Digitales Programm

Fr 04.07. Martin fröst

20:00 Konzerthaus

Wolfgang Amadeus Mozart

„Le nozze di Figaro“ – Ouvertüre zur Oper KV 492

Johannes Brahms

Ungarischer Tanz Nr. 1 g-Moll
(Bearbeitung für Klarinette und Orchester)

Martin Fröst

Nomadic Dances für Klarinette und Orchester

Anders Hillborg

„Hyper Exit“ für Klarinette und Orchester

Béla Bartók

Rumänische Volkstänze für kleines Orchester (Auswahl)

Göran Fröst

Klezmer Dance Nr. 2 für Klarinette und Streicher

Pause

Ludwig van Beethoven

Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60


Besetzung

Martin Fröst, Dirigent und Konzeption

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

Es findet keine Einführung statt.

Tanz in den Sommer

Schäumen lassen wir es im letzten Sinfoniekonzert der Saison 2024/2025! Martin Fröst, agiler Klarinettist, origineller Komponist und nun auch mitreißender Dirigent aus Schweden, zieht alle Register, um dem altehrwürdigen Sinfoniekonzert Esprit und Temperament einzuhauchen. Obwohl, hauchend gekleckert wird hier nicht, sondern virtuos geklotzt zwischen Mozarts blitzender Figaro-Ouvertüre und Beethovens herzlich lachender Vierter. Dafür sorgen ein überraschend „klarinetter“ Ungarischer Tanz von Johannes Brahms nebst einigen von den überbordenden Rumänischen Volkstänzen aus der Feder des Ungarn Béla Bartók.
Last but not least haben sich Martin Fröst und sein Bruder Goran immer wieder mit Klezmer-Bearbeitungen in die Herzen ihres Publikums gespielt. Dann ist der frenetische „Hyper Exit“ von Anders Hillborg nur ein Krönchen innerhalb eines Konzertabends, der alle Grenzen zwischen Klassik, Klezmer, Folk und Jazz spielerisch in Luft auflöst. Viel Vergnügen und einen schwungvollen Sommer!

Wolfgang Amadeus Mozart

„Le nozze di Figaro“ – Ouvertüre zur Oper KV 492

Ein gewagtes Tänzchen

„Se vuol ballare, signor contino?“ Will der Herr Graf den Tanz mit mir wagen? Ob Mozart anno 1786 dem österreichischen Kaiser Joseph II. tatsächlich die Stirn bieten wollte? Kaum. Ob er nur profitieren wollte vom Skandal, den das kaiserliche Verbot von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais’ 1784 in Paris uraufgeführter Komödie „La folle journée ou le mariage de Figaro“ in Wien ausgelöst hatte? Vielleicht. Ob er – herzlich wenig bekümmert um die politischen Verwicklungen – einen spannenden Opernstoff suchte, der Raum bot für seine musikalische Charakterisierungskunst? Ganz bestimmt.

Die Kritik an adliger Unmoral, das Sympathisieren mit dem dritten Stand – in Gestalt des Dienerpaares Figaro und Susanna – störten ihn jedenfalls nicht, im Gegenteil, sie beflügelten ihn zu nie dagewesener Emotionalisierung der Figuren, zu prachtvollen Ensembleszenen und durchweg hinreißender Musik. Das konnte auch der Kaiser nicht leugnen. Die Oper durfte ab 1. Mai 1786 in Wien gespielt werden, wenn auch nur selten und gegen viele Widerstände. In der Kaiserstadt eher halbherzig aufgenommen, erlebte der „Figaro“ wenige Wochen später bei der Prager Premiere einen riesigen Publikumserfolg: Die böhmische Hauptstadt, aus herrschender Wiener Sicht eine Provinzstadt, liebte die aufmüpfige Oper. Der erfreute Komponist bekam das gleich an seinem ersten Prager Abend zu spüren, auf einem Karnevalsball im Palais Bretfeld: „…ich sah mit ganzen Vergnügen zu, wie all diese leute auf die Musick meines figaro, in lauter Contratänze und teutsche verwandelt, so innig vergnügt herumsprangen…“

So wurde Mozarts „Figaro“ vom Bartscherer zum Zopfabschneider, beabsichtigt oder nicht – ein brisanter Paukenschlag mitten ins Gesicht des gesamten Adels, weit mehr als Mozarts persönliche Rache für den gräflichen Fußtritt, den er seinerzeit in Salzburg empfangen musste. Unter Hochspannung steht schon die sprühende Ouvertüre. Sie eröffnet den heutigen Abend.

Johannes Brahms

Ungarischer Tanz Nr. 1 g-Moll
(Bearbeitung für Klarinette und Orchester)

Vom Csárdás gelernt

„Ungarische Tänze – für das Pianoforte zu vier Händen gesetzt von Johannes Brahms“. So steht es auf dem Titelblatt, ohne Opuszahl. Ganz bescheiden tritt Brahms hier auf, verzichtet ausdrücklich auf die Freiheit, sich als Autor der Ungarischen Tänze zu gerieren. Dabei hat er die ihm bereits in Hamburg zu Ohren gekommenen Volkstänze der Sinti und Roma gleichwohl erheblich bearbeitet, verknüpft, geschärft. Seine Autorschaft zugunsten der volksmusikalischen Quellen in Frage zu stellen, das wäre so, als wenn man Anton Diabelli für die Variationen von Beethoven über den kleinen Walzer des Verlegers verantwortlich machen würde.

Freilich saß Johannes Brahms aus Sicht der Ungarn einem bis heute weitverbreiteten Missverständnis auf: Die 1849 auf dem Weg in die Neue Welt in Brahms‘ Heimatstadt Hamburg durchreisenden Csárdás-Kapellen spielten nicht etwa ungarische Volksmusik, sondern jene ihres eigenen Volkes, der Sinti und Roma. Besonders die beiden prominenten Sammler ungarischer Volksmusik, Béla Bartók und Zoltán Kodály, haben später aufgezeigt, wie die ungarische Volksmusik tatsächlich beschaffen ist. Das ändert nichts an der enthusiasmierenden Qualität der Musik der Roma aus Ungarn! Im Gegenteil, als sich Brahms vier Jahre später mit dem ungarisch-jüdischen Geiger Eduard Reményi auf Konzerttournee durch Deutschland begab, setzte der einige „Ungarische Tänze“ aufs Programm, die er vermutlich aus dem klingenden Schatz seiner Landsleute, den ungarischen Roma, „abgeschöpft“ hatte. 1867 lernte Brahms während einer Tournee mit dem ebenfalls ungarisch-jüdischen Geiger Joseph Joachim selber das Puszta-Land kennen, wo er die zu den Tanzvergnügen der ungarischen Bevölkerung aufspielenden Folkloregruppen der Roma auf heimatlichem Boden hörte. Er freundete sich mit dieser Musik dermaßen an, dass er zwei Serien von sogenannten Ungarischen Tänzen in Klavierfassung zu vier Händen „aussetzte“, will heißen, vorhandene Melodien in einen (allerdings typisch Brahmsschen) Klaviersatz verwandelte.

Puszta-Kinder

Diesen Werken wurde künstlerisch und finanziell ein derart phänomenaler Erfolg zuteil, dass Brahms‘ Verleger Fritz Simrock in Berlin dem Komponisten in den Ohren lag, nicht nur zusätzlich eine Version für Klavier solo davon anzufertigen, sondern gar Orchesterbearbeitungen. Brahms tat sich vor allem mit letzteren schwer und orchestrierte nur drei – dies allerdings erst, als sich bereits sein Protegé Antonín Dvořák (natürlich mit Brahms‘ Einverständnis) gegenüber Simrock bereit erklärt hatte, sechs der Ungarischen Tänze seines Vorbildes und Meisters für Orchester zu bearbeiten (um später selber höchst erfolgreiche Slawische Tänze in eben diesem Fahrwasser zu komponieren). Brahms gab immerhin dem Drängen Simrocks auf eine zweite Serie von vierhändigen Ungarischen Tänzen nach.

Während also europaweit die Bearbeitungen der Ungarischen Tänze des musikethnologisch schrecklich ungebildeten Brahms für ein begeistertes Publikum sorgten – u.a. in Budapest, wo längst die dortigen Csárdás-Kapellen die Ohrwurmqualität der Brahmsschen Bearbeitungen zu schätzen und in klingende Münze zu verwandeln wussten, hatte sich Johannes Brahms bis zu seinem Lebensende mit Plagiatsvorwürfen u.a. von Eduard Reményi auseinanderzusetzen, was ihn glücklicherweise nicht besonders bekümmerte. Denn schon gegenüber Simrock hatte Brahms vor der Erstveröffentlichung betont: „Es sind übrigens echte Puszta- und Zigeunerkinder. Also nicht von mir gezeugt, sondern nur mit Milch und Brot aufgezogen.“

Heute Abend erhält der Ungarische Tanz Nr. 1 einen weiteren Energieschub durch Martin Fröst, der ihn dank seiner Klarinette in den gemeinsamen europäischen Kulturraum zurückkatapultiert, wo er herstammt. Ungarische oder jüdische Volksmusik? Musik der Sinti und Roma? Deutsche Kunstmusik? Klezmer aus Schweden? Gehören einfach untrennbar zusammen.

Martin Fröst & Göran Fröst

Nomadic & Klezmer Dances für Klarinette und Orchester

Das Eine tun, ohne das andere zu lassen

Martin und Göran Fröst stammen aus Dalecarlia. „Schwedischer geht es kaum. Volksmusik spielt eine große Rolle dort, auch die Eltern musizierten diese Musik. Dennoch stand im Vordergrund die Klassik. Aber sie kannten natürlich alle Virtuosenstücke auch aus der Operette. Bei Festen komplimentierten sie die Gäste zum Abschied gerne mal mit einem Csárdás von Vittorio Monti hinaus. Die Eltern waren Ärzte, der Vater Chirurg, die Mutter Augenärztin. Mein Vater spielte Bratsche mein jüngerer Bruder auch, meine Mutter Violine. Mein älterer Bruder Klavier. Und wenn sie nicht spielten, dann hörten sie Aufnahmen. Wir waren regelrecht in Musik getränkt. Ich fing mit sechs Jahren mit der Geige an, mit neun Jahren mit der Klarinette. Ich glaube, es gab tatsächlich keine Ausweichmöglichkeit. Um ehrlich zu sein: Musik war nicht nur ein wichtiger Teil des Familienlebens, sondern bescherte uns auch einen friedlichen Moment. Sie müssen sich vorstellen: Wir waren drei Kinder, die relativ schnell hintereinander geboren wurden. Es war oft laut, aber die Musik verband uns alle. Göran, mein Bruder, ist ein großartiger Komponist, Bratschist und Arrangeur. Wir machen viele Projekte miteinander.“ (Martin Fröst)

Göran

Göran Fröst zählt zu den interessantesten skandinavischen Bratschisten der Gegenwart. Auftritte als Solist und Kammermusiker führten ihn in einige der renommiertesten Konzertsäle Europas und Japans. Seine Projekte zielen stets darauf ab, neue Wege für das klassische Konzert zu beschreiten, wie zuletzt seine Performance „One Hour of Night“ zusammen mit dem Gitarristen Jacob Kellerman. Das hochgelobte Soloalbum „Nordic Connections“ von Göran Fröst enthält die Weltersteinspielung der Sonate für Bratsche und Klavier von Ludvig Norman und die berühmte Violinsonate von Edvard Grieg in einer Fassung für Bratsche sowie das Bratschenkonzert von Gösta Nystroem. Als Kammermusiker trat Göran mit renommierten Musikern wie Nobuko Imai, Christian Poltera, Antje Weithaas und Maxim Rysanov auf. Seit 2007 ist er Mitglied des KammarensembleN, Schwedens führendem Ensemble für zeitgenössische Musik. Er arbeitet regelmäßig mit dem Chamber Orchestra of Europe zusammen. Von 2011 bis 2014 war er Solobratschist im BBC National Orchestra of Wales und seit 2016 ist er Solobratschist im Swedish Chamber Orchestra. Seit 2011 ist er Kammermusikcoach an der Königlichen Musikhochschule in Stockholm.

Die Kompositionen und Arrangements von Göran Fröst finden internationale Anerkennung und wurden außer von seinem Bruder Martin Fröst auch von Orchestern wie der Academy of St Martin in the Fields, dem Australian Chamber Orchestra und der Amsterdam Sinfonietta in Konzertprogramme aufgenommen.

Martin

Martin Fröst stemmt sich so freundlich wie positiv gegen den Zeitgeist, dass man gegen das Andere sein muss, wenn man für das Eine ist. Er liebt einerseits das traditionelle Leben eines Klarinettisten mit klassischem Repertoire wie Mozarts oder Webers Klarinettenkonzerten. Andererseits ist es ihm eminent wichtig, eine Beziehung zum Orchester aufzubauen und zum Publikum. „Dazu habe ich für mein Dollhouse Konzert Projekt 2013 mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra ein System erfunden, das ich ‚Conductography‘ nenne: Ich gebe Werke mit einer bestimmten Choreographie in Auftrag, und das Orchester reagiert auf meine Bewegungen. Mal dirigiere, spiele und singe ich gleichzeitig, mal spiele ich nur und überlasse das Orchester sich selbst. In meinem Programm ‚Genesis‘, einer Reise durch die Musikgeschichte – von den antiken Gauklertraditionen bis hin zur zeitgenössischen Musik – gibt es ein Stück für ‚Gestrument‘. Das ist eine App, mit der man mit (Finger-)Gesten Klänge erzeugen kann. Wenn ich also die Luft berühre, wird sie zu Klang, der erzeugt wird durch eine Infrarotkamera. … Ich bin ein unruhiger Geist und habe Angst davor, dass die Dinge erstarren, dass sie nicht lebendig bleiben.“ (Martin Fröst)

Anders Hillborg

„Hyper Exit“ für Klarinette und Orchester

Bis zum Exodus

In dem von Martin Fröst oben erwähnten Programm „Genesis“ ist die heute Abend erklingende Komposition „Hyper Exit“ von Anders Hillborg enthalten. „Die Ursprünge und die Entwicklung der klassischen Musik bilden das Thema der Genesis, und wir begeben uns auf eine Reise durch die Musikgeschichte, von alten Narrentraditionen bis hin zu brandneuer Musik von Anders Hillborg. Dazwischen finden sich wunderbar schwungvolle Klezmerstücke, musikalische Anrufungen und geschäftiger Barock. … Wenn ich ein modernes Stück höre, erlebe ich manchmal einen Querschnitt der Musikgeschichte, der in die Musik einfließt. Denn alte und neue Musik sowie Musik aus verschiedenen Teilen der Welt verbindet so viel mehr, als man denkt. Das hört man zum Beispiel, wenn Anders Hillborgs neu komponiertes Stück eine Antwort auf die fast 900 Jahre alte Musik Hildegards von Bingen ist“, beschreibt Martin Fröst sein „Genesis“-Programm.

Seit der Uraufführung von „Hyper Exit“ am 3. Dezember 2015 im Konserthuset in Stockholm durch Martin Fröst und das Royal Stockholm Philharmonic Orchestra haben mehrere Klarinettisten sich des kurzen Werkes angenommen und es in die Welt getragen. Überall, wo es erklingt, sorgt es für Begeisterung beim Publikum. Es sei keine Kopfgeburt, keine Neue Musik um jeden Preis, so erklärt Anders Hillborg den Erfolg: „Mir geht es weniger darum, einen bestimmten Stil zu zelebrieren, sondern ein Erlebnis zu schaffen. … Wir hier im Norden haben nie zur mitteleuropäischen Avantgarde gehört. Klar bin ich beeinflusst von Stockhausen und Xenakis, aber für mich hat dieses Anbeten der Zwölfton-Technik etwas Totalitäres. Etwas Idiotisches. Man verliert dabei so viele Klangfarben.“

Skandinavisch, also tolerant und vielfältig, so definiert sich der Komponist Anders Hillborg. Heute ein veritables Solokonzert, morgen ein Jingle fürs Fernsehen, virtuos bis zur rasenden Ektase, meditativ bis zur vollkommenen Ruhe, all das hat Anders Hillborg im Portfolio. Im Portemonnaie hat der bekennende Radfahrer manchmal trotzdem nichts. „Wer finanziell ausgesorgt hat, verliert oft das Publikum aus den Augen und komponiert irgendwelche verrückten Dinge, die kaum einer hören will. Da frage ich mich, wenn man kein Publikum erreichen will, wozu denn dann überhaupt komponieren?“

Béla Bartók

Rumänische Volkstänze für kleines Orchester (Auswahl)

Rumänisch, slowakisch, arabisch: Ich entziehe mich keinem Einfluss

  • Ein Karren, ein Pferd, ein junger Städter, ein Phonograph – 1905 begab sich der 24-jährige Béla Bartók von Budapest aus auf Reisen durch die Weiten des damaligen Königreiches Ungarn. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, die authentische Bauernmusik jenseits der Folklore zu erforschen, welche in Budapests Kaffeehäusern erklang. Vor Ort, bei den Bauern selbst, dokumentierte er die überlieferten Volksmelodien und -tänze durch Schall- und Notenaufzeichnung.

Bartók sammelte fast 16.000 Volksmelodien nicht nur in Ungarn. Auf der Suche nach den Bauernliedern seiner Landsleute zog er auch durch die Slowakei und durch Rumänien, wo ungarische Minderheiten wohnten. Zwangsläufig kam er dabei in Kontakt mit slowakischer und rumänischer Volksmusik und stellte fest, was im Grunde eine Selbstverständlichkeit ist: Volkslieder sind wie Zugvögel, sie machen nicht halt an politischen Grenzen. Sie ziehen weiter, lernen voneinander, passen sich fremden Einflüssen an, ändern ihre Gestalt im Laufe ihres „Lebens“. Also begann Bartók im Europa der nationalen Abgrenzungen und Ausgrenzungen am Vorabend und während des 1. Weltkrieges die Identität der Völker über das gemeinsame Volksliedgut deutlich zu machen. Er legte Sammlungen slowakischer, rumänischer, ukrainischer, serbischer, später auch arabischer, griechischer und türkischer Volkslieder an und begründete die ethnologisch-musikalische Wissenschaftsdisziplin der „Vergleichenden Volksmusikforschung“.

Gerade auf seinen Reisen durch Rumänien, die er während des 1. Weltkrieges unternahm, trat ihm die von den politischen Kriegsgegnern zu verantwortende Verelendung der Landbevölkerung besonders krass vor Augen. Und 1943, als ein zweiter, „totaler“ Krieg in Europa tobte, stellte Bartók klar, „... was ich über das gegenseitige Verhältnis der Bauern verschiedenster Nationalitäten beobachten konnte. Jetzt, da sich diese Völker auf höheren Befehl gegenseitig morden und die dortige Welt so aussieht, als wollten die verschiedenen Nationalitäten einander in einem Löffel Wasser ersäufen..., ist es vielleicht zeitgemäß, darauf hinzuweisen, dass es bei den Bauern keine Spur von Hass gegen andere Völker gibt und nie gegeben hat. Sie leben friedlich nebeneinander, jeder spricht seine eigene Sprache, hält sich an seine Gebäude und findet es ganz natürlich, dass sein anderssprachiger Nachbar das gleiche tut... Unter den Bauern herrscht Frieden – Gehässigkeit gegen Menschen anderer Rassen wird nur von höheren Kreisen verbreitet!“

Buciumeana und Măruntel

Insgesamt 1115 Melodien brachte Bartók aus Siebenbürgen mit und gliederte sie der Sammlung Rumänische Volkstänze aus Ungarn ein. Sieben von ihnen stellte er 1915 zu einer kleinen Klaviersuite zusammen. 1917 arrangierte er diese Klaviersuite für kleines Orchester. Es folgten diverse andere Bearbeitungen, u.a. für Streichorchester.

Bartók greift in seinen sieben Tänzen in sieben Minuten nicht in die Struktur der Volksmelodien ein, sondern gibt ihnen lediglich Harmonien bei. Die sind hier enger als anderswo bei ihm an Prinzi­pien des späten 19. Jahrhunderts angelehnt. Bei der Orchestrierung unterstreicht er den Klang etwa des Dudelsacks durch Bordunquinten der Streicher. Selbstverständlich leben die temperamentvolleren Stücke von derben gegenrhythmischen Akzenten. Eingangs wird zum sogenannten Stabtanz aufgespielt, was der Praxis auf dem Dorfplatz oder im Tanzhaus entspricht. Es folgt ein Braúl, ein Rundtanz aus Torontal. Danach bilden sich Paare zum Stampftanz. Aus dem rumänischen Dorf Bucium (ungarisch Bucsum) stammt der folgende Kettentanz. Hier steht einmal mehr beim äußerst symmetriebewussten Béla Bartók eine stille Melodie im Zentrum, die an den melancholischen Gesang eines kleinen Vogels erinnert. Wie ein kostbarer Blütenkelch wird sie von den anderen Tänzen umspielt. Die nachfolgende Rumänische Polka ist ein „Zwiefacher“, bestehend abwechselnd aus Zweier- und Dreiertakt. Zwei Schnelltänze beschließen die Serie, einer aus Bihar, der andere aus Torda.

Ludwig van Beethoven

Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60

Sinfonie in Glücks-Dur

Eroica, Schicksal, Kampf, Moll: Nur ein trotziger Beethoven ist ein echter Beethoven. Man sagt, die Sinfonien mit den ungeraden Nummern 3, 5, 7, 9 seien die eigentlichen, die mit den geraden hingegen die kleinen, unbedeutenden. Welche Vermessenheit.

Die Zweite aus Mozarts Geist, die Achte ein Durchbruch zum Licht nach langer Dunkelheit, die Sechste Rückbesinnung auf äußeren Frieden, um den inneren zu erlangen – Anlässe, die Beethovens inneren Frieden gestört hätten, gab es genug.

Um die Sinfonie Nr. 4 von Ludwig van Beethoven machen die Konzertveranstalter gewöhnlich einen verlegenen Bogen. Kein Held, kein Sieg, kein Dennoch; kein menschheitsumspannender Bruderkuss. Die vierte Sinfonie (1806) und mit ihr eine Reihe von Werken aus der Umgebung dieses vielleicht schaffensreichsten Jahres im Leben des Komponisten (viertes Klavierkonzert op. 58, Rasumowsky-Quartette op. 59, Violinkonzert op. 61) atmen eine heitere Gelöstheit, eine schlanke Klassizität, wie sie vorher oder nachher bei Beethoven nicht wieder zu finden ist. Erfülltes Glück, scheint es, war die Leitidee jener Monate. Dies bedeutet für Beethoven Aktivität und Vitalität, keineswegs konfliktlose Glätte oder Stillstand des Augenblicks im Faustschen Sinne. Beethovens Schönheitsvorstellung leuchtet als Ideal vom gewölbten Sternenhimmel, treibt ihn zu permanentem Ringen um Kontur, um Sinn.

Josephine – Leonore

Was könnte es gewesen sein, was die Sonderstellung der vierten Sinfonie innerhalb des sinfonischen Œuvres von Beethoven ausmacht? Den Schlüssel bieten die 1957 aufgefundenen dreizehn Briefe Beethovens an Josephine Brunsvik (1779-1821), verwitwete Gräfin Deym. Beethoven hatte die junge ungarische Adlige 1799 im Haus seine Freundes Franz Brunsvik kennengelernt. Beider Schwester Therese galt lange Zeit als eine der zentralen Frauen in Beethovens Leben. Offensichtlich war sie aber nur die geschätzte Freundin und Chronistin der eigentlichen Beziehung zwischen Ludwig und Josephine.

Bereits deren Vernunfthochzeit mit dem fast 30 Jahre älteren Grafen Joseph Deym von Stritetz (1750-1804) hatte Beethoven vermutlich kaum verkraftet; Werke wie das Streichquartett op. 18 Nr. 4 spiegeln eine leidenschaftlich aufgewühlte Seele. Als aber Josephines Mann 1804 starb, schöpfte Beethoven neue Hoffnung. Die dreizehn Briefe stammen aus den Jahren 1804 bis 1807. Zutiefst ernst war es ihm mit seiner Liebe. Was er sich unter Liebe, unter Ehegattenglück vorstellte, wissen wir aus der Oper „Fidelio“, komponiert 1804/1805. Leonore, die liebende Frau, schlüpft dort in die Männerrolle, um den hilflos gefangenen Gatten zu befreien. Josephine war wie kein anderer Mensch in den Entstehungsprozess der „Leonore“ eingeweiht, ja eingebunden. In diesem Licht hört sich die vierte Sinfonie wie eine Fortsetzung des Opern-Gedankens von erfüllter Gattenliebe an. „Es scheint, dass Geschmack und Haltung der Adressatin auf die Sinfonie wie auf die genannte Werkgruppe dieser Zeit nicht ohne Einfluss geblieben sind. Um zu ihr, der einzig Geliebten, die angemessene Zwiesprache in Tönen zu finden, konnte sie gar nicht klassisch genug gefasst sein. Hinter den Namen Florestan und Leonore verbarg sich ein zweites, reales Gestaltenpaar: Ludwig und Josephine.“ (Harry Goldschmidt)

Ein Kind der Liebe

Federnder Jubel folgt der vage tastenden Einleitung umso herrlicher. Das dritte Rasumowsky-Quartett, kammermusikalisches Pendant der vierten Sinfonie, beginnt genauso. Und die Schillersche Emphase der Sinfonie Nr. 9 wird musikalisch vorweggenommen: „Wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein“. Florestan und Leonore umarmen einander mit den Worten: „Wer ein solches Weib errungen, stimm in unsern Jubel ein!“

Der zweite Satz verströmt vollkommene Ruhe im Sinne von Ausgeglichenheit und Geborgenheit, ein Bild menschlicher Anbetung. Das Scherzo hingegen enthebt bei aller Leichtigkeit nicht des ständigen fantasievollen Erneuerns einer komplizierten, anspruchsvollen Beziehung. Dialoge von heiterem Ernst prägen das Finale, das an das motivische Gedankenspiel des Scherzos auf hohem Niveau anknüpft und auch in Beethovens Musik eine Qualität einführt, die bereits bei Mozart als sogenannte Serenität angelegt ist: Alle Anflüge von drohender Trübung der klassischen Idylle lösen sich in befreiendem Lachen. Aber die dunklen Wolken sind immer da, sie schweben gefährlich auf einer zweiten Ebene im Hintergrund.

1807 stellte Beethoven sein Werben um Josephine ein, zu oft hatte sie in ihrem Bekennen zu ihm gezögert, war ihm in den drei Jahren wieder und wieder ausgewichen. 1810 heiratete sie zum zweiten Mal und war jetzt Gräfin Stackelberg, unglücklicher als je zuvor. Sie trennte sich von ihrem Mann im Frühjahr 1812. Beethoven traf vermutlich Anfang Juli 1812 noch einmal mit Josephine zusammen. Am 8. April 1813 wurde ihr achtes Kind, die Tochter Minona, geboren. Der Name macht Sinn, wenn er rückwärts gelesen wird. Neun Monate vorher hatte Beethoven am 6./7. Juli 1812 in Teplitz den Brief an die Unsterbliche Geliebte geschrieben.

Texte © Steffen Georgi

Kurbiographie

Martin Fröst

Der Klarinettist, Dirigent und Sony Classical-Aufnahmekünstler Martin Fröst ist dafür bekannt, musikalische Grenzen zu überschreiten, und wurde von der New York Times als „ein Virtuose und ein Musiker, der von keinem Klarinettisten – vielleicht von keinem Instrumentalisten – in meiner Erinnerung übertroffen wird“ beschrieben. Er ist weithin als Künstler anerkannt, der ständig neue Wege sucht, um die klassische Musik herauszufordern und neu zu gestalten. Sein Repertoire umfasst sowohl klassische Klarinettenwerke als auch eine Reihe zeitgenössischer Stücke, für die er sich persönlich eingesetzt hat. Als Gewinner des Léonie-Sonning-Musikpreises 2014, einer der höchsten musikalischen Auszeichnungen der Welt, war Fröst der erste Klarinettist, der diese Auszeichnung erhielt, und reihte sich in eine prestigeträchtige Liste früherer Preisträger wie Igor Strawinsky und Sir Simon Rattle ein. Die International Classical Music Awards wählten ihn für seine innovative globale Karriere, seine beeindruckende Diskografie und sein philanthropisches Engagement zum Künstler des Jahres 2022.

In der Saison 2024/25 wird er sich weiterhin auf seine Rolle als Chefdirigent des Schwedischen Kammerorchesters konzentrieren, mit Konzerten mit internationalen Gastkünstlern wie Pablo Hernández, Eric Lu und Alina Ibragimova sowie der Zusammenarbeit mit dem Schwedischen Rundfunkchor. Er kehrt für Konzerte mit dem Tokyo Symphony Orchestra nach Japan zurück, wo er Michael Jarrells Klarinettenkonzert „Passages“ aufführt. Fröst gibt sein Dirigierdebüt beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und bei der Kammerakademie Potsdam. Er setzt sich weiterhin für Anna Clynes Klarinettenkonzert Weathered mit Orchestern wie der Dresdner Philharmonie und dem Trondheim Symphony Orchestra ein. Im März 2025 begibt er sich mit Antoine Tamestit und Shai Wosner auf eine Tournee durch die USA und Kanada mit einem vielseitigen Kammermusikprogramm. Weitere Höhepunkte der Saison sind Auftritte mit dem Radiosinfonieorchester Frankfurt unter Riccardo Minasi, zwei Kammerkonzerte in der Wigmore Hall und eine Rückkehr zum Gävle Symphony Orchestra als Dirigent.

Als Solist ist Fröst mit einigen der größten Orchester der Welt aufgetreten, darunter das Royal Concertgebouw Orchestra, die New York und Los Angeles Philharmonic Orchestra, das Gewandhausorchester Leipzig, die Münchner Philharmoniker, das Philharmonia Orchestra und das NDR Elbphilharmonie Orchester. Er arbeitet regelmäßig mit prominenten internationalen Künstlern zusammen, darunter Yuja Wang, Janine Jansen, Leif Ove Andsnes, Roland Pöntinen und Antoine Tamestit, und tritt bei internationalen Veranstaltungen wie dem Verbier Festival in der Schweiz und Mostly Mozart in New York auf. Fröst ist in einigen der wichtigsten Konzertsäle der Welt aufgetreten, darunter die Carnegie Hall, das Concertgebouw Amsterdam und das Konzerthaus Berlin, und hat Tourneen in Europa, Asien, Nordamerika und Australien unternommen. In der Saison 2022/23 war er Artist in Residence des Royal Concertgebouworkest, der erste Bläser überhaupt, dem diese Ehre zuteil wurde.

In den letzten Jahren hat er erfolgreiche Schritte als Dirigent unternommen, wobei der wichtigste seine Ernennung zum Chefdirigenten des Swedish Chamber Orchestra für die Saison 2019/20 ist. Gemeinsam haben sie sich auf eine musikalische Reise begeben, die Mozarts historischen Fußabdruck in Europa durch seine Reisen erkundet. Das über einen Zeitraum von vier Jahren aufgenommene CD-Projekt Mozart: Ecstasy and Abyss wurde am 31. März 2023 von Sony Classical veröffentlicht. Das Programm umfasst späte Werke Mozarts, die in besonders prekären Momenten im Leben des Komponisten entstanden und trotzdem von erlesener Intensität und Schönheit sind.

Bekannt für seine multimedialen Aufführungsprojekte in Zusammenarbeit mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra hat Fröst in den letzten Jahren Dollhouse, Genesis und zuletzt Retrotopia präsentiert – sein neuestes Projekt, bei dem er sowohl als Solist als auch als Dirigent auftritt und eine musikalische Reise unternimmt, die neues Repertoire erforscht und die traditionellen Konventionen des klassischen Konzerts in Frage stellt.

Als leidenschaftlicher Verfechter der Bedeutung der Musikausbildung hat Fröst 2019 mit Unterstützung des weltweit größten Herstellers von Blasinstrumenten, Buffet Crampon, die Martin Fröst Foundation ins Leben gerufen. Ziel der Organisation ist es, Ressourcen bereitzustellen, die den Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Musikunterricht und Instrumenten verbessern und ermöglichen. Die Stiftung strebt eine Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen und verschiedenen Sponsoren in der ganzen Welt an und ist bereits in Kenia und Madagaskar vertreten.

The RSB in the Konzerthaus Berlin, Photo: Peter Meisel

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Wolters, Rainer
Herzog, Susanne
Neufeld, Andreas
Bondas, Marina
Drechsel, Franziska
Kynast, Karin
Morgunowa, Anna
Polle, Richard
Ries, Ferdinand
Stangorra, Christa-Maria
Bernsdorf, Romina

Violine 2

Kurochkin, Oleh
Simon, Maximilian
Petzold, Sylvia
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Färber-Rambo, Juliane
Hetzel de Fonseka, Neela
Feltz, Anne
Granovskaya, Irina

Viola

Slenzka, Friedemann
Zolotova, Elizaveta
Doubovikov, Alexey
Drop, Jana
Sullivan, Nancy
Roske, Martha
Yu, Yue
Kantas, Dilhan

Violoncello

Pietschmann, Konstanze
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Bard, Christian
Boge, Georg
Choi, Uschik

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Buschmann, Axel
Gazale, Nhassim
Rau, Stefanie

Flöte

Zust, Brina
Schreiter, Markus

Oboe

Gavilan, Ana
Grube, Florian

Klarinette

Link,Oliver
Simpfendörfer, Florentine

Fagott

You, Sung Kwon
Kofler, Miriam
Königstedt, Clemens

Horn

Kühner, Martin
Hetzel e Fonseka, Felix

Trompete

Kupriianov, Roman
Gruppe, Simone

Percussion

Tackmann, Frank
Thiersch, Konstantin

Pauke

Eschenburg, Jakob

Kooperation

Bild- und Videorechte

www.youtube.com/watch?v=ul6lA53vo_8

Bilder Martin Frost RSB Konzert 2023 © Jakob Tillmann

Bild RSB Konzerthaus © Peter Meisel

Probenbilder © Junye Shen