Digitales Programm

So 07.04. Vladimir Jurowski

20:00 Konzerthaus Berlin

Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester C-Dur KV 503

Pause

Borys Ljatoschynskyj

Sinfonie Nr. 3 h-Moll op. 50

Besetzung

Vladimir Jurowski, Dirigent
Martin Helmchen, Klavier

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

 

Das Konzert wird am 18.04.2024 20.03 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur übertragen.

Konzerteinführung: 19.10 Uhr, Ludwig-van-Beethoven-Saal, Konzerteinführung von Steffen Georgi

Gar nicht mal soviel schwarze Tasten. C-Dur ist die Tonart ohne schwarze Tasten. Das macht Mozarts Klavierkonzert C-Dur aber nicht einfacher. Technisch muss sich dieses Konzert jeder Pianist erkämpfen, denn immerhin hat es der Meister für sich selbst geschrieben. Ein Hinhörer ist immer wieder das Thema im Kopfsatz, das an die französische Nationalhymne erinnert. Aber die kam erst danach!

„Der Friede wird den Krieg besiegen“ – überschreibt Ljatoschynskyj den Finalsatz seiner 3. Sinfonie. Stalins Regime erlaubt diesen Gedanken nicht. Ljatoschynskyj muss das Finale seiner 3. Sinfonie ändern. Zu viel westeuropäische Einflüsse, zu ambivalent der musikalische Ausdruck. Und was gar nicht geht ist die Friedensbotschaft.

Podcast „Muss es sein?“

Werke

Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester C-Dur KV 503

Mozart

Ausgespielt

Immer wieder hatte Wolfgang Amadeus Mozart dem Vater von seinen Reisen stolz berichtet, dass er alle Klavier-Konkurrenten „in den Sack“ spielen könne (Brief vom 23. Oktober 1777). Nun, 1786, war er seit fünf Jahren in Wien ansässig und „es war von hier an, dass der Virtuose Mozart an Boden verlor und als solcher bald in Vergessenheit geriet. ... allmählich muss sich seinem Bewusstsein mitgeteilt haben, dass er nicht mehr gebraucht werde...“ (Wolfgang Hildesheimer)

Das atemberaubend ereignisreiche Jahr 1786 hatte für Mozart mit der Komposition der Komödie „Der Schauspieldirektor“ KV 486 begonnen. Während eines „Lustfestes“ am 7. Februar zu Ehren der Generalgouverneure der österreichischen Niederlande wird „Der Schauspieldirektor“ zu Schönbrunn aufgeführt. Zum gleichen Anlass erklingt auch Antonio Salieris „Prima la musica e poi le Parole“. Mozart erhält fünfzig Dukaten Honorar, Salieri das Doppelte. Am 13. März leitet Mozart im Privattheater des Fürsten Johann Adam Auersperg den umgearbeiteten und durch die Nummern KV 489 und 490 ergänzten „Idomeneo“. Das am 24. März vollendete Klavierkonzert c-Moll KV 491 spielt er erstmals am 7. April während seiner zugleich letzten Subskriptions-Akademie im Burgtheater. Danach muss er das Komponieren für die seit zwei Jahren erfolgreichen Subskriptionskonzerte einstellen: wegen des dramatischen Ausbleibens zahlender Interessenten.

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Am 20. April ist die Komposition von „Le nozze di Figaro“ beendet. Die Uraufführung findet am 1. Mai im Burgtheater unter Mozarts Leitung statt. Das Honorar beträgt diesmal 450 Gulden. Doch der Wind weht Mozart kalt ins Gesicht.

In einem letzten Versuch unternimmt Mozart im Dezember 1786 vier „Adventsakademien“. Inzwischen hofft er, in Prag eine Chance zu haben. Binnen zwei Tagen legt er zwei neue Werke „auf Eis“, die möglicherweise mit Blick auf Konzerte in Prag komponiert sind: am 4. Dezember 1786 das Klavierkonzert C-Dur KV 503 und am 6. Dezember die Sinfonie D-Dur KV 504 („Prager“).

Konzert-Sinfonie

Das C-Dur-Klavierkonzert knüpft in Geist und Haltung an das Dutzend der großen Wiener Konzerte an. Aus dem Klavier als virtuosem Stichwortgeber für eine routinierte, wenig störende Orchesterbegleitung entwickelt Mozart in seiner Wiener Zeit das Klavierkonzert sinfonischen Gepräges.

In diesem neuen Typus kann der Pianist – also zunächst Mozart selbst – mit zahlreichen virtuosen Passagen glänzen, doch heben die „Gespräche“ zwischen Klavier und Orchester den kommunikativen Austausch auf eine ganz neue Ebene. Erst Beethoven wird in seinem dritten Klavierkonzert auf eine derartige Balance zwischen Sinfonischem und Pianistischem zurückkommen.

Darüber hinaus ist die Konzertform dem Opernkomponisten Mozart ein ideales Medium, dramatische Konflikte in die absolute Musik hineinzutragen. Der Konzertsatz verschmilzt die Spannungen der Sonatenhauptsatzform mit Vorzügen der Arienform: So steigert das ausgedehnte Orchesterritornell zu Beginn jedes Konzertes die Erwartung des Auftritts des Solisten, „inszeniert“ ihn gleichsam.

Nicht anders beim C-Dur-Konzert KV 503. Es beginnt festlich-repräsentativ mit dem längsten Orchesterritornell, das Mozart je einem Klavierkonzert vorangestellt hat. Und das Soloinstrument? Beiläufig fast, schier verzagt, orientierungslos, so schleicht es sich in das Geschehen. Es bedarf etlicher „Selbstermunterungen“, bevor sich Klavier und Orchester zu dem vollendeten Dialog aufschwingen, der das C-Dur-Konzert zu jenem Musterexemplar der gesamten Gattung werden lässt, als das es heute angesehen wird.

Auf die für KV 482, 488 und 491 charakteristischen Klarinetten verzichtet Mozart, dafür gibt es Pauken und Trompeten in den Ecksätzen. Umso stärker vermögen die Holzbläser und Hörner mit ihren Klangfarben den Mittelsatz zu prägen. Die C-Dur-Grandezza der schnellen Sätze rahmt ein Juwel, das allein ausreichen würde, seinen Schöpfer in den Olymp aufzunehmen. Mozart schreibt hier ¾-Takt und Andante, meint aber ein gehendes Tempo auf der Basis von Achtelnoten, ein „heimliches Adagio“ also.

Das Finale wird – ungewöhnlich – ebenfalls von einem Orchestervorspiel eröffnet. Dies unterstreicht einmal mehr den explizit sinfonischen Charakter des C-Dur-Konzertes.

Häufige Wechsel zwischen Dur und Moll und ausgedehnte harmonische „Kreuzwege“ in Form bohrender Orgelpunkte, die den weiteren Verlauf spannungsreich hinauszögern, profitieren von Mozarts Erfahrungen mit den Stilmitteln des Musiktheaters. Das C-Dur-Konzert verbindet im imaginären Raum von unübertrefflicher Meisterschaft die (Wiener) Enttäuschung und die (Prager) Hoffnung. Die beiden Antagonismen münden in jene bei Mozart stets in Gipfelwerken anzutreffende Patt-Situation aus Bedrängnis und Freiheit, aus Müssen und Können, aus Depression und Vitalität.

Genie mit Akribie

Für das Klavierkonzert lässt sich trotz der Termindichte belegen, dass Mozart das Werk sorgfältig ausgearbeitet hat. Verschiedene Tintenfarben in der Originalhandschrift (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz) deuten auf schrittweises Komponieren hin, wobei Mozart nicht Satz für Satz vorgegangen ist, sondern zunächst das durchgehende Gerüst skizziert, alle Themen ausformuliert, anschließend die Klaviersolostimme in den Details und Verzierungen ausgeschrieben und zuletzt die Ornamente der Bläser hinzugefügt hat.

Für mehrere Passagen des ersten Satzes hat sich zudem ein für Mozart sehr seltenes Skizzenblatt erhalten (ebenfalls Staatsbibliothek Berlin), auf dem er Varianten auf dem Papier offensichtlich ausprobiert hat, bevor er die endgültige Version in die Partiturreinschrift übertragen hat.

Nach dem Tod Mozarts gab seine Witwe Konstanze das Konzert 1798 auf eigene Kosten im Verlag Breitkopf & Härtel heraus. Bei dieser Gelegenheit widmete sie es dem Prinzen und begabten Pianisten Louis Ferdinand von Preußen, während Mozart ursprünglich keine Widmung vorgesehen hatte. Seine Klavierkonzerte erreichen in ihrer höchsten Gestalt den Rang eines Instrumentaldramas, das so eloquent und abwechslungsreich wie eine Oper zu erzählen weiß. Aber es kündet idealer als jede Oper von einer utopischen Vision, einer Welt ohne Sieger und Besiegte, einer „Republik der Gleichen“ (Robert Schumann), in der Selbstlosigkeit und Eigennutz auf wundersame Weise eins werden.

Borys Ljatoschynskyj

Sinfonie Nr. 3 h-Moll op. 50

Der Doyen der ukrainischen Sinfonik

Borys Mykolajowytsch Ljatoschynskyj, ukrainisch Лятошинський Борис Миколайович, wurde am 3. Januar 1895 in Shytomyr in der nördlichen Ukraine geboren. Er studierte am Konservatorium in Kiew bei Reinhold Glière und avancierte zum wichtigsten ukrainischen Komponisten in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Seinen Einfluss machte er nicht zuletzt als bedeutender Kompositionslehrer geltend, von 1919 bis 1968 unterrichtete er als Professor am Kiewer und am Moskauer Konservatorium. Zu seinen Schülern gehörten Walentin Silwestrow und Iwan Karabits. Borys Ljatoschynskyj starb am 15. April 1968 in Kiew. Fünf Sinfonien (1919 bis 1966) mit philosophischem Anspruch in der Tradition von Gustav Mahler und auf Augenhöhe mit den Werken von Dmitri Schostakowitsch und Sergei Prokofjew, eine Ouvertüre über vier Ukrainische Themen (1926), die sinfonische Ballade „Graschyna“ (1955) und die Polnische Suite (1961) stehen neben dem ersten ukrainischen Musikdrama, „Der goldene Ring“ (1929), auf das die Oper „Schtschors“ (1937) folgte, eine Huldigung des gleichnamigen sowjetischen Revolutionshelden. Mehrere große Vokalzyklen sowie Kammermusik ergänzen das Œuvre von Ljatoschynskyj. Ganz ähnlich wie der 21 Jahre ältere Sergei Rachmaninow seine Musik als eine zutiefst russische empfand und beschrieb, charakterisierte Ljatoschynskyj die seine als ukrainisch.

Das schloss nicht aus, dass beide Komponisten aus den gleichen Quellen schöpften. Die Volksmusik der slawischen Völker, die Kunstmusik des russischen Zarenreiches und die Traditionen der europäischen Romantik dienten beiden gleichermaßen als Ausgangspunkte und Projektionsflächen für die eigene musikalische Stimme.

Im Umgang mit den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts positionierten sich beide eher konservativ, wobei Ljatoschynskyj zusätzlich die Einschränkungen durch den realen Sozialismus hinzunehmen hatte.

Weite in der Musik, Enge in der Politik

Die epische Sinfonie Nr. 3 von Borys Ljatoschynskyj entstand vor dem Hintergrund des Schicksals der Ukraine während des Zweiten Weltkrieges. Zwei Jahre lang war Kiew von den deutschen Nationalsozialisten besetzt worden. In dieser Zeit fanden in der Schlucht Babi Jar mehr als 100.000 Menschen den Tod durch Erschießen. Abertausende fielen außerdem an der Front oder verhungerten im Hinterland. Ljatoschynskyj konnte gar nicht umhin, als in der Sinfonie Nr. 3 alle diese grauenhaften Ereignisse mitzudenken – nicht anders als Dmitri Schostakowitsch in den Sinfonien Nr. 7, 8 oder 13.

Ljatoschynskyjs Sinfonie folgt dem traditionellen viersätzigen Schema, mit zwei Außensätzen in Sonatenhauptsatzform, einem langsamen Satz in Bogenform sowie einem Scherzo mit Trio.

Nahezu alle musikalischen Gedankengänge haben ihren Ursprung in der langsamen Einleitung zum ersten Satz. Insofern verfügt das Werk über einen auch beim Hören gut nachvollziehbaren inneren Zusammenhalt. Die Sinfonie sollte 1951 beim Kongress des Ukrainischen Komponistenverbandes uraufgeführt werden, die staatliche Zensur befand jedoch, das Konzept des Werkes sei nicht sowjetisch genug. Ljatoschynskyjs Werk wurde aus dem Programm gestrichen. Der Dirigent Natan Rachlin besaß dennoch die Chuzpe, die Sinfonie am 23. Oktober 1951 in einer öffentlichen Probe aufzuführen, welcher zahlreiche Freunde und Unterstützer des Komponisten beiwohnten. Erst nachdem Ljatoschynskyj den letzten Satz nach den Vorgaben der Kommunistischen Partei gravierend verändert hatte (siehe weiter unten im Text), wurde die offizielle Uraufführung genehmigt. Sie fand am 29. Dezember 1955 durch die Leningrader Philharmoniker unter der Leitung von Jewgeni Mrawinski statt.

Erster und Hauptsatz

Im Duktus düsterer Bedrohung meißeln Hörner, Posaunen und Tuba ein rohes Motto in unser aufnahmebereites Ohr, dass es schier weh tut.

Die Atmosphäre brütender Bedrückung wird noch verstärkt durch ein scharfes, sich anschließendes Motiv zweier Trompeten. Das Ganze mündet in einen schmerzvoll dissonanten Akkord, wie ihn Gustav Mahler in seinen letzten Werken erfunden haben könnte. Nach einem Zurücksinken ins Pianissimo sucht das Englischhorn, sekundiert von der Klarinette, in klagendem Tonfall und mit kleinschrittigen, richtungslosen Intervallen nach einem Ausweg. Posaune, Holzbläser und Hörner heulen Akkorde über die orchestrale Landschaft, das konstituierende Intervall ist die fallende kleine Septime. Die Streicher repetieren alle gemeinsam das unheilvolle Trompetenmotiv. Was kommt nun?

Borys Ljatoschynskyj löst die Spannung mit einem aufgeheizten, stark rhythmischen Thema im abrupt schnellen Zeitmaß Allegro impetuoso. Wenige Takte später verwandeln die Violinen das Englischhornsolo der Einleitung in ein leidenschaftliches Cantabile à la Rachmaninow. Die Harmonien verschärfen sich im Stile etwa von Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“. Dazwischen schaltet Ljatoschynskyj immer wieder elegische Klangflächen, aufgeladen von großer Sehnsucht nach innerem Frieden und Ruhe. Anklänge an orthodoxe Kirchenlieder und schwermütige Volksmelodien wechseln mit hektischen Abschnitten. Einer davon tritt ein Fugato los, das sich alsbald ausbreitet in einem selbstgefälligen Hymnus, der wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Auf immer neue Anläufe folgen immer neue Erschöpfungen, so dass sich eine Atmosphäre wie in einem großen Sinfoniesatz von Anton Bruckner einstellt. Ein Choral, gestört von unruhigen Streicherfiguren und nervösem Schlagzeug, manövriert den gewaltigen Kopfsatz in eine Coda, Allegro maestoso. Dort dominiert ein Tonfall wie in Mussorgskis „Das Große Tor von Kiew“, der nach allem Vorausgegangenen etwas bemüht und aufgesetzt wirkt, der eher neue Fragen aufwirft als welche zu beantworten.

Eintauchen in eine Märchenwelt

Der zweite Satz, Andante con moto, taucht ein in eine Märchenwelt. Über sanft wiegendem Ostinato aus tropfenden Harfenakkorden und Bratschenpizzikati, motivisch aus der Einleitung des ersten Satzes abgeleitet und somit wiederum die fallende kleine Septime betonend, erhebt sich das kühle Licht dreier Flöten. Poco solenne antworten ein Posaunenchor und eine zarte Celloelegie, beide abgeleitet aus der Englischhornphrase des ersten Satzes. Mit Hilfe des ebenfalls schon bekannten Volksliedthemas erzeugt Ljatoschynskyj den kostbaren Eindruck eines hingetupften Naturbildes. Dessen anfangs unterschwelliges Schreiten wächst sich in Folge buchstäblich Schritt für Schritt zu einem gewaltigen Marsch aus, der alles andere plattwalzt. Doch die alptraumartige Allgegenwart des Rohen und Gemeinen stoppt abrupt. Die stillen Kantilenen des Anfangs kehren wieder, das gewaltfreie Immerwährende, dem Jean Sibelius so oft sprechende Gestalt verliehen hat, bemächtigt sich allmählich des musikalischen Terrains, jubelt sich regelrecht empor. Dann schläft der Satz allmählich ein mit den Harfenakkorden und den Flötentönen des Anfangs.

Böses Erwachen

Nicht anders als zum Beispiel in Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 1 prasselt in die märchenhafte Idylle ein mutwilliges Scherzo hinein. Allegro feroce, mit brachialer Gewalt tobt der Satz los – und entpuppt sich als ein Aufstand fremdgesteuerter Marionetten und sonstiger übler Butzemänner. Man hört deutlich, wie die dreisten Gesellen – ganz wie in dem bekannten Kinderlied vom Bi-Ba-Butzemann – wild mit den Armen fuchteln und die Beine hinter sich werfen. Das vorhin erklungene Volkslied muss her, um dem gefährlichen Treiben Einhalt zu gebieten. Im Trioteil komponiert Borys Ljatoschynskyj anrührende Variationen über das Volkslied, vorgetragen von Oboe, Flöte und Klarinette, nunmehr fast nur noch Erinnerungen an die seelengute Volksweisheit. Fast scheint es, als könne das Lied seine hymnische Kraft wiedergewinnen, da wird es von den tobenden Mächten des Scherzos erneut verjagt. Doch auch den Stampfenden geht die Luft aus. Wie leere Ballons trudeln sie zu Boden, während die aus ihnen entwichene Luft ihre wieder gewonnene Freiheit genießt und sich graziös in die Höhe entfernt.

Triumph über die Banalität

Das Finale wurde zum großen Zankapfel der Sinfonie. Ljatoschynskyj hatte zunächst eine anspruchsvolle, sinfonisch komplexe Bilanz des eben vorausgegangenen Werkes komponiert.

Doch auch der Beiname der Sinfonie „Der Frieden wird den Krieg besiegen“, der mit plakativen Worten die Essenz des Werkes benennen sollte, nämlich die Verdrängung von Angst, Aggression und Gewalt durch Aufklärung, Toleranz und Besonnenheit, genügte den Ideologiewächtern nicht. Selbst die Widmung „An den Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ verpuffte unbeachtet. Denn die farbenreichen Töne des Finales erschienen den sowjetischen Musikbürokraten wie dem Fuchs die Trauben: zu sauer, weil zu hoch. So riefen sie unverhohlen und unverfroren nach einer einfachen, fröhlichen Botschaft, nach simplem Triumph des Weißen über das Schwarze – wie so oft in der Musikgeschichte der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken –, damit die Musik unmittelbar in die Beine fahre, statt in den Kopf oder gar ins Herz.

Um sein Werk vor dem Totalverbot zu retten, hat Borys Ljatoschynskyj 1954 der Sinfonie ein neues, stark vereinfachtes Finale geschrieben, das in seiner markigen Fröhlichkeit so überdreht ist, dass es schlicht betroffen macht. Selbstverständlich erklingt heute Abend das ursprüngliche Finale.

Noch einmal greift der Komponist hier auf die bereits bekannten musikalischen Motive und Themen zurück. Aber wie er sie in ihrer Aussage zu verwandeln vermag! Aus dem angstvoll beklommenen Eröffnungsmotiv des ersten Satzes wird nun eine resolute, positive Melodie, hervorgerufen durch kleine Veränderungen der Intervalle und der Harmonien. Fließend, singend spinnen die Violinen das zweite Hauptthema ebenfalls aus aufgefrischten Urzellen vom Anfang und reißen so nach und nach das ganze Orchester mit. In der Durchführung leistet sich Ljatoschynskyj eine Karikatur seines eigenen, martialischen Scherzosatzes, um schließlich über eine letzte herrliche Bratschenkantilene in die Zielgerade der Sinfonie einzubiegen. Die Wiederkehr des Volksliedes aus dem ersten Satz, gepaart mit feierlichem Choralfundament, freudigem Glockengeläut und jubelnden Violingirlanden krönt das schlussendliche „Trionfante“. Strahlendes, zuversichtliches H-Dur aus der Ukraine.

Kurzbiographien

Vladimir Jurowski

Vladimir Jurowski ist seit 2017 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Seinen Vertrag hat er mittlerweile bis 2027 verlängert. Parallel dazu ist er seit 2021 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.

Der Dirigent, Pianist und Musikwissenschaftler Vladimir Jurowski wurde zunächst an der Musikhochschule des Konservatoriums in Moskau ausgebildet. 1990 kam er nach Deutschland, wo er sein Studium an den Musikhochschulen in Dresden und Berlin fortsetzte. 1995 debütierte er beim britischen Wexford Festival mit Rimski-Korsakows „Mainacht“ und im selben Jahr am Royal Opera House Covent Garden mit „Nabucco“. Anschließend war er u.a. Erster Kapellmeister der Komischen Oper Berlin (1997– 2001) und Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera (2001–2013). 2003 wurde Vladimir Jurowski zum Ersten Gastdirigenten des London Philharmonic Orchestra ernannt und war von 2007 bis 2021 dessen Principal Conductor. Ebenfalls bis 2021 war er Künstlerischer Leiter des Staatlichen Akademischen Sinfonieorchesters „Jewgeni Swetlanow“ der Russischen Föderation und Principal Artist des Orchestra of the Age of Enlightenment in Großbritannien, außerdem Künstlerischer Leiter des Internationalen George-EnescuFestivals in Bukarest. Er arbeitet regelmäßig mit dem Chamber Orchestra of Europe und dem ensemble unitedberlin.

Vladimir Jurowski hat Konzerte der bedeutendsten Orchester Europas und Nordamerikas geleitet, darunter die Berliner, Wiener und New Yorker Philharmoniker, das Königliche Concertgebouworchester Amsterdam, das Cleveland und das Philadelphia Orchestra, die Sinfonieorchester von Boston und Chicago, das Tonhalle-Orchester Zürich, die Sächsische Staatskapelle Dresden und das Gewandhausorchester Leipzig. Er gastiert regelmäßig bei den Musikfestivals in London, Berlin, Dresden, Luzern, Schleswig-Holstein und Grafenegg sowie beim Rostropowitsch-Festival. Obwohl Vladimir Jurowski von Spitzenorchestern aus der ganzen Welt als Gastdirigent eingeladen wird, möchte er seine Aktivitäten zukünftig auf jenen geographischen Raum konzentrieren, der unter ökologischem Aspekt für ihn vertretbar ist.

Martin Helmchen

Martin Helmchen ist einer der gefragtesten Pianisten und konzertiert seit Jahrzehnten auf den wichtigsten Podien der Welt. Insbesondere die Originalität und Intensität seiner Interpretationen, die er mit beeindruckender Klangsensibilität und technischer Raffinesse präsentiert, zeichnen ihn als Musiker aus. Im Jahr 2020 wurde er mit dem prestigereichen Gramophone Music Award für seine Einspielung aller Klavierkonzerte von Ludwig van Beethoven mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Andrew Manze, die bei Alpha Classics erschien, ausgezeichnet.
Als Solist hat Martin Helmchen mit zahlreichen renommierten Orchestern konzertiert, darunter finden sich unter anderem die Wiener und Berliner Philharmoniker, das Concertgebouworkest, das Gewandhausorchester Leipzig, die Staatskapelle Dresden, das Tonhalle-Orchester Zürich, das NDR Elbphilharmonie Orchester, das Orchestre de Paris, die Wiener Symphoniker, das Philharmonia Orchestra London, das Boston Symphony Orchestra, Chicago Symphony, New York Philharmonic sowie The Cleveland Orchestra. Er arbeitet regelmäßig mit Dirigenten wie Herbert Blomstedt, Manfred Honeck, Andrew Manze, Kazuki Yamada, Vladimir Jurowski, Andris Nelsons, Christoph von Dohnányi, Jakub Hrůša, Klaus Mäkelä, Paavo Järvi, Sakari Oramo, Andrés Orozco-Estrada, Michael Sanderling und David Zinman.
Einen besonderen Stellenwert hat für ihn die Kammermusik – eine Leidenschaft, für die Boris Pergamenschikow die wesentlichen Impulse gab. Zu seinen engen Kammermusikpartnern gehören seine Ehefrau Marie-Elisabeth Hecker, Frank Peter Zimmermann, Julian Prégardien, Augustin Hadelich, Antje Weithaas und Carolin Widmann.
1982 in Berlin geboren, studierte er zunächst bei Galina Iwanzowa an der HfM „Hanns Eisler“ Berlin, wechselte später zu Arie Vardi an die HMTM Hannover; weitere Mentoren sind William Grant Naboré sowie Alfred Brendel. Einen ersten entscheidenden Impuls bekam seine Karriere, als er 2001 den „Concours Clara Haskil“ gewann. Seit
2010 ist Martin Helmchen Associate Professor für Kammermusik an der Kronberg Academy.

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Ofer, Erez
Wolters, Rainer
Nebel, David
Herzog, Susanne
Yoshikawa, Kosuke
Bondas, Marina
Kynast, Karin
Tast, Steffen
Pflüger, Maria
Morgunowa, Anna
Feltz, Anne
Polle, Richard
Behrens, Susanne
Oleseiuk, Oleksandr
Scilla, Giulia
Cazac, Cristin
Leung, Jonathan
Niskikawa, Chiaki

Violine 2

Contini, Nadine
Simon, Maximilian
Drop, David
Petzold, Sylvia
Seidel, Anne-Kathrin
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Manyak, Juliane
Hetzel de Fonseka, Neela
Bauza, Rodrigo
Färber-Rambo, Juliane
Bara-Rast, Anna
Palascino, Enrico
Kanayama, Ellie
Hagiwara, Arisa
Grossmann, Katharina

Viola

Rinecker, Lydia
Adrion, Gernot
Silber, Christiane
Zolotova, Elizaveta
Markowski, Emilia
Drop, Jana
Doubovikov, Alexey
Montes, Carolina
Inoue, Yugo
Yoo, Hyelim
Moon, Inha
Yu, Yue
Lötzsch, Anna
Balan-Dorfman, Misha

Violoncello

Eschenburg, Hans-Jakob
Riemke, Ringela
Breuninger, Jörg
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Boge, Georg
Weigle, Andreas
Bard, Christian
Kipp, Andreas
Kalvelage, Anna
Montoux-Mie, Romane
Kleimberg, Elise
Ricard, Cosnatnce

Kontrabass

Wagner, Marvin
Figueiredo, Pedro
Schwärsky, Georg
Buschmann, Axel
Ahrens, Iris
Gazale, Nhassim
Thüer, Milan
Moon, Junha
Zon, Jakub

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Flöte

Schaaff, Ulf-Dieter
Döbler, Rudolf
Schreiter, Markus

Oboe

Bastian, Gabriele
Vogler, Gudrun
Herzog, Thomas

Klarinette

Kern Michael
Pfeifer, Peter
Korn, Christoph

Fagott

Kofler, Miriam
Bench, Florian
Königstedt, Clemens

Horn

Kühner, Martin
Holjewilken, Uwe
Stephan, Frank
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Kasprianov, Roman
Ranch, Lars
Niemand, Jörg
Gruppe, Simone

Posaune

Alves, Filipe/Ducun, Inaki
Hauer, Dominik
Lehmann, Jörg

Tuba

Neckermann, Fabian

Harfe

Edenwald, Maud
Dessus, Anne

Schlagzeug

Tackmann, Frank
Thiersch, Konstantin
Sturm, Gunter
Azers, Juris
Münzberg, Martin
Wagner, Paul

Pauke

Wahlich, Arndt

Kooperation

Das Konzert wird am 18.04.2024 20.03 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur übertragen.

Bild- und Videorechte

Portraits Vladimir Jurowski © Peter Meisel
Portrait Martin Helmchen © Giorgia Bertazzi
Bilder Probe © Peter Meisel