Digitales Programm

Kammerkonzerte

Do 15.09. 19:30 Kühlhaus

Fr 16.09. 19:30 Studio14 rbb Dachlounge

Joseph Haydn

Streichquartett D-Dur op. 64 Nr. 5 Hob III:63 („Lerchen-Quartett“)

Enrico Palascino

„Vox terrae“ – Streichquartett

Pause

Claude Debussy

Streichquartett g-Moll op. 10

Besetzung

Enrico Palascino, Violine

Rodrigo Bauzá, Violine

Gernot Adrion, Viola

Peter Albrecht, Violoncello

Texte Steffen Georgi

Joseph Haydn

Streichquartett D-Dur op. 64 Nr. 5 Hob III:63 („Lerchen-Quartett“)

HAYDN

Allzeit verschmitzt

Bären und Philosophen, Hühner und Königinnen, Uhren und Paukenschläge – die Liste der Zuschreibungen von Haydns Werken an alltägliche Assoziationen ist lang und bisweilen albern oder sogar unzutreffend. Das Streichquartett D-Dur op. 64 Nr. 5 hingegen trägt seinen liebevollen Subtitel zu Recht. Einen kleinen Singvogel, die Lerche, hörten zuerst die Engländer aus der Musik heraus. Immerhin waren sie die ersten, die das Quartett Anfang des Jahres 1791 vernehmen durften. In Konzerten des einstigen Konzertmeisters von Esterházy und nachmaligen Unternehmers Johann Peter Salomon erklang es im Beisein von Haydn und „unter seiner Leitung in Mr. Salomon’s Konzerten in den Festino Rooms am Hannover Square“, wie die erste Londoner Druckausgabe vermerkt.

Das Werk ist Teil einer Serie von sechs Streichquartetten, die Haydn 1790 noch in Wien komponierte – mithin nahezu zeitgleich wie Mozart seine drei Preußischen Quartette – und bei der Veröffentlichung im „Magazin de Musique“ einem „Monsieur Jean Tost“ widmete. Wie Salomon kannte Haydn auch den Geiger Johann Tost noch aus Esterháza, wo der bis 1788 in der Schlosskapelle die zweiten Geigen angeführt hatte. Inzwischen führte er einen florierenden Handel mit Musikalien und Büchern in Wien. Mit Sachverstand und Geschäftssinn ausgestattet, galt der gebürtige Ungar bald als Förderer der Kammermusik in Wien und gab sogar Kompositionen in Auftrag: an Mozart die beiden Streichquintette D-Dur und Es-Dur, an Haydn jene sechs Quartette Opus 64, von denen das „Lerchen-Quartett“ das fünfte ist.

Ein rauschendes Fest der Natur

Nach der Uraufführung in London avancierte das herrliche D-Dur-Quartett bald zum Publikumsliebling.

Für die Menschen des späten 18. Jahrhunderts war der Gesang der Lerche noch eine Selbstverständlichkeit, so dass die lyrisch jubelnde Melodie der ersten Geige gleich zu Beginn des Kopfsatzes sofort als Ruf der Lerche identifiziert wurde.

Haydn rollt dem Thema einen akustischen roten Teppich aus mit sogenannten „Hornquinten“ der Mittelstimmen. Darüber erhebt sich die unverkennbare Melodie. Haydn unterstreicht das Absichtsvolle des „kultivierten Naturlautes“, indem er das Thema ausdrücklich aus der thematischen Verarbeitung herauslässt. Immer wieder erstrahlt es in fast gleicher, jubelnder Manier, leitet zuerst eine Scheinreprise, dann die echte Reprise ein, nachdem ein anderes Motiv, eine beherzte Triolenfigur, an seiner Stelle die für einen Sonatenhauptsatz typischen Veränderungen durchlaufen hat.

Nicht anders als später in den Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ wählt Haydn für das A-Dur-Adagio an zweiter Stelle eine wunderbar pastorale Idylle. In gewisser Weise ebenfalls naturnah, weil bodenständig und „schollenverbunden“ kommt anschließend das gar nicht höfische Menuett daher, in Wahrheit ist es ein wuchtiger Ländler. Das hurtige Finale spielt mit dem Tonartenkontrast aus D-Dur und d-Moll. Flinke Finger und behände Bögen sind gefragt beim Fugato im Mittelteil. Furios jubelt das „Lerchen-Quartett“ ins Ziel.

Enrico Palascino

Vox terrae

Gleich drei Komponisten aus den Reihen des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, Rodrigo Bauzá, Enrico Palascino und Gernot Adrion, kommen heute Abend zusammen, um gemeinsam ein Werk von einem von ihnen aufzuführen.

Enrico Palascino © RSB

Das Streichquartett „Vox terrae“ von Enrico Palascino nimmt seinen Titel wörtlich. Die mannigfaltigen Stimmen der Erde und ihrer Bewohner kommen zu Wort. Der Komponist beschreibt seinen Ansatz:

„Unsere Erde ist zuerst das Zuhause für eine unglaubliche Zahl an Lebewesen. Gemeinsam gestalten sie ein komplexes System, wo das Leben an den verschiedensten Orten der Erde möglich geworden ist. Die gefrorenen Landschaften am Süd- und am Nordpol, die Wucht der Meere, die riesigen Metropolen der Menschen sind jede für sich Schönheiten der Erde. Sie werden im ersten Satz des Quartettes beschrieben. Die Natur besitzt jedoch andere ‚Schönheitsregeln‘ als die Menschheit: Ein Leitmotiv wandert durch die verschiedenen Orte und wird zu einem Warnruf der Natur (drei Akkorde aus den ersten drei Noten des Themas).
Der zweite Satz ist ein Versuch, das spirituelle Gleichgewicht zwischen den Wünschen der Menschheit und den Bedürfnissen der Natur herzustellen. Es entsteht ein Gebet, wo verschiedene Texturen sich abwechseln oder gemeinsam um eine Antwort suchen. Der dritte Satz spricht von den unkoordinierten Versuchen, eine Lösung für den Klimawandel zu erarbeiten: Politiker, Aktivisten, Technologien, internationale Verbindungen ergeben ein zerstückeltes Bild aus Pizzicati. Die Antwort liegt bei der Zusammenarbeit dieser Akteure, nur dann werden die einzelnen Pizzicati zu einer Art … Melodie.“
(Enrico Palascino)

Claude Debussy

Streichquartett g-Moll op. 10

„Reinigen wir unsere Musik. Widmen wir uns ihrer Heilung vom Blutandrang. Suchen wir eine einfache Musik zu schaffen...“

Unverhohlen attraktiv

...Vermeiden wir, dass das Gefühl unter der Auftürmung der Motive ... erstickt. Wie würden wir ihr denn die Blüte und die Kraft wiedergeben, ... wenn wir in dem wimmelnden Haufen der kleinen Themen, die sich drängeln und überschneiden, um das arme Gefühl in die Beine zu beißen, eine unmögliche Disziplin herstellten: es würde alsbald sein Heil in der Flucht suchen! ...“

Über diese launigen Gedanken von Claude Debussy (aus „Musik und Natur“) ließe sich trefflich streiten. Debussy versuchte das Gefühl vom Akademismus zu befreien, man könnte auch sagen: zu entkleiden. Dafür war ihm kein Mittel zu entfernt, keine Harmonie zu exotisch, kein Klang zu unerhört.

„Debussy existierte bereits vor Debussy. Da war eine Architektur, die sich im Wasser spiegelt; da waren Wellen, die sich bilden und wieder zusammenstürzen; Zweige, die einschlafen; Pflaumen, die herabfallen, sich zu Tode quälen und Gold bluten. Aber das alles murmelte, stammelte, hatte keine menschliche Stimme gefunden, um sich auszudrücken. Tausend unbestimmte Wunder der Natur haben endlich ihren Übersetzer gefunden.“ (Jean Cocteau, 1926)

Wenn Paris an der Schwelle zum 20. Jahrhundert ein Schmelztiegel der Kulturen war, so verkörperte Claude Debussy darin jene rebellische Kraft, die sich gegen zopfige Konvention und altertümelnden Konservatoriumsmief richtete.

Ausgebildet am Klavier und in Komposition, verdingte er sich in seiner Jugend als „Hauspianist“ von Nadeshda von Meck, Tschaikowskys langjähriger Brieffreundin. Claude Debussy gehörte wie sein jüngerer Kollege Maurice Ravel zu jenen französischen Komponisten, die – wie weiland Rameau und Couperin – die Musik ihres Landes vom Klavier aus erneuerten. Durchaus im Gegensatz zur teutonischen Tradition von der anderen Seite des Rheins trachteten die jungen französischen Künstler aller Genres nach eher verschwimmenden Pastellen und Aquarellen. Impressionistische Malerei, symbolistische Dichtung, russische Klangreize, javanische Gamelantrommeln flossen bei ihm zu einer Gemengelage zusammen, für deren Genießbarkeit nicht von Vornherein garantiert werden konnte. Namentlich helle Farben gewannen in der Musik eine neue, bezaubernde Ausdruckskraft. Mit dem berühmten „Prélude à l’Après-midi d’un faune“ löste der Komponist 1894 einen wahren „Debussyismus“ aus.

Quartett am Scheideweg

Nur zwei Jahre voraus ging dem das feierlich als „Premier Quatuor“ angekündigte Streichquartett in g-Moll. In der Tat verkörpern die beiden Kompositionen den Abschluss von Debussys Jugendwerk in Gestalt der ersten beiden Meisterwerke des 30-jährigen Komponisten. Während im „Nachmittag eines Fauns“ die sprichwörtlich unerhörten Elemente dominierten, so kann das Quartett als letzte Arabeske der traditionellen Tonsprache angesehen werden, so wie Debussy dies verstand. Das heißt nicht, dass das Publikum bei der Uraufführung am 29. Dezember 1893 durch das belgischen Ysaÿe-Quartett ein Werk erhalten hätte, das „wie immer“ thematisch klar disponiert und vorhersehbar abgelaufen wäre. Nuancenreich changierende Harmonien, ungewöhnliche Akkordfolgen, flirrende Trillerketten, überraschend wenig rhythmischer Impetus – all das verstörte.

In unverkennbarer stilistischer Anlehnung an César Franck, dessen Streichquartett nur zwei Jahre früher entstanden war, präsentiert Claude Debussy gleich zu Beginn in der ersten Violine ein alle vier Sätze miteinander verbindendes Kernthema. Anders als in Haydns „Lerchen-Quartett“ erfährt das Kernthema sogleich mannigfache Abwandlungen, so dass das gesamte Werk über weite Strecken den Eindruck einer Abfolge von fluktuierenden melodischen Variationen erhält. Spätestens hier wird deutlich, wie weit sich Debussy bereits in diesem formalen Aspekt vom traditionellen Streichquartett entfernt hat. Die musikalische Struktur wirkt trotz aller satztechnischen Virtuosität Debussys eher kreisend denn linear. Gleichwohl mutet das Streichquartett nicht wirklich modern an.

Einer der ersten, der Debussys Streichquartett zu schätzen wusste, war sein Kollege Paul Dukas, der es 1894 in der Wochenzeitschrift „Revue hebdomadaire“ so beschrieb:

„Das Quartett von M. Debussy trägt deutlich den Stempel seiner Eigenart. Alles darin ist klar und deutlich gezeichnet, trotz großer Freiheit in der Form. Der melodische Gehalt des Werkes ist sehr verdichtet, aber von reiner Ausstrahlung...“

„...Er reicht aus, um das harmonische Gewebe mit eindringlicher und ursprünglicher Poesie zu durchdringen. Die Harmonie selber ist trotz großer Kühnheit an keiner Stelle gewaltsam oder hart. M. Debussy ergeht sich mit Vorliebe in vollen Akkordfolgen, in Dissonanzen ohne Krassheit. Diese sind in ihrer Kompliziertheit sogar harmonischer als die Konsonanzen: seine Melodie wandelt auf ihnen wie auf einem prunkvollen und kunstverständig geschmückten Teppich in ungewohnten Farben, aus deren Zusammenstellung die schreienden und einander widerstreitenden Töne verbannt sind“.

Nach der Uraufführung versprach Claude Debussy dem Freund und Kollegen Ernest Chausson, ein zweites Quartett zu komponieren – ein Versprechen, das er nie einlöste.

Bildrechte:

Konzert im Kühlhaus © Peter Meisel

Potrait Enrico Palascino © Robert Niemeyer