Digitales Programm
Do 06.06. Moderierte Probe mit Vladimir Jurowski
19:00 Haus des Rundfunks
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung.
…ein Gruß von der anderen Seite – Angeblich hatte Bruckner beim Komponieren Hilfe. Aus dem Jenseits. Das Adagio sei ihm eingefallen, als er den Tod Wagners vorausgeahnt habe und auch das Hauptthema sei ihm im Traum diktiert worden.
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107
Was drinnen is, muaß aussa
Und ein Sinfoniker wie Bruckner geriet ohne nennenswertes eigenes Zutun in die Partei der „Wagnerianer“. Bruckner verehrte Wagner grenzenlos; das genügte, seine nicht-wagnerische Hinwendung zur Sinfonie glatt zu ignorieren.
Der siebte Streich
Die Siebente hängt in besonderem Maße mit dieser Auseinandersetzung zwischen „Wagnerianern“ und „Brahminen“ zusammen. Wagners Tod am 13. Februar 1883 öffnete seinen Anhängern die Schleusen zur totalen Vergötterung ihres Idols; Bruckner wurde kurzerhand zum „zweiten Beethoven“ ernannt, auf den Schild gehoben – und damit zwangsläufig zum „Freiwild“ erklärt. Er, der sich in oft karikierter Hörigkeit vor Richard Wagner gebeugt hatte, bot dem Spott der Neider und Gegner zahlreiche Angriffspunkte und zog Polemik und Geringschätzung regelrecht auf sich. Oft versagte er selbst vor den einfachsten Herausforderungen des Alltags, ließ seine Anzüge „beim Tischler hobeln“, wie eine Gönnerin resigniert feststellte, kannte keine Tischsitten, legte niemals seinen derben oberösterreichischen Dialekt ab. Seine Bewerbungsschreiben um ein Lehramt entbehrten ebensowenig der Hilflosigkeit wie seine zahlreichen Liebesbriefe und schriftlichen Versuche, das private Glück vertraglich an sich zu binden.
Die Arbeit an der Siebenten begann Bruckner 57-jährig, am 23. September 1881. Einen Tag nach Vollendung seines 59. Lebensjahres, am 5. September 1883, beendete er die Reinschrift der Partitur in St. Florian. Wohl ahnend, wie die Wiener Kritikermeute schon sehnlichst auf kapitale Beute wartete, zögerte er eine Aufführung durch die Wiener Philharmoniker so lange wie möglich hinaus.
Die Uraufführung am 30. Dezember 1884 unter Leitung des jungen Arthur Nikisch im Leipziger Gewandhaus wurde immerhin die erfreulichste, die Bruckner bis dahin zuteil geworden war. Geradezu stürmisch ist der Erfolg zu nennen, der der Siebenten kurz danach (1885, 1886) auch in München, Karlsruhe, Köln und Graz widerfuhr. Endlich erhielten auch andere Sinfonien Bruckners ihre Chance in Den Haag, Dresden und New York. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen kam es im März 1886 in Wien zum Eklat. Gustav Dömpke und Max Kalbeck verfassten katastrophale Verrisse, Hugo Wolf hielt leidenschaftlich dagegen.
„Wir glauben so wenig an die Zukunft der Brucknerschen Symphonie, wie wir an den Sieg des Chaos über den Kosmos glauben ... Bruckners siebente Symphonie ist nichts mehr als eine teils anlockende, teils abstoßende musikalische Stegreifkomödie mit gegebenen Typen; ein nach bunten Farben gemaltes Bild nach Motiven von Beethoven und Wagner. ...“
„...In der bleiartigen Masse seines Orchesters zuckt und blitzt es von kochenden Gedanken, aber diese Gedanken sind nicht die fruchtbaren Keime einer nach Gestaltung ringenden neuen, sondern die todten und verstümmelten Überreste einer dem Untergang geweihten alten Welt. Auch mit ihnen wäre etwas anzufangen, wenn den Guß ein Meister überwachte, der die Form beherrscht. Aber die zischenden Flammenbäche schießen in Blasen auf, stocken mitten im glühenden Ergusse und zersprengen das Gehäuse ... Das Grundübel sämtlicher Brucknerschen Composition liegt in dem absoluten Unvermögen ihres Autors, nach den Gesetzen musikalischer Logik zu denken und zu handeln.“ Max Kalbeck, 3. April 1886 (Musikschriftsteller & Musikkritiker)
Der Unlogische
Der rationale Kern solcher Polemik liegt in dem tatsächlich völlig verschiedenen Herangehen Brahms’ und Bruckners an das musikalische Material: Bruckner „schichtet“ Block um Block, Brahms „spinnt“ unendliche Gewebe. Ehern, monumental türmt sich das erste Thema der Siebenten, mit 21 Takten Bruckners längster thematischer Gedanke überhaupt, gefolgt von einem verwandten, dennoch nicht aus dem ersten entwickelten zweiten Gedanken (Oboen, Klarinetten). Abrupt wischt Bruckner sein bereits halbfertiges Tonartengebäude beiseite, um auf anderem Niveau neu anzufangen. Ein drittes Thema besteht nur aus einem Takt, das musikalische Gleichgewichtsempfinden eines jeden Ästheten schroff brüskierend.
Bruckners Variantenbildung ist so vielfältig wie unberechenbar. Nicht logisch-konsequent der Reihe nach, aus einem winzigen Keim erwachsend, eben wie Brahms, sondern assoziativ-kombinatorisch, Bausteine aneinanderfügend, geht Bruckner vor – und hebelt damit den Prozesscharakter von Musik aus. Unversehens wird zum Raum die Zeit. Aber Bruckner will nicht provozieren, ebensowenig will er dasselbe vermeiden.
Er hegt bei seiner Themenexposition keine listige Absicht, kein berechnendes Kalkül. Was drinnen is, muaß aussa. Bruckners eruptiv anmutender Schaffensgrundsatz scheint den Sinn von Psalm 130 zusammenzufassen. Hier offenbart sich die ganze Würde seines Gottesbegriffes: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“.
Nach so viel Unbewusstem machen wir uns noch eines bewusst: Wie für Brahms war für Bruckner Beethoven das Maß aller sinfonischen Dinge, speziell dessen Sinfonie Nr. 9 in d-Moll. Bruckners Letzte, Neunte, steht in d-Moll. Ihr voraus geht die Achte in c-Moll, einer Schlüsseltonart Beethovens. Wie die Neunte steht auch Bruckners Dritte, „dem Meister Richard Wagner in tiefster Ehrfurcht gewidmet“ in d-Moll. Deren beide Vorgängerinnen, Versuche, über deren Verbleib im eigenen Werkekanon Bruckner während der Komposition bei weitem noch nicht entschieden hatte, sind c-Moll-Werke. Die übrigen vier Sinfonien dazwischen bilden jeweils ein Tonartenpaar im Quintabstand: Nr. 4 Es-Dur und Nr. 5 B-Dur sowie Nr. 6 A-Dur und Nr. 7 E-Dur. Gängige Sinfonietonarten wie C-Dur, G-Dur, F-Dur kommen nicht vor. Wie blindlings war Bruckner wirklich?
Adagio. Sehr feierlich und sehr langsam
„Einmal kam ich nach Hause und war sehr traurig; ich dachte mir, lange kann der Meister unmöglich mehr leben, da fiel mir das cis-Moll-Adagio ein.“ Was Bruckner hier dem Dirigenten Felix Mottl mitteilte, betraf Richard Wagner. Bereits mit den zwei beseelten Hauptthemen dieses Adagios erwies er dem Verehrten seine Referenz. Chromatische Ornamente umspielen die weitgespannten Melodiebögen. Erstmals verwendete Bruckner im Adagio der Sinfonie Nr. 7 den feierlich-düsteren Klang der Wagnertuba. Richard Wagner hatte das Instrument, das nicht mit der Tuba verwandt ist, speziell für die „Götterdämmerung“ bauen lassen. Die Wagnertuben (in B und in F) werden mit Waldhornmundstück geblasen, während der Korpus des drei- bis vierventiligen „Tuba-Horns“ à la Wagner dem eines Tenorhorns ähnelt.
Bruckners Adagio gipfelt in einer atemberaubenden Steigerung, um deren Höhepunkt bis heute gestritten wird. Ursprünglich hatte der Komponist dort nämlich das volle Orchester in einem dreifachen Fortissimoklang versammelt, freilich ohne jegliches Schlagwerk. Die Gebrüder Franz und Josef Schalk legten ihm nach der Uraufführung nahe, die Kulmination noch durch Pauken, Triangel und Becken zu verstärken.
Bruckner fügte das Gewünschte eigenhändig ein, wie aus dem Manuskript hervorgeht. Ob er auch die spätere Bemerkung „gilt nicht“ daneben geschrieben hat, ist zweifelhaft. Leopold Nowak, der Herausgeber der Neuen Brucknergesamtausgabe entschied sich 1954 (im Gegensatz zu Robert Haas, der für die erste Gesamtausgabe den Urzustand herzustellen versucht hatte) für die Fassung letzter Hand, das heißt, alle – in diesem Falle kleineren – Änderungen Bruckners einschließlich des Beckenschlages übernahm er in die Partitur. Vladimir Jurowski hat sich intensiv mit der von Benjamin-Gunnar Cohrs heerausgegebenen Fassung in der neuen Anton-Bruckner-Urtext-Gesamtausgabe (2015) auseinandergesetzt und folgt weitgehend deren Erkenntnissen. Insgesamt blieb der Sinfonie Nr. 7 die grundlegende Überarbeitung erspart, der Bruckner die meisten seiner Sinfonien gewöhnlich unterzog.
Nur ruhig, Bruckner
Während der Komposition der letzten dreißig Takte des Adagios, eines choralartigen Abgesanges, war bei Bruckner die Nachricht von Wagners Tod am 13. Februar 1883 eingetroffen. Er stellte das gesamte Adagio unter das Signum der Trauer „zum Andenken an den hochseligen, heißgeliebten, unsterblichen Meister“. Der fromme Katholik Anton Bruckner hatte seine zutiefst aufrichtige Gottgläubigkeit bisweilen Richard Wagner gegenüber um eine menschliche Dimension ergänzt, die sogar dem Angesprochenen zu weit ging. Bruckner selbst berichtete von der letzten persönlichen Begegnung mit Wagner, ein halbes Jahr vor dessen Tod: „Weil mich Hochselber bei der Hand hielt, ließ ich mich auf die Knie, Hochseine Hand an meinen Mund drückend und küssend und sagte: O Meister ich bethe Sie an!!!“ Schließlich überlieferte der treuherzige Bruckner auch noch Wagners Reaktion auf die Geste: „Der Meister sagte hierauf: Nur ruhig – Bruckner – gute Nacht!!!“
Scherzo und Finale der Sinfonie Nr. 7 dauern zusammen so lange wie das Adagio. So knapp wie deutlich formt Bruckner das Scherzo aus. Ein F-Dur-Trio entrückt das brachiale a-Moll-Scherzo in schwebende Gefilde. Auch im Finale keine Zeit, kein Platz für geschwätziges Plaudern, für insistierende Wiederholungen. Konzentrierte, pure Energie. Alles scheint unverzichtbar, aber auch unverrückbar, endgültig. Die letzte Coda schließt den Bogen zum Hauptthema des ersten Satzes. Selbst Brahms konnte davor seinen Respekt nicht verhehlen: „Alles hat seine Grenzen. Bruckner liegt jenseits...“ Und auch Bruckner wusste, was Brahms wirklich konnte: „Bei dem ist jeder Takt ausspintisiert, alles gelehrt. Wann i nur a so g’scheit war’.“
Text von © Steffen Georgi
Kurzbiographie
Vladimir Jurowski
Vladimir Jurowski ist seit 2017 Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB). 2023/2024 setzten seine Konzerte, Tourneen und Aufnahmen die Glanzpunkte der Jubiläumssaison „RSB100“. Sein aktueller Vertrag in Berlin läuft bis 2027. Parallel dazu ist er seit 2021 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper in München.
Vladimir Jurowski, einer der gefragtesten Dirigenten unserer Zeit, der weltweit für seine innovativen musikalischen Interpretationen und ebenso für sein mutiges künstlerisches Engagement gefeiert wird, wurde 1972 in Moskau geboren und absolvierte den ersten Teil seines Musikstudiums am Music College des Moskauer Konservatoriums.
Bis 2021 arbeitete Vladimir Jurowski fünfzehn Jahre lang als Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra (LPO) und wurde inzwischen zu dessen „Conductor Emeritus“ ernannt. In Großbritannien leitete er von 2001 bis 2013 als Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera eine breite Palette von hochgelobten Produktionen. Seine enge Verbindung zum britische Musikleben wurde im Frühjahr 2024 von König Charles III. dadurch gewürdigt, dass er Vladimir Jurowski zum Honorary Knight Commander of the Most Excellent Order of the British Empire (KBE) ernannte. Im April 2024 kehrte Vladimir Jurowski als Gast nach London zurück, um mit dem LPO in der Royal Festival Hall den konzertanten Aufführungszyklus von Wagners „Ring“ mit der „Götterdämmerung“ zu vollenden.
Kooperationen
Bildrechte
Bilder Vladimir Jurowski © Peter Meisel
Bilder Moderierte Probe © Robert Niemeyer