Das Büro von Dorothea Groß im Haus des Rundfunks ist eine der Schaltstellen des RSB. Betritt man als Besucher die wenigen Quadratmeter, ahnt man das kaum. In den Probenpausen des Orchesters geht es oft zu „wie in einem Taubenschlag“, erzählt die Orchesterdisponentin. Ein Zettel mit der Aufschrift „Bin sofort zurück“ liegt stets griffbereit, da sie auch immer schnell nach unten in den Sendesaal springt, um mit den Musiker noch Dinge zu regeln.
Seit nunmehr 25 Jahren laufen bei Dorothea Groß die Fäden der jeweiligen Orchesterbesetzungen zusammen. „Ich bin dafür zuständig, dass für eine Probe oder Konzert jeder anwesend ist, der anwesend sein muss.“ Organisationsbegabung, Partiturkenntnisse, Tarifvertragswissen, beste Vernetzung, Kommunikationstalent, Optimismus, Stressresistenz, menschliches Einfühlungsvermögen und überdurchschnittliche Energiereserven sind nur einige der Qualitäten, die Dorothea Groß braucht. Mehr als 100 Musikerinnen und Musiker sind auf ihre Planung angewiesen.
Mit einem Vorlauf von mehr als einem Jahr vollzieht sich die Diensteinteilung der Orchestermitglieder in mehreren Stufen – und endet oft noch nicht einmal unmittelbar vor Probenbeginn. Was die Disponentin frühzeitig planen kann, wird frühzeitig geplant. Überraschungen, zum Beispiel Krankmeldungen, gehören jedoch zu ihrem Alltag und verlangen schnelle Reaktionen und gute Nerven. Dabei trudeln die „Hiobsbotschaften“ zu jeder Tages- und Nachtzeit ein: „Es ist schon vorgekommen, dass ich am Abend gegen acht Uhr die Krankmeldung von einem Solo-Hornisten bekam und bis zur Probe am nächsten Morgen um 10 Uhr Ersatz beschaffen musste.“
Und erst die „Sonderinstrumente“! Ob Saxofon oder zweite Harfe, Tasteninstrumente wie Celesta, Klavier und Orgel, Gitarre, Cimbalon, Banjo, Laute oder Akkordeon – die Personen, die solche Instrumente professionell bedienen, hat kein Orchester im eigenen Bestand. Hier muss Dorothea Groß frühzeitig berlinweit oder national, bisweilen international Ausschau halten, wer zusätzlich „eingekauft“ werden kann. Dabei hilft ihr das über viele Jahre aufgebaute Netzwerk, um jede Position auf höchstem künstlerischem Niveau zu besetzen.
Für die Disponentin sind Konzertreisen die größte Herausforderung. Geht das RSB auf Tournee, stellt Dorothea Groß akribisch Listen der Mitreisenden für Passformalitäten oder Einlasskontrollen zusammen, kümmert sich um Bustransfers, hilft bei persönlichen Missgeschicken. „Ich bin halt die Reiseleitung“, sagt sie, auch dann, wenn zum Beispiel nach einem erfolgreichen Konzert das Orchester noch bis in die Nacht hinein geeiert hat, obwohl der Bustransfer zum Flughafen am nächsten Morgen um 7 Uhr stattfinden muss. „Da bin ich wie Jack Nicholson in ,Shining’ durch das Hotel gestürmt und habe überall geklopft.“
Der Stress auf Reisen wird kompensiert durch die geradezu familiäre Atmosphäre, die sich dabei entwickelt. Sie weiß sehr genau um den Wert des gegenseitigen Vertrauens, das für die Arbeit auch zu Hause in Berlin so wichtig ist. „Die menschliche Seite ist beinahe die wichtigste bei meiner Arbeit und das gegenseitige Vertrauen ganz entscheidend.“
Dorothea Groß ist immer schon vielseitig unterwegs gewesen. Während ihres Philosophie- und Germanistikstudiums arbeitete sie beim SWR Symphonieorchester und im Staatsschauspiel Stuttgart hinter den Kulissen und hat im Chor der Gächinger Kantorei unter dem legendären Helmuth Rilling gesungen. Und neben der unversiegbaren Freude an der Musik hat sie schon immer gerne Menschen „organisiert“. „Manchmal denke ich, nun gehst Du seit 25 Jahren täglich denselben Weg in Dein Büro, durch das wunderschöne Foyer, dann mit dem Paternoster in den ersten Stock – immer gleich. Aber dann warten doch jeden Tag wieder neue Herausforderungen.“ Schöne Herausforderungen für die „Vollblut-Disponentin“ (O-Ton Dorothea Groß), weil am Ende oft unvergessliche Konzerterlebnisse stehen.