Digitales Programm

Mo 03.04. Vladimir Jurowski

20:00 Kammermusiksaal Philharmonie

Joseph Haydn

Joseph Haydn
(1732 – 1809)
Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (Hob. XX,1) Sieben Sonaten mit einer Einleitung und am Schluss ein Erdbeben, Orchesterfassung von 1785

Olexandr Shchetinsky

„Agnus Dei“ für Orchester
(Uraufführung)

Victor Copytsko

„Tropus“ für Belarussisches Cymbalom und Orchester
(Uraufführung)

Sara Abazari

„De Profundis“ für Orchester
(Uraufführung)

Victoria Poleva

„Music is coming“ für Orchester mit Solovioline
(Uraufführung)

Anton Safronov

„Sitio … Lacrimae“ für Orchester
(Uraufführung)

Boris Filanovsky

„Consummatum est“ für Orchester
(Uraufführung)

Besetzung

Vladimir Jurowski, Dirigent

Nadzeya Karakulka, Cymbalom

Klaus Lederer, Rezitation

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Haydn zum Innehalten

Haydn, Sieben letzte Worte, kombiniert mit zeitgenössischen Werken aus Krisen- und Kriegsgebieten und Texten.

Das berühmte Werk von Joseph Haydn, welches die letzten Worte von Jesus Christus am Kreuz zum Gegenstand hat, entstand 1785 ursprünglich als Orchesterkomposition. In sechs langsamen Sätzen (und einem „Erdbeben“) werden die höchsten Nöte in Musik gesetzt, denen sich ein zu Tode gemarterter Mensch ausgesetzt fühlen kann. Die zeitlose Kraft dieser Musik bedarf einerseits zu ihrem Verständnis kaum der Textworte aus der Bibel, andererseits lädt sie dazu ein, sich aktuell und im Hier und Heute zu Haydns Werk in Beziehung zu begeben.

Vladimir Jurowski hat sechs Komponistinnen und Komponisten eingeladen, jeweils ein kurzes Orchesterwerk zu komponieren, welches diese Aufgabe erfüllt. Zugleich künden die sechs neuen Werke von den unmittelbaren Nöten ihrer Verfasser:innen. Denn alle sechs sind in Ländern beheimatet, in denen derzeit Krieg oder schwere politische Krisen herrschen: Ukraine, Iran, aber auch Belarus und Russland. In allen sechs Fällen reflektieren künstlerisch verantwortungsvolle Menschen ihre persönliche Betroffenheit, indem sie emotional berührend Position beziehen gegen Unrecht, Krieg und Gewalt.

Ergänzt werden die Musikstücke durch ausgewählte Lyrik.

Texte von Steffen Georgi ©

Programmablauf

Joseph Haydn

„Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ –
L‘Introduzione (Einleitung)
Maestoso ed Adagio

Oleksandr Shchetynsky

„Agnus Dei“ für Orchester (Auftragswerk des RSB, Uraufführung)
Lento

Joseph Haydn

Sonata I. Pater Pater dimitte illis, quia nesciunt, quid faciunt
(Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun).
Largo

Serhij Zhadan

Lesung „Nimm die wichtigsten Dinge“

Joseph Haydn

Sonata II. Hodie mecum eris in Paradiso
(Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradies sein).
Grave e cantabile

Victor Copytsko

„Tropus“ für Belarussisches Cymbalom und Orchester (Auftragswerk des RSB, Uraufführung)

Joseph Haydn

Sonata III. Mulier ecce filius tuus
(Weib, siehe, das ist dein Sohn).
Grave

Victoria Vita Poleva

„Music is coming“ für Orchester (Auftragswerk des RSB, Uraufführung)
Adagio

Anna Seghers

Lesung aus „Der Ausflug der toten Mädchen“
Gerda

Joseph Haydn

Sonata IV. Deus meus, Deus meus, utquid dereliquisti me?
(Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?)
Largo

Pause

Serhij Zhadan

Lesung „Ein halbes Jahr lang bleibt sie tapfer“

Joseph Haydn

Sonata V: Sitio
(Mich dürstet)
Adagio

Anton Safronov

„Sitio … Lacrimae / Жажда … Слёзы” – Interludium für Orchester (Auftragswerk des RSB, Uraufführung)

Joseph Haydn

Sonata VI. Consummatum est
(Es ist vollbracht!)
Lento

Boris Filanovsky

„Consummatum est“ für Orchester (Auftragswerk des RSB, Uraufführung)

Joseph Haydn

Sonata VII. In manus tuas Domine, commendo spiritum meum
(Vater, in deine Hände ich empfehle meinen Geist)
Largo

Anna Seghers

„Der Ausflug der toten Mädchen“
Leni

Sara Abazari

„De Profundis“ für Orchester (Auftragswerk des RSB, Uraufführung)

Joseph Haydn

Il Terremoto (Ein Erdbeben).
Presto con tutta la forza

Joseph Haydn

„Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“

Sieben letzte Worte, die ein Anfang sein wollen

Joseph Haydn

Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze

Sieben Sonaten mit einer Einleitung und am Schluss ein Erdbeben Hob. XX:1

(Originalfassung für Orchester, 1785)

Heute Abend erklingt Joseph Haydns denkwürdige Komposition „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ in der Originalfassung für Orchester aus dem Jahre 1785. Darin manifestiert sich ganz im generellen Sinne der klassischen Musik ein überzeitliches und nicht räumlich einzugrenzendes, allgemeinmenschliches Anliegen.

Haydn berichtet, dass er 1785 von einem Domherrn aus dem spanischen Cadiz, Padre Santamaría (José Sáenz de Santa María, Marqués de Valde-Iñigo, 1738-1804), ersucht worden sei, eine meditative Instrumentalmusik auf die sieben Worte Jesu Christi am Kreuze zu komponieren. Vermutlich am 6. April 1787 wird das Oratorio de la Santa Cueva, eine innen schwarz verhüllte Kirche, zum Schauplatz der Zeremonie. Der Priester liest jeweils eines der sieben Jesusworte, stellt eine Betrachtung dazu an und kniet anschließend eine Zeitlang vor dem Altar nieder. In dieser Zeit erklingt die entsprechende Instrumentalmusik von Haydn. Deren sieben langsamen Sätze ohne äußerlichen Kontrast geben der Trauer Ausdruck, keine Aufgabe „von den leichtesten“, wie Haydn selber sagt. In fünf Sätzen (außer Nr. 5 und 7) unterlegt der Komponist den Anfang der Stimme der 1. Violine rhythmisch und deklamatorisch mit dem jeweiligen Jesus-Wort in lateinischer Sprache. Gleichwohl unterscheiden sich die Sätze im Charakter. Dem Pathos der Einleitung, das Christus noch als Triumphator zeigt, antworten die chromatischen Seufzer des ersten Wortes und die Kantabilität der Paradiesverheißung des zweiten. Sanft tönt der Dialog mit der Mutter und mit Johannes, bohrend die Fragen des vierten Wortes. Von Verhaltenheit zur Anklage steigert sich das „Mich dürstet“, Schmerz und Trost erfüllen das „Es ist vollbracht“. Schließlich erbebt die Erde, bevor der Vorhang im Tempel symbolisch zerreißt.

Das Orchesterwerk erlebt am 26. März 1787 die erste Aufführung im Palais Auersperg in Wien. Sofort verbreitet sich sein Ruf auch im Ausland. Berlin, London, Neapel und Paris warten mit Notenausgaben auf. Haydn lässt eine Version für Streichquartett und ein Arrangement für Klavier folgen. Nach der zweiten Englandreise – die Sieben Worte sind in ganz Europa inzwischen populär – hört er 1795 in Passau eine Aufführung mit unterlegtem Text und verkündet: „Die Singstimmen, glaube ich, hätte ich besser gemacht.“ Gesagt, getan. Doch geschieht etwas Besonderes dadurch, dass Haydn den Instrumentalpart gewichtiger und wichtiger belässt als den vokalen, er übernimmt ihn unverändert aus der Orchesterfassung in die Oratorienfassung, fügt die Singstimmen lediglich „begleitend“ hinzu.

Haydn hier und heute

Vladimir Jurowski hat entschieden, die Lektüre der in der Bibel zu findenden sieben letzten Aussagen von Jesus Christus vor seinem Tod am Kreuz dem aktiven Mitvollzug durch die Zuhörerinnen und Zuhörer zu überlassen. Stattdessen kommentieren im heutigen Konzert ausgesuchte zeitgenössische Kompositionen und Texte aus Krisen- und Kriegsgebieten unserer Zeit die originale Haydnsche Orchestermusik.

Wenn Joseph Haydn laut Heinz Josef Herbort unmittelbar auffordert „zur Wahrnehmung der extremen Grade körperlicher wie geistiger Qualen dessen, der hier auf brutalste Weise hingerichtet wurde – und jener Ungezählten, die allenthalben auf ähnliche Weise verlassen, gepeinigt, gemordet werden“, so wird am heutigen Konzertabend der Vorhang im Tempel – in Anlehnung an die Evangelien – förmlich zerrissen von obenan bis untenaus: Menschen anderen Glaubens, anderer Kulturen, anderer Herkunft, anderen Geschlechts, anderer Sozialisation sind eingeladen und einbezogen in das Nachdenken über Menschlichkeit und Zuversicht, über das Benennen und die Abwehr von Egoismus und Machtmissbrauch. Und auch in das Einfühlen über das Vergebenkönnen.

„Letztlich transzendiert die Interpretation den inneren Kreis eines christlichen Glaubens und Gottesverständnisses und bezieht auf quasi gesamt-ökumenische Weise die humane Position des mit allen Opfern Mit-Leidenden, aber auch dessen, der auf eine wie auch immer beschaffene Vollendung hin lebt.“ (Herbort)

Wie sieht Joseph Haydn seinen Anteil an diesem unerhörten Vorgang? Dem Londoner Verleger William Forster kündigt er am 8. April 1787 an: „ein ganz neues werck. bestehend in blosser Instrumental Music, abgetheilt in 7 Sonaten, wovon jede Sonate 7 bis 8 Minuten dauert, nebst einer vorhergehenden Introduction, zu lezt ein Terremoto, oder Erdbeben. diese Sonaten sind bearbeitet, und angemessen über die wort, so Christus unser Erleser am Creutz gesprochen. [...] Jedwede Sonate, oder Jedweder Text ist bloss durch die Instrumental Music dergestalten ausgedruckt, dass es den unerfahrensten den tiefesten Eindruck in Seiner Seel Erwecket, das ganze werk dauert etwas über eine stunde, es wird aber nach jeder Sonate etwas abgesetzt, damit man voraus den darauf folgenden Text überlegen köne.“

Wohlan. Folgen wir also Haydns Aufforderung, den betreffenden Kontext selbst einzubringen.

Sara Abazari

„De Profundis“ für Orchester

Auftragswerk des RSB, Uraufführung

Am Ende stehen wütende Trompetenschreie über hämmernden Pauken, emporgehoben von einem aus vielen Einzelstimmen vereinten Streicherchor. „De Profundis“ nennt Sara Abazari ihr Werk, das sie für das heutige Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) binnen weniger Wochen im Frühjahr 2023 komponiert hat. Sie widmet es dem „Zan Zendegi Azadî“-Aufstand in Iran.

Zan Zendegi Azadî – Frau Leben Freiheit – Jin Jiyan Azadî. Das sind die zentralen Begriffe des aktuellen Protestes im Iran. Sie beziehen sich auf den gewaltsamen Tod der kurdischen Iranerin Mahsā Jîna Amīnī, die am 16. September 2022 an den Folgen brutaler Polizeigewalt verstorben ist, nachdem sie von der Teheraner Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihr Kopftuch nicht „ordnungsgemäß“ getragen hatte. In den Protesten, die seither gegen die im Iran herrschenden gewaltsamen, patriarchalen und autoritären politischen Strukturen im ganzen Land stattfinden, geht es um die Gleichberechtigung der Geschlechter. Inzwischen geht es um noch viel mehr, es geht um die Befreiung der gesamten Gesellschaft von Bevormundung und Unterdrückung.

Sara Abazari, geboren in Teheran, ist Komponistin und Musikpädagogin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die musikalische Analyse verschiedener Epochen und die Erforschung der Beziehung zwischen Musik und Gesellschaft. Ihre kompositorischen Werke wurden u.a. bei der Musik-Triennale-Köln, dem Musikfest in Siegen, Tehran-Berlin Travellers und traiect ii sowie von Ensembles wie unitedberlin und Musikfabrik uraufgeführt. Sie studierte Klavier bei Farimah Ghawamsadri und Komposition bei Alireza Mashayekhi und setzte ihr Studium in Komposition bei Kryzsztof Meyer, Musiktheorie bei Johannes Schild und Martin Herchenröder und Klavier bei Klaus Oldenmeyer an der Hochschule für Musik und Tanz Köln fort. Sie promovierte in Musiktheorie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien bei Dieter Torkewitz mit einer umfangreichen Arbeit über „Musik und Macht im Iran“. Sie war Mitglied der Musikfakultät an der Universität Teheran und gründete dort 2017 das Ensemble und Zentrum für Neue Musik, das bis 2020 zahlreiche internationale Konzerte, Workshops und Festivals veranstaltet hat. Artikel über die Neue Musik im Iran sowie „Musik und Macht – Über die Freiheit der ‚freien‘ Musikszene im Iran“ erschienen 2019 und 2021 in Fachpublikationen in Deutschland.

De profundis clamavi – Aus der Tiefe rufen wir…, so verbindet Sara Abazari die aktuellen Geschehnisse in der iranischen Gesellschaft mit der christlich-humanistischen Tradition, die aus dem Werk von Joseph Haydn spricht.

In Sara Abazaris Komposition wird die anfangs einzelne, verzagte Stimme hörbar, die sich allmählich mit anderen Individuen zur Vielstimmigkeit verbindet. Dabei unterscheiden sich die mehrfach geteilten Partien aller beteiligten (und durch die Haydn-Orchesterbesetzung vorgegebenen) Instrumente anfangs in Tonhöhe und Moment ihrer Aktivierung, nicht aber in der rhythmischen Stringenz ihrer Aussage. Bis zum dynamischen und emotionalen Höhepunkt genau in der Mitte des Werkes wachsen auch die rhythmischen Impulse zusammen, so dass die musikalische Botschaft gemeinsam artikuliert wird – bis sie sich von harten Paukenschlägen förmlich zerschmettern lassen muss. Nachfolgende neue Versuche der Selbstfindung münden über ein verstecktes Zitat aus Gustav Mahlers „Kindertotenliedern“ in den erwähnten Aufschrei am Schluss des Werkes.

Victoria Poleva

„Music is coming“ für Orchester

Auftragswerk des RSB, Uraufführung

Victoria Vita Poleva wurde in einer ukrainischen Musikerfamilie geboren – ihr Großvater war ein bekannter Sänger und ihr Vater Komponist.  Sie studierte Komposition in den 1980er-Jahren bei Ivan Karabyts und anschließend im Rahmen einer Aspirantur bei Levko Kolodub am Kyiver Konservatorium, wo sie von 1990 bis 2005 selber das Fach Komposition unterrichtete. Seit 2005 ist sie als freischaffende Komponistin tätig. In ihren frühen Werken, darunter in dem Ballett „Gagaku“, in „Transforma“ für Sinfonieorchester und in „Anthem“ für Kammerorchester praktizierte Victoria Poleva einen modernen avantgardistischen Stil. Ihre Ästhetik wandelte sich grundlegend seit den späten 1990er-Jahren hin zu einer entwaffnenden Einfachheit, die sie zunehmend mit spirituellen Themen und geistlichen Texten verknüpfte.

In der Fachwelt wurden viele von Victoria Polevas Orchester-, Chor-, Vokal- und Kammermusikwerken als „sakraler Minimalismus“ eingeordnet und immer wieder mit internationalen Kompositionspreisen ausgezeichnet.

Im 21. Jahrhundert beauftragten Künstler wie Gidon Kremer und das Kronos Quartet Victoria Poleva mit neuen Werken. Es entstanden „Warm Wind“ für Kremers Konzertzyklus „Sempre Primavera“ (2005), „The Art of Instrumentation“ (2010) und „Walking on Waters“ (2013). Sie war Composer-in-Residence 2006 beim Menhir-Kammermusikfestival (Schweiz), 2011 beim 30. Festival in Lockenhaus (Österreich) und 2013 beim Festival of Contemporary Music Darwin Vargas (Chile). Im Jahr 2009 wurde ihre „Ode an die Freude“ für Solisten, gemischten Chor und Sinfonieorchester im Rahmen eines internationalen Konzertes zum Gedenken an den Fall der Berliner Mauer aufgeführt. Unter den weltweit agierenden Ensembles, Dirigenten und Solisten, die sich der Aufführung von Victoria Polevas Musik widmen, ist auch die ukrainische Dirigentin Natalia Ponomarchuk, die im Dezember 2022 das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin dirigiert hat.

Die für das heutige Konzert entstandene Komposition „Music is coming“ ist von einer derart zarten Schönheit, dass man kaum glaubt, sich in der musikalischen Gegenwart zu befinden. Victoria Poleva ist nach einer langen kompositorischen Entwicklung bei dieser verletzlichen Musik angekommen. Sie weiß hörbar um die langsamen Sätze aller Sinfonien von Gustav Mahler, über deren Herzensbotschaft der Musikhistoriker Rudolf Stephan einmal gesagt hat, sie seien fähig, der gesamten Menschheit tröstend über den Kopf zu streichen.

Oleksandr Shchetynsky

„Agnus Dei“ für Orchester

Auftragswerk des RSB, Uraufführung

Mit Oleksandr Shchetynsky begegnen wir einer weiteren wichtigen Stimme der neueren ukrainischen Musik.

In Charkiw geboren und ausgebildet, gehört Olexandr Shchetynsky der nächsten Generation nach Valentin Silvestrov an. Zugleich repräsentiert er eine andere Strömung in der ukrainischen Musik. Im Gegensatz zu Silvestrovs meditativer neuer Romantik bezieht sich Shchetynsky unüberhörbar auf die aus Anton Webern hervorgegangenen postseriellen Strömungen, die in der früheren Sowjetunion u.a. von Komponisten wie Edison Denissow gepflegt worden sind. Shchetynskys musikalische Sprache stellt sich der Herausforderung, komplexe Strukturen mit ausdrucksstarker Direktheit und spirituellem Impuls in Einklang zu bringen. Ihre poetische Qualität rückt sie bisweilen unvermutet in die Nähe der Neuen Romantik, mit der sie vor allem die Eindringlichkeit gemeinsam hat.

Werke von Oleksandr Shchetynsky gehören mittlerweile europaweit zum Konzertrepertoire. Das heute erstmals erklingende „Agnus Dei“ entstand direkt für das heutige Konzert und denkt seine Einbettung in Haydns „Sieben letzte Worte“ mit. „Die schrecklichen Ereignisse des russisch-ukrainischen Krieges bestimmten die dramatische emotionale Atmosphäre dieses Werkes. Sein Hauptanliegen ist der Versuch, eine Harmonie zu finden rund um ganze Schichten von undeutlichen und verschwommenen Klangpunkten. Von Zeit zu Zeit werden die überwiegend atonale, cluster-ähnliche Harmonik und das extrem polyphone Geflecht von chromatischen Instrumentallinien umgewandelt in quasi-tonale Mischungen – wie ein Hoffnungsschimmer, der unerwartet ausbricht aus einem Strudel bedrohlicher Kräfte. Damit spiegelt das Werk metaphorisch die Wirkung des liturgischen Gebets Agnus Dei wider.“ (Oleksandr Shchetynsky)

Ganz am Schluss bleibt von dieser intensiven Musik ein zartes D-Dur-Flageolett übrig.

Boris Filanovsky

„Consummatum est“ für Orchester

Auftragswerk des RSB, Uraufführung

„Ich glaube, dass angesichts des hoffnungslosen Leids alle Worte über die erhebende Wirkung der Kunst Heuchelei sind. Nur ein dokumentarischer Ansatz kann ehrlich sein, aber auch er ist ohne Formalismus undenkbar.“ Boris Filanovsky, geb. 1968 in Leningrad (heute St. Petersburg), macht sich und uns keine Illusionen über den Zustand der Welt. Das Zitat, gesprochen 2009 in Berlin zur deutschen Erstaufführung seiner musikalisch bestürzenden Komposition „bsdnm – hmlss – bdchls“ (obdachlos) für Stimme, Streichtrio und Akkordeon könnte das Motto seiner Kompositionsästhetik sein – „wenn diese überhaupt auf einen Kern zu fokussieren ist. Denn kompositionstechnisch zeichnet sich sein Schaffen durch eine vielfältige Nutzung des reichen Fundus der Avantgarde des 20. Jahrhunderts aus: serielle Technik und offene Formen, Methoden der musique concrète instrumental, experimentelle Vokal- und Atemtechniken, Unbestimmtheit, Arbeit mit Mikrointervallen oder mit Maschinen als Klangkörper“ (Gisela Nauck). Filanovsky ignoriert häufig Konstanten der abendländischen Musik, zum Beispiel die sogenannte Werkidee und die Kontrolle des klanglichen Endresultats einer Komposition. Für ihn sind das Komponieren und auch das Musizieren Prozesse der unmittelbaren Klangerzeugung – Fehler, Vergeblichkeit und Scheitern sind ausdrücklich mit einkalkuliert und durchaus gewollt.

Ironie trifft auf Klangrealismus, der doch nie soziale und allgemeinmenschliche Aspekte aus den Augen verliert. Als Mitinitiator und Mitglied der 2005 gegründeten „Structural Resistance Group“ von jungen russischen Komponisten setzte er sich bis zum Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine für die Überwindung eines in Russland herrschenden, eschatologischen Konservativismus und für individuelle Selbstbestimmung der jungen Künstlergenerationen ein.

Ausgebildet u.a. beim Schostakowitsch-Schüler Boris Tishchenko in St. Petersburg, wurde Boris Filanovsky 1998 zu einem Studienaufenthalt über musikalische Informatik an das renommierte IRCAM (Forschungsinstitut für Akustik/Musik) nach Paris eingeladen. Er besuchte Meisterkurse für Komposition bei Louis Andriessen, Paul-Heinz Dittrich und beim Arditti-Quartett. Aufführungen und Auszeichnungen führten ihn in zahlreiche Zentren der zeitgenössischen Musik in aller Welt. 2013/2014 verbrachte er als Artist-in-Residence des Berliner Künstlerprogramms des DAAD ein Jahr in Berlin. Die deutsche Hauptstadt wirkte so inspirierend auf ihn, dass Boris Filanovsky seit 2014 mit seiner Familie in Berlin lebt.

Victor Copytsko

„Tropus“ für Belarussisches Cymbalom und Orchester

Auftragswerk des RSB, Uraufführung

Belarus, so die offizielle Bezeichnung für Weißrussland, ist mehr als „die letzte Diktatur Europas“, wie sie oft tituliert wird. Wieviel Wärme Land und Leute besitzen, zeigen viele in diesem Land geborene Künstlerinnen und Künstler, auch wenn sie mittlerweile nicht mehr in ihrer Heimat leben können.

Victor Copytsko wurde 1956 in Minsk geboren. Seit dem 13. Lebensjahr systematisch mit Musik beschäftigt, studierte er von 1975 bis 1982 am Leningrader Rimski-Korsakow-Konservatorium. 1982 brach in Leningrad ein Skandal um Copytkos Liedzyklus „Sechs Gedichte von Alexander Puschkin“ aus, der von den prokommunistischen Kreisen des Leningrader Konservatoriums initiiert worden war.

Über den jungen Komponisten wurden Denunziationen bis hin zum Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU weitergeleitet, weil er am Konservatorium den Ausnahmezustand provoziert habe, indem er ein Werk komponierte, „das Carters Doktrin der Menschenrechtsbewegung in der UdSSR unterstützt“. Kurz zuvor, 1980, hatten „Sechs Gedichte von Alexander Puschkin“ den Kammermusikpreis beim Allunionswettbewerb für junge Komponisten in Moskau gewonnen.

In der weißrussischen Musikszene und darüber hinaus fiel das Interesse am Werk und an der Person des Komponisten mit der Welle der weißrussischen nationalen Wiedergeburt Anfang der 1990er-Jahre zusammen. Seit damals wurde die Musik des Komponisten von Musikern sowie auf Festivals in Europa, dem Nahen Osten, der Türkei und den USA aufgeführt.

Victor Copytsko lebt derzeit in Minsk. Er arbeitet hauptsächlich als freier Künstler, in Zusammenarbeit mit verschiedenen philharmonischen Organisationen, Theatern und Filmstudios. Seit Herbst 2022 ist die Aufführung von Victor Copytskos Musik in philharmonischen Organisationen in Belarus aufgrund seiner politischen Antikriegshaltung und seiner antiautoritären Kompositionen verboten.

Copytsko ist schöpferischer Kosmopolit. Er bewegt sich in einem ästhetischen und stilistischen Kontinuum, das nicht von nationaler, konfessioneller oder sonstiger Identität determiniert ist. Das Hauptmerkmal seines Kompositionsstils ist die mehrdimensionale und nichtlineare Synthese von Kompositionstechniken und -prinzipien verschiedener Epochen. Während manche Kreise der musikalischen Avantgarde die Emanzipation der Dissonanz proklamierten, fühlte sich Copytsko stets der Tonalität verpflichtet. Er setzte sich für eine neue Emanzipation der Konsonanz ein und strebte nach ursprünglicher diatonischer Reinheit und nach nicht-trivialen Existenzformen der Musik. Zu seinen Hauptwerken gehören zwei Opern, eine Messe zu Ehren des heiligen Franz von Assisi, das Oratorium „Chimes“ nach einer anonymen slawischen Komposition aus dem 18. Jahrhundert, zahlreiche Kammer-Solokantaten, die Kammersinfonie „Scenes from the Bible“, Orchesterwerke, Instrumental- und Vokalkammermusik, Werke für Chor, Musik für Theater und Film. Vor allem seine Kompositionen für den Film wurden bei nationalen und internationalen Filmfestivals mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Das neue, heute erklingende Werk für belarussisches Cymbalon und Orchester ist der jungen belarussischen Künstlerin Arina Tsytlenok gewidmet.

Anton Safronov

„Sitio … Lacrimae / Жажда … Слёзы” – Interludium für Orchester

Auftragswerk des RSB, Uraufführung

„Komponieren bedeutet für mich eine stete Suche jener Sprache, die jedes Mal mit einer konkreten Aufgabestellung zusammenkommt. Zeitgenössisch zu sein bedeutet für mich nicht die Abhängigkeit von diversen Klischees gegenwärtiger Musik, sondern – ganz im Gegenteil – es fängt erst dort an, wo diese überwunden werden können.”

Der Komponist Anton Safronov wurde 1972 in Moskau geboren. Dort studierte er Komposition am Tschaikowsky-Konservatorium bei Edison Denissow. Es folgten Aufbaustudien bei Walter Zimmermann in Berlin und bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe, Meisterkurse bei Beat Furrer, bei Peter Ruzicka, Nachwuchsforum mit dem Ensemble Modern, Auszeichnungen bei internationalen Kompositionswettbewerben, Stipendien (darunter des DAAD, des Berliner Kultursenates, der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR) u.a. Die Werke von Anton Safronov wurden bei zahlreichen internationalen Festivals aufgeführt und vielfach auf CD dokumentiert. Dabei arbeitete der Komponist mit renommierten Orchestern und Dirigenten in Großbritannien, Belgien, Niederlande, Russland, Italien und Deutschland zusammen. Neben den eigenen Kompositionen setzt sich Anton Safronov mit Werken anderer Komponisten auseinander: Seine anhand der Original-Skizzen vervollständigte Fassung der „Unvollendeten“ h-Moll-Sinfonie von Schubert, seine Rekonstruktion des verschollenen Ballett-Zwischenspiels aus Mozarts „Ascanio in Alba“ und seine komponierte Übergänge zu Wagners „Ring des Nibelungen“ (für das Theater an der Wien) wurden unter der Leitung von Vladimir Jurowski, Constantin Trinks und Andrey Boreyko aufgeführt.

Anton Safronov lebt in Berlin, unterrichtet an der Universität der Künste (UdK), tritt international mit Meisterkursen und Gastvorträgen auf und organisiert Projekte für zeitgenössische Musik. Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat der Komponist seine öffentlichen Aktivitäten in staatlichen Einrichtungen Russlands eingestellt. Sein jüngstes Werk, das Streichquartett „DIE STERNE“, im Auftrag des Deutschandfunks für das Sonar-Quartett Berlin komponiert, widmete er „dem Himmlischen Engel der Kinder im Krieg“.

Das Interludium „Sitio … Lacrimae / Жажда … Слёзы“ ist im Frühjahr 2023 entstanden „im Andenken an die Opfer des unendlichen Krieges. Dieses Werk, das für die Uraufführung zwischen den Sonaten V und VI von Haydns ‚Sieben letzten Worten unseres Erlösers am Kreuze‘ komponiert wurde, ist eine Verwandlung ‚vom Dursten zum Tränen‘, ein Erlebnis des berühmten Passionsmotivs und seiner Umsetzung in Töne, die Haydn mit äußerster Prägnanz, symbolischer und zugleich unglaublicher Sinnlichkeit verwirklicht hat. Dieses Motiv lässt sich auch in dem neuen Werk erblicken. Gleichzeitig stelle ich es in die heutige Perspektive, in eine Situation der gegenwärtigen Tragödie, in der Tausende von Menschen durch Bombenangriffe und Massenmorde getötet werden und dieses Leiden kein Ende hat…“ (Anton Safronov, März 2023)

Abendbesetzung, Kurzbiographien

Vladimir Jurowski

Vladimir Jurowski ist seit 2017 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Seinen Vertrag hat er mittlerweile bis 2027 verlängert. Parallel dazu ist er seit 2021 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.

Der Dirigent, Pianist und Musikwissenschaftler Vladimir Jurowski wurde zunächst an der Musikhochschule des Konservatoriums in Moskau ausgebildet. 1990 kam er nach Deutschland, wo er sein Studium an den Musikhochschulen in Dresden und Berlin fortsetzte. 1995 debütierte er beim britischen Wexford Festival mit Rimski-Korsakows „Mainacht“ und im selben Jahr am Royal Opera House Covent Garden mit „Nabucco“.

Anschließend war er u.a. Erster Kapellmeister der Komischen Oper Berlin (1997– 2001) und Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera (2001–2013). 2003 wurde Vladimir Jurowski zum Ersten Gastdirigenten des London Philharmonic Orchestra ernannt und war von 2007 bis 2021 dessen Principal Conductor.

Nadzeya Karakulka

Nadzeya Karakulka ist in Maladzechna (Belarus) geboren worden. Mit sieben Jahren zieht sie mit ihrer Familie nach Minsk um und beginnt dort belarussisches Zymbal zu spielen. Seit 2007 studiert Nadzeya Karakulka Zymbal an der Belarussischen staatlichen Musikakademie bei Professor Evgeni Gladkov. 2012 absolviert sie ihr Bachelorstudium und legte 2013 die Masterprüfung ab. In diesen Jahren gewinnt sie etliche Preise bei nationalen und internationalen Wettbewerben. Jedes Jahr spielt sie Solokonzert an der Musikakademie und 2013 ein Solokonzert in der Belarussischen Staatlichen Philharmonie.

Während und nach dem Studium nimmt Nadzeya an musikalischen Projekten des „Polnischen Instituts in Minsk“ teil. Außerdem arbeitet von 2008 bis 2016 als Zymballehrerin. 2014 gründet sie mit vier Musikern das Projekt „Amalgama“. 2015 spielt sie mit Musica Antiquea Mediterrania Barockmusik beim Festival „Musiksommer am Zürichsee“,  in Konzerten „Natale in Villa Mozzecane“ in Verona. 2016 nimmt sie am Festival „Musik in den Häusern der Stadt“ (Köln) teil. 2017 mit dem Trio Volklassik wird sie Stipendiatin der "Werner Richard-Dr. Carl Dörken"-Stiftung. Nadzeya Karakulka ist in Konzerten in Russland, der Ukraine, Litauen, Lettland, Polen, Romänien, Italien, Spanien, der Schweiz, Frankreich und Deutschland aufgetreten. Seit 2021 ist sie aktive Mitwirkende bei dem Projekt „Music for Belarus“.

Klaus Lederer

Geboren 1974 in Mecklenburg, verbrachte Klaus Lederer seine Kindheit und frühe Jugend in Frankfurt an der Oder. Nach dem Ende der DDR engagierte er sich in linken Jugendverbänden und seit 1992 in der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS). Sein Studium der Rechtswissenschaften bis zur Promotion zum Dr. jur. an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, die Arbeit in der PDS und für sie in der Kommunalpolitik füllten seine 1990er-Jahre. Im Dezember 2005 wurde Klaus Lederer zum Landesvorsitzenden der LINKEN in Berlin gewählt. Er blieb an der Spitze des Landesverbandes bis zum Dezember 2016.

Von 2003 bis Januar 2017 war Klaus Lederer Mitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, dem Parlament des Bundeslandes Berlin und dort rechtspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. Seit Dezember 2016 ist Dr. Klaus Lederer Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin.

Olexandr Shchetinsky

Der ukrainische Komponist Oleksandr Shchetynsky (geb. 1960) wurde bei sechs internationalen Komponistenwettbewerben in Österreich, Frankreich, Luxemburg, Polen und der Schweiz ausgezeichnet. Sein Werkverzeichnis umfasst Kompositionen in vielen Formen, von solistischer Instrumental- und Kammermusik über Orchester- und Chorwerke bis hin zu Opern. Zu seinen neuesten Werken gehören Lacrimosa für 6 Instrumente, 2022 War Trio für Violine, Trompete und Klavier und Four Ukrainian Tunes für Klavier. Sein Stil verbindet moderne und avantgardistische Idiome mit individuellen Ansätzen einer Polystilistik. Im Jahr 2018 nahm er seine Lehrtätigkeit an der Nationalen Universität der Künste in Charkiw wieder auf.

Victor Copytsko

Victor Copytsko (geb. 1956) begann im Alter von 13 Jahren, professionell Musik zu studieren, und begann gleichzeitig zu komponieren. In den Jahren 1971-1975 war er Student an der Spezialmusikschule der Belorussischen Musikakademie. In den Jahren 1975-1982 studierte er am Leningrader Rimski-Korsakow-Konservatorium.

Der Komponist hat intensiv mit Ensembles wie dem Solistenensemble "Classic-Avant-Garde", dem Staatlichen Kammerorchester der Republik Belarus, dem Ensemble "Kammersolisten von Minsk", dem Staatlichen Kammerchor der Republik Belarus, dem Russian Chamber Choir of New York (RCCNY), dem Ensemble of Drummers von Mark Pekarsky und dem Alta Capella Ensemble für Alte Musik zusammengearbeitet.

Er ist Preisträger des Nationalen Filmpreises der Republik Belarus (2018) und erhielt das Ehrendiplom "Lyra" des internationalen Festival-Wettbewerbes "Florida Keys" (2022; für einen herausragenden Beitrag zur Kunst, der der Ukraine gewidmet ist).

Seit Herbst 2022 ist die Aufführung von Victor Copytskos Musik in philharmonischen Organisationen in Belarus aufgrund seiner Antikriegs- und antiautoritären Kompositionen und politischen Pamphlete verboten.

Sara Abazari

Sara Abazari,geboren in Teheran, ist eine Komponistin und Musikpädagogin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die musikalische Analyse verschiedener Epochen und die Erforschung der Beziehung zwischen Musik und Gesellschaft. Ihre kompositorischen Werke wurden u.a. bei der Musik-Triennale-Köln, dem Musikfest in Siegen, Tehran-Berlin Travellers und traiect ii sowie von Ensembles wie unitedberlin und Musikfabrik uraufgeführt. Sie studierte Klavier bei Farimah Ghawamsadri und Komposition bei Alireza Mashayekhi. Sie setzte ihr Studium in Komposition bei Krzyzstof Meyer, Musiktheorie bei Johannes Schild und Martin Herchenröder und Klavier bei Klaus Oldenmeyer an der Hochschule für Musik und Tanz Köln fort. Sie promovierte in Musiktheorie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien mit einer Arbeit über "Musik und Macht im Iran" bei Dieter Torkewitz. Sie war Mitglied der Musikfakultät an der Universität Teheran und gründete dort 2017 das Ensemble und Zentrum für Neue Musik, das bis 2020 zahlreiche internationale Konzerte, Workshops und Festivals veranstaltet hat.

Victoria Poleva

Victoria Vita Polevá ist eine ukrainische Pianistin und Komponistin. Sie wurde am 11. September 1962 in Kiew, Ukraine, als Tochter des Komponisten Valery Polevoy geboren. Die Bandbreite ihrer Kompositionen umfasst Sinfonie-, Chor- und Kammermusik. Die frühen Werke von Victoria Polevá waren mit der Ästhetik der Avantgarde und der Polystilistik verbunden (Ballett "Gagaku", "Transform" für Sinfonieorchester, "Anthem" für Kammerorchester, "Еpiphany" für Kammerensemble, Kantaten "Horace's ode", "Gentle light"). Ab den späten 1990er-Jahren wurde ihre Musik stilistisch mit dem "sakralen Minimalismus" identifiziert. Eine wichtige Periode in Victoria Polevás Schaffen ist mit intensiven Studien und der musikalischen Umsetzung von Texten aus Gottesdiensten verbunden.

Anton Safronov

Der Komponist wurde 1972 in Moskau geboren. Dort studierte er Komposition am Staatlichen Peter-Tschaikowski-Konservatorium bei Edison Denisov, es folgten Aufbaustudien bei Walter Zimmermann in Berlin und bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe, Meisterkurse bei Beat Furrer, bei Peter Ruzicka, Nachwuchsforum mit dem Ensemble Modern, Auszeichnungen bei internationalen Kompositionswettbewerben, Stipendien (darunter des DAAD, des Berliner Kultursenates, der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR) und künstlerische Aufenthalte an der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom, an der Akademie Schloss Solitude Stuttgart, im Künstlerhof Schreyahn, in der Stadt Baden-Baden (das Baldreit-Stipendium) u.a.

Die Werke von Anton Safronov wurden an zahlreichen internationalen Festivals aufgeführt (darunter MaerzMusik Berlin, Münchener Biennale, ISCM World Music Days und ECLAT-Festival in Stuttgart, Dresdener Tage für Zeitgenössische Musik, The Gaudeamus Music Week in Amsterdam, Schnittke Festival in London, Musikbiennale Zagreb, „Another Space“ der Moskauer Philharmonie) und vielfach auch auf CD dokumentiert. Dabei arbeitete der Komponist mit den Londoner Philharmonikern, dem Belgischen Nationalorchester, dem Russischen Staatsorchester „Jewgeni Swetlanow“, dem Sinfonieorchester der St.-Petersburger Philharmonie, dem Scharoun-Ensemble Berlin, dem Ensemble Modern, dem Ensemble UnitedBerlin, der London Sinfonietta, dem Schönberg Ensemble (Amsterdam), dem Ensemble Divertimento (Mailand), den Neuen Vocalsolisten Stuttgart, den Dirigenten Vladimir Jurowski, Reinbert de Leeuw, Matthias Pintscher und anderen namhaften Interpreten zusammen.

Anton Safronov lebt in Berlin, unterrichtet an der Universität der Künste (UdK), tritt international mit Meisterkursen und Gastvorträge auf und organisiert Projekte für zeitgenössische Musik. Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat der Komponist seine öffentliche Aktivitäten (Lehrveranstaltungen, Aufritte etc.) in staatlichen Einrichtungen Russlands eingestellt. Sein letzteres Werk, das Streichquartett „DIE STERNE“, im Auftrag des Deutschandfunks für das Sonar Quartett Berlin komponiert, widmete er „dem Himmlischen Engel der Kinder im Krieg“.

Boris Filanovsky

Unter seinen Werken sind Kompositionen für meist ungewöhnlichen Besetzungen, etwa "Collectivision" für 7 Mundharmonikas und Akkordeon, "Voicity" für Bau- und Militärtechnik mit Audioprojektion, "La Machine Fleuve" für 20 Musikautomaten mit Fahrradlaufwerk, "Cantus with Cleansing" für 7 balkanische Guslispieler, "Tristans Liebestod" und "Nachspiel für drei historische Flügel aus verschiedener Zeiten", "Arkhitekton Theta", "Klangkörper" mit dem Publikum in Bewegung, "Sefer Yetzirah" für Mittelalter-Ensemble.

Seit 2019 entwickelt er ein Projekt "Direct music, bei dem jeder direkt bei ihm Musik bestellen kann; 55 Stücke wurden bereits geschrieben und das Projekt geht weiter. Seit 2020 beginnt er mehrere unendlich wachsende Kompositionen für verschiedene Kammerensemble; es wird angenommen, dass jede von ihnen für den Rest seines Lebens wachsen sollte. Beide Projekte beschäftigen sich nicht nur mit Musik selbst, sondern auch mit der Situation des gesellschaftlichen Lebens der Musik mit ihren Institutionen, Konzertformen, Trägheit des Denkens von Konsumenten und Produzenten.

The RSB in the Philharmonie Berlin, Photo: Peter Meisel

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Wolters, Rainer
Herzog, Susanne
Yoshikawa, Kosuke
Bondas, Marina
Kynast, Karin
Tast, Steffen
Morgunowa, Anna
Feltz, Anne

Violine 2

Kurochkin, Oleh
Simon, Maximilian
Drop, David
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Färber-Rambo, Juliane
Bara, Ania

Viola

Regueira-Caumel, Alejandro
Adrion, Gernot
Markowski, Emilia
Kantas, Dilhan
Balan-Dorfman, Misha
Moon, Inha (Orchesterakademie)

Violoncello

Eschenburg, Hans-Jakob
Breuninger, Jörg
Bard, Christian
Kim, Jean

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Schwärsky, Georg
Buschmann, Axel

Flöte

Schaaff, Ulf-Dieter
Schreiter, Markus

Oboe

Bastian, Gabriele
Herzog, Thomas

Fagott

You, Sung Kwon
Königstedt, Clemens

Horn

Kühner, Martin
Holjewilken, Uwe
Stephan, Frank
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Ranch, Lars
Taketa, Mai (Gast)

Schlagzeug

Tackmann, Frank

Pauke

Eschenburg, Jakob

Kooperation

Mitschnitte aus dem Konzert sind bei Deutschlandfunk Kultur am 04.04.2023, 20:03 zu hören.

Bild-/ Videoquellen

Portrait Vladimir Jurowski ©Peter Meisel

Orchester-Bilder © Peter Meisel

Portrait Nadzeya Karakulka © Misha Blank

Portrait Olexandr Shchetinsky © Yevhen Chervony

Portrait Olexandr Shchetinsky © Ihor Demchuk

Portrait Victor Copytsko ©Natalia Copytsko