
Wenn Sebastian Filter die Stahltüren zu seinem „Reich“ aufschließt, dann wird man von den nüchternen Gängen im Haus des Rundfunks plötzlich in eine ganz andere Welt katapultiert. Vor dem Auge des Besuchers stapeln sich Instrumente jeder Größe und Form, fein säuberlich gelagert auf langen Regalen oder in hohen Schränken mit jeder Menge Schubladen. Filter ist, so seine Berufsbeschreibung, „verantwortlich für die Musikinstrumente und deren Verwaltung“, und zwar für die gesamte Rundfunk-Orchester und –Chöre GmbH (ROC), was neben dem RSB auch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin den RIAS Kammerchor und den Rundfunkchor Berlin einschließt.







Nicht einmal er selbst kann die Zahl der Instrumente – oder besser: Objekte – benennen. Jedenfalls lagert hier in zwei Räumen alles, was in irgendeiner Weise zum Musizieren in einem Orchester gebraucht wird: vom großen Konzertflügel über Pauken, Marimbaphon und Vibraphon – um nur die größten zu nennen – bis zu Rasseln und Trillerpfeifen, Folien und Pergamenten. „Auch jeder Alltagsgegenstand kann bei uns ein Instrument sein“, unterstreicht Filter, studierter Trompeter mit kaufmännischer Ausbildung und seit 2001 hier tätig, die breite Palette. „Manches davon lässt sich am leichtesten in der Sanitärabteilung im Baumarkt finden.“


Besonders ins Auge fällt ein Zinkwanne, die bei manchen Erinnerungen an Badevergnügen in Kinderzeiten wach werden lassen dürfte. „Die nutzen wir nicht etwa, um die Instrumente darin zu baden“ stellt Filter mit einem Augenzwinkern klar. Sie wird zwar auf der Bühne mit Wasser gefüllt, doch dann werden Tamtams oder Gongs hineingetaucht – ein gern benutzter Klang in der zeitgenössischen Musik! In diesem Bereich ist die Palette an „Instrumenten“, welche die Partitur vorschreibt, besonders groß und vielfältig.
Und hier muss sich der Instrumentenverwalter denn auch oft schon frühzeitig um die Beschaffung kümmern. Nicht selten komme es zu „Kollisionen zwischen dem künstlerischen Anspruch und dem, was der Versandhandel anbieten kann“, so Sebastian Filter. Dann muss man am besten mehrere Varianten anbieten können, um möglichst schnell zu einem Kompromiss zu kommen, der den Komponisten zufriedenstellt.
Tägliches Brot – und dennoch die größte Herausforderung für alle – ist der Transport des gesamten Equipments. „Wir haben immer mit einem riesigen Berg an Material zu tun“, umreißt Filter das Problem. Es geht dabei um nicht weniger als 40 bis 60 Kubikmeter, die fachgerecht verladen werden müssen – ganz zu schweigen von den engen Zeitfenstern für den Transport, die von den Proben im HdR einerseits, von den Vorgaben in den Konzerthäusern andererseits diktiert werden. Das erfordert sehr intensive und genaue Planung.


Das Haus des Rundfunks ist überdies ein altes Gebäude, zudem steht es unter Denkmalschutz. „Recht schwierig“ nennt Filter folgerichtig die Bedingungen, unter denen er und die Orchesterwarte zu arbeiten haben. Die Wege sind lang und die alten Fahrstühle kaum geeignet für den Transport der meisten Instrumente.
Ein besonderes Problem stellen die vielen Türen mit ihren Schwellen dar – ein oder Rollstuhl aus ihrem Alltag kennen. Um unerwünschte Erschütterungen zu vermeiden, muss jede Kiste mit einem Instrument an jeder Schwelle gestoppt und leicht gekippt werden – sonst sind Beschädigungen an den Flightcases und Instrumenten vorprogrammiert.
Zu Kompromissen zwingt auch die beengte Raumsituation im HdR. Viele große Instrumente, vor allem Celli und Kontrabässe, müssen auf den Gängen gelagert werden – eine Situation, die geduldet, aber natürlich nicht gerne gesehen wird von der Verwaltung im Haus. Und auch die Besitzerinnen und Besitzer der Instrumente sind keineswegs glücklich über die wenig instrumentengerechte Lagerung, nicht nur wenn die Sommerhitze die Temperaturen im Haus steigen lässt. „Da sind immer wieder Gespräche mit den Musikern nötig“, weiß Filter aus Erfahrung. „Wir kennen die Problematik und haben immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen.“


Und dennoch lässt er nichts auf das Haus mit dem Großen Sendesaal kommen: „Wir sind sehr glücklich, dass wir diesen Saal benutzen dürfen“.
Praktisches handwerkliches Geschick, gepaart mit Erfahrung und Improvisationsvermögen, ist auch bei Reparaturen gefragt. Da muss bisweilen direkt während der Probe schnell reagiert werden, wenn etwa eine Schnur beim Röhrenglockenspiel oder ein Riemen vom Vibraphon reißt. Besonders sensibel sind die Pauken mit ihren Naturfellen, da hilft meist nur der schnelle Austausch durch ein anderes Instrument. Ansonsten halten sich die Reparaturmöglichkeiten sehr in Grenzen; mit seinem „Halblaienwissen“ möchte Filter da nicht noch mehr Schaden anrichten, zumal wenn es um kostbare Instrumente geht, die ja zumeist im Privatbesitz der Musikerinnen und Musiker sind.


Für das RSB ist es überaus wichtig, sich auch außerhalb von Berlin auf Reisen durch Deutschland, Europa und nach Übersee zu präsentieren. Bei allem, was den Transport der Instrumente betrifft, ist Filter involviert, ein „ziemlich aufwändiges Thema“.
Denn die „Cases“ sind eben nicht klimatisiert, sondern besitzen nur Schutzschichten, um Temperaturunterschiede auszugleichen. Für Transporte innerhalb Berlins ist das völlig ausreichend. Anders sieht es bei interkontinentalen Cargo-Flügen aus, wo die Instrumente schon mal etwas länger auf dem heißen – oder sehr kalten – Flugfeld stehen. An eine Extremsituation erinnert sich Filter genau: „Wir flogen mit einer russischen Antonow-Maschine nach Moskau, die aber keine Druckkabine hatte. Deshalb musste sie extra tief fliegen, um die Instrumente nicht zu gefährden.“ Zum Glück eine Ausnahmesituation, die das Team aber einige Nerven gekostet hat.



Inzwischen sind Cargo-Flüge so teuer geworden, dass zumindest innereuropäisch alles auf dem Landweg befördert wird; zudem sind die Trucks klimatisiert und luftgefedert, was den Instrumenten größtmöglichen Schutz bietet. Bei einer Reise nach Japan stellt sich diese Alternative natürlich nicht, dann kommt noch eine Menge an zusätzlicher Bürokratie hinzu.
So müssen die Instrumente einzeln verzollt werden, außerdem muss – ein wichtiger Punkt seit einigen Jahren – der Nachweis über die Materialien geliefert werden, gemäß dem Washingtoner Artenschutzabkommen, das den Import und Export besonders geschützter Materialien wie Elfenbein, die oft an alten Instrumenten und Bögen verbaut sind, streng reguliert. Welche Instrumente sind überhaupt reisefähig? Und wird auch das verpackt, was deklariert wurde? Punkte, die Filter und sein Team minutiös beachten müssen, denn vor der Abreise kommt der Zoll vorbei und nimmt Stichproben. Doch all diese Herausforderungen gehören zum Alltag eines Profi-Orchesters, das auch viel auf Reisen geht, dazu.


Und bis jetzt hat noch jedes Konzert, ob in Berlin, Japan oder anderswo, mit allen notwendigen Instrumenten stattgefunden.
Bilder
© Peter Meisel
© Stefan Maria Rother