Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve

Digitales Programm

So 24.09. Rudolf Buchbinder

20:00 Konzerthaus

Joseph Haydn

Klavierkonzert D-Dur Hob XVIII:11

Wolfgang Amadeus Mozart

Klavierkonzert c-Moll KV 491

Pause

Ludwig van Beethoven

Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37

 

Besetzung

Rudolf Buchbinder, Klavier und Dirigent
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin

 

Das Konzert wird am 22.10.2023 um 21:05 Uhr auf Deutschlandfunk übertragen.

Rudolf Buchbinder und Beethoven, das gehört zusammen. Die 32 Klaviersonaten hat der österreichische Pianist 60 Mal weltweit zyklisch aufgeführt und hat Bücher über Beethoven geschrieben. Nun erklingt im Konzerthaus dessen Klavierkonzert Nr. 3. In der ersten Konzerthälfte stehen außerdem Haydns Klavierkonzert D-Dur und Mozarts Klavierkonzert c-Moll auf dem Programm. Das Dirigentenpult bleibt dabei ausnahmsweise leer, denn Rudolf Buchbinder dirigiert vom Klavier aus.

Folgende Texte ©Steffen Georgi

Joseph Haydn

Konzert für Klavier und Orchester D-Dur Hob XVIII:11

„Ich war kein schlechter Klavierspieler!“

Vom Cembalo aus hat er seine eigenen Sinfonien geleitet, was ihm vor allem in London große Popularität eingebracht hat. Und vielleicht die eigenen Werke vom Cembalo aus in kleinem Kreis vorgestellt. Sonst aber kennen wir den musizierenden Joseph Haydn eigentlich nur als Kammermusikpartner zum Beispiel von Wolfgang Amadeus Mozart. Während bei diesen Gelegenheiten Mozart die Bratsche strich, übernahm Haydn den Part der zweiten Violine. Dass Haydn aber auch Solokonzerte für Tasteninstrumente komponiert und sogar selber gespielt hat, davon wissen die wenigsten. Gäbe es da nicht das Klavierkonzert in D-Dur Hob XVIII:11. Es ist zugleich der schönste Ausweis für Haydns Klavierkompositionen mit Orchester, wobei die Zahl 11 in der Hoboken-Verzeichnisnummer darauf hinweist, dass es das elfte Klavierkonzert von Haydn ist. Viele der Vorgängerwerke sind verschollen – etwa bei Bränden in seinem Wohnhaus, sogar in der Hofbibliothek von Schloss Esterháza, wo Haydn jahrzehntelang als Kapellmeister tätig war. Oder sie stellten sich später als Werke anderer, kleinerer Meister heraus, die sich gerne mit dem Namen und dem Stil des großen Vorbildes schmücken wollten. Vor dem Zeitalter eines streng geregelten Urheberrechtes war es üblich, wild voneinander abzuschreiben, handschriftlich hin und her zu kopieren, Werke mehrfach den Verlagen als (eigene) Neuheit anzubieten. Aber auch die Verlage verkauften wider besseres Wissen Werke wiederholt als neu oder unterschoben sie berühmten Autoren. Haydn selber ging sehr großzügig mit seinem Ehrenwort in diesen Dingen um und hat damit auf listige Weise das eine oder andere Sümmchen dazuverdient.

Haydn kann auch das

Zwei der elf Klavierkonzerte von Joseph Haydn haben es bis in das Konzertrepertoire der Gegenwart geschafft, Nr. 4 in G-Dur und eben Nr. 11 in D-Dur. Beide sind vermutlich um das Jahr 1782 entstanden und erschienen zu Haydns Lebzeiten sowohl in Paris als auch in Wien in Druckausgaben. Sogar Kadenzen für den ersten und zweiten Satz von Haydn persönlich sind überliefert.

Die Konzerte waren sicher ursprünglich für den Gebrauch in einem konkreten Zusammenhang gedacht, zum Beispiel am Hof von Esterházy, auch wenn keine konkreten Aufführungsdaten oder Solisten bekannt sind.

Jedenfalls ist das Konzert Nr. 11 mit zwei Oboen, zwei Hörnern und Streichern (zu denen ein Fagott als Bassverstärkung hinzugenommen werden kann) so besetzt, dass es problemlos in die damalige Aufführungstradition passt. Da sich zu der Zeit das Soloinstrument eben erst vom Cembalo zum Hammerklavier zu entwickeln begann, kommt für das D-Dur-Konzert durchaus in Frage, dass Haydn es für den neuartigen Hammerflügel komponiert hat, welcher seinen Nachfolgern Mozart und Beethoven alsbald zur Selbstverständlichkeit werden sollte.

Ein klassisches Vivace eröffnet das lichterfüllte Werk. Signifikant bereitet Haydn den Einsatz des Soloinstrumentes durch ein längeres Orchesterritornell vor – eine Vorgehensweise, welche die fast zeitgleich entstandenen Werke von Mozart ebenfalls auszeichnet.

Überhaupt ist es gut möglich, dass Mozarts Aktivitäten als virtuoser Klavierspieler und brillanter Klavierkomponist in Wien bei seinem väterlichen Freund Haydn den Impuls ausgelöst haben, sich auch einmal einem solchen Werk zu widmen. Anmutig werfen sich Orchester und Soloinstrument die Bälle zu, darunter eine Sechzehntelsextole, die für Rudolf Buchbinder stets eine Gänsehautstelle darstellt. Für den zweiten Satz wählt Haydn die Satzbezeichnung „Un poco adagio“ (ein wenig langsam), wie ihm überhaupt – bei allem augenzwinkernden Humor – jegliches eitle Auftrumpfen fremd gewesen ist. Die Erhabenheit des Ausdrucks teilt dieser Haydnsche Satz etwa mit dem langsamen Satz von Mozarts d-Moll-Klavierkonzert. Für das flotte Finale steht einmal mehr die damals sehr beliebte ungarische Roma-Folklore zur Verfügung – Haydns eigener Herkunft geographisch nicht fern. Mit einer Charmeoffensive nach der anderen kommt das Klavierkonzert nach etwa 20 Minuten an sein Ziel: reine Freude im Saal.

Wolfgang Amadeus Mozart

Konzert für Klavier und Orchester c-Moll KV 491

Mozart tut es immer

Immer wieder hatte Wolfgang Amadeus Mozart dem Vater von seinen Reisen stolz berichtet, dass er alle Klavier-Konkurrenten „in den Sack“ spielen könne (Brief vom 23. Oktober 1777). Während die drei Konzerte KV 413-415 (1783) noch darauf bedacht waren, dem Publikum entgegenzukommen, indem sie sich „sehr Brillant — angenehm in die ohren“ setzten — „Natürlich, ohne in das leere zu fallen. (...) — doch so, dass die Nichtkenner damit zufrieden sein müssen, ohne zu wissen, warum“, merkte der Komponist für die nächsten (KV 450 und 451) bereits stolz an, sie seien „Concerten, welche schwizen machen“.

1781 hatte sich Mozart nach dem berühmten „Geheiß ins Gesäß“ durch den Grafen Arco in das wagemutige Experiment einer freien Künstlerexistenz in Wien gestürzt. Aus unerträglicher Gängelei und Bevormundung am Salzburger Hof des Fürsterzbischofs Graf Hieronymus Colloredo war er dadurch freigekommen. Aber was hatte er sich eingetauscht? „Mit den Schauspielen wechseln musikalische Akademien ab, welche verschiedene Virtuosen auf ihre eigene Faust und zu ihrem eigenen Besten geben. Unter diesen zeichnet sich Herr Mozart besonders aus. Er ist ungemein beliebt, und sein Ausdruck verdient Bewunderung. Er ist auch gefällig genug, sich recht oft hören zu lassen. Seine Ernte ist nicht auf die Fastenzeit beschränkt, er thut es im Advent, und, wenn es sonst dem Publikum beliebt, auch im Sommer.“ Die zwar riskanten, aber zunächst erfolgreichen Akademien, wie sie die Wiener Zeitschrift „Pfeffer und Salz“ im April 1786 beschrieb, schienen Wolfgang Amadeus Mozart in seiner Hoffnung zu bestätigen, dass seine neue Wirkungsstätte „gewiß das Clavierland“ sei. Auch als Pädagoge in Adels- und Bürgerfamilien war er gefragt. Das behagte ihm schon weniger, schien aber unumgänglich, um eine ganz spezielle „Freiheit“ zu kompensieren: die Freiheit von jeglichem gesichertem Einkommen. Denn auch dies hatte die bürgerliche Existenz des Freiberuflers nach sich gezogen: Alle Versuche Mozarts, eine feste Anstellung zu finden, scheiterten beharrlich. So wurde aus der Freiheit unversehens der knallharte Zwang zum Geldverdienen. Nicht weniger als zwölf repräsentative Klavierkonzerte zwischen Februar 1784 und Dezember 1786 verdanken dieser Notwendigkeit ihre Entstehung. Sie markieren einen einzigartigen Höhepunkt in Mozarts Künstlerdasein als Komponist wie als Pianist.

Aufstieg

Das Klavierkonzert als Gattung erfuhr durch Mozart eine bis dahin ungekannte Aufwertung und Dramatisierung. Hier trat ein Musiker auf den Plan, dessen Klavierkonzerte nicht nur gelegentliche Kompositionsversuche eines reisenden Virtuosen waren, der aber auch nicht (wie spätere Kollegen) hochstehende Werke aufschrieb, ohne sie selbst adäquat spielen zu können. Im Gegenteil, bei Mozart paarte sich die Genialität des Erfinders mit jener des Interpreten auf unerhörte Weise.

Darüber hinaus verlieh er dem Konzerttyp ganz neue Züge. Aus dem Klavier als virtuosem Stichwortgeber für eine so wenig störende wie substanzlose Orchesterbegleitung entwickelte er in seiner Wiener Zeit das Klavierkonzert sinfonischen Gepräges. So steht namentlich das c-Moll-Konzert KV 491 mit seiner reichen Orchesterbesetzung und seinem gewichtigen Dialog zwischen Klavier und Orchester – der im ersten Satz vor allem mit „Ausredenlassen“ zu tun hat – Pate für Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 in c-Moll (1802).

Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve

In dem neuen Typ eines „Sinfonie-Konzertes“ kann der Pianist – also zunächst Mozart selbst – mit zahlreichen virtuosen Passagen glänzen, doch heben zunehmend „Gespräche“ zwischen Klavier und Orchester den kommunikativen Austausch auf ein neues Niveau. Der Beförderung des Orchesters zum sinfonischen Apparat korrespondiert die oft bewunderte, differenzierte Ausarbeitung der Holzbläserstimmen.

Die Klavierkonzerte KV 482, 488 und 491 verfügen über eine ausgesprochen üppige Bläserbesetzung. Nur in diesen drei Klavierkonzerten verwendet Mozart zwei Klarinetten und reichert damit die Harmoniestimmen um eine exklusive Klangfarbe an. Der Grund war wie so oft zunächst ein praktischer. Kaiser Joseph II. hatte nach 1780 den Holzbläsern seiner Wiener Hofkapelle erlaubt, sich separat und mit eigens für sie komponiertem Repertoire hören zu lassen. Mozart war mit etlichen der hervorragenden Musiker seiner Zeit befreundet und schrieb ihnen gern diverse Serenaden und sogenannte „Harmoniemusiken“, für die Holzbläser u.a. die berühmte Gran Partita KV 361 (1781). Angewandt in den Klavierkonzerten, versprach der Einsatz der Bläser nicht nur größere Klangfülle, sondern auch größere Popularität in der damaligen Hauptstadt der europäischen Musik, in Wien. Darüber hinaus ist die Konzertform dem Opernkomponisten Mozart ein ideales Medium, dramatische Konflikte auf der Ebene absoluter Musik zu gestalten. Der Konzertsatz verschmilzt die Möglichkeiten der Sonatenhauptsatzform mit den Reizen der Arienform. So steigert das ausgedehnte Orchesterritornell zu Beginn eines jeden der drei genannten Konzerte die gespannte Erwartung des Solisten, „inszeniert“ ihn gleichsam.

Drama in c-Moll

Eine Sonderstellung in Mozarts Werk kommt dem Klavierkonzert KV 491 zu, gemeinsam mit KV 466. Beide stehen – als Ausnahmen neben ihren 21 „Geschwistern“ – in einer Molltonart, ersteres in c-Moll. Diese Tonart spielt in der Musikgeschichte spätestens mit Beethoven eine besondere Rolle. Aber auch schon Mozart kann und will sich dem dramatisch-herben Charakter von c-Moll nicht entziehen. So ist bereits der ausgedehnte Kopfsatz beherrscht von einem überaus ernsten Gestus. Die pausendurchsetzte Fragmentierung des ersten Themas mitsamt den übermäßigen bzw. verminderten Intervallen sowie die chromatisch abwärts gerichteten Sequenzen runden sich zu keinem melodischen Bogen, sie wirken zerfasert, zersplittert. Was anfangs noch wie eine geheimnisvolle Einleitung von Streichern und Fagotten klingt, offenbart sein thematisches und emotionales Potential in dem mit dramatischer Wucht folgenden Orchestertutti. Zugleich zeigt sich, dass auch das Bassgerüst des Themas, eine chromatisch fallende Quarte, dem Charakter eines Lamentos zuneigt.

Kann das Klaviersolo ein Gegengewicht setzen? Es scheint zunächst so, doch dann wird es harmonisch und melodisch vom Fluss des Hauptthemas eingeholt, schließlich förmlich aufgesogen. Selbst das phantasievoll variierende Passagenspiel des Klaviers – es erinnert an die „Freyen Fantasien“ und Klavierkonzerte Carl Philipp Emanuel Bachs – folgt mit harmoniefremden und chromatischen Intervallen dem herben Geist des gewaltigen Kopfsatzes.

Die beiden folgenden Sätze dauern zusammen kürzer als das Eingangsallegro. Der später von fremder Hand mit „Larghetto“ überschriebene zweite Satz ist eine anmutige Romanze, deren bescheiden-schlichtes Thema im Wechselgesang zwischen dem feinen Holzbläsersatz und dem mit den Streichern vereinten Klavier erblüht. Das Finale verweigert sich dem üblichen, tänzerisch ausgelassenen Charakter eines Rondos. Sein Marschthema versucht, in mehreren Variationen die c-Moll-Umklammerung abzuschütteln. Doch der Durchbruch zum erlösenden Dur gelingt nicht.

Wolfgang Hildesheimer merkt dazu an: „Mozarts Moll-Werke sind ja so selten, dass uns ihr plötzliches Erscheinen aufhorchen und nach einem bestimmten Beweggrund fahnden lässt: Warum gerade hier? Wohlgemerkt: Wir suchen nicht nach dem Anlass, nicht nach einem äußeren Ereignis, sondern nach dem disponierenden Entscheid innerhalb der Sequenz seiner Werke. Selbstverständlich suchen wir vergeblich.“

Abstieg

Das am 24. März 1786 als letztes der fast zweijährigen Klavierkonzertserie vollendete Konzert in c-Moll KV 491 spielt Mozart erstmals am 7. April während seiner zugleich letzten Subskriptions-Akademie im Burgtheater. Nebenbei gedeiht der „Figaro“ – weit mehr als die späte Rache für den gräflichen Fußtritt in Salzburg –, Mozarts brisanter Paukenschlag mitten ins Gesicht des gesamten Adels. Die Uraufführung von „Le nozze di Figaro“ am 1. Mai im Burgtheater unter Mozarts Leitung findet kaum Zuspruch.

Schon bald wenden sich die Zuhörer von ihm ab. Sie fühlen sich von Werken wie den beiden Moll-Konzerten KV 466 und 491, den Mittelsätzen aus KV 482 und 488, den komplexen, Haydn zugeeigneten Streichquartetten („doch wohl zu stark gewürzt“), schließlich vom heiklen „Figaro“ brüskiert. Ende 1786 ist Mozart fünf Jahre in Wien ansässig, und „es war von hier an, dass der Virtuose Mozart an Boden verlor und als solcher bald in Vergessenheit geriet. ... allmählich muss sich seinem Bewusstsein mitgeteilt haben, dass er nicht mehr gebraucht werde...“ (Wolfgang Hildesheimer)

Ludwig van Beethoven

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll op. 37

„Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu. Seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: Ich bin taub.“

Beethoven an Gerhard Wegeler, 29. Juni 1801

Zuhören lernen

Minutenlang sitzt der Pianist aufmerksam zuhörend am Klavier, während allein das Orchester einen ausgedehnten Gedanken in c-Moll formuliert, ausbaut, kommentiert. Der Pianist lässt den facettenreichen Gesprächspartner in Ruhe zu Ende kommen. Dann greift er ein. Ludwig van Beethoven erteilt eine Lehrstunde in effizienter Kommunikation. Was hier stattfindet an geduldigem Ausredenlassen, wachem Zuhören, ehrlichem Nachfragen, geistvollem Widersprechen, hilfreichem Ergänzen und einvernehmlichem Bekräftigen, das ist das Musterbeispiel eines kultivierten Dialoges. Um es überdeutlich zu sagen: Keine Spur von eiferndem Geschrei, Ins-Wort-Fallen, Rechthaberei, Aneinandervorbeireden. Dabei ist der erste Satz des dritten Klavierkonzertes alles andere als ein konfliktloses Geplätscher. Man meint des öfteren gar den fordernden kategorischen Imperativ zu vernehmen, wie er Beethovens Schicksalswerke in c-Moll so häufig prägt.

Wie geht das zusammen? Die Antwort liefert die Musik selbst. „Moral ist die Kraft der Menschen, die sich vor anderen auszeichnen, und sie ist auch die meinige“ hatte Beethoven im Jahr 1800 sein Ethos formuliert.

Beethoven – ein vollendeter Mozart?

Eine zweite Erklärung habe ich bei dem bemerkenswerten Beethoven-Forscher Harry Goldschmidt gefunden: „Beethovens drittes Klavierkonzert ist sein einziges in Moll. Um so erstaunlicher ist seine Nähe – zu Mozart... Tatsächlich wissen wir, dass er außer der Zauberflöte von Mozart nichts so hoch geschätzt hat wie die beiden Moll-Konzerte. Das d-Moll-Konzert hat er wiederholt öffentlich gespielt und zum ersten und letzten Satz sogar eigene Kadenzen komponiert. Das eigene c-Moll-Konzert ist gleichsam als die Summe dieser Beziehungen zu betrachten. Wie tief damals die Auseinandersetzung mit Mozart gegangen sein muss, zeigt namentlich auch seine zweite Sinfonie, in der sich die offenen und verschwiegenen Zauberflöten-Beziehungen dutzendfach nachweisen lassen und entscheidend auf die Konzeption aller vier Sätze gewirkt haben. Die Sinfonie trägt die Opuszahl 36, das Klavierkonzert 37. Beide Werke führte er zum ersten Mal am 5. April 1803 in Schikaneders neuerbautem Theater an der Wien auf, in dem er damals auch wohnte.“

Wenn davon ausgegangen werden kann, dass Beethoven die meisten seiner Werke in Gegensatzpaaren komponierte, so löst sich hiermit das Rätsel der vermeintlichen Einzelstellung des dritten Klavierkonzertes. Das Klavierkonzert in c-Moll also die dunkle Schwester der hellen D-Dur-Sinfonie? So einfach ist es nicht. Aber das c-Moll-Konzert ist ein Dokument des sinfonischen Durchdringens von Klavier- und Orchesterpart, wie es kein Komponist vor Beethoven bis dahin versucht hatte.

Das aufgewühlte Pathos ist zweifellos vom dämonischen Ton der Moll-Konzerte Mozarts inspiriert. Gleichwohl lässt sich nirgends die Wesensverschiedenheit der beiden Komponisten besser erkennen als hier, wo sie sich in leidenschaftlichem Moll-Dunkel scheinbar begegnen. Wenn Beethoven als Vortragsbezeichnung „dolce“ über das Seitenthema des ersten Satzes schreibt, so wird er damit nicht wirklich jene Süße und Zärtlichkeit meinen, die Mozart durchaus vertraut war. Gerade die motivischen Ähnlichkeiten und die eingangs erwähnte Art und Weise des Gedankenaustausches belegen, dass Beethoven mit keinem Geringeren als Mozart selbst hier einen Disput auf Augenhöhe führt. Mitunter nehmen sich die Figuren wie bewusste Varianten des anderen aus. Das ist viel, mehr als jedem anderen Zeitgenossen – außer Haydn – an geistiger Durchdringung zuzugestehen wäre.

Entrückung

Das Zeitmaß Largo, also breiter, schwerer noch als ein Adagio, schreibt Beethoven dem zweiten Satz vor. Die große Geste, der weite Atem beherrschen diesen weihevollen Gesang, der dennoch von geradezu rezitativischer Sprachnähe ist, Goldschmidt nennt das „prosodische Diktion“: „Die unerhört subtile Instrumentierung lässt feinste Zusammenhänge erahnen. Das Soloinstrument wird hier ganz zum Begleitkörper zurückgenommen. Auf dem geheimnisvollen Legato-Teppich seiner wogenden Arpeggien, sekundiert von den Pizzicati der übrigen Saiteninstrumente, erhebt sich ein sanftverhaltener Wechselgesang zwischen Fagotten und Flöten...“

Das eigentlich Wunderbare an diesem Largo ist jedoch seine vollkommen entrückte Tonart. Auf das c-Moll des Kopfsatzes folgt E-Dur. Von drei „b“ springt die Tonart über sieben Stufen auf vier Kreuze! Eine solche Rückung kommt bei Beethoven erst im „verrückten“ Spätwerk nochmals vor.

Für das Finale, ein Paradoxon in sich, nämlich der einzige humorvolle Satz in c-Moll, den Beethoven je geschrieben hat, kehrt er in beherztem Sprung über eine verminderte Septime in die Ausgangstonart zurück. Und weil’s so schön war, wird aus dieser Septime gleich das initiale Intervall des ganzen Rondo-Hauptthemas. „Zugleich muss aber dieser rettende Intervallsprung den Blick wieder auf Mozarts d-Moll-Konzert lenken, wo er eine nicht wegzudenkende Rolle ebenfalls im Rondo spielt“ (Goldschmidt). Auch von Mozart übernommen ist der Kunstgriff der dramatischen Steigerung vor der Kadenz, die dem befreienden Kehraus in strahlendem Dur wirkungsvoll den Boden bereitet. Lasst uns aufeinander hören, miteinander reden, ruft der ertaubende Beethoven der Menge zu.

Rudolf Buchbinder

Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve

Rudolf Buchbinder zählt zu den legendären Interpreten unserer Zeit. Die Autorität einer mehr als 60 Jahre währenden Karriere verbindet sich in seinem Klavierspiel auf einzigartige Weise mit Esprit und Spontaneität. Seine Interpretationen werden für ihre intellektuelle Tiefe und musikalische Freiheit weltweit gefeiert.

Als Maßstäbe setzend gelten insbesondere seine Interpretationen der Werke Ludwig van Beethovens. 60 Mal führte er die 32 Klaviersonaten auf der ganzen Welt bisher zyklisch auf und entwickelte die Interpretationsgeschichte dieser Werke über Jahrzehnte weiter. Als erster Pianist spielte er bei den Salzburger Festspielen sämtliche Beethoven Sonaten innerhalb eines Festspiel-Sommers.

Anlässlich des 250. Geburtstags Ludwig van Beethovens gab der Wiener Musikverein in der Konzertsaison 2019/20 erstmals in seiner 150-jährigen Geschichte mit Rudolf Buchbinder einem einzelnen Pianisten die Ehre, alle fünf Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens in einem eigens aufgelegten Zyklus aufzuführen. Buchbinders Partner in dieser beispiellosen Konstellation waren das Gewandhausorchester Leipzig unter Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons, die Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, die Münchner Philharmoniker und die Sächsische Staatskapelle Dresden unter ihren Chefdirigenten Mariss Jansons, Valery Gergiev und Christian Thielemann.

Größten Wert legt Buchbinder auf Quellenforschung. Seine private Notensammlung umfasst 39 komplette Ausgaben der Klaviersonaten Ludwig van Beethovens sowie ein umfangreiches Archiv von Erstdrucken, Originalausgaben und Kopien der eigenhändigen Klavierstimmen beider Klavierkonzerte von Johannes Brahms.

Seit Gründung des Grafenegg Festivals 2007 ist er dessen Künstlerischer Leiter. Grafenegg zählt heute zu den einflussreichsten Orchesterfestivals in Europa.

Das RSB in der Philharmonie Berlin, Foto: Peter Meisel

RSB-Abendbesetzung

Violine 1

Nebel, David
Herzog, Susanne
Yoshikawa, Kosuke
Bondas, Marina
Tast, Steffen
Morgunowa, Anna
Feltz, Anne
Yamada, Misa
Oleseyuk, Oleksandr
Kang, Jiho

Violine 2

Contini, Nadine
Drop, David
Seidel, Anne-Kathrin
Draganov, Brigitte
Eßmann, Martin
Buczkowski, Maciej
Manyak, Juliane
Färber, Juliane

Viola

Regueira-Caumel, Alejandro
Zolotova, Elizaveta
Drop, Jana
Montes, Carolina
Yoo, Hyelim
Burmeister, Daniel

Violoncello

Eschenburg, Hans-Jakob
Weiche, Volkmar
Albrecht, Peter
Weigle, Andreas

Kontrabass

Wömmel-Stützer, Hermann
Figueiredo, Pedro
Gazale, Nhassim

Flöte

Schaaff, Ulf-Dieter
Kronbügel, Annelie

Oboe

Esteban Barco, Mariano
Vogler, Gudrun

Klarinette

Kern, Michael
Pfeifer, Peter

Fagott

Kofler, Miriam
Gkesios, Thomas

Horn

Ember, Daniel
Stephan, Frank

Trompete

Linke, Sören
Niemand, Jörg

Pauke

Eschenburg, Jakob

Kooperation

Übertragung am 22. Oktober 2023, 21.05 Uhr

Bild- und Videoquellen:

Portrait Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve

Bilder Orchester und Probe © Peter Meisel

https://www.youtube.com/watch?v=POWVTXuB68I