Am  Anfang steht der Masterplan. Wenn eine Studioproduktion mit dem RSB geplant ist, müssen vorab vielerlei Dinge durchdacht und geklärt werden. Das beginnt mit einem „tiefen Blick in die Partitur“, sagt Tonmeister Florian Schmidt.

Danach folgt der Kontakt zum Toningenieur: Wieviele Mikrofone brauchen wir? Außerdem ein Anruf beim Orchesterwart: Welche Orchesteraufstellung wird gewünscht?

Und dann muss der genaue Zeitplan entworfen werden: Vier Aufnahmetage für eine CD von 70 Minuten Länge, dazu völlig unbekannte Werke – da ist der Ablauf oft schwer abzuschätzen. Wo sind die schwierigsten Passagen? Soll man von vorne nach hinten durchgehend aufnehmen oder nicht?

„Wir Tonmeister geben den zeitlichen Ablauf vor“, ergänzt Schmidts Kollege Michael Havenstein, der ebenfalls für Deutschlandfunk Kultur arbeitet: „Wir entscheiden, ob wiederholt wird und wann es weitergeht.“ Am Ende ist das Ziel immer dasselbe: das geplante Programm so effizient wie möglich in der vorgegebenen Zeit zu realisieren.

Der Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks ist ideal für Studioaufnahmen. Er besitze die perfekte Größe für Werke bis zur Spätromantik; und er klinge „einfach schön, mit einem gewissen Weichzeichner“.

Um den bestmöglichen Klang einzufangen, wird das Hauptmikrofon, das etwa 80 bis 90 Prozent des Klangbildes abdeckt, ungefähr über dem Kopf des Dirigenten platziert, wie Schmidt erläutert: „Das gibt die richtige Mischung aus Breite, Tiefe und edlem Klang.“ Die übrigen sogenannten Stütz-Mikrofone werden auf den Zentimeter genau eingerichtet und über den entsprechenden Gruppen positioniert: 1. und 2. Geigen, Bratschen, Celli und Kontrabässe sowie alle weiteren Bläser, Schlagzeuge und sonstige Instrumente. So lassen sich je nach musikalischer Struktur bestimmte rhythmische oder melodische Elemente unterstützen.

Aufgrund der hohen Podien sitzen die Blechbläser im HdR quasi auf Höhe der Hauptmikrofone – das muss bei der Hängung berücksichtigt werden. Und noch eine Besonderheit ist dem Alter des Hauses geschuldet: Hier werden die Mikrofone noch per Hand vom Schnürboden über dem Orchester heruntergelassen!

Bei den Aufnahmen verfolgt der Tonmeister das Geschehen von seinem kleinen Tonstudio aus – an einem der wenigen analogen Mischpulte, die es überhaupt noch gibt. Bei Bedarf greift er ein, vor allem bei „handwerklichen“ Patzern, die Schmidt so zusammenfasst: „Zu hoch, zu tief, zu früh, zu spät.“

Darüber hinaus geht es des Öfteren um den Feinschliff und die genaue Ausbalancierung von Bläserakkorden. Oder um die Balance innerhalb des Orchesters insgesamt, die vor den unbestechlichen Mikrofonen anders klingen mag als von der Position des Dirigenten.

Eine der wichtigsten Fragen muss immer wieder neu entschieden werden: Nimmt man in wenigen langen Takes auf? Oder doch lieber kleinteilig? „Es gibt einfach Werke, die brauchen den großen Bogen“, bekräftigt Florian Schmidt, „da machen wir ein oder zwei Gesamtdurchläufe, um das Relief der Musik herauszuarbeiten.“ Bei anderen Kompositionen, etwa bei diffizilen A-Cappella-Chorwerken, sei es unverzichtbar, in kleinen Portionen aufzunehmen.

Michael Havenstein hat sich im Laufe der Jahre eine klare Strategie zurechtgelegt: „Ich mache erst mal einen Gesamt-Take, dann können die Musiker zum Abhören ins Studio kommen. Und dann werden die Takes immer kleinteiliger.“ Tonmeister, das wird schnell klar, sind Techniker, Musiker und Psychologe in einer Person. Zum einen fehlt die Spannung der Live-Aufführung, zum anderen kann die Möglichkeit des Wiederholens auch ins Negative umschlagen, wenn man eine Passage fünfmal wiederholen muss.

„Ich ziehe meinen Hut vor den Musikerinnen und Musikern, wenn sie auch dann noch vorne an der Stuhlkante sitzen und mit viel Energie musizieren“, sagt Havenstein.

Man müsse dann als Tonmeister so detailliert wie möglich benennen, warum etwas noch mal wiederholt werden sollte. Und manchmal lieber einzelne Musiker in der Pause ansprechen als Kritikpunkte vor dem ganzen Orchester auszubreiten. Als studierter Trompeter besitzt Havenstein da vor allem bei den Blechbläsern einen großen Vertrauensvorschuss. Gerade die Blechbläser erfordern eine besondere Rücksichtnahme, kommen sie doch eher als all andere Orchesterinstrumente an ihre physischen Grenzen. Ein gutes Beispiel dafür ist die im Frühjahr aufgenommene 2. Sinfonie des Spätromantikers Hugo Kaun. Darin verlangen die Ecksätze so viele massive Hornpassagen, dass man entschied, die Aufnahme lieber mit den langsamen Sätzen zu beginnen und sich dann erst an die „schwergewichtigen“ Abschnitte heranzutasten. Noch eine Überraschung hielt die Sinfonie bereit: Weil die Noten alt und seit ewiger Zeit nicht mehrgespielt worden waren, fanden sich unvermutet diverse Fehler in den Orchesterstimmen.

Da musste dann schnell die richtige Lösung gefunden werden. Die Frage des Vertrauens spielt natürlich auch in der Abstimmung mit dem Dirigenten oder der Dirigentin eine entscheidende Rolle. Manche legen das akustische Schicksal des aufzunehmenden Werkes sofort in die Hände des Tonmeisters, andere wollen lieber selbst mitbestimmen. In der Zusammenarbeit von Schmidt mit dem Chefdirigenten hat sich im Laufe der Jahre viel gegenseitiges Verständnis aufgebaut: „Vladimir Jurowski hat eine ganz genaue Vorstellung davon, was er musikalisch und klanglich erzielen will. Aber er ist dabei kein Kontrollfreak, sondern er erwartet einfach von mir, dass ich das entsprechend umsetze.“ Technisch gesehen, wird die aufgenommene Musik vom Mikrofon über Kabel als analoges Signal an den Verstärker weitergeleitet, dann durch eine so genannte Stagebox in eine digitale Version umgewandelt, womit sie nicht mehr verzerrbar ist.

Danach folgt die Abmischung, die auf einer ganz normalen Festplatte abgespeichert wird. Handelt es sich um eine Konzertübertragung – auch dafür sind die Tonmeister zuständig – wird im Studio entschieden, ob kleinere Patzer oder größere Huster durch die entsprechenden Passagen der Generalprobe ersetzt werden.

Und inwieweit hilft moderne Technik, diesen Korrekturprozess zu vereinfachen? Längst gibt es bestimmte Tools, mit denen man Störgeräusche – wie etwa ein Geigenbogen, der ans Notenpult klackt – fixieren und entfernen kann. Allerdings entstehen bei einer solchen Audio-Korrektur auch Probleme, wenn Musik-und Störsignal zu nahe beieinanderliegen: dann können digitale Störgeräusche, so genannte Artefakte entstehen.

Die letzte Instanz aber ist und bleibt das kritisch feine, geschmacklich wertende Ohr.

Bilder

© Peter Meisel