Digitales Programm

Sa 14.01. Petr Popelka

20:00 Konzerthaus

György Kurtág

„… quasi una fantasia …“ für Klavier und Instrumentengruppen

Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester d-Moll KV 466

Pause

Sergei Rachmaninow

Sinfonie Nr. 2 e-Moll

Besetzung

Petr Popelka, Dirigent

Leif Ove Andsnes, Klavier

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

 

19.10 Uhr, Ludwig-van-Beethoven-Saal,

Konzerteinführung von Steffen Georgi

 

Konzert mit Deutschlandfunk Kultur

Übertragung durch Deutschlandfunk Kultur am 15. Januar 2023, 20.03 Uhr. Europaweit. In Berlin auf UKW 89,6 MHz; Kabel 97,55; Digitalradio (DAB), Satellit, online und per App.

 

Das Konzert wird am 5. März 2023 ins Zeiss-Großplanetarium Berlin übertragen, wo es unterm Sternenhimmel zu hören sein wird.

Der Sinn von Krisen

„Spiele immer so, als ob Dein Leben davon abhinge“ (György Kurtág), und sei es eine simple C-Dur-Tonleiter wie zu Beginn von „… quasi una fantasia“. Reminiszenzen an Beethoven und Schumann, meditative Stille, heftige Eruptionen – der Pianist Leif Ove Andsnes ist fasziniert von dem „surrealen Klangereignis“, das Kurtág mit verschiedenen, im Raum verteilten Instrumentengruppen binnen zehn Minuten aufscheinen lässt. Vor dem Hintergrund kann sich das unbegreifliche Wunder des d-Moll-Klavierkonzertes von Mozart buchstäblich neu entfalten. Nach der Pause flutet der 36-jährige Dirigent Petr Popelka, zum ersten Mal beim RSB, den Saal mit epischer Weite. Inmitten des hektischen Weltgetümmels anno 1907 überwand Rachmaninow mit der Sinfonie Nr. 2 die größte Sinnkrise seines Lebens – uns Nachgeborene zum Selbstreflektieren einladend.

Texte von Steffen Georgi ©

Icon Tickets Tickets

Podcast „Muss es sein?“

György Kurtág – … quasi una fantasia …

„Spiele immer so, als ob Dein Leben davon abhinge“

György Kurtág

György Kurtág

„… quasi una fantasia …“ für Klavier und Instrumentengruppen op. 27

Introduzione. Largo
Presto minaccioso e lamentoso. Molto agitato, sempre pianissimo (Wie ein Traumeswirren)
Recitativo. Grave, disperato
Aria. Adagio molto

Nichts ist egal

Verletzlichkeit, Vergänglichkeit und fortwährende Neukonstruktion von Kommunikation. Dies scheint das unterschwellige Thema des heutigen Konzertabends zu sein. György Kurtágs „…quasi una fantasia…“ macht den Anfang. Das Werk mit der gleichen Opuszahl wie Beethovens „Mondschein-Sonate“ ist 1987/1988 für die Berliner Festspiele entstanden und wurde in der Philharmonie am 16. Oktober 1988 durch Zoltán Kocsis uraufgeführt. Das Werk leitet seine extreme gestische Konzentration und Affinität zu Aphorismen und Fragmentierungen aus Kurtágs ehrbarem kompositorischem Prinzip ab, sich „den neuen Klang, die neuen Werte durch die größte Verantwortlichkeit gegenüber der Vergangenheit“ (István Balazs) zu erkämpfen. Von daher erklärt sich der Bezug auf Beethoven, aber auch auf Robert Schumann oder Friedrich Hölderlin und überhaupt auf Werke oder Ideen anderer Komponisten, nicht zuletzt auf Anton Webern und Karlheinz Stockhausen.

„… quasi una fantasia…“ rückt ab von der Dualität von Klavier und Orchester des traditionellen Klavierkonzertes zugunsten einer Fragmentierung des Klanges im Raum. Die Partitur ist für „Instrumentengruppen“ aufgeteilt, die an verschiedenen Orten im Saal platziert sind. Kurtág beginnt das Werk mit einer C-Dur-Tonleiter abwärts. Wie mit einer Lupe wird diese extrem simple Struktur hinterfragt, sofort mit Bedeutung aufgeladen, Ton für Ton, Schritt für Schritt. Kurtágs Landsmann Adam Fischer hat während einer Orchesterprobe einen falschen Ton eine lässliche Sünde genannt, einen emotionslos und unbeteiligt gespielten Ton jedoch eine Todsünde. Nicht anders verhält es sich hier. Äußerste Konzentration ist gefragt, innere Sammlung auf das, was folgt. Spiele immer so, als ob dein Leben davon abhinge, hat Kurtág den Interpreten seiner Musik immer wieder abverlangt, insbesondere, wenn es einfach erscheint.

Lernen, sich aufzulösen

Der erste Satz, Introduzione, mit der Tempobezeichnung Largo, die mehr als das gewöhnlich mit „breit“ übersetzte italienische Wort aussagt, nämlich den Charakter von schwerem Schreiten einschließt, beginnt mit einzelnen Tönen einer absteigenden Tonleiter. Seit 500 Jahren hat eine solche Geste in der abendländischen musikalischen Rhetorik die Bedeutung von Ernst und Klage. Auf dieses klingende Portal antwortet ein Satz namens Presto minaccioso e lamentoso. Die Unrast dieses Satzes entlehnt Kurtág dem Presto von Beethovens Sonate op. 27 Nr. 2, die Adjektive „bedrohlich“ und „klagend“ fügt er hinzu, um der unruhigen Suche nach Farben und Formen eine Richtung zu weisen. Schließlich steht in der Partitur über dem zweiten Satz noch die von Schumann entlehnte Charakterisierung „Wie ein Traumeswirren“. Solch wirrer Traum hat nichts Friedliches, er ist ein Alptraum.

Der dritte Satz, Recitativo. Grave, disperato, verlagert das „Ernsthafte“, „Verzweifelte“ in die Sphäre des normalerweise textgebundenen Gesanges, jedoch nicht der kommentierenden Arie, sondern des handlungstragenden Rezitativs. Schwere Schritte im Schlagzeug, donnernde Akkorde des Klaviers, scharfe Schreie der Blechbläser meißeln eine eherne Klangskulptur.

Endlich im vierten Satz, Aria – Adagio molto. Lontano, calmo, appena sentito („Aria – Sehr langsam, weit entfernt, ruhig, kaum zu hören“) ist eine Ebene des singenden Loslassens erreicht. Die zentrale Melodie, eine Kindheitserinnerung Kurtágs, ist einem Gesang nachgebildet, mit dem die Bauern in Ungarn über die Berge hinweg Informationen ausgetauscht haben. Über dem Satz stehen Verse aus dem Gedicht „Andenken“ von Friedrich Hölderlin: „… Es nehmet aber / Und gibt Gedächtnis die See, / Und die Lieb auch heftet fleißig die Augen, / Was bleibet aber …“ Am Ende verfremden äußerst diskrete Instrumentalfarben (Blockflöten, Mundharmonikas) einen letzten Fast-Choral (mit absteigenden Tonleiterschritten) bis zur Unhörbarkeit. In einer meditativen Kontemplation verliert Kurtágs Komposition allmählich jeglichen Rhythmus, versinkt schließlich in absoluter Stille.

Mozart - Klavierkonzert d-moll

Wolfgang Amadeus Mozart

Wolfgang Amdeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester d-Moll KV 466

Freiheit mit bitterem Beigeschmack

Immer wieder hatte Wolfgang Amadeus Mozart dem Vater von seinen Reisen stolz berichten können, dass er alle Klavier-Konkurrenten „in den Sack“ spielen könne (Brief vom 23. Oktober 1777). Im Jahre 1781 hatte er sich schließlich in das wagemutige Experiment einer freien Künstlerexistenz gestürzt.

Aus unerträglicher Gängelei und Bevormundung am Salzburger Hof des Fürsterzbischofs Graf Hieronymus Colloredo war er dadurch freigekommen. Aber was hatte er sich dafür eingehandelt? Dem Erfolg des deutschen Singspiels „Die Entführung aus dem Serail" (1781) folgten Triumphe als Konzertpianist – die meisten seiner Klavierkonzerte entstanden zwischen 1784 und 1786 für den eigenen Gebrauch. Auch als Pädagoge in Adels- und Bürgerfamilien war Mozart gefragt. Das behagte ihm schon weniger, war aber unumgänglich, um eine ganz spezielle „Freiheit“ zu kompensieren: die Freiheit von jeglichem gesicherten Einkommen. Denn auch dies hatte die bürgerliche Existenz nach sich gezogen: Alle Versuche Mozarts, eine feste Anstellung zu finden, scheiterten beharrlich. So wurde aus der Freiheit unversehens der knallharte Zwang zum Geldverdienen.

„Vereinigt das Höchste bewirken“

Das Klavierkonzert als Gattung erfuhr durch Mozart eine bis dahin nie gekannte Aufwertung und Dramatisierung. Hier trat ein Musiker auf den Plan, dessen Klavierkonzerte nicht nur gelegentliche Kompositionsversuche eines reisenden Virtuosen waren, der aber auch nicht (wie später oft) hochstehende Werke niederschrieb, ohne sie selbst adäquat spielen zu können. Im Gegenteil, bei Mozart paarte sich die Genialität des Erfinders mit jener des Interpreten auf unerhörte Weise. Darüber hinaus verlieh er dem Konzerttyp ganz neue Züge. Aus dem Klavier als virtuosem Stichwortgeber für eine so wenig störende wie nichtsubstantielle Orchesterbegleitung entwickelte er in seiner Wiener Zeit das Klavierkonzert sinfonischen Gepräges.

In dem neuen Typ eines „Sinfonie-Konzertes“ kann der Pianist – also zunächst Mozart selbst – mit zahlreichen virtuosen Passagen glänzen, doch befördern zunehmend „Gespräche“ zwischen Klavier und Orchester den kommunikativen Austausch auf neuer Ebene.

Beide Partner bringen einmal alternierend, ein anderes Mal gemeinsam das Geschehen voran. Mit der Beförderung des Orchesters zum sinfonischen Apparat korrespondiert die oft bewunderte, differenzierte Ausarbeitung der Holzbläser-Stimmen. Darüber hinaus ist die Konzertform dem Opernkomponisten Mozart ein ideales Medium, dramatische Konflikte auf das Niveau der absoluten Musik zu heben. Der Konzertsatz verschmilzt die Spannungen der Sonatenhauptsatzform mit Merkmalen der Arienform. Orchesterritornelle zu Beginn der Konzerte steigern die Erwartung des Solisten, „inszenieren“ ihn gleichsam.

Drama in d-Moll

Aus Mozarts Klavierkonzert-Schatz ragen einige Werke besonders heraus. Dazu gehören die beiden Klavierkonzerte KV 466 und KV 491. Beide stehen – als Ausnahmen unter ihren 21 „Geschwistern“ – in einer Molltonart, ersteres in d-Moll. Die Tonart hat KV 466 gemeinsam mit Werken wie dem Requiem sowie mit der Sphäre des Komturs in „Don Giovanni“.

Mozart verwendet d-Moll so sparsam wie symptomatisch für dunkle Dramatik. „Mozarts Moll-Werke sind ja so selten, dass uns ihr plötzliches Erscheinen aufhorchen und nach einem bestimmten Beweggrund fahnden lässt: Warum gerade hier? Wohlgemerkt: Wir suchen nicht nach dem Anlass, nicht nach einem äußeren Ereignis, sondern nach dem disponierenden Entscheid innerhalb der Sequenz seiner Werke. Selbstverständlich suchen wir vergeblich.“ (Wolfgang Hildesheimer)

Nur einen Tag vor der Uraufführung durch Mozart selbst, mithin am 10. Februar 1785, ist die Partitur des d-Moll-Klavierkonzertes abgeschlossen. Der Komponist scheint mit dem Werk einen Disput zwischen Solo und Orchester zu entfachen, der zunächst dezidiert unversöhnlich klingt. Düster rollen die Bässe heran, die melodieführenden Instrumente verweigern mit Synkopen ein klares Metrum. Noch nicht einmal ein richtiges Thema schält sich heraus, auch nicht beim zweiten Versuch, den die Holzbläser in F-Dur starten. Dann erst antwortet das Klavier mit einem eigenen Thema. Dieser alles andere als befreiende Gedanke bleibt ihm alleine vorbehalten während des gesamten Satzes. Mozart stellt damit die persönliche Welt des Soloinstrumentes gegen die vom Orchester verkörperte Außenwelt. Gleichwohl kommt das eine ohne die anderen nicht aus. Schicksalhaft durchdringen sich die beiden Sphären. Eine Lösung gibt es nicht. Der Satz geht düster und leise zu Ende.

Vielleicht war es genau dieses gar nicht unterhaltsame Verweigern eines glatten Ablaufes, das nachfolgende Komponistengenerationen besonders für Mozarts d-Moll-Konzert einnahm. Ludwig van Beethoven etwa spielte das Werk häufig und komponierte Kadenzen für den ersten und dritten Satz, ebenso Johann Nepomuk Hummel. Auch Johannes Brahms schrieb später zum eigenen Gebrauch eine Kadenz für den ersten Satz des Konzertes.

Wo geht die Reise hin?

Was vermöchten die verbleibenden beiden Sätze? Können sie die im Eingangs-Allegro aufgeworfenen musikalischen Konflikte befrieden? Es wäre dies ein fundamental richtungsweisendes Komponieren von Mozart, das auf die zyklischen Gesamtkonzeptionen nachfolgender musikalischer Epochen auf das Nachhaltigste eingewirkt hätte.

Anmutig, geradezu kindlich naiv trägt das Klavier das B-Dur-Thema des zweiten Satzes, überschrieben mit Romanze, vor. Dankbar reagieren die Streicher, indem sie das Thema aussingen und fortführen. Doch noch einmal bricht sich das im ersten Satz zusammengeballte Drama Bahn. Gebrochene Akkorde in g-Moll reißen im Mittelteil die Wunden wieder auf, ja vertiefen sie noch. Den Holzbläsern obliegt es, die Düsternis hin zum Licht zu öffnen. Die Idylle der Romanze kehrt zurück.

Schier wütend, mit auffahrenden Gesten, eröffnet das Klavier das Finale. Das Orchester steht nicht nach, reagiert mit sinfonischer Wucht und mit intellektueller, weil kontrapunktischer Kraft. Heftiges Gegeneinander, aber auch aktives Miteinanderringen erschüttern und beflügeln abwechselnd die Kommunikation. Da, wie von Zauberhand, streuen die Holzbläser eine heitere Tanzmelodie ein, in Dur.

Mozart scheint schlussendlich zu grinsen:

Wo ist Ernst?

Was ist Spaß?

Triumphierend setzen die Trompeten zur krönenden D-Dur-Fanfare an. Doch das Klavier grätscht mit einem letzten dissonanten Akkord dazwischen: cis-d-e-g.

Rachmaninow - Sinfonie Nr.2

rachmaninow rachmaninow

„Das Husten des Publikums diente mir als Richtschnur."

Sergei Rachmaninow

Sergei Rachmaninow

Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27

Schlüssel-Figuren

Die Mission des Portiers ist eine ehrenwerte Aufgabe. Diese Personen haben die Schlüsselgewalt – zum Beispiel über das erhabene Refugium der Musik. Weil sie die ersten sind, auf die der normal neugierige Musikinteressent trifft, haben es die Türöffner in der Hand, ihn hineinzulocken in den prächtigen Tempel. Oft aber bleiben sie selbst außen vor, während drin die große Musik spielt.

Schlüsselfiguren in des Wortes umfassender Bedeutung sind rar. Nur eine Handvoll Komponisten kann für sich in Anspruch nehmen, beim Erstkontakt spontane Zuneigung auszulösen – von der mehr bleibt als ein Strohfeuer. Mozart, Chopin und Tschaikowsky mögen solche Anziehungskraft haben. Für viele Musikfreunde sind es Sergei Rachmaninow oder Edvard Grieg, die ihnen den Zugang zu den schönen Tönen eröffnet haben.

Vielleicht verzauberte sie das cis-Moll-Prélude, gespielt von einer einsamen, abgehärmten Pianistin auf einem E-Piano in einer zugigen Bahnhofshalle. Oder Peer Gynts „Morgenstimmung“ weckte bei einem eiligen Frühstück im Hotel die Erinnerung an ein unvergessenes Gefühl.

Für die besser Wissenden zählt nur: Haben diese Komponisten ihren Platz auf der großen Bühne? Vermögen Sie mitzuhalten im Chor der Ewigen? Oder taugen sie nur zum Verteilen von musikalischen Süßigkeiten? Dann mögen sie draußen bleiben.

Überfluss oder überflüssig?

Das Sinnliche von Sergei Rachmaninows Musik schlummert in den Melodien. Leider kam er mit solcher Veranlagung um einige Jahrzehnte zu spät. Weil andere Komponisten Anfang des 20. Jahrhunderts das tonale Gerüst zum Einsturz brachten, geriet er trotz oder gerade wegen der Schönheit seiner Ideen in eine Außenseiterposition. Rachmaninow schrieb weiter tonale Musik, verstand die Entgrenzungsbestrebungen seiner Zeitgenossen nicht. Doch auch bei jenen, die auf den ersten Blick zu seiner Fraktion hätten gehören können, fand er keinen Anklang. Richard Strauss, musikalischer Platzhirsch in Dresden, als Rachmaninow dort seine Sinfonie Nr. 2 komponierte, soll gestöhnt haben, man solle ihn mit der Zirkusmusik des Russen, mit einer derart „gefühlvollen Jauche“ verschonen.

Rachmaninows Musik zeichnet sich durch melodischen Einfallsreichtum aus in einer Zeit, in der längst andere Parameter die Musik bestimmten. Sogar schlichte Begleitstimmen haben bei ihm eine solch eindringliche gesangliche Qualität, dass andere Komponisten davon einen ganzen Satz lang gezehrt hätten. Rachmaninow dagegen schwelgte – wie Dvořák – im Überfluss der Ideen.

Wenn beispielsweise der dritte Satz der Sinfonie Nr. 2 mit einer zauberhaften Violinmelodie beginnt, so mag man bedauern, dass sie vom nachfolgenden, zugegeben herrlichen Klarinettenthema einfach verdrängt wird. Oder das strahlende Gebilde im Scherzo, es bleibt bloß Seitenthema, obwohl es doch weit mehr sein könnte.

Melodien-Seligkeit aus tiefster Seele

Die Sinfonie Nr. 2 in ihren epischen Dimensionen lebt, wie das kurz zuvor entstandene zweite Klavierkonzert, von groß angelegten Entwicklungen und provozierend langsam aufgebauten Kulminationen. Damit eckte Rachmaninow freilich beim modernen Publikum an. Inmitten der Atemlosigkeit, Ungeduld und Überreizung des beginnenden Industriezeitalters verloren seine schwärmerisch ausgesungenen Lieder die Aufmerksamkeit der ewig Eiligen. Bei seinen Klavierabenden stellte er sich zwangsläufig auf diese Situation ein: „Das Husten des Publikums diente mir als Richtschnur. Wenn das Husten stärker wurde, ließ ich die folgenden Variationen aus“, bemerkte er einmal sarkastisch.

Besonders in der Umgebung des Exils mussten Rachmaninow diese Dimensionen schmerzlich bewusst geworden sein. Sprachen sie später in Amerika aus allen seinen Tönen, so fanden sie sich bereits hier in der Sinfonie. Rachmaninow war nach zehnjähriger sinfonischer Pause – der Misserfolg der Ersten hatte ihn 1895 veranlasst, sich einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen – überraschend mit einer neuen Sinfonie herausgekommen. Er hielt sich von 1906 bis 1908 in Dresden auf, wohin er sich mit seiner Familie wegen der politischen Unruhen in Russland begeben hatte. Gefordert als Pianist und als Dirigent, eingebunden in den vorwärtsdrängenden Rausch der Gesellschaft, wurde ihm – ähnlich wie Gustav Mahler – das Komponieren zum Ventil seiner seelischen Verfassung.

Rachmaninow rang sich nicht zu sensationeller Kompromisslosigkeit oder provokatorischer Exaltiertheit durch. Deshalb stand er im Schatten radikalerer Tonsetzer – ein Tribut an das reizüberflutete 20. Jahrhundert. Die deutsche Musikwissenschaft hat ein schwieriges Verhältnis zur Popularität. Komponisten, die sich der Popularität verdächtig machten, wurden schnell gebrandmarkt als „seicht“ oder „kitschig“. Doch wenn der Neid der Vater der Gedanken wird, scheint es mitunter so, als ob das Gelehrte und das Freudlose ein und dasselbe wären.

Abendbesetzung, Kurzbiographien

Petr Popelka

Innerhalb kürzester Zeit hat sich Petr Popelka als einer der inspirierendsten Dirigenten seiner Generation einen Namen gemacht. Der Tscheche ist seit der Saison 2022/2023 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Radio-Symphonieorchesters Prag und seit August 2020 Chefdirigent des Norwegischen Rundfunkorchesters in Oslo.

In der Saison 2022/2023 debütiert er beim Gewandhausorchester, Staatskapelle Berlin, Bamberger Symphoniker, SWR Symphonieorchester, WDR Sinfonieorchester, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Orchestra sinfonica nazionale della RAI, Swedish Radio Symphony Orchestra, Orchestre Philharmonique du Luxembourg sowie Atlanta Symphony Orchestra und kehrt u. a. zur Sächsischen Staatskapelle Dresden, Wiener Symphoniker (TV-Konzert „Frühling in Wien“), Danish National Symphony Orchestra und Bergen Philharmonic Orchestra zurück. Eine Neuproduktion von Strauss‘ „Elektra“ führt ihn an die Osloer Oper und Schostakowitschs „Nase“ wieder an die Semperoper Dresden. Zusammen mit seinen Orchestern aus Prag und Oslo wird er außerdem Schönbergs monumentale „Gurre-Lieder“ zur Aufführung bringen. Frühere Debüts führten ihn u.a. zur Tschechischen Philharmonie, NDR Elbphilharmonie Orchester, hr-Sinfonieorchester, Deutschen Radio Philharmonie und Mozarteumorchester Salzburg.

In der Saison 2019/2020 war Petr Popelka der erste Conductor Fellow des NDR Elbphilharmonie Orchesters. Wichtige dirigentische Impulse erhielt er von Vladimir Kiradjiev und Alan Gilbert, nachdem er sich seit 2016 vermehrt dem Dirigieren widmete. Er erhielt seine musikalische Ausbildung in seiner Heimatstadt Prag und in Freiburg. 2010 bis 2019 war er stellvertretender Solo-Kontrabassist der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Neben dem Dirigieren nimmt das Komponieren eine wichtige Position in Petr Popelkas künstlerischer Arbeit ein.

Leif Ove Andsnes

Leif Ove Andsnes genießt weltweit großes Ansehen als gefragter Konzertpianist. Er spielt in den international führenden Konzerthäusern und mit namhaften Orchestern, etwa in Chicago, Cleveland und Philadelphia, mit dem Tonhalle-Orchester Zürich, dem Gewandhausorchester Leipzig sowie dem London Symphony Orchestra.

Zu seinen ambitioniertesten Projekten gehört der mehrjährige Konzert-Zyklus „The Beethoven Journey”. Er führte den Pianisten innerhalb von vier Jahren in 108 Städten und 27 Ländern, wo Leif Ove Andsnes in 230 Konzerten zu erleben war. Drei preisgekrönte CD-Produktionen und ein Film dokumentieren das erfolgreiche Beethoven-Projekt.

Darüber hinaus umfasst die Diskografie von Leif Ove Andsnes weit mehr als 30 Einspielungen mit Solowerken, Kammermusik und Konzerten aus einem Repertoire, das von Bach bis zur Gegenwart reicht. Der Pianist wurde für acht Grammy Awards nominiert und gewann viele internationale Preise, darunter sechs Gramophone Awards.

Als begeisterter Kammermusiker war Leif Ove Andsnes fast zwei Jahrzehnte lang einer der künstlerischen Leiter des norwegischen Kammermusikfestivals von Risør und 2012 musikalischer Leiter des Ojai Music Festival in Kalifornien. Im Sommer 2016 gründete er ein eigenes Kammermusikfestival im norwegischen Rosendal. Zu seinen engen musikalischen Partnern gehören der Sänger Matthias Goerne und der Pianist Marc-André Hamelin. Mit Christian Tetzlaff, Tabea Zimmermann und Clemens Hagen bildet Leif Ove Andsnes eine erfolgreiche Quartett-Formation.

Der Pianist ist Träger der angesehensten Auszeichnung Norwegens, des Sankt-Olav-Ordens, im Rang eines Kommandeurs. Zu den zahlreichen Auszeichnungen für seine künstlerischen Leistungen gehört der prestigeträchtige Peer-Gynt-Preis, der Instrumentalist Award der Royal Philharmonic Society und der Gilmore Artist Award.

Das RSB in der Philharmonie Berlin, Foto: Peter Meisel

RSB-Abendbesetzung

Violine I

Erez Ofer / Erster Konzertmeister

David Nebel / Erster Konzertmeister

Susanne Herzog / stellv. Konzertmeisterin

Kosuke Yoshikawa / Vorspieler

Marina Bondas, Philipp Beckert, Franziska Drechsel, Karin Kynast, Steffen Tast, Maria Pflüger, Anne Feltz, Misa Yamada, Richard Polle, Seika Koike*, Jiho Kang*

Violine II

Oleh Kurochkin / Stimmführer

David Drop / Vorspieler

Sylvia Petzold / Vorspielerin

Anne-Kathrin Seidel, Brigitte Draganov, Martin Eßmann, Maciej Buczkowski, Juliane Manyak, Rodrigo Bauzá, Juliane Färber, Ania Bara, Enrico Palascino, Jonathan Leung*, Cathy Heidt*

Viola

Lydia Rinecker / Solobratschistin

Gernot Adrion / stellv. Solobratschist

Elizaveta Zolotova / Vorspielerin

Emilia Markowski

Jana Drop

Alexey Doubovikov

Carolina Montes

Lucia Nell

Hyeri Shin

Dilhan Kantas

Isabel Kreuzpointner*

Daniel Burmeister*

Violoncello

Hans-Jakob Eschenburg / Solocellist

Ringela Riemke / stellv. Solocellistin

Jörg Breuninger / Vorspieler

Volkmar Weiche / Vorspieler

Peter Albrecht

Georg Boge

Andreas Weigle

Christian Bard

Andreas Kipp

Anna Kalvelage*

Kontrabass

Hermann Wömmel-Stützer / Solokontrabassist

Stefanie Rau / Vorspielerin

Georg Schwärsky

Axel Buschmann

Iris Ahrens

Nhassim Gazale

Jakub Zón*

Milan Thüer*

Flöte

Ulf-Dieter Schaaff / Soloflötist

Rudolf Döbler / stellv. Soloflötist

Markus Schreiter / Piccoloflötist

Oboe

Mariano Esteban Barco / Solooboist

Florian Grube / stellv. Solooboist

Thomas Herzog / Englischhornist

Klarinette

Oliver Link / Soloklarinettist

Peter Pfeifer / stellv. Soloklarinettist und Es-Klarinettist

Christoph Korn / Bassklarinettist

Fagott

Sung Kwon You / Solofagottist

Clemens Königstedt / Kontrafagottist

Thomas Gkesios

Horn

Martin Kühner / Solohornist

Ingo Klinkhammer / stellv. Solohornist

Frank Stephan

Thomas Jordans**

Trompete

Florian Dörpholz / Solotrompeter

Jörg Niemand

Simone Gruppe

Posaune

Edgar Manyak / Soloposaunist

József Vörös

Dominik Hauer

Tuba

Fabian Neckermann

Pauken

Jakob Eschenburg / Solopaukist

Schlagzeug

Tobias Schweda

Frank Tackmann

Christoph Grahl**

Leo Weiss**

Celesta

Heike Gneiting**

Cimbalom

Enikö Ginzery**

Mundharmonika

Carsten Horeis**

Tommy de Graaff**

Rudolf Döbler

Gudrun Vogler

Florian Grube

* Orchesterakademie

** Gäste

Kooperation

Das Konzert wird am 05.03.2023/ 20 Uhr ins Zeiss-Großplanetarium übertragen.

Radioübertragung in DLF Kultur 15.01.2023, 20:03

Bild-und Videoquellen

Bilder Orchester © Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Kurtág, György

https://www.youtube.com/watch?v=42OBA96hBrg

Portrait Leif Ove Andsnes © Helge Hansen_Sony Music Entertainment

Portrait Petr Popelka © Khalil Baalbaki

Portrait Petr Popelka © Vojtech Brtnicky