Digitales Programm

Do 29.9. Andrew Manze & Elsa Dreisig

20:00 Konzerthaus

Grażyna Bacewicz

Konzert für Streichorchester

Wolfgang Amadeus Mozart

„Bella mia fiamma, addio“ – „Resta, o cara“ –
Rezitativ und Arie für Sopran und Orchester KV 528

Pause

Wolfgang Amadeus Mozart

„Ah, lo previdi“ – „Ah, t’invola agl’occhi miei“ –
Rezitativ, Arie und Cavatine für Sopran und Orchester KV 272

Wolfgang Amadeus Mozart

Sinfonie Es-Dur KV 543

Besetzung

Andrew Manze, Dirigent
Elsa Dreisig, Sopran
Rundfunk-Sifonieorchester Berlin

19.10 Uhr Konzerteinführung von Steffen Georgi

Sendetermin

6. Oktober 2022 20.03 Deutschlandfunk Kultur

Jung und frisch

Fesselnde Zauberkunststücke aus der Opernschatulle Mozarts stehen im Zentrum des von Andrew Manze geleiteten Konzertes des RSB. Dafür leiht die junge französisch-dänische Sopranistin Elsa Dreisig ihre derzeit weltweit begehrte Stimme. Eingeleitet aber wird der Abend im Konzerthaus mit einer deftigen Portion Neoklassizismus. Das Konzert für Streichorchester der polnischen Komponistin Grażyna Bacewicz diente nach 1948 mindestens für ein Jahrzehnt als Aushängeschild der selbstbewussten Musikkultur der jungen Volksrepublik Polen.

Am Ende noch einmal Mozart, ganz ohne Text, Orchesterklassik pur, die Sinfonie Es-Dur, eine der großen Drei, so genial wie rätselhaft, so immerwährend jung wie aller Zeit enthoben.

Texte von Steffen Georgi ©

Grażyna Bacewicz

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Meine neunte Sinfonie

Grażyna Bacewicz

Grażyna Bacewicz

Konzert für Streichorchester

Allegro
Andante
Vivo

Alles Neunte?

Das Musikinformationszentrum des Komponistenverbandes der Republik Polen stellte im Jahre 2001 auf der offiziellen Internetseite „Culture.pl“ Informationen über die polnische Musik im Allgemeinen und über Grażyna Bacewicz im Besonderen zur Verfügung. Dort heißt es über das 1948 komponierte Konzert für Streichorchester, es werde „allgemein als das Opus magnum von Grażyna Bacewicz angesehen, und sie selbst nenne es ihre ‚Neunte Sinfonie‘.“ Da reibt sich der deutsche Musikfreund verwundert die Augen. Opus magnum? Neunte Sinfonie? Wie konnte ich daran bisher achtlos vorbei gehen?

Grażyna Bacewicz wurde 1909 geboren. Fast einhundert Jahre jünger als Fryderyk Chopin, jedoch eine Generation älter als Wojciech Kilar, Henryk Mikołai Górecki oder Krzysztof Penderecki, die polnischen Komponistenstars des renommierten Festivals „Warschauer Herbst“ in den 1960er-Jahren, gehörte sie mit dem vier Jahre jüngeren Witold Lutosławski zu jener Generation von polnischen Komponisten, die vor und nach dem Zweiten Weltkrieg polnische Musikgeschichte mitgeschrieben haben. 

Ein Stipendium des legendären Jan Paderewski ermöglichte es Grażyna Bacewicz, nach Paris zu gehen und bei Nadia Boulanger Komposition zu studieren. Parallel dazu ließ sie sich als Geigerin ausbilden, so dass sie in den 1930er-Jahren zu den europaweit anerkannten Musikern gehörte. Ihre Kompositionen basierten auf den Erfahrungen, die sie mit dem Neoklassizismus in Frankreich gemacht hatte, wobei sie diesem Stil gerade als Frau eine stets kraftvolle, vital zupackende Note hinzufügte. Im Übrigen verwehrte sie sich einer Einordnung in eine bestimmte Stilrichtung.

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Ich bin nicht einverstanden mit denen, die behaupten, dass ein Komponist, der eine eigene Sprache gefunden hat, sich daran festhalten sollte. Ich finde eine solche Meinung völlig fremd; das behindert die weitere Entwicklung und das Wachstum. Jede Komposition, die heute abgeschlossen wird, gehört morgen schon der Vergangenheit an.

Grażyna Bacewicz

Forsch und selbstbewusst 

So ging sie nach dem Ende des Krieges daran, die polnische Musikkultur nach vorn zu bringen. 1948 komponierte sie unter anderem das Konzert für Streichorchester. Grzegorz Fitelberg, der einstige Mitstreiter von Karol Szymanowski, dirigierte am 18. Juni 1950 die Uraufführung mit dem polnischen Rundfunk-Sinfonieorchester bei der Generalversammlung des polnischen Komponistenverbandes. Das Werk wurde enthusiastisch begrüßt und mit dem Staatspreis 3. Klasse ausgezeichnet. 1952 erklang es erstmals in den USA in einem Konzert des National Symphony Orchestra in Washington. 1956 gastierte das Orchestre National de la Radiodiffusion et Télévision Française unter Jean Martinon mit dem Konzert für Streichorchester von Grażyna Bacewicz beim 1. Warschauer Herbst, dem Internationalen Festival für zeitgenössische Musik. 

violine violine

Im Laufe der nächsten Jahrzehnte avancierte das temperamentvolle Aushängeschild der polnischen Kultur zum meistgespielten Orchesterwerk der zeitgenössischen Musik in Polen.

Bacewicz verstand es in den Folgejahren, als Komponistin und als Jurorin des Wieniawski-Wettbewerbes der polnischen Musik wieder zu internationalem Glanz zu verhelfen. Einige ihrer Werke fanden Eingang in die Violinausbildung an den Musikschulen in Osteuropa, darunter auch in der DDR. Das Geigespielen hatte Grażyna Bacewicz nach einem Autounfall 1954 selber aufgegeben müssen. Die Komponistin starb hoch geehrt im Jahre 1969.

Ordentlich was zwischen den Zähnen

Der Komponist und Musikschriftsteller Stefan Kisielewski brandmarkte 1950 den desolaten Zustand der polnischen zeitgenössischen Musik, indem er das Konzert für Streichorchester von Grażyna Bacewicz über den grünen Klee (oder besser: über das saftige Steak) lobte:

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Man kann mit gutem Gewissen sagen, dass dieses Mal die Würde der polnischen Komponisten von einer Frau, Grażyna Bacewicz, wiederhergestellt wurde. Ihr Konzert für Streichorchester ist mit Begeisterung und Energie geschrieben, es ist randvoll mit fließendem Reichtum und hervorragend instrumentiert.

Mit ihren kompositorischen Ideen hat sie uns endlich aus der Lethargie geweckt, indem sie in ihrer Arbeit einige Verweise auf Bach oder Händel macht, auf die Brandenburgischen Konzerte. Hier haben wir endlich ein ‚heißblütiges Stück’ gesunder und schmackhafter Musik, geschrieben mit männlicher Gestaltungskraft.

Stefan Kisielewski

So, da haben wir’s.

Allegro

Pesante, schweren Schrittes sozusagen, marschiert der erste Satz los. Vollstimmig, orchestral, machtvoll kommt die neobarocke Attitüde des Eingangsthemas daher. Kraft und Energie in pulsierenden Rhythmen zeichnen auch das zweite Thema aus, das ebenso wie das dritte motivisch mit dem ersten zusammenhängt. Unverkennbar sind in den gesamten Satz rhythmische und melodische Fragmente aus einem berühmten Lied eingeflochten, der „Warszawianka“. Das Lied wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem vielgesungenen Arbeiterlied und zur heimlichen polnischen Hymne, es geht auf ein altes polnisches Freiheitslied zurück.  

Andante

Nach den wilden Eruptionen des ersten Satzes nähert sich das Werk seinem Herzstück, dem lyrischen Andante. Grażyna Bacewicz ist bekannt und umstritten für ihre mitunter martialischen motorischen Rhythmen, gleichwohl findet sich hier eine schier schwebende Klangfläche. Die Geigen spielen eine rotierende Figur in Terzen, wobei der Einsatz des Dämpfers, schnelle Tonwiederholungen (Tremolando), eine Lautstärke im Flüstermodus und das gläsern verfremdende Streichen am Steg (sul ponticello) miteinander kombiniert werden. Das lapidare Thema – für die Analytiker – ist die Umkehrung des Beginns des ersten Satzes: Wo dort im ersten Thema des Allegro ein Anker für eine systematisch aufsteigende Melodielinie gesetzt worden war, kommen hier parallel absteigende Linien im Klangschatten einer großen Terz zur Anwendung. „Solche melodischen Techniken (manchmal konstruierte sie auch zentral drehbare Gerüste) waren für Bacewiczs Kompositionsstil fundamental.“ (Adrian Thomas) In barocker Manier erheben sich über dem Ostinato weit schwingende Cello- und Bratschenkantilenen von großer melodischer Intensität.

Probe des RSB probe-manze-mobile

Volle Konzentration. Das RSB entdeckt Grażyna Bacewicz.

Vivo

Im Finale, Vivo (lebendig) überschrieben, regiert wieder der Rhythmus. Ja, genau der, bei dem man immer mit muss. Unbekümmert mischt Bacewicz verschiedene Stilelemente der Klassik (Rondo, Sonatenform) mit volkstümlichen Rhythmen und Motiven. Das haben auch Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart schon getan. Hier wird es neu gedacht und raffiniert zugespitzt. Der Satz bezieht seine federnde Energie aus einem schwungvollen 6/8-Metrum. Rhythmische „Auffahrunfälle“ und Stolperfallen im 5/8-Takt erweisen sich als heiteres Spiel, auch wenn in den allgemeinen Überschwang noch einmal Violine und Viola wehmütig-elegante Soli hineinsingen. Am Ende gibt es kein Halten mehr, in deftigem D-Dur erstürmt das Konzert jeden Konzertsaalhimmel, der sich ihm in den Weg stellt.

Wolfgang Amadeus Mozart

Mozart

Neapel, 16. Juni 1770: ‚Ich bin auch noch lebendig, und bin beständig lustig wie allzeit.‘ Je trauriger jemand ist, desto größere Mühe muß er sich geben, eine nicht vorhandene Lustigkeit wirklich überzeugend vorzuführen. Das ist Mozarts Überlebensstrategie geworden. Er hat gelernt, die Dauerdepression mit ständiger Arbeit kurz zu halten und in der tiefsten Traurigkeit den Lustigen zu spielen. Summa laetitia summa tristitia, größte Freude, größte Trauer…

Hans Erich Troje

Wolfgang Amadeus Mozart

Konzertarien KV 528 & KV 272

„Bella mia fiamma, addio“ – „Resta, o cara“
Rezitativ und Arie für Sopran und Orchester KV 528

„Bella mia fiamma, addio“ (Andante) – Aria „Resta, o cara“ (Andante) – „Ah! dov’ è il tempio“ (Allegro)

„Ah, lo previdi“ – „Ah, t'invola agl’occhi miei“
Rezitativ, Arie und Cavatine für Sopran und Orchester KV 272

Recitativo. Allegro risoluto – Aria. Allegro

Bravo-Arien

Konzertarien haben mit Eitelkeit zu tun. Ohne die besonderen Ansprüche von gewichtigen Sängerpersönlichkeiten gäbe es sie wahrscheinlich nicht. Um sich ordentlich spreizen zu können, erwarteten sie von den Komponisten glanzvolle Partien. Vor allem ging es darum, den virtuosen Reichtum der Stimme herauszustellen. Wurde eine Oper neu besetzt, so verlangte der nächste Sänger oft mindestens eine neue Bravourarie extra für sich, um ähnliche Ausgangsbedingungen zu haben wie sein Vorgänger, für den die Rolle komponiert worden war. Und fehlte der inhaltliche Anlass dafür, etwa in den komischen Szenen oder gar in den Buffo-Opern, so wurden fremde „Einlage-Arien“ auf Wunsch der Sänger eingebaut. Gemeinsam ist diesen Arien, dass sie Texte überwiegend der „Opera seria“, der großen tragischen Oper, vertonen und gemäß dem Seria-Prinzip aus Rezitativ und Arie aufgebaut sind. 

Johann Christian Bach war einer der ersten, der selbständige Arien mit Blick auf den Konzertsaal komponierte. Mozart respektierte diesen Sohn des Thomaskantors, auch und gerade obwohl er am 13. November 1777 aus Mannheim wetterte: „-- Nu, die abscheuliche aria vom Bach, die Sauerey - - ja, Pupille amate. Die hat er gewis in Puntsch rausch geschrieben. ich habe geglaubt, ich müste ihn beym schopf nehmen; ich that aber als wen ich es nicht gehört hätte, sagte nichts und gieng weg...“ Vielleicht hatte Bach die Sache zu leicht genommen. Mozart verwendete jedenfalls große Sorgfalt auf seine Arien und ließ sich bereitwillig auf diese Art Zurschaustellung von sängerischem Leistungsvermögen ein. 

elsa-dreisig

Warum Elsa Dreisig Mozart singt?

„Ich lasse mich führen von der ,finesse humaine‘ dieser Musik.“

Der Sopran – die Sopranistin

Oper für den kurzen Moment – das bieten im Konzert dargebotene Arien und Szenen. Mozart konzipierte seine „Seria“-Arien für den Opern- wie für den Konzertgebrauch äußerst effektvoll auf das Ziel hin, innerhalb weniger Minuten eine dramatische Situation heraufzubeschwören. So enthalten die Konzertarien genau die Eigenschaften, die in einer Oper die besten, musikalisch fesselnden Szenen ausmachen. Während im Rezitativ – bei Mozart stark verdichtet und zugespitzt – die Handlung fortschreitet, bleibt sie in den Arien zugunsten eines Gefühls oder eines Kommentars für längere Zeit stehen. Um so mehr kann der Sänger sich hier auf den Affekt seines Textes und auf die Ornamente seiner Melodie konzentrieren. 

An Mozarts Arien lassen sich Kunst und Können seiner Favoriten ablesen.

„... denn ich liebe dass die aria einem Sänger so accurat angemessen sey, wie ein gutgemachts kleid“

schrieb er im Februar 1778 an den Vater. Das entscheidende Wort in diesem Satz ist „Kleid“ – nicht etwa „Hose“ oder „Hemd“. Denn unmittelbar bis hinein in Mozarts Gegenwart war die allgemeine Vorliebe der Theater-Impresarios für die Stimmlage des Soprans mit der Selbstverständlichkeit verbunden, dass ein männlicher Kastrat die Rollen sang. Händel und alle seine Zeitgenossen schrieben die Partien für ihre testosteronreichen Opernhelden in Sopranlage. Mozart hingegen (22 Jahre alt!) bevorzugte – sicher ausschließlich wegen des größeren Stimmumfangs, vor allem wegen der größeren Tiefe – junge Sopranistinnen: 

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... wir haben ja einen Castraten; – sie wissen ja was das für ein thier ist? – Der kann hoch singen, mithin ganz fortreflich ein frauenzimmer abgeben; ... – machen sie ihr möglichstes, daß die Musick bald einen arsch bekommt, denn das ist das nothwendigste;

einen kopf hat sie izt – das ist aber eben das unglück! bevor nicht in diesem stück eine veränderung geschieht, komme ich nicht nach salzbourg...

Mozart alias „Wolfgang Romatz“ an seinen Freund Abbé Bullinger aus Paris am 7. August 1778

Die Arie von der Duschek

Monat für Monat verlangt das gierige Ungeheuer eine weitere junge Frau, bis die Reihe der zu Opfernden auch an Andromeda, die Tochter des Königs Cefeo, gekommen ist.

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Perseus, Andromaches Auserwähltem, gelingt es, das mädchenmordende Monster zu spalten.

Die schöne Andromeda vorenthält ihm der alte König dennoch. Nun ist es an Perseus, „außer sich, bleichen Angesichts, wie im Wahnsinn stammelnd und mit bloßem Schwert“ (Stefan Kunze), den eigenen Tod zu suchen. Andromeda, nicht weniger verzweifelt, beabsichtigt daraufhin gleichfalls, aus ihrem eben wiedergewonnenen Leben zu scheiden.

Sitzen Sie ganz entspannt und lauschen Sie den Leidenschaftsstürmen der Andromeda, wie sie Wolfgang Amadeus Mozart in seiner Musik zu entfachen versteht. Die erwähnte Szene mit der Nummer 272 im Mozart-Werkverzeichnis des Ritters von Köchel stammt aus dem Sommer 1777. Mozart schrieb sie als eine der letzten Kompositionen im heimatlichen Salzburg, bevor er sich – erstmals nur in Begleitung der Mutter – auf Reisen nach Mannheim und Paris begab. 

Die Szene KV 272 ist Josefina Dušková (Josepha Duschek, 1754-1824) gewidmet. Oft und mit Stolz erwähnte Mozart aber auch die Interpretation der „Arie von der Duschek“ durch Aloisia Weber, die Schwester seiner späteren Frau Konstanze, an deren Stelle in Mozarts Leben ursprünglich eben jene Aloisia hatte stehen sollen. Mozart hatte das Ehepaar Duschek, den Prager Pädagogen, Komponisten und Pianisten František Xaver Dušek und seine 22 Jahre jüngere Frau Josepha, geb. Hambacher, während deren Hochzeitsreise im August 1777 in Salzburg kennen und schätzen gelernt. Josepha war von ihrem späteren Ehemann als Sängerin ausgebildet worden. Als solche beeindruckte sie Mozart offenbar derart, dass er ihr die Arie schrieb, obwohl sein Vater ihn vor einem engeren Kontakt mit den Duscheks gewarnt hatte. Josepha Duschek wurde mit der italienischen Primadonna Gabrielli verglichen. Sie muss eine außerordentlich dunkle Stimme besessen haben, und sie war in der Lage, sehr hohe Töne zu singen.

Musik aus der Gefangenschaft

Zehn Jahre nach der ersten Arie „erzwang“ sich die Sängerin eine weitere.

bertramka bertramka

Mozart lebte damals in Prag in der Bertramka, dem Sommerhaus der Duscheks, wo er soeben den „Don Giovanni“ zu Ende komponiert hatte.

Die Hausherrin bat den Star der Stadt um eine Arie als Gegenleistung für Kost und Logie. Der umschwärmte und vielbeschäftigte Mozart versprach und versprach ... bis ihn Madame in der Bertramka einschloss und nicht rauslassen wollte, bevor er fertig wäre. Mozart akzeptierte unter der Bedingung, sie müsse die Arie auf Anhieb „fein und richtig“ vom Blatt singen. Sonst wolle er die glanzvolle Szene verbrennen.

Mozarts Raum in der Villa Bertramka

Nun, „Bella mia fiamma, addio! – Resta, o cara“ KV 528 überlebte und ging als eine der prächtigsten Konzertarien Mozarts in die Musikgeschichte ein.

Gesungene Texte – Deutsche Übersetzung

Bella mia fiamma, addio – Resta, o cara KV 528

Text von Michele Sarcone, Festa teatrale “Cerere placata” von Niccolò Jommelli

TITANO
Rezitativ

Meine schöne Geliebte, leb’ wohl.
Es gefiel dem Himmel nicht, uns glücklich werden zu lassen.
Siehe, dieses reinste Band ist zerschnitten,
bevor es vollständig geknüpft war,
das Band, das unsere Seelen schon
durch den bloßen Wunsch zusammenschloss.
Du musst leben! Gib dem Schicksal nach,
weiche der Pflicht.
Von der beschworenen Treue entbindet dich mein Tod.
Vereint mit einem würdigeren Gatten … o Schmerz!
Du sollst ein heitereres und glücklicheres Leben führen.
Erinnere dich an mich. Aber niemals möge die teure Erinnerung
an einen unglücklichen Bräutigam deine Ruhe stören.
Königin, ich gehe, um dir zu gehorchen;
ach, all mein Zorn möge mit meinem Tod enden.
Ceres, Alfeus, meine geliebte Braut, lebt wohl!

Arie
(zu Proserpina)

Bleib o Teure! O mein Gott, der herbe Tod
trennt mich von dir.
(zu Cerere)
Übernimm die Sorge um ihr Geschick.
(zu Alfeo)
Suche du sie wenigstens zu trösten.
Ich gehe … Weh mir! Lebt wohl für immer …
Dieser Schmerz, dieser Schritt ist für mich furchtbar.
Ach! Wo ist der Tempel? Wo ist der Altar?
(zu Cerere)
Komm, eile doch … die Rache!
Dieses so bittre Leben ertrag ich nicht mehr.

Probe mit Dreisig

Arbeit am Detail. Elsa Dreisig stimmt sich mit Andrew Manze ab.

Ah, lo previdi! – Ah, t’invola KV 272

Text von Vittorio Amedeo Cigna-Santi, „Andromeda“ von Giovanni Paisiello

ANDROMEDA
Rezitativ

Ach, ich habe es vorausgesehen!
Armer Prinz, mit demselben Schwert,
das mich rettete, hast du deine Brust durchbohrt.
Doch du, warum hast du eine solch’ schreckliche
Bluttat nicht verhindert?
Wie kommt es, Grausamer,
dass du dich nicht zum Mitleid mit einem
Unglücklichen bewegen liessest?
Welcher Tiger hat dich aufgezogen?
Wo bist du geboren?

Arie

Ah, heb’ dich hinweg aus meinen Augen,
schändlicher Mensch, undankbares Herz!
Du bist die Ursache, o Gott,
meines furchtbaren Schmerzes.
Geh, Grausamer, geh, Erbarmungsloser.
Geh, um zwischen den wilden Tieren zu hausen.

Rezitativ

Unselige! Vergeblich gerate ich in Zorn,
und in seinem Blut schwimmt inzwischen
mein Angebeteter … Mit diesem Schwert,
ach Perseus, was hast du vollbracht?
Vor kurzem hast du mich gerettet,
jetzt mordetest du mich.
Mit dem Blut, wehe, entwich schon
die edle Seele aus der zerrissenen Brust.
Ach ich Unglückselige! Der Tag verdunkelt
sich vor meinen Augen, und in
furchtbarem Schmerz stockt das Herz.
Ah, geh’ nicht weg, geliebter Schatten,
ich möchte mich mit dir vereinigen.
Auf der letzen Stufe halte ein Weilchen noch
ein, solange bis mich der Schmerz tötet.

Cavatine

Ach setze nicht,
du Seele meines Herzens,
über jene Woge des Letheflusses
zum anderen Ufer.
Du Schatten, als Begleiterin
möchte auch ich mit dir kommen.

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… von Mozart wissen wir nicht, wie er sein Schicksal erlebte. Jedenfalls wußte er es zu beherrschen und zu kompensieren wie kein anderer…Wozu bedürften wir sonst überhaupt der Musik, wenn sie nicht eben dies bewirkt: die Befriedigung des Verlangens nach emotionalem Erleben, ohne in den tiefen Aufruhr ihrer Quelle verwickelt zu sein. Letzten Endes beruht darauf unser niemals nachlassendes Mozart-Erlebnis: Wir genießen – nicht anders als im Fall Beethoven – die Sublimierungen der Katastrophe eines Menschen als Katharsis.

Wolfgang Hildesheimer

Wolfgang Amadeus Mozart

Sinfonie Es-Dur KV 543

Adagio – Allegro
Andante con moto
Menuetto. Allegretto
Finale. Allegro

Die Macht des Vermächtnisses

Wäre es Ludwig van Beethoven nicht vergönnt gewesen, das 36. Lebensjahr zu erreichen – seine Sinfonie Nr. 3 Es-Dur, die „Sinfonia eroica“, wäre die letzte gewesen, die er hätte vollenden können. Ohne Zweifel würde es dann nicht an erschöpfenden Deutungen dieser Sinfonie als Beethovens Vermächtnis fehlen. Die drei letzten Sinfonien von Wolfgang Amadeus Mozart umgibt solch romantisch verklärender „Vermächtnisunfug“. 

Mit den „großen Drei“, der Sinfonien-Trias Es-Dur KV 543, g-Moll KV 550 und C-Dur KV 551, beendete Mozart sein Œuvre innerhalb dieser Gattung – freiwillig? Wollte er damit sein sinfonisches Vermächtnis hinterlassen? Wir wissen es nicht, und wir haben keinen Grund, es anzunehmen. Das Fehlen eines konkreten Auftrages zur Komposition; die Mär, Mozart habe seine letzten Sinfonien nie gehört, verstärkten allerdings den Mythos der unaufgeforderten Botschaft an die Menschheit. 

Nach Spuren wurde vergeblich gesucht, nach Spuren der Lebensumstände, in denen sich Mozart im Sommer 1788 befand. Die Sinfonie Es-Dur trägt das Datum 26. Juni 1788. Am 29. Juni starb seine Tochter Theresia. Kurz vor dem 17. Juni datiert einer der 21 erhaltenen Bettelbriefe, mit denen Mozart seinen Freimaurer-Logenbruder Michael Puchberg zwischen 1788 und 1791 wiederholt um finanzielle Unterstützung bat. Briefe der Selbsterniedrigung, im Stile devoter Anbiederei, nicht ohne opernhafte Künstlichkeit. Keine Hungersnot veranlasste Mozart zu solchem Tun, sondern das Bedürfnis, trotz Ausbleibens regelmäßiger Verdienste seinen Lebensstil beizubehalten. Wolfgang Hildesheimer hat errechnet, dass Mozart zwischen 1788 und 1791 allein von Puchberg nach heutigem Geldwert etwa 25.000 Euro erhielt. Gefordert hatte er das Doppelte.

Nicht arm, sondern mutig

Versuche, den verarmten, verbitterten Mozart aus den Sinfonien herauszuhören, greifen nicht. Noch weniger darf Mozart als der weltentrückte Ignorant gelten, dessen Leben und Schaffen beziehungslos nebeneinander her verliefen. Von Spielschulden ist die Rede, von Distanzierung der aristokratischen Gesellschaft vor ihm, von allgemeinem kulturellem Desinteresse, von Selbstisolierung Mozarts durch die Freimaurerei. Die Jahre bargen Konflikte. Inwieweit sie sich in seiner Musik niederschlugen, muss offen bleiben. Auch inwieweit die Musik tatsächlich Auflehnung gegen solche Konflikte enthält, gar künstlerisch ihre Bewältigung sublimiert.

Möglicherweise haben wir die Entstehung der drei letzten Sinfonien Mozarts der einzigartigen Künstlerfreundschaft zwischen Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart zu verdanken. 

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Schon einmal hatte der junge Mozart mit sechs höchst kunstvollen Quartetten (ohne Kompositionsauftrag!) auf Haydns maßstabsetzende Streichquartette op. 33 geantwortet – musikalischer Wettbewerb auf vornehmstem, edelstem Niveau.

1788 – Mozart war inzwischen als Komponist so reif wie professionell geworden – mochten es die 1785/1786 entstandenen sechs Pariser Sinfonien Haydns gewesen sein, die einen ähnlich ehrgeizigen Schaffensreiz bei Mozart auslösten wie seinerzeit die Quartette. Dies würde nicht nur die Existenz der „großen Drei“ hinreichend erklären, sondern sogar ihre singuläre Qualität plausibel machen. Mozart kannte Haydns Pariser Sinfonien spätestens seit 1787, als sie bei Artaria in Wien gedruckt erschienen waren. In dieser Druckfassung folgen Haydns Sinfonien Nr. 82, 84, 86 aufeinander – also C-Dur, g-Moll und Es-Dur! 

Rau statt glatt

Die Es-Dur-Sinfonie KV 543 beginnt mit einer bedeutungsschweren Adagio-Einleitung. Sie hinterlässt einen fahlen, asketischen Eindruck voller Düsternis. Die klanglichen Symbole kehren später in der „Zauberflöte“ wieder. Sie vertreten dort freimaurerisches Gedankengut. Das gesangliche Hauptthema des ersten Satzes und auch jenes des folgenden Andante haben hymnischen Gestus. Aber sie „flüstern“ ihn nur. Sie werden nicht laut und demonstrativ, bleiben vielmehr kammermusikalisch filigran. Das Menuett versöhnt durch Volkstümlichkeit. Tut es das? Im Finale verbindet sich das Heitere mit dem Zornigen. Motorik regiert auf empfindsamem Terrain – wie viel später bei Schostakowitsch. Ein würdiger Schluss fehlt. Das Geschehen wirkt wie notgebremst. 

Den aufmerksamen Zuhörer wie den ausführenden Spieler faszinieren die strenge Disziplin des Denkens, die atemberaubende Schlüssigkeit der kompositorischen Lösungen, der ausbalancierte Klang und die vollendete Schönheit der klassischen Form.

Dabei frappiert einerseits die ideale Gestalt im Ganzen wie im Detail, die dazu verführt, die Sinfonien mit seltenen, wundersamen Kunstwerken zu vergleichen, wie sie nur die Natur hervorzubringen vermag: mit kostbaren Diamanten. Andererseits erwächst Spannung und Freude aus den winzigen, witzigen Abweichungen von der Regelmäßigkeit. Wie kleine Widerhaken haften diese Unregelmäßigkeiten im Gedächtnis, jonglieren mit unserem Puls, ergreifen unsere Seele. Vergessen Sie heute Abend die oft so genannte Eleganz der Es-Dur-Sinfonie: eine glatte Phrase aus dem Geredeschuppen. Heiterkeit kann so ernst sein.

Mitwirkende

Andrew Manze

Andrew Manze, 2021 zum ersten Mal beim RSB zu Gast, ist seit 2014 Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie in Hannover und international gefragter Gastdirigent. Nach dem Studium der Altphilologie in Cambridge studierte Andrew Manze Violine und wurde zu einem führenden Spezialisten der historisch informierten Aufführungspraxis. Von 2003 bis 2007 leitete er The English Concert, London. Als Geiger hat Andrew Manze zahlreiche CDs eingespielt, viele davon preisgekrönt.

Andrew Manze ist Fellow der Royal Academy of Music in London und Gastprofessor an der Oslo Academy. Dem Musiker, Dozenten und Herausgeber (u.a. Editionen der Sonaten und Konzerte von Mozart und Brahms) und wurde der Titel eines „Botschafters“ der UNESCO City of Music Hannover verliehen.

Elsa Dreisig

Nach ihrem Studium am Conservatoire National Supérieur de Musique et de Danse de Paris erhielt die dänische Opernsängerin Elsa Dreisig 2015 im Alter von 24 Jahren den Ersten Preis und den Publikumspreis des Wettbewerbes „Neue Stimmen“. Weitere Preise und Auszeichnungen folgten. Seit 2017 ist sie Ensemblemitglied an der Staatsoper Berlin (Pamina, Euridice, Gretel, Violetta u.a.). Elsa Dreisig arbeitete mit Dirigenten wie Daniel Barenboim und Sir Simon Rattle zusammen. Beim RSB gastiert sie zum ersten Mal. 2022 erschien mit „Mozart x 3“ ihr drittes Album. Die Sängerin ist Botschafterin der Opera for Peace und wurde 2019 mit dem Kulturpreis des dänischen Kronprinzenpaares ausgezeichnet. Die heutige Rundfunkaufzeichnung der beiden Mozart-Arien erfolgt mit freundlicher Genehmigung durch Warner Classics.

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Rainer Wolters, Susanne Herzog, Andreas Neufeld, Franziska Drechsel, Anna Morgunowa, Misa Yamada, Maria Pflüger, Marina Bondas, Elena Schwalbe*

Violine 2

Nadine Contini, Maximilian Simon, Ania Bara, Brigitte Draganov, Martin Eßmann, Juliane Manyak, Neela Hetzel de Fonseka, Juliane Färber

Viola

Lydia Rineker, Gernot Adrion, Christiane Silber, Jana Drop, Hyeri Shin, Isabel Kreuzpointner*

Violoncello

Hans-Jakob Eschenburg, Andreas Weigle, Andreas Kipp, Anastasia Deligiannaki*

Kontrabass

Hermann Wömmel-Stützer, Georg Schwärsky, Nhassim Gazale

Flöte

Ulf-Dieter Schaaff

Oboe

Gabriele Bastian, Gudrun Vogler

Klarinette

Michael Kern, Peter Pfeifer

Fagott

Sung Kwon You, Clemens Königstedt

Horn

Daniel Ember, Felix Hetzel de Fonseka

Trompete

Lars Ranch, Jörg Niemand

Pauken

Arndt Wahlich

* Orchesterakademie
** Gäste

Kooperation mit

Bild- und Videoquellen

Andrew Manze: Chris Christodoulou

Elsa Dreisig: Simon Fowler

Villa Bertramka: Eigenes Werk von Ludek

Orchester: Markus Werner