Digitales Programm

Sa 28.06. Thomas Adès

20:00 Philharmonie

Claude Debussy

„Rondes de printemps“ aus „Images“ für Orchester

Thomas Adès

Moderation von Thomas Adès

„Dawn“ – Chacony for orchestra at any distance
„Lieux retrouvés“ für Violoncello und Klavier (Fassung für Violoncello und Orchester)

Pause

Mark Simpson

„Israfel“ für Orchester

Jean Sibelius

Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 105

Besetzung

Thomas Adès, Dirigent

Nicolas Altstaedt, Violoncello

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Konzerteinführung: 19.10 Uhr, Südfoyer, Dr. Christiane Albiez

Konzert mit Deutschlandfunk, Übertragung am 27. Juli 2025, 21.05 Uhr.

Schelmische Melancholie

Vom rauschenden Frühlingsreigen über den immerwährenden Sonnenaufgang bis hin zur Sinfonie des ewigen Fließens – Thomas Adès blitzt der Schalk aus den todernsten Augen, wo und wann auch immer der dirigierende Komponist aus England sein Publikum zu bezaubern weiß. Zum zweiten Mal beim RSB in Berlin zu Gast, leitet er außer dem so beseelt singenden wie sprühend blitzenden, eigenen Cellokonzert „Lieux retrouvés“ (Wiedergefundene Orte – bezogen auf Paris) die opulente sinfonische Dichtung „Rondes de printemps“ von Claude Debussy. Dazwischen findet eine Chaconne für das im Raum verteilte Orchester Platz – mit der immergleichen Melodie nacheinander den Sonnenaufgang an verschiedenen Orten der Erde versinnbildlichend.
Adès‘ geschätzter Kollege Mark Simpson ließ sich von dem im Koran erwähnten Erzengel Israfel („dessen Herzens-Saiten eine Laute sind und der von allen Geschöpfen Gottes die süßeste Stimme besitzt“) zu einem epischen Orchestergesang inspirieren, für den er Edgar Allan Poes Israfel-Verse als Gleichnis heranzog. Am Ende fließen alle Ströme auseinander und wieder zusammen – in Jean Sibelius‘ geheimnisvoll mäandernder letzter Sinfonie, diesem Riesensatz über ein einziges musikalisches Thema.

"Muss es sein?" Der Konzertpodcast

Claude Debussy

„Rondes de printemps“ aus „Images“ für Orchester

Claude de France

„Er liebte die feinen und zarten Dinge, und er liebte die Einsamkeit. Debussy war ein Einzelgänger, und er blieb es auch in der Musik trotz aller Nachahmer und Anhänger. Paris wurde die geistige Heimat seiner Werke. Hier arbeitete, feilte, retouchierte er daran, oft viele Jahre, bis er sie frei gab. Der Klangzauber seiner Musiksprache wurde von den Zeitgenossen schnell mit der Kunst der impressionistischen Maler in Verbindung gebracht. Sogleich war damit seinem – für viele unverständlichen – Schaffen ein Etikett gegeben. Dabei blieb seine Musiksprache trotz aller ineinander gleitenden und zerfließenden Klänge eher der Romantik nahe als den Farben auf den neuen Bildern.“ (Dieter Uhrig)

Dummköpfe nennen das Impressionismus

Wie ist das nun mit dem Impressionismus in der Musik? Benennen damit am Ende all diejenigen Fachleute nur ihre Hilflosigkeit, die sie beim Umgang mit der immerfort changierenden, in Klangfarben schillernden, formal schlechterdings nicht schubladisierbaren Musik jener Epoche anwandelt? Claude Debussy beschreibt sein Herangehen so: „Die Musik ist die Kunst, die der Natur am nächsten steht. ... Allein die Musiker sind dazu berufen, die ganze Poesie der Nacht und des Tages, der Erde und des Himmels einzufangen, die Atmosphäre und deren unermessliche Schwingungen rhythmisch auszudrücken.“ Aha, nicken die Erfahrenen, deskriptive Musik. Natur wird nachgebildet. Aber nein, widerspricht der französische Komponist: „Ich versuche, etwas ganz Anderes zu machen, in gewisser Weise. Bilder der Wirklichkeit – die Dummköpfe nennen das Impressionismus.“

Dieses Andere von Debussy ist gedanklich auf jener Ebene angesiedelt, auf der sich auch Beethoven in der Sinfonie Nr. 6 bewegt: „mehr Empfindung als Malerei“. Gleichwohl moduliert der französische Komponist, die Klänge quasi nach Naturgesetzen. Dem Spiel der Kräfte wird scheinbar kaum Einhalt geboten. Sie dürfen kommen und gehen, mäandern, versickern. Zusammen erst ergeben sie das tönende Ganze, das nicht geradlinig von A nach B sich fortbewegt. „Das geheimnisvolle Zusammenwirken der Luftschwingungen, der Bewegung der Blätter und des Duftes der Blumen würde in Erfüllung gehen, da die Musik alle diese Elemente so vollkommen natürlich vereinigen, würde, dass sie an einem jeden von ihnen teilzuhaben schiene.“ (Claude Debussy)

Frühlingsgefühle

„Rondes de Printemps“ (Frühlingsreigen) basieren auf einer französischen Reigenmelodie. Doch der Reigen „hinkt“ auf charmanteste Weise, wiegt sich sanft im 15/8-Takt. Diesem komplexen metrischen Aufbau durch und durch verspielte Varianten abzugewinnen – und zwar eine nach der anderen, das ist die hohe Kunst des Claude Debussy. Melancholisch tönt der Reigen, obschon er in ein helles und transparentes Klangbild (ohne Blechbläser) getaucht ist. Die insgesamt ruhige Stimmung läuft auf ein französisches Volkslied hinaus („Nous n’irons plus au bois“ – Wir gehen nicht mehr in den Wald), mit dem das sinfonische Werk einen absolut ungewöhnlichen Abschluss findet.

Insgesamt vier Mal hat Debussy den Kinderreim in verschiedenen Werken zitiert. Dem Komponisten zu unterstellen, er habe beim „Frühlingsreigen“ auch an die versteckte Botschaft des Liedes gedacht, die sich explizit nicht an Kinder richtet, führt vielleicht zu weit. Denn nach der Überlieferung hat Madame de Pompadour es 1753 aufgeschrieben, um diskret das Bordellverbot zu beklagen, das zeitweise während der Herrschaft „ihres“ Königs – Ludwig XV. – bestand, und stattdessen sexuelle Freizügigkeit anzuregen…

Thomas Adès

„Dawn“ – Chacony for orchestra at any distance

Mit einer Chaconne um die Welt

Für großes oder kleines Orchester hat Thomas Adès das Werk „Dawn“ komponiert. Die Reminiszenz an seine Mutter (sie hieß Dawn) ist ein Werk des Umbruchs – des Umbruchs von der Zeit vor der Corona-Pandemie hin zur einer Zeit nach der Corona-Pandemie. Denn der ursprüngliche Kompositionsauftrag einer „Morgendämmerung“ für großes Orchester verdämmerte buchstäblich in den Beschränkungen, denen auch Sinfonieorchester auf den Konzertpodien rund um die Welt ausgesetzt waren. Nicht nebeneinander zu sitzen, hieß auch, weniger Platz auf der Bühne für alle zu haben. So hat Thomas Adès die Orchesterbesetzung für „Dawn“ nicht nur (nach unten) flexibel gehalten, sondern die Instrumente ab libitum (beliebig) im ganzen Raum verteilt. Das ergab einen überraschend kreativen Ansatz für ein Orchesterwerk, das nun nicht mehr einen einzigen Sonnenaufgang beschreibt, sondern einen „Sonnenaufgang als ein beständiges Ereignis vorstellt, das sich kontinuierlich um die Welt bewegt“ (Thomas Adès). Die Form einer barocken Chaconne, einer immer wiederkehrenden Bassmelodie, über der sich das übrige Geschehen entfaltet, war für Thomas Adès eine willkommene Inspiration. Ausgehend von einem Ton „c“ bewegt sich die Linie – ganz ähnlich wie in dem berühmten Kanon von Johann Pachelbel – zuerst langsam abwärts, danach klangvoll wieder aufwärts. Das Chaconne-Rad dreht sich von der Harfe bis zum Klavier (auf dessen weißen Tasten fast das ganze Stück gespielt werden könnte), wird am Ende an die Gongs abgegeben, die den Tag einläuten. Natürlich erheben sich über dem Bassfundament wie in jeder Chaconne melodische Dialoge, die das Orchester permanent in

Thomas Adès

„Lieux retrouvés“ - Fassung für Violoncello und Orchester

Mit Gebrüll und Getrommel?

Violoncello und Klavier, das waren die beiden Ur-Instrumente, für die Thomas Adès 2009 „Lieux retrouvés“ komponiert hat – ausgeführt von Steven Isserlis und ihm selbst. 2016 verwandelte er die viersätzige Cellosonate in ein veritables Konzert für Violoncello und Orchester. Wobei das Orchester eingedenk der nicht anzutastenden klanglichen Noblesse des Soloinstrumentes auf ein kleines Ensemble beschränkt ist: außer zwei Flöten sind alle Blasinstrumente zwar besetzt, aber nur jeweils einfach. Hinzu kommen allerdings mannigfache Schlaginstrumente (zu denen im weitesten Sinne auch die mit Händen zu „traktierenden“ Harfe, Celesta und Klavier zu zählen sind): Crotales, Vibraphon, Glockenspiel, Marimba, Xylophon, Triangel, Tamburin, Guero, Kuhglocken, Schwanenpfeife, Polizeipfeife, Sirenenpfeife, Löwengebrüll, Waschbrett, Hi-Hat-Becken, Hängebecken, Tamtam, kleine Trommel, Tenortrommel, große Trommel.

Nostalgie und Ironie

„Lieux retrouvés“ – die im Titel genannten „wiederentdeckten Orte“ verkörpern weniger physische Regionen denn musikalische Ausdrucksmittel, an die sich der Komponist „erinnert“, auch wenn sie aus einer längst vergangenen Epoche stammen. „Ich weiß nicht, warum ausgerechnet das Cello einen beim Hören von ‚Anderswo‘ träumen lässt“, versucht Thomas Adès seine eigene Befindlichkeit beim Komponieren zu beschreiben. „Vielleicht liegt es an den reichen, weitreichenden Farben dieses Instruments, so dass man träumen und sich an einem anderen Ort wiederfinden kann.“

Am Ende überlässt es Thomas Adès dem Cellisten der Uraufführung, die wiedergefundenen Orte in sprachliche Bilder zu fassen. Im Booklet der CD verrät Steven Isserlis: „Der Anfang schildert die Ruhe stillen Wassers – Wasser, das sich dann trübt und wirbelt, bevor es sich wieder entspannt und zu einer brechenden Welle ausdehnt. Der zweite Satz porträtiert Berge und Bergsteiger, deren Schritte auf den Pfaden knirschen. Der Satz fungiert als Scherzo, mit einem Trio-Teil, der besonders mutige Bergsteiger darstellt, die beim mühsamen Voranschreiten sogar noch jodeln können. Das dramatische Ende dieses Satzes machte mir etwas Sorgen, da ich befürchtete, ein Bergsteiger sei vom Berg gestürzt; doch es beruhigte mich, als ich erfuhr, dass es lediglich das trotzige Aufstellen einer Flagge darstellte. Der langsame Satz führt uns auf ein friedliches Feld in der Nacht, die Tiere ruhen, ihr Atem steigt zum Himmel (ziemlich riskant dargestellt durch die höchsten Töne, die ich je lyrisch spielen musste). Das Finale lässt sich am besten mit seinem Untertitel ‚Cancan macabre‘ beschreiben: strahlendes Licht, kokette Frechheit und groteske Übererregung. ‚Ein ausgelassenes Vergnügen‘, wie der Komponist es unschuldig beschrieb, bevor er es wagte, mir die Musik zu schicken…“

Das so melancholische wie verschmitzte Changieren von Thomas Adès‘ Musik greift die erhaben-humorvollen Ideen eines François Couperin auf, schmunzelt demonstrativ Jacques Offenbach zu, dessen berühmter Cancan die wesentliche Substanz für das hektische Großstadt-Finale des Cellokonzertes liefern darf – nicht ohne augenzwinkernden Seitenhieb auf Camille Saint-Saëns, der den nämlichen Cancan seines Operettenkollegen im „Karneval der Tiere“ zum Zeitlupen-Elefantenballett verballhornt hat. Und György Ligeti? Den mag Thomas Adès hörbar auch.

„Wäre die Cello- und Klavierpartitur nicht so schwierig, hätten diese Stücke vielleicht schon längst ihren Platz im Repertoire gefunden. Die Orchestrierung mit ihrer schillernden Zartheit macht es nicht einfacher, aber sie macht die Musik umso unwiderstehlicher. Und ja, es ist derselbe schelmische Adès.“ (Mark Swed, 12. Februar 2017, LA Times)

Ein Zeitgenosse in aller Ohren

Drei Verlage bewarben sich 1989 bei einem 18-jährigen Komponisten um sein erstes Werk, noch bevor der überhaupt sein Kompositionsstudium begonnen hatte. Thomas Adès kann sich über mangelnden Zuspruch nicht beklagen.

Ausgebildet als Pianist an der Guildhall School of Music und am King’s College in Cambridge, 18-jährig dekoriert mit dem 2. Preis des BBC Young Musician of the Year, gab Thomas Adès im Alter von 22 Jahren seinen ersten umjubelten Klavierabend in London und begann damit eine Karriere als Pianist. Noch vor seinem 30. Lebensjahr wurde er Künstlerischer Leiter des berühmten, von Benjamin Britten begründeten Festivals in Aldeburgh, außerdem Musikdirektor der Birmingham Contemporary Music Group und Inhaber der begehrten Britten-Professur an der Royal Academy of Music.

Thomas Adès betrat 1995 musiktheatralisches Gebiet. Seine Kammeroper „Powder Her Face“ dirigierte er erstmals auf dem Cheltenham Festival. Weitere Opernaufträge erreichten Thomas Adés vom Royal Opera House Covent Garden („The Tempest“ nach Shakespeare, 2004), vom Glyndebourne Festival und von den Salzburger Festspielen („The Extermining Angel“, 2016). Einen Meilenstein bildete das Orchesterwerk „Asyla“, 1997 beauftragt vom City of Birmingham Symphony Orchestra und Simon Rattle. 1998 gab Thomas Adès sein Debüt bei den legendären BBC Proms – als Pianist, Dirigent und Komponist in einer Person mit seinem „Concerto Conciso“. Im Herbst 2005 fand in der Berliner Philharmonie die Uraufführung seines Violinkonzertes statt – ein Auftragswerk der Berliner Festspiele und des Los Angeles Philharmonic Orchestra. Unter seinen zahlreichen Kompositions- und Schallplattenpreisen ragt der Grawemeyer Prize heraus. Thomas Adés gewann den bedeutendsten Kompositionspreis der Welt im Jahr 2000 als jüngster Kandidat, der je für einen Grawemeyer Prize vorgeschlagen wurde.

Am 22. April 2018 trat der Komponist zum ersten Mal als Dirigent auch vor das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, um selber sein Orchesterwerk „Totentanz“ zu dirigieren. Zuvor waren beim RSB schon Adès‘ Orchesterwerke „But All Shall Be Well“ (2006) und „America. A Prophecy“ (2007) erklungen. 2023 dirigierte Vladimir Jurowski die Berliner Premiere des Konzertes für Klavier und Orchester aus dem Jahre 2018, Solist war der mit Thomas Adès befreundete Pianist Kirill Gerstein.

„Und der Engel Israfel, dessen Herz eine Laute ist und der die süßeste Stimme von allen Geschöpfen Gottes hat.“

(aus dem Koran)

Mark Simpson

„Israfel“ für Orchester

Eine undefinierbare Begabung für Schönheit

„Als ich Edgar Allan Poes Verse über den im Koran erwähnten Erzengel Israfel las, wusste ich, dass wir an einem Strang ziehen. Ich wollte ein Werk komponieren, das singt, schwebt, sich verwandelt, uns bewegt, erhebt, kraftvoll, zerbrechlich ist, Hoffnung, Ungewissheit, Schönheit hat – etwas Jenseitiges, Transzendentes – etwas, das uns erschüttert.“ (Mark Simpson, 2015)

Es ist mehr als nur eine schöne Geste von Thomas Adès, dass er mitten in „seinen“ Abend mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin neben den eigenen das Werk eines anderen zeitgenössischen Komponisten einbettet. Jenseits aller Konkurrenz begeistert sich der höchst erfolgreiche Komponist Adès für den siebzehn Jahre jüngeren Kollegen Simpson – um diese Begeisterung idealerweise mit uns zu teilen.

Mark Simpson, einer der aktuell am meisten beachteten Komponisten Großbritanniens, gewann 2006 als erster Künstler überhaupt zugleich die beiden Preise BBC Young Musician of the Year sowie BBC Proms/Guardian Young Composer of the Year. Seine Kammeroper „Pleasure“ und eben das Orchesterwerk „Israfel“ sorgen überall wo sie erklingen für Aufhorchen.

Ausgebildet am Royal Northern College of Music, an der Oxford University sowie der Guildhall School of Music and Drama, debütierte Mark Simpson mit 17 Jahren als Klarinettist in der Londoner Wigmore Hall und trat als Solist beim Royal Liverpool Philharmonic, beim BBC Philharmonic, beim BBC National Orchestra of Wales sowie der Northern Sinfonia auf. Als Komponist erhielt er Aufträge vom BBC Symphony Orchestra, vom Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, vom National Youth Orchestra und der Britten Sinfonia. Kein Wunder, denn seine raffiniert instrumentierten Werke zeichnen sich vor allem durch eine herausragende Begabung von Mark Simpson aus: Er vermag es, die Zuhörenden souverän bei den sprichwörtlichen Ohren zu nehmen, sie zu führen und zu begleiten durch noch so komplexe musikalische Strukturen.

Edgar Allan Poe
Israfel

Im Himmel wohnt ein Geist,
Sein Herz ein Saitenspiel.
Keiner singt so wild und schön
Wie Israfel. Am fernsten Ziel
Bleiben die Sterne stehn (wie es heißt),

Gebannt vom Getön.
Auf seinen Pfaden
Zur höchsten Mitternacht
Taumelt der Mond liebe-entfacht.
Ja, der Blitz und die raschen Plejaden
Halten inne im Lauf
Und horchen auf.

Und die Engelschar, die ihn umringt,
Und das lauschende Sternengedränge
Sie sagen, dass Israfels Glut
Allein in der Harfe ruht,
Deren zitternde, lebende Stränge
Er berührt, wenn er singt.

Doch tritt der Engel Bahnen,
Wo tiefe Gedanken Gebot,
Wo die Liebe ein starker Gott,
Wo die Huris immerdar
In Schönheit strahlen, so wunderbar,
Wie wir sie hienieden nicht ahnen.

Wohl ist voll Glut sein Gesang.
In der Laute wilden Klang,
Ihrem Hassen und Liebesrasen,
Mischt sich der Überschwang
Der Himmels-Ekstasen.
Der Himmel ist sein.

Doch dies ist eine Welt voll Müh
Und Unvollkommenheit.
Unsere Blumen welken früh,
Und unser Sonnenschein
Ist der Schatten seiner Seligkeit.
Wohnt ich wie er in Himmelshöhn

Und er wäre ich -
Er sänge wohl nicht so wild und schön
Sterbliche Melodien,
Doch kühne Gesänge würden sich
Auch dann durch die Himmel ziehn.

„Poes Gedicht beschwört perfekt die unzähligen Emotionen herauf, durch die ich den Hörer hindurchführen wollte. Was die Struktur betrifft, ist das Stück in zwei Teile gegliedert. Der erste ist von einem sich ständig verändernden, gesanglichen Charakter und der zweite von schnellerem, entschlossenerem Antrieb hin zu einem dramatischen Höhepunkt. Die Coda hingegen ist bittersüß – wie im Gedicht, das mit dem Gedanken des Autors endet, dass er seiner Leier wohl eine bessere Melodie entlocken könnte, wenn er mit dem Engel den Platz tauschen würde.“ (Mark Simpson)

Jean Sibelius

Sinfonie Nr. 7 C-Dur op. 105

jean-sibelius

Musik beginnt, wo Worte aufhören

„Ich möchte eine Sinfonie mit einem Fluss vergleichen. Dieser entsteht durch eine Unzahl kleiner Bäche, welche voranstreben. Der Fluss mündet breit und mächtig ins Meer. Jedoch – heutzutage gräbt man das Flussbett breit und mächtig aus – man macht ganz einfach einen Fluss. – Doch woher das Wasser nehmen? Mit anderen Worten: Man lässt nicht das Motiv, den musikalischen Einfall seine Form sich suchen, sondern legt die Form groß und mächtig fest, und versucht zugleich, sie auszufüllen. Aber woher das Wasser nehmen – die Musik.“ Das Bild des Flusses passt sehr gut zum Aufbau der siebenten Sinfonie, obwohl Sibelius die berühmten Sätze auf seine vierte Sinfonie bezogen hatte. Sein sinfonisches Verständnis unterschied sich von dem Beethovens vor allem dadurch, dass die Themen nicht kontrastierten, sondern aus gemeinsamen Keimzellen entwickelt wurden, mehr noch, dass sie selbst darüber entschieden, in welche Richtung sie fließen, welcher Form sie sich einpassen sollten.

Der Einsame von Ainola

Sibelius nahm die Arbeit an der Sinfonie Nr. 7 bald nach Beendigung der sechsten auf. Bei beiden Werken griff er auf Skizzen zurück, die seit den Tagen des Ersten Weltkrieges in seiner Schublade lagen und seitdem nicht mehr angerührt worden waren. Zunächst plante er eine dreisätzige „Fantasia sinfonica“, keine „Sinfonie“. Doch wich er im Verlauf der Arbeit von diesem Konzept ab und fügte der Sinfonie Nr. 7 später den Untertitel „In einem Satz“ hinzu. Sie sei Ausdruck der „Lebensfreude und Lebenskraft“, freilich mit „Appassionato-Zutaten“, kündigte Jean Sibelius die Sinfonie an, deren Partitur er 1924 abgeschlossen hatte. Die Uraufführung der Sinfonie Nr. 7 fand 1925 in Stockholm unter des Komponisten Leitung mit dem Titel „Fantasia sinfonica“ statt. Es folgten Aufführungen unter bedeutenden Dirigenten: in Philadelphia (Leopold Stokowski), in Boston und New York (Sergei Kussewitzky). In Finnland erklang die siebente Sinfonie zum ersten Mal 1927.

Dass Sibelius nach dieser Sinfonie binnen 33 Jahren, die er noch zu leben hatte, kein einziges Werk mehr veröffentlicht hat, führte zu den gegensätzlichsten Spekulationen. Während die einen behaupteten, Sibelius hätte ein zweiter Richard Strauss sein müssen, um angesichts der Entwicklung der Musik überhaupt noch komponieren zu können; mutmaßten die anderen, er bewahre seine Schätze in der Schublade auf, um sie nicht der Öffentlichkeit in einer Zeit zu übergeben, die ihm wenig musenfreundlich gesinnt schien. Aber in Sibelius‘ Nachlass wurde nichts gefunden, auch nicht eine vermutete achte Sinfonie.
 

Alles fließt

Gerade in seiner letzten Sinfonie treibt Sibelius die Idee von der sich selbst generierenden Form auf die Spitze. Zur Einsätzigkeit und zum fast durchgehenden 6/4-Takt hinzu kommt eine quasi monothematische Substanz. Einleitende Gedanken bereiten den Boden. Danach entfaltet sich die volle Pracht eines satten Streicherchores. Doch bleibt dieses Motiv Episode. Erst am Ende der Sinfonie kommt es bruchstückhaft und stark verwandelt nochmals vor. Das eigentliche Hauptthema in C-Dur tritt nach dem Ausschwingen dieses Teiles auf. Sibelius vertraut es der Solo-Posaune an. Aus dem berühmten Posaunenthema erwächst allmählich eine immer schnellere Bewegung, die den Charakter der Musik völlig verwandelt, ohne dass ein neues Thema eingeführt worden wäre. Vielmehr ertönt nun – quer dazu – eine Moll-Variante des Posaunenthemas und kontrastiert selbst den Vorgang, den es ursprünglich ausgelöst hatte.

Die Musik enthält als besondere Qualität das Phänomen des Gleichzeitigen, ohne chaotisch zu werden, im Gegenteil: Zwei Bewegungen, auf ganz und gar natürliche Weise aus einem einzigen Fluss erwachsen, der sich in zwei, dann mehrere Arme aufteilt, die jeder für sich mäandern, Inseln bilden, ruhig kreisen, wieder zusammenfinden, schneller strömen oder im Schilf verharren – das sind die Qualitäten von Sibelius‘ letzter Sinfonie.

Noch einmal beginnt das Spiel verschiedener Motive mit einer Steigerung bis zum stürmischen Presto. Schließlich erscheint ein drittes Mal das Hauptthema, nunmehr eingebettet in den Klang des gesamten Bläserchores. Gegen Ende zitiert Sibelius eine Harmoniefolge aus seinem „Valse triste“ (1904). Kündigt sich hier der Abschied an? Den Ausklang bildet eine Rückführung auf die Substanz der Einleitung. Der letzte Takt mündet nach dissonanten Verästelungen in den reinen C-Dur-Akkord.

Kurzbiographien

Thomas Adès

Thomas Adès wurde 1971 in London geboren. Zu seinen Kompositionen gehören drei Opern: Die Uraufführung der jüngsten, The Exterminating Angel, dirigierte er 2016 bei den Salzburger Festspielen und anschließend an der Metropolitan Opera in New York und am Royal Opera House in London. Er dirigierte die Premiere und Wiederaufnahme von The Tempest am Royal Opera House und eine neue Produktion an der Metropolitan Opera, der Wiener Staatsoper und im November 2022 an der Mailänder Scala. Thomas leitete die Weltpremiere seines abendfüllenden Balletts The Dante Project im Covent Garden und dirigierte es im Mai 2023 an der Opéra Garnier in Paris. Im Frühjahr 2024 dirigierte er an der Opéra Bastille in Paris eine Neuproduktion von The Exterminating Angel in einer von der Kritik gelobten Inszenierung von Calixto Bieito.

Im Oktober 2024 dirigiert Thomas Adès das Gewandhausorchester Leipzig im Rahmen seiner zweijährigen Residency bei diesem Ensemble, wo er als Dirigent, Pianist und Komponist in verschiedenen Konzertformaten auftritt. Im vergangenen Herbst begann Thomas Adès auch eine zweijährige Residenz beim Hallé-Orchester – in der Saison 23/24 dirigierte er zwei Orchesterkonzerte und kuratierte ein Kammermusikprogramm. Beim ersten Auftritt in der Saison 24/25 am 21. November dirigiert Thomas Aquifer, zusammen mit seinem Air – Homage to Sibelius für Violine und Orchester, das im Mai 2024 mit dem London Symphony Orchestra uraufgeführt wurde.

Als Dirigent arbeitet Thomas regelmäßig mit dem London Symphony Orchestra, dem BBC Symphony Orchestra, dem City of Birmingham Symphony Orchestra, dem Boston Symphony Orchestra, dem Cleveland Orchestra, dem Finnischen Rundfunk, dem Royal Concertgebouw, dem Santa Cecilia Orchestra, dem Toronto Symphony Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra, dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, der Tschechischen Philharmonie, den Wiener Philharmonikern, dem New York Philharmonic Orchestra, den Berliner Philharmonikern und dem London Philharmonic Orchestra zusammen. Im Opernbereich dirigierte er neben The Exterminating Angel auch The Rake’s Progress am Royal Opera House und am Opernhaus Zürich sowie die Uraufführungen von drei Opern von Gerald Barry, darunter die Weltpremieren von The Importance of Being Earnest und Alice’s Adventures Under Ground in Los Angeles, die er auch in Covent Garden zur europäischen Erstaufführung brachte. Zu den weiteren Höhepunkten von 24/25 zählen Thomas‘ Konzerte mit dem Orchestre de l’Opéra national de Paris, dem London Symphony Orchestra, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.

Nicolas Altstaedt

Der deutsch-französische Cellist Nicolas Altstaedt ist einer der gefragtesten und vielseitigsten Künstler unserer Zeit. Als Solist, Dirigent und künstlerischer Leiter führt er ein Repertoire auf, das von der Alten Musik bis zur zeitgenössischen Musik reicht, und spielt auf historischen und modernen Instrumenten.

Seit seinem vielbeachteten Debüt mit den Wiener Philharmonikern und Gustavo Dudamel beim Lucerne Festival folgten weitere bemerkenswerte Residenzen und Kooperationen, darunter das Budapest Festival Orchestra mit Iván Fischer, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit Teodor Currentzis, das Helsinki Festival mit Esa-Pekka Salonen, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit Robin Ticciati, das Rotterdam Philharmonic Orchestra mit Lahav Shani, Tonhalle-Orchester Zürich, Royal Stockholm Philharmonic Orchestra mit Philippe Herreweghe, Münchner Philharmoniker mit Krzysztof Urbanski, European Union Youth Orchestra mit Vasily Petrenko, alle BBC-Orchester, u. a. mit John Storgårds, Orchestre National de France mit Cristian Măcelaru, NHK und Yomiuri Nippon (mit Kazuki Yamada) Symphonieorchester, Washington’s National Symphony Orchestra sowie Sydney und New Zealand Symphonieorchester.

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Nebel, David
Herzog, Susanne
Yoshikawa, Kosuke
Neufeld, Andreas
Bondas, Marina
Feltz, Anne
Kynast, Karin
Ries, Ferdinand
Tast, Steffen
Yamada, Misa
Behrens, Susanne
Shalyha, Bohdan
Stoyanovich, Sophia
Bernsdorf, Romina
Kim, Myung Joo
Hildebrandt, Laura

Violine 2

Kurochkin, Oleh
Simon, Maximilian
Drop, David
Petzold, Sylvia
Buczkowski, Maciej
Draganov, Brigitte
Hetzel de Fonseka, Neela
Manyak, Juliane
Palascino, Enrico
Seidel, Anne-Kathrin
Bauza, Rodrigo
Sak, Muge
Cazac, Cristina
Drechsel, Franziska

Viola

Regueira-Caumel, Alejandro
Adrion, Gernot
Zolotova, Elizaveta
Doubovikov, Alexey
Drop, Jana
Montes, Carolina
Sullivan, Nancy
Roske, Martha
Yu, Yue
Shin, Hyeri
Zappa, Francesca

Violoncello

Stemmler, Peter-Philipp
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Bard, Christian
Boge, Georg
Kipp, Andreas
Weigle, Andreas
Meiser, Oliwia
Raudszus, Christian
Walmsley, Gregory

Kontrabass

Wagner, Marvin
Figueiredo, Pedro
Ahrens, Iris
Buschmann, Axel
Gazale, Nhassim
Schwärsky, Georg
Yeung, Yuen Kiu Marco
Koscic, Dusan

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Flöte

Zust, Brina
Schreiter, Markus
Dallmann, Franziska

Oboe

Gavilan, Ana
Vogler, Gudrun
Herzog, Thomas

Klarinette

Kern Michael
Pfeifer, Peter
Zacharias, Ann-Kathrin

Fagott

Kofler, Miriam
Voigt, Alexander
Königstedt, Clemens
Shih, Yisol

Horn

Kühner, Martin
Holjewilken, Uwe
Mentzen, Anne
Hetzel de Fonseka, Felix

Trompete

Coker, Alper
Ranch, Lars
Hofer, Patrik

Posaune

Pollock, Louise
Hauer, Dominik
Lehmann, Jörg

Tuba

Kraft, Dorian

Harfe

Edenwald, Maud
Barbera, Leia

Percussion

Tackmann, Frank
Thiersch, Konstantin
Ellwanger, JOhannes
Schmidt, Henrik-Magnus

Pauke

Eschenburg, Jakob

Klavier

Syperek, Markus

Cembalo

Ginzery, Enikö

Kooperation

Foto-/ Videorechte

Thomas Adès © Marco Borggreve

Thomas Adès © Mathias Benguigui

Nicolas Altstaedt © Marco Borggreve

RSB in der Philharmonie © Peter Meisel

Bilder Orchesterprobe © Junye Shen