (Theodor W. Adorno).

Adam Fischer

“Dabei entlockt [Adam Fischer] den Streicherinnen und Streichern des RSB eine berauschende Palette an Farben (…)” – Der Tagesspiegel
Der in Budapest geborene Adam Fischer ist einer der wichtigsten Dirigenten unserer Zeit. Er gründete 1987 die Österreich-Ungarische Haydn Philharmonie mit Musikern aus seinen beiden Heimatländern Österreich und Ungarn und zeitgleich die Haydn Festspiele Eisenstadt als internationales Zentrum der Haydn-Pflege.
Ob in Bayreuth, an der Metropolitan Opera oder Teatro alla Scala in Milan, ob bei den Wiener oder den Berliner Philharmonikern, beim Orchestra of the Age of Enlightenment oder den Salzburger Festspielen: Adam Fischer wird von Publikum und Musikern gleichermaßen als ein Mittler zwischen Musik- und Außenwelt erkannt. 2022 wurde ihm für sein Lebenswerk der International Classical Music Award verliehen.

Adam Fischer nutzt seine Erfolge und die internationale Öffentlichkeit regelmäßig für wichtige Botschaften zu Humanität und Demokratie. Er erhielt für dieses Engagement unter anderem den renommierten Wolff-Prize der gleichnamigen Stiftung in Jerusalem und die Gold Medal in the Arts vom John F. Kennedy Center for the Performing Arts, Washington. Seit mehr als 20 Jahren ist er Mitglied des Helsinki Committee für Menschenrechte, und seit 2016 vergibt er alljährlich den Menschenrechtspreis der Tonhalle Düsseldorf. Adam Fischer ist Ehrenmitglied des Grazer Musikvereins für Steiermark, und trägt den österreichischen Professoren- Titel und den von der dänischen Königin verliehenen Orden von Dannebrog.
Ausgewählte Höhepunkte der Spielzeit 2024/25 umfassen – neben seinen regelmäßigen Projekten mit den Düsseldorfer Symphonikern, dem Danish Chamber Orchestra und bei den Budapester Wagner Tagen – Konzerte mit dem Mozarteumorchester Salzburg (Salzburger Festspiele), den Wiener Philharmonikern (Mozartwoche Salzburg), dem Orchestra of the Age of Enlightenment (Brucknerfest Linz) und den Wiener Symphonikern (Musikverein Wien), sowie „Parsifal“ an der Bayerischen Staatsoper, „Cosi fan tutte“, „Zauberflöte“ und „Rosenkavalier“ an der Wiener Staatsoper und „Mitridate“ an der Hamburger Staatsoper.
Silvesterkonzert mit dem RSB und dem Rundfunkchor im Konzerthaus Berlin

RSB- Abendbesetzung

Violine 1

Ofer, Erez
Wolters, Rainer
Herzog, Susanne
Yoshikawa, Kosuke
Neufeld, Andreas
Bondas, Marina
Beckert, Philipp
Drechsel, Franziska
Kynast, Karin
Morgunowa, Anna
Feltz, Anne
Polle, Richard
Yamada, Misa
Behrens, Susanne
Leung, Jonathan
Kanayama, Ellie

Violine 2

Contini, Nadine
Simon, Maximilian
Petzold, Sylvia
Seidel, Anne-Kathrin
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Manyak, Juliane
Hetzel de Fonseka, Neela
Bauza, Rodrigo
Bara-Rast, Ania
Kanayama, Ellie
Hagiwara, Arisa
Detnavazi, Vashka

Viola

Regueira-Caumel, Alejandro
Adrion, Gernot
Silber, Christiane
Zolotova, Elizaveta
Markowski, Emilia
Drop, Jana
Doubovikov, Alexey
Inoue, Yugo
Yoo, Hyelim
Kantas, Dilhan
Maschkowski, Anastasia
Roske, Martha

Violoncello

Eschenburg, Hans-Jakob
Riemke, Ringela
Breuninger, Jörg
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Boge, Georg
Weigle, Andreas
Bard, Christian
Kipp, Andreas
Fijiwara, Hideaki

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Figueiredo, Pedro
Rau, Stefanie
Schwärsky, Georg
Buschmann, Axel
Ahrens, Iris
Gazale, Nhassim
Moon, Junha

icon

Flöte

Lerch, Robert
Döbler, Rudolf
Schreiter, Markus
Dallmann, Franziska

Oboe

Bastian, Gabriele
Grube, Florian
Herzog, Thomas

Klarinette

Kern Michael
Pfeifer, Peter
Korn, Christoph

Fagott

You, Sung Kwon
Königstedt, Clemens
Shih, Yisol

Horn

Ember, Daniel
Holjewilken, Uwe
Klinkhammer, Ingo
Mentzen, Anne
Stephan, Frank
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Kupriianov, Roman
Niemand, Jörg
Gruppe, Simone
Hofer, Patrik

Posaune

Manyak, Edgar
Hölzl, Hannes
Vörös, József
Lehmann, Jörg

Tuba

Neckermann, Fabian

Harfe

Edenwald, Maud

Schlagzeug

Tackmann, Frank
Thiersch, Konstantin
Azers, Juris
Ellwanger, Johannes

Pauke

Eschenburg, Jakob

Kooperation

Bild- und Videoquellen

Portait Adam Fischer © Nikolaj Lund
Bilder Konzert © Peter Meisel
https://www.youtube.com/watch?v=s4op2BEEEMA