So 23.02.2025

Giedrė Šlekytė

20:00 Philharmonie

Hannah Eisendle

„heliosis“ für Orchester

Tebogo Monnakgotla

Konzert für Violine und Orchester („Globe Skimmer Surfing the Somali Jet“)

Pause

Robert Schumann

Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 („Frühlingssinfonie“)

Besetzung

Giedre Šlekyte, Dirigentin

Johan Dalene, Violine

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Konzertübertragung: Das Konzert wird am 02.03.2025 um 20 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur übertragen.

Konzerteinführung: 19.10 Uhr, Südfoyer, Steffen Georgi

Das Konzert findet im Rahmen der Biennale der Berliner Philharmoniker 2025 "Paradise lost? - Von der Bedrohung der Natur" statt.

Private Audio-, Foto- und Videoaufnahmen sind während des Konzerts nicht gestattet.

Podcast "Muss es sein?"

Hannah Eisendle

„heliosis“ für Orchester

„Ein Sommerstück, doch nicht die Sorte klare Landschaft unter Himmelsblau und Sonnenstrahl. Schmutzig, hitzig, klebrig angestaubt. Geworfensein in eine Wüste. Sonne, brennend über sandigen Dünen und kantigem Geröll. Hitze, die den Atem nimmt, betäubt, benebelt. Gleißend waches Gegenwärtigsein versucht dagegen anzukommen. Überreizt die Sinne, gespalten das Bewusstsein – beherrschtes Fokussieren und Sortieren gegen mattes Sichergeben. Erstarren im Korsett oder Übergehen in Kontrollverlust.“ (Hannah Eisendle)

Die Komponistin Hannah Eisendle

Hannah Eisendle ist Dirigentin, Komponistin und Pianistin. In allen drei Bereichen orientiert sie sich am Zeitgenössischen und ist bestrebt, mit Künstlern unterschiedlicher Sparten zu kooperieren. In ihren Kompositionen lässt sie sich oft von außermusikalischen Eindrücken, Bildern und anderen Kunstformen inspirieren, die sie in Klänge umsetzt. Als Komponistin erlangte sie internationale Aufmerksamkeit mit ihrem Orchesterwerk „heliosis“, das im Auftrag des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien entstand und 2022 u.a. zu ihrem Debüt bei den renommierten Londoner Proms führte. 2022 wurde sie von der Wiener Staatsoper eingeladen, die Jugendoper „Elektrische Fische“ zu komponieren, die 2024 uraufgeführt wurde.

Ihre Orchesterwerke werden unter der musikalischen Leitung von Marin Alsop, Giedrė Šlekytė, Joana Carneiro, Manfred Honeck und Cristian Măcelaru von Orchestern in Berlin, Pittsburgh, Wien, Warschau, St. Louis und Dallas aufgeführt. Unter ihrer eigenen Leitung erklingen sie beim Niederösterreichischen Tonkünstler-Orchester, beim Kärntner Symphonieorchester und dem Wiener Concert-Verein. Ihre Kompositionserfahrungen gibt sie besonders gerne an Studierende weiter, wozu ihr ihre Tätigkeit als Universitätsassistentin an der Gustav-Mahler-Privatuniversität für Musik in Klagenfurt Gelegenheit bietet.

Hitze und Staub

„Heliosis“ beginnt so unkomfortabel wie die Situation, die es musikalisch beschreibt: unerträgliche Gluthitze, lebensfeindliche Atmosphäre. „Kein einleitendes Heranführen an die Szene steht am Beginn des Stücks. Mitten hinein wird man geschleudert in einen dynamischen Höhepunkt. Rhythmisches Material explodiert. Differente Rhythmen vermitteln überstrapazierte Sinne wie das Wanken zwischen klarem Wachbewusstsein und erschöpfter Hingegebenheit. Ein Funkeln von Staub im feurigen Wind, ein Wabern der Hitze über asphaltierten Pisten. Unerbittlich vorwärtsdrängend die rhythmische Struktur, getrieben von der Glut und ohne auszusetzen. Maschinell wie ein perpetuum mobile. Der Höhepunkt stirbt plötzlich ab, Raum gebend wahrnehmendem Erstaunen. Die Maschine läuft weiter, untergründiger, durchzuckt von kleinen Eruptionen.

Zuständig für das Sounddesign der Wüstenlandschaft sind die Streicher, spielend auf und hinter dem Steg, die Intensität der Sonne spüren lassend. Dazwischen geflüstertes Selbstgespräch, pfeiftönig. Hohes Flirren, tiefes Wabern, starke Kontraste ausreizend im Gegensatz von rhythmischer Stabilität und schrägen Einwürfen. Extreme Höhen über tiefen Glissandi, Schwellern und engen Akkorden.

Wie das Bewusstsein sich in überhitztem Zustand spaltet, so teilt sich an einem bestimmten Punkt das Orchester. Tempi gleiten auseinander. Eine Unisono-Linie, die einen stabil bleibend, die anderen ‚abhebend‘. Piu mosso. Unaufhörlich.“ (Hannah Eisendle)

Dirigentin zwischen „crushed ice“ und „Wiener Blut“

Als Dirigentin gilt ihr besonderes Interesse der Aufführung von Werken des 20. und 21. Jahrhunderts. 2023 debütierte sie mit dem ORF Radio-Symphonieorchester im Großen Saal des Wiener Musikvereins, wo sie zuvor die österreichische Erstaufführung von Brittens „Ballad of Heroes“ dirigierte. 2023 leitete sie die Musikvermittlungskonzerte des Tonkünstler-Orchesters, mit dem sie 2020 beim Grafenegg-Festival ihr Orchesterwerk „crushed ice II“ uraufführte. Einladungen als Gastdirigentin erhielt sie u.a. von Orchestern aus Göttingen, Wien, Klagenfurt sowie als musikalische Assistentin vom Orchestre National de France und der Norddeutschen Philharmonie Rostock. Sie arbeitete mehrere Jahre als Dirigentin und musikalische Assistentin der Jugendoper am Theater an der Wien, leitete dort die Kinderoper und assistierte bei Produktionen der Neuen Oper Wien sowie für Janáčeks „Jenufa“ am Théâtre National du Capitole de Toulouse. Neben Tschaikowskys „Eugen Onegin“ am Schönbrunner Schlosstheater dirigierte sie zeitgenössische Opern von Patricia Martinez, Caitlin Smith und Manuel Zwerger. Seit 2023 ist sie Kapellmeisterin und Korrepetitorin am Stadttheater Klagenfurt, wo sie mit Johann Strauß‘ „Die Fledermaus“ debütierte. Für die Wiener Festwochen „Johann Strauß 2025“ wurde sie zur musikalischen Leiterin von „Wiener Blut“ ernannt.

Hannah Eisendle studierte Klavier an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und diplomierte in Komposition und Dirigieren an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Wichtige Impulse für ihre Arbeit erhielt sie in Meisterkursen bei Marin Alsop, Cristian Măcelaru und Johannes Schlaefli, als Conducting Fellow beim Cabrillo Festival of Contemporary Music in Santa Cruz (CA) und als Teilnehmerin der Darmstädter Ferienkurse.

Tebogo Monnakgotla

Konzert für Violine und Orchester („Globe Skimmer Surfing the Somali Jet“)

Die Violine lernt zu fliegen

The Globe Skimmer, die Wanderlibelle, „wandert in riesigen Schwärmen zwischen Afrika und Asien hin und her, um die Monsunregen zu nutzen und immer gerade dort anzukommen, wo die Wetterfronten die passenden Fortpflanzungsgewässer bereitet haben“ (NABU Deutschland). Das Fluginsekt nutzt dabei jeweils mehrere Generationen lang die Winde über der Somaliströmung, dem Pendant des Golfstroms in der östlichen Hemisphäre. Nun hat die Komponistin Tebogo Monnakgotla das kleine mobile Tier und die solistische Violine zusammengebracht und damit einmal mehr das komplexe Einssein auf unserer Erde verdeutlicht.

Das Violinkonzert mit dem poetischen Untertitel „Die Wanderlibelle surft auf dem Somali Jet“ entstand im Auftrag des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra, des BBC Symphony Orchestra und des Lahti Symphony Orchestra und ist dem Geiger Johan Dalene gewidmet. Johan Dalene spielte die Uraufführung am 13. April 2023 in Stockholm. Das Violinkonzert brachte der Autorin in der internationalen Presse den Ruf als „eine der bedeutendsten schwedischen Komponistinnen ihrer Generation“ ein. Tebogo Monnakgotla wurde in Uppsala in Schweden geboren. Ihr Vater hatte einst Südafrika wegen der Apartheid verlassen müssen. Im Alter von zehn Jahren begann sie in der städtischen Musikschule mit Violoncellounterricht. Ab 1994 studierte sie Komposition und Cello an der Musikhochschule Piteå, ab 1999 am Royal College of Music in Stockholm, wo sie 2006 ihr Aufbaustudium abschloss. Ihre Karriere nahm Fahrt auf, nachdem sie, noch als Studentin in Stockholm, einen Preis beim International Rostrum of Composers gewann, dem Wettbewerb für zeitgenössische Musik der europäischen Rundfunkunion. Der schwedische Rundfunk ernannte sie prompt für zwei Jahre zur Komponistin in Residence.

Tebogo Monnakgotla komponiert Orchester- und Kammermusik, verwendet Poesie u.a. von Li Li, Oliveira Silveira und dem madagassischen Dichter Jean-Joseph Rabearivelo. In jüngerer Zeit konzentriert sie sich auch auf die Oper. Auf „Jean-Joseph“, eine Kurzoper für die Royal Opera in Stockholm, folgte die Oper „Zebran“ für das Sommerfestival 2021 in Vadstena. Neben dem Violinkonzert kursiert auch ein kürzlich entstandenes Saxophonkonzert für Johannes Thorell inzwischen auf den Streamingplattformen im Internet. Aktuelle Konzerte in New York, Chicago, London, Berlin, beim Chelsea Music Festival und in Tanglewood künden von der internationalen Reputation von Tebogo Monnakgotla.

So poetisch wie politisch

„Ich habe mir Gedichte über Libellen angesehen und mehr darüber recherchiert und bin auf die wissenschaftliche Arbeit eines Meeresbiologen über die Migration von Libellen gestoßen. Er fand heraus, dass sie aus dem Norden Indiens kommen und wenn es trocken wird, folgen sie den Wolken über den Indischen Ozean, um nach Afrika zu ziehen. Sie machen zunächst auf den Malediven oder Seychellen Halt, wo es Monsunregen gibt, und bleiben wochenlang. Und wenn es regnet, vermehren sie sich und die neuen Libellen folgen den Wolken zum nächsten Ort und so weiter. Und die vierte Generation kehrt schließlich mit Hilfe des Somali Jet nach Indien zurück. …

Es gibt fünf Teile, zuerst den Prolog, in dem die Libellen aus Indien aufsteigen. Dann surfen sie im ersten Satz auf dem Monsun. Wenn sie schließlich irgendwo auf Süßwasser landen und mehr Luft zum Atmen haben, ist das der zweite Satz. Und der dritte Satz repräsentiert den Somali Jet, der sie zurück nach Indien bringt. Dann gibt es einen Epilog, nachdem sie wieder zu Hause angekommen sind. ...

...Er ähnelt dem zweiten Satz, weil die Libellen still sind, doch dieses Mal sind sie wieder zu Hause. Der Abschnitt heißt ‚Erinnerung an Zuhause‘, denn obwohl sie zu Hause sind, waren diese Libellen dort noch nie, da sie der vierten Generation angehören.“

Und die Musik dazu? Die Solovioline verkörpert das einzelne Individuum, wie in einem Zoom, imitiert zum Beispiel die auf der Stelle flirrende Libelle. Das Orchester ist zuständig für die Wolken, den Wind, den Monsunregen, das verdunstende Wasser, überhaupt alles, was die Libellen umgibt. Das Orchester schickt die kleinen Tiere aktiv auf die Reise, schildert ihr Schwarmverhalten, die Gefahren und Glücksumstände. Am zweiten Abschnitt mit Wolken und Regen hat Tebogo Monnakgotla nach eigener Aussage lange gearbeitet, um die Situation adäquat in Töne zu fassen. Über die nachfolgende Musik, die zuerst den abenteuerlichen Ritt auf dem Somalijet darstellt, erzählt die Komponistin: „Es ist ziemlich lustige Musik und sehr schnelllebig. Ich hatte ein Bild im Kopf, in dem die Libellen weggefegt werden, fast wie ein Comic. Die Musik flirtet also auch ein bisschen mit alter Zeichentrickmusik im Hollywood-Stil, wie Tom und Jerry, die oft auf Zwölftonmusik basierte. … Der Violinpart flattert viel, wie wenn man eine Libelle sehr schnell herumfliegen sieht. Es gibt also viele Triller und es ist sehr hoch, aber lyrisch. Und im Orchester wollte ich das Gefühl einer Reise erzeugen, mit Monsunregen und allem anderen. Am Ende schimmert alles auf impressionistische Weise, durchscheinend…“ (Tebogo Monnakgotla)

Robert Schumann

Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 („Frühlingssinfonie“)

Frühlingsgefühle

Wir schreiben das Jahr 1841. Nach jahrelangem Kampf hat Robert seine Clara heimgeführt. Nun fangen die Probleme erst an. Denn was soll sie daheim? Vorerst genießt sie die Zuwendung ihres schwärmerischen Gatten, der ihr (und der Welt) 1840 fast 200 Lieder komponiert. Systematisch erschließt er sich auch die großen orchestralen Formen (ein g-Moll-Sinfoniefragment von 1832-1833 war missglückt), zumal ihn ein tiefer Eindruck anspornt, den er 1839 in Wien empfangen hat. Auf den Spuren Franz Schuberts, der elf Jahre zuvor in Wien gestorben war, besuchte Schumann dessen Bruder Ferdinand in Wien und fand im Nachlass des Komponisten eine unbekannte Sinfonie. Es handelte sich um die heute berühmte Große C-Dur-Sinfonie, die Schumann mitbrachte und Mendelssohn für die Aufführung im Gewandhaus empfahl.

Nun ist es an der Zeit, die Gattung selber zu bedienen. Im Januar 1841 konzipiert Schumann in nur vier Tagen und Nächten die Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38. „Ich hab in den vorigen Tagen eine Arbeit vollendet (wenigstens in den Umrissen), über die ich ganz selig gewesen, die mich aber auch ganz erschöpft. Denken Sie, eine ganze Sinfonie – und obendrein eine Frühlingssinfonie – ich kann kaum selber es glauben, daß sie fertig ist“ (Schumann an Ernst Ferdinand Wenzel). Vorausgegangen waren dieser ersten vollendeten Sinfonie bereits eine ganze Reihe von „symphonistischen Versuchen“, wie Schumann sie selbst in seinen Haushaltsbüchern bezeichnete. Bereits diese Versuche (insgesamt drei verschiedene Ansätze einer c-Moll-Sinfonie vom Frühjahr 1839, Oktober 1840 und Januar 1841) standen deutlich unter dem Eindruck der Schubert-Sinfonie. Einen „novellistischen Charakter“ spürte Schumann dort und verglich sie mit einem „Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul“. Eine ähnliche poetische Inspiration wünschte er sich nun auch für seine Erste – Musik, die sich wie ein romantischer Roman aus verschiedenen literarischen Formen (Novelle, Gesang, Phantasie, mit dramatischen, humoristischen und philosophischen Exkursen) zu einem „universellen Mischgedicht“ fügen sollte.

Trara, trara, der Lenz ist da

So nimmt es nicht wunder, dass ein literarischer Gedanke zur Keimzelle der Sinfonie wird. Er ist in  einem Gedicht des Leipziger Byron-Übersetzers und Gelegenheitspoeten Adolf Böttger zu finden. Den Sprachrhythmus des letzten Verses „O wende, wende, deinen Lauf / Im Thale blühet Frühling auf“ lässt Robert Schumann von Hörnern und Trompeten gleich zu Beginn des ersten Satzes textlos schmettern: „Im Tha-le blü-het Früh-ling auf!“. 

Aus diesem markant punktierten Motto entwickelt er – getreu Schubert – das gesamte thematische Material der „Frühlingssinfonie“, verbindet mit großer Selbstverständlichkeit die Sätze des Werkes untereinander und offenbart erst im Finale die endgültige Gestalt des Hauptthemas.

Die Skizze ist am 26. Januar 1841 abgeschlossen, vier Wochen später steht die Instrumentation, bereits am 31. März dirigiert Felix Mendelssohn Bartholdy die überaus erfolgreiche Uraufführung im Leipziger Gewandhaus. Stolz widmet der Komponist das Werk Seiner Majestät, dem König Friedrich August I. von Sachsen, findet auch sofort einen renommierten Verlag, der die Sinfonie drucken will. Am 7. April 1841 verkauft Schumann die Sinfonie an Breitkopf & Härtel. Vor der Druckfreigabe am 16. August 1841 unterzieht er sie einer gründlichen Revision, in die er zahlreiche praktische Hinweise des versierten Komponistenkollegen und Uraufführungsdirigenten Felix Mendelssohn Bartholdy einfließen lässt. Die auffallendste Änderung ist dabei die Versetzung des von Hörnern und Trompeten intonierten Einleitungsmottos um eine Terz nach oben. Noch im November desselben Jahres erscheinen die Stimmen zur Sinfonie, 1853, nach weiteren, jedoch nur marginalen Korrekturen, deren vollständige Partitur.
Kaum ist die „Frühlingssinfonie“ an der Öffentlichkeit, mutmaßen die meisten Rezipienten sogleich programmatische Hintergründe. Doch Schumann hält vehement dagegen, fühlt sich von Grund auf missverstanden. Nicht nach Programmmusik stehe ihm der Sinn, sondern nach Aufladung der traditionellen viersätzigen Sinfonieform mit einer durchgängigen poetischen „Idee“, deren systematische Anreicherung mit musikalischer Substanz dem Ende des Werkes als Höhepunkt zustrebt. In der Tat erhält der Finalsatz mindestens dasselbe Gewicht wie der Kopfsatz. Um weitere Fehlinterpretationen zu vermeiden, tilgt Schumann noch vor Drucklegung die im Autograph vermerkten Überschriften zu den einzelnen Sätzen: „Frühlingsbeginn“ – „Abend“ – „Frohe Gespielen“ und „Voller Frühling“.

Ein langes Lied ohne Worte

Das Erwachen, Entfalten, Aufblühen und Wachsen, es ist in diesem Werk mit Ohren zu greifen. Selbstverständlich prägt das Signalmotiv mit seinem Rhythmus und seinen im Sinne der musikalischen Rhetorik markant nach oben gerichteten Intervallen (große Terz, Quinte, drei aufsteigende Ganztöne) das vorwärts drängende Hauptthema. Doch bereits im zweiten Teil der Einleitung lenkt Schumann auf die andere Seite der Medaille, indem er ein pastorales Flötenmotiv voller Naturlyrik einführt, das ebenfalls in verschiedenen Ausprägungen während der gesamten Sinfonie immer wieder aufleuchtet. So bereitet es als liedhafte Kantilene der Geigen und Holzbläser das mächtige Ende des ersten Satzes mitsamt episch breiter Coda vor, erscheint im gleichsam „grün instrumentierten“ langsamen Satz als Untergrund der gesangvollen Melodik und der fein gesponnenen Begleitung. In den feierlichen Schlusstakten der Posaunen am Ende des Larghettos hingegen verbirgt sich bereits das stürmische Scherzo, das attacca und stürmisch losflattern darf, sobald es freigelassen ist. Schumann lebt hier (wie weiland Schubert) eine reiche kompositorische Phantasie aus, indem er durch Einfügung eines zweiten Trios ein fünfteiliges Scherzo schreibt.

Dann gibt es kein Halten mehr für das rauschende Finale. Noch deutlicher als im Eröffnungssatz erblühen die motivischen Strukturen aus einem einzigen Rhythmus, was sie einerseits zusammenhält, andererseits in ein äußerst differenzierte Gefüge aufgliedert. Noch einmal bringt sich kurz vor dem Ende des Finales die lyrische Seite aus dem ersten Satz in Erinnerung, wenn romantische Hörnerrufe von der trillernden Flöte zu einem verspielten Dialog in den imaginären Wald eingeladen werden. Schlussendlich reißt das Frühlingssignal die Sinfonie – und alle applaudierenden Hände – jubelnd in die Höhe.

Kurzbiographien

Giedre Šlekyte

Die in Österreich lebende litauische Dirigentin Giedrė Šlekytė begann ihre musikalische Ausbildung an der Nationalen "Mikolajus Čiurlionis"-Kunstschule in Vilnius. Anschließend studierte sie Dirigieren an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz, an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig und an der Zürcher Hochschule der Künste. Außerdem besuchte sie Meisterkurse von Bernard Haitink und Riccardo Muti.

In der Spielzeit 2024/2025 wird Šlekytė ihr Debüt an der Wiener Staatsoper („La Bohème“) und am Royal Opera House in London („Hänsel und Gretel“) geben sowie mit einer Neuproduktion von „Das Paradies und die Peri“ an das Musiktheater an der Wien und mit „Die Perlenfischer“ und „Sacre“ an die Staatsoper Berlin zurückkehren.

Zu den kommenden sinfonischen Projekten gehören Debüts beim Dallas Symphony (gleichzeitig ihr Debüt in den USA), Philharmonia London und Tokyo NHK Symphony sowie die Rückkehr zu den Münchner Philharmonikern, zum Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, SWR Sinfonieorchester und dem Lithuanian State Symphony Orchestra.

2016 wurde Šlekytė zur Ersten Kapellmeisterin des Stadttheaters Klagenfurt ernannt, wo sie ihre erste eigene Produktion – Mozarts „Entführung aus dem Serail“ – leitete. Seither loben Publikum und Presse die junge litauische Maestra für die Frische, Präzision und Dynamik ihrer Interpretationen. Nach ihrem Engagement in Klagenfurt im Jahr 2018 entschied sich Šlekytė für eine freischaffende Karriere als Dirigentin und kombiniert seitdem erfolgreich Opern- und Sinfonieprojekte.

Als Gastdirigentin hat sie mit den Wiener Symphonikern, Münchner Philharmonikern, dem Lithuanian National Symphony Orchestra, hr-Sinfonieorchester, Tokyo Yomiuri Nippon Orchestra, Orchestre Philharmonique de Radio France, der Sächsischen Staatskapelle Dresden, dem Netherlands Philharmonic, Swedish Radio und vielen anderen
zusammengearbeitet.

Im November 2023 dirigierte sie als Einspringerin für Daniel Barenboim den hochgelobten Sinfoniezyklus von Brahms in Toronto mit der Staatskapelle Berlin und gab damit sowohl ihr kanadisches als auch ihr nordamerikanisches Debüt.

Opernengagements führten sie an die Bayerische Staatsoper, Oper Zürich, Staatsoper Berlin, Lithuanian National Opera and Ballet Theatre und die Semperoper Dresden. Zu den bemerkenswertesten Neuproduktionen zählen Leoš Janáčeks „Das Schlaue Füchslein“ am Musiktheater an der Wien und „Káťa Kabanová“ an der Komischen Oper Berlin, Richard Strauss‘ „Ariadne auf Naxos“ an der Royal Danish Opera, Antonín Dvořáks „Rusalka“ an der Opera Ballett Vlaanderen und Francis Poulencs „Dialogues des Carmélites“ an der Oper Frankfurt.

Im Jahr 2015 war sie Finalistin des Salzburger Festspiele Young Conductors Award und Preisträgerin der Malko International Young Conductors Competition in Kopenhagen. Im Jahr 2018 wurde sie in der Kategorie „Newcomer“ der International Opera Awards nominiert.

Giedrė Šlekytė ist eine aktive Botschafterin der litauischen Musik und hat Werke von Raminta Šerkšnytė, Bronius Kutavičius, Osvaldas Balakauskas, Justė Janulytė, Mikalojus Konstantinas Čiurlionis und anderen litauischen Komponisten in Österreich, Schweden, Tschechien, Deutschland und Israel aufgeführt. Mit der Dirigentin Mirga Gražinyte-Tyla nahm sie ein Album mit der Musik von Raminta Šerkšnytė auf, das bei der Deutschen Grammophon erschien, sowie das hochgelobte Žibuoklė-Martinaitytė-Album für Ondine.

Johan Dalene

Der schwedisch-norwegische Geiger Johan Dalene, Gewinner des prestigeträchtigen Carl-Nielsen-Wettbewerbs 2019, „ist nicht nur ein Virtuose wie viele andere, er ist eine Stimme. Er hat einen Ton, eine Präsenz“ (Diapason). Im Alter von 24 Jahren ist er bereits mit führenden Orchestern und in berühmten Konzertsälen im In- und Ausland aufgetreten. Die Fähigkeit, „seine Stradivari wie ein Meister zum Singen zu bringen“ (Le Monde), gepaart mit seiner erfrischend ehrlichen Musikalität und seinem Engagement für Musiker und Publikum gleichermaßen, hat ihm unzählige Bewunderer eingebracht. Im Jahr 2022 wurde er von Gramophone zum „Young Artist of the Year“ ernannt.

Nach gleichzeitigen Engagements beim Royal Liverpool Philharmonic Orchestra und dem Gavle Symphony Orchestra nimmt Johan eine neue Zusammenarbeit mit dem Royal Philharmonic Orchestra auf und arbeitet mit Dirigenten wie Antonello Manacorda und Robert Trevino zusammen. Als Verfechter neuer Musik führt er weiterhin das für ihn geschriebene Konzert von Tebogo Monnakgotla auf, vor allem mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Giedrė Slekyte, und wird es im April 2023 mit dem Royal Stockholm Philharmonic und John Storgards uraufführen. Zu Johans weiteren aktuellen und bevorstehenden Höhepunkten gehören Debütauftritte mit dem Minnesota Orchestra und Thomas Sondergaard, dem Gewandhausorchester Leipzig und Sakari Oramo sowie dem San Francisco Symphony und Esa-Pekka Salonen; außerdem tritt er erneut mit dem Bergen Philharmonic, dem Swedish Radio Symphony, dem London Philharmonic und dem Warsaw Philharmonic auf.

Johan widmet sich ebenso leidenschaftlich der Kammermusik und wird nach Nordamerika zurückkehren, um Konzerte zu geben, insbesondere im Rahmen der Vancouver Recital Series, der San Francisco Performances und bei Gardner Music in Boston, sowie seine erste Tournee in Australien zu absolvieren. Darüber hinaus tritt er erneut bei den Festivals in Verbier und Rosendal sowie in der Londoner Wigmore Hall auf, wo er inzwischen regelmäßig zu Gast ist.

Im Oktober 2023 veröffentlichte Johan sein viertes Album bei BIS, ein Konzertalbum mit Ravels Sonate und Prokofjews zweiter Sonate sowie kurzen Stücken von Arvo Part, Lili Boulanger und Grazyna Bacewicz. The Strad lobte dieses Album als „interessant durch sein Repertoire und wunderbar durch seine Qualität“. Seine vorherige Einspielung der Nielsen- und Sibelius-Konzerte mit den Königlichen Stockholmer Philharmonikern unter John Storgards brachte Johan zum dritten Mal den begehrten „Editor’s Choice“ des Gramophone Magazine sowie den renommierten schwedischen Grammis Award ein.

Johan begann im Alter von vier Jahren mit dem Geigenspiel und gab drei Jahre später sein professionelles Konzertdebüt. Im Sommer 2016 war er Gaststudent beim Verbier Festival in der Schweiz (wo er 2021 sein Konzertdebüt gab) und wurde 2018 in das norwegische Crescendo-Programm aufgenommen, wo er eng mit seinen Mentoren Janine Jansen, Leif Ove Andsnes und Gidon Kremer zusammenarbeitete. Andsnes lud Johan anschließend ein, beim Rosendal Chamber Music Festival zu spielen, und im Mai 2019 traten sie erneut gemeinsam beim Bergen International Festival auf. 2019 trat er zusammen mit Janine Jansen und anderen Mitgliedern des Crescendo-Programms in der Wigmore Hall in London und beim Internationalen Kammermusikfestival in Utrecht auf.

Johan studierte bei Per Enoksson, Professor an der Königlichen Hochschule für Musik in Stockholm, sowie bei Janine Jansen und nahm an Meisterkursen bei mehreren renommierten Lehrern teil, darunter Dora Schwarzberg, Pamela Frank, Gerhard Schulz und Henning Kraggerud. Er wurde mit verschiedenen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u. a. von der Königlich Schwedischen Musikakademie, dem Anders Wall Giresta-Stipendium, Königin Ingrids Ehrenstipendium, dem Preis der Håkan Mogren-Stiftung, dem Equinor Classical Music Award, dem Norwegischen Solistenpreis, Sixten Gemzéus Stora Musikstipendium, dem Expressen Kulturpreis Spelmannen und dem Rolf Wirténs Kulturpris. Johan spielt die Stradivari ‚Duke of Cambridge‘ von 1725, eine großzügige Leihgabe der Anders Sveaas‘ Charitable Foundation.

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Nebel, David
Yoshikawa, Kosuke
Neufeld, Andreas
Beckert, Philipp
Bondas, Marina
Drechsel, Franziska
Feltz, Anne
Kynast, Karin
Pflüger, Maria
Ries, Ferdinand
Stangorra, Christa-Maria
Tast, Steffen
Fan, Yu-Chen
Kim, Myung Joo

Violine 2

Kurochkin, Oleh
Simon, Maximilian
Petzold, Sylvia
Buczkowski, Maciej
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Manyak, Juliane
Palascino, Enrico
Seidel, Anne-Kathrin
Bauza, Rodrigo
Shalyha, Bohgdan
Hagiwara, Arisa
Wieck, Sarah
Oyrdyiants, Artiom

Viola

Adrion, Gernot
Silber, Christiane
Montes, Carolina
Kantas, Dilhan
Markowski, Emilia
Roske, Martha
Labitzke, Kristina
Kreuzpointner, Isabel
Sullivan, Nancy
Ito, Sae

Violoncello

Eschenburg, Hans-Jakob
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Bard, Christian
Boge, Georg
Weigle, Andreas
Kalvelage, Anna
Paetsch, Raphaela

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Figueiredo, Pedro
Ahrens, Iris
Buschmann, Axel
Gazale, Nhassim
Rau, Stefanie
Schwärsky, Georg
Moon, Junha
Yeung, Yuen Kiu Marco

Flöte

Schaaff, Ulf-Dieter
Döbler, Rudolf

Oboe

Hun Heo, Jeong
Vogler, Gudrun

Klarinette

Kern Michael
Simpfendörfer, Florentine

Fagott

Seidel, David
Königstedt, Clemens

Horn

Kühner, Martin
Klinkhammer, Ingo
Mentzen, Anne
Stephan, Frank

Trompete

Dörpholz, Florian
Ranch, Lars
Niemand, Jörg

Posaune

Hölzl, Hannes
Hauer, Dominik
Lehmann, Jörg

Tuba

Neckermann, Fabian

Harfe

Edenwald, Maud

Pauke

Eschenburg, Jakob

Schlagzeug

Tackmann, Frank
Thiersch, Konstantin
Senfter, Leonhard

Kooperation

Das Konzert findet im Rahmen der Biennale der Berliner Philharmoniker statt.
Konzertübetragung am 02.03. um 20 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur und am 16.03. ins Zeiss-Großplanetarium.

Bild- und Videorechte

Fotos Giedrė Šlekytė © Peter Meisel
Portrait Johan Dalene © Mats Bäcker
https://www.youtube.com/watch?v=E8frEiTuXZ8
https://www.youtube.com/watch?v=BTW92rWY1aM
Fotos Orchesterprobe © Peter Meisel