delphi-streicher Theater im Delphi

Digitales Programm

Do 22.9. Kammerkonzert

19:30 Theater im Delphi

Stipendiat:innen der Orchesterakademie des RSB

 

Giovanni Bottesini (1821 – 1889)

Großes Quintett für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass c-Moll op. 99

Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975)

Zwei Stücke für Streichoktett op. 11

Richard Strauss (1864 – 1949)

„Metamorphosen“ – Urfassung für Streichseptett, rekonstruiert von Rudolf Leopold

 

Mit dem Bass zu den Sternen

Mit Buddha soll Bottesini in direkter Linie verbunden gewesen sein - wie schon der Name sagt. Der italienische Kontrabass-Virtuose und Dirigent ermöglicht den RSB-Akademist:innen einen fulminanten Einstieg in ihr alljährliches Kammerkonzert. Gerade 19 Jahre alt war Schostakowitsch, als er das effektvolle Oktett für doppeltes Streichquartett komponierte. Reife 81 Jahre zählte Richard Strauss im Moment der "Metamorphosen". Die berühmte Alters-"Studie" von 1945 erklingt in der Urfassung für Streichseptett - mit Kontrabass!

Texte von Steffen Georgi ©

Giovanni Bottesini

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Reiste und schlief mit ihm -

Bottesini und sein Bass

Giovanni Bottesini

Großes Quintett für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass c-Moll op. 99

Allegro moderato
Scherzo.
Allegro ma non troppo
Adagio
Finale. Allegro con brio

Mit dem Bass um die Welt

Italien und Musik im 19. Jahrhundert, das sind Opern. Sind Rossini, Donizetti, Verdi oder Puccini. Die Instrumentalmusik, eine Domäne der Komponisten des deutschsprachigen Raumes, findet kaum Anklang – weder beim Publikum noch bei den Tonsetzern. Allein Paganini macht Furore, im Ausland vor allem.

Da kommt einer daher, ein Opernkapellmeister von Rang, der spielt und komponiert (neben Opern) auch Instrumentalmusik. Giovanni Bottesini, geboren 1821 in Crema nahe Milano, beginnt früh mit Musikunterricht bei seinem Vater, einem professionellen Klarinettisten und Komponisten. Er beschäftigt sich zunächst mit der Violine und bewirbt sich um ein Stipendium am Mailänder Konservatorium. Dort nimmt man gerade keine Geiger auf, dafür aber Kontrabassisten. So beeilt sich der Knabe, das Bassspiel zu erlernen und gewinnt 14-jährig das Stipendium. Bis dahin entspricht sein Werdegang ganz dem Klischee von der oft karikierten Leichtigkeit des Kontrabassspiels. Doch neben dem Abschluss der Kompositionsklasse gelingt Giovanni Bottesini eine Brillanz auf dem Kontrabass, die ihn alsbald eine Solokarriere auf dem größten Streichinstrument starten lässt. „Paganini des Basses“, so wird er bald genannt. Großen Anteil an seiner Berufswahl hat das spezielle Instrument, das ihm förmlich auf die Füße fällt.

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"Paganini des Basses" in der Zukunft?

Jakub Zoń, Stipendiat der RSB-Orchesterakademie und heute Abend Bottesini-Protagonist

Bottesini reist nicht nur durch ganz Europa, sondern tritt auch in den USA auf und an der italienischen Oper in Havanna. Der Bassist kann zusätzlich eine ansehnliche Karriere als Dirigent beginnen, er leitet Opernaufführungen u.a. am Théâtre des Italiens in Paris und am Lyceum Theatre in London. Häufig greift er in den Aktpausen zu seinem stets bereitliegenden Bass und verblüfft das Publikum mit virtuosen Fantasien über die eben gehörten Opernmelodien. Der Nachwelt bleibt Bottesinis Name in Erinnerung als Dirigent der Uraufführung von Verdis „Aida“ in Kairo. Der berühmte Zeitgenosse hat ihn persönlich dafür ausgewählt, wie er ihn auch sonst geschätzt und unterstützt hat – und später selber ein veritables Streichquartett komponiert hat. 

Absolut vorzeigbar

Die Kontrabassisten verdanken Giovanni Bottesini zahlreiche Werke für ihr Instrument. Neben Solokonzerten und solistischen Opernfantasien für die versiertesten von ihnen sind es vor allem Kammermusikwerke, darunter mehrere Quintette für Streichquartett und Kontrabass. 

Das Gran Quintetto in c-Moll entsteht 1858 in Neapel für Bottesinis älteren Freund und Kollegen Saverio Mercadante, der sich seinerseits ebenfalls ein wenig der Instrumentalmusik gewidmet und u.a. ein Streichquintett für Paganini geschrieben hat. Die vier Sätze folgen dem aus Deutschland geläufigen Formprinzip, wobei sogleich der erste Satz, Allegro moderato, eine dramatische, typisch italienische Opernszene zu entfalten scheint. Selbst die leidenschaftliche Verarbeitung nach dem Sonatenprinzip würde in einer Oper gute Figur machen. Das Scherzo ist von jeher die Domäne des Rhythmus, während im nachfolgenden langsamen Satz der Kontrabass seine Qualitäten des beseelten Singens besonders hören lassen kann. Das Finale, Allegro con brio, weiß italienisches Temperament zum klingenden Triumph zu führen. 

Dmitri Schostakowitsch

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Ein „ganz kindliches Werk“

Dmitri Schostakowitsch

Dmitri Schostakowitsch

Zwei Stücke für Streichoktett op. 11

Präludium
Scherzo

Mit großer Freude, versteht ihr

Ein „ganz kindliches Werk“ nannte Dmitri Schostakowitsch 1962 seine Zwei Sätze für Streichoktett aus den Jahren 1924/1925. Sie waren ihm wiederbegegnet auf dem Edinburgh Festival, das sich 1962 ausschließlich den Kompositionen von Schostakowitsch verschrieben hatte. Voller Rührung und „mit großer Freude, versteht ihr“, hörte er seine vor 37 Jahren komponierte Musik, nachdem sie für lange Zeit nicht aufgeführt worden war. Dabei hatten die beiden Stücke ihren Ursprung im Umfeld der Sinfonie Nr. 1, mit der ihm seinerzeit der entscheidende Durchbruch als Komponist gelungen war. Gewidmet dem Andenken des Dichters Wladimir Kurtschawow, eines früh verstorbenen Freundes, uraufgeführt am 9. Januar 1927 im Mozartsaal des Stanislawski-Theaters in Moskau mit den Glière- und dem Stradivarius-Quartetts und alsbald im Druck erschienen, erregten die beiden Stücke später auch das Interesse von Sergei Prokofjew – während Schostakowitsch selber sie für lange Zeit vergessen hatte.  

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Elena Schwalbe kennt das "Theater im Delphi" bereits aus dem letzten Jahr. Heute Abend spielt sie mit bei Schostakowitsch und Strauss.

Mit dem nachmals sich dem Streichquartett in tiefgreifenden Werken zuwendenden Schostakowitsch haben die Zwei Sätze für Streichoktett op. 11 noch nichts zu tun. Gleichwohl verraten ihre beiden Charaktere bereits viel vom Personalstil des Komponisten. So war dem reifen Schostakowitsch ein Bezug zu Johann Sebastian Bach ein besonderes Anliegen. Hier zeigt er sich bereits im ersten Satz, dem Präludium. Der zweite Satz, Scherzo, schlägt bei aller Virtuosität den sarkastischen Tonfall späterer Schostakowitsch-Scherzi an, nimmt ihre Doppelbödigkeit vorweg.

Richard Strauss

richard-strauss-desktop Richard Strauss

„Ich halte diese zeitgenössische Tragik nicht aus. Ich will Freude bereiten, ich brauche sie...“

Richard Strauss an Romain Rolland, 1924

Richard Strauss

„Metamorphosen“ – Urfassung für Streichseptett, rekonstruiert von Rudolf Leopold

Trümmer und Trauer

„Aber vom 1. Mai ab ging die schrecklichste Periode der Menschheit, 12jährige Herrschaft der Bestialität, Ignoranz und Unbildung unter den größten Verbrechern, zu Ende, in der 2000jährige Kulturentwicklung Deutschlands zugrunde gerichtet und unersetzliche Baudenkmäler und Kunstwerke durch die verbrecherische Soldateska zerstört wurden“, lautete ein Eintrag in Richard Strauss’ Kalender im Frühjahr 1945.

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Strauss komponierte damals in seinem Haus in Garmisch an einem Andante für Streichsextett mit Kontrabass, aus dem später die Metamorphosen für 23 Solostreicher werden sollten.

Am 14. Februar hatte Dresden unter den Phosphorbränden geglüht, Weimar war schwer getroffen. Am 8. März schloss der Komponist das Particell der Metamorphosen ab. Er begann mit der Instrumentierung am 13. März, am Tag nach der Bombardierung der Wiener Oper. Zeitlebens versuchte Strauss auszublenden, dass es die Deutschen waren, welche maßloses Grauen über die Menschen gebracht hatten. Jetzt nahm er schmerzlich wahr, dass die Stätten seines künstlerischen Wirkens zertrümmert waren. Die Partitur der „Metamorphosen“ war fertig am 12. April. Am 25. Januar 1946 leitete Paul Sacher in Zürich die Uraufführung. „Im Jahre 1990 wurde ein Particell der ‚Metamorphosen‘ in der Schweiz aufgefunden und von der Bayerischen Staatsbibliothek München erworben. Besonders bemerkenswert ist die auf der ersten Seite von Strauss geschriebene Angabe: ‚Metamorphosen. Andante (für 2 Violinen, 2 Bratschen, 2 Celli, 1 Contrabaß) – Richard Strauss‘, aus der der ursprüngliche Plan einer Besetzung mit sieben Solostreichern hervorgeht. …
Die Erstaufführung dieser Version fand am 8. Juni 1994 anlässlich der Richard-Strauss-Tage in Garmisch-Partenkirchen statt.” (Rudolf Leopold)

Vermächtnis

Eine „Studie“ nannte Strauss die Metamorphosen. Er war damals 81 Jahre alt und verfügte über eine 60-jährige Berufserfahrung als Komponist. Was galt es für ihn noch zu studieren? Wie kein anderer vor ihm hatte er den Orchesterklang erweitert und zugleich ausdifferenziert. Galt seine „Studie“ dem Nachweis der Möglichkeit zur harmonischen Organisation von Einzelmeinungen unter dem Dach von Toleranz und Vernunft? Dann wäre ihm am Ende einer politischen Epoche der systematischen Verdummung und gezielten Massenhysterie ein glühendes Plädoyer für Individualität gelungen. Für eine Individualität, die höchste menschliche Ideale voraussetzte: Bildung, Charakter, Verantwortung, Solidarität – jene Werte einer freien demokratischen Gesellschaft, die sich Diktaturen unter Begriffen wie Pflichterfüllung, Treue oder Kameradschaft gefährlich zurechtbiegen.

In memoriam

Die Schönheit der Musik der „Metamorphosen“ spricht für sich allein, kommt ohne Text oder Programm aus. Das bereits ist ungewöhnlich für den sinfonischen Dichter, Opern- und Liedkomponisten Richard Strauss. Das Werk widersprach zudem der gängigen Definition von Metamorphosen in der Musik, welche meist recht einfach mit Variationen (= Veränderungen über ein Thema) gleichgesetzt werden. 

Seit Gustav Mahlers Adagio zur 10. Sinfonie hatte kaum jemand einen solchen Sinfoniesatz komponiert, als der die „Metamorphosen“ wohl angesehen werden können. Strauss beginnt in diffusem harmonischem Licht, tastet, sucht, zagt, hofft, klagt und verklärt. Zu ewigem Licht wird er erst im „Abendrot“ finden, dem letzten der Vier letzten Lieder, welches ohne die „Metamorphosen“ nicht denkbar wäre. 

1945 mündet Strauss‘ Selbsterkennungsprozess nach verschlungenen Wegen durch die Vergangenheit der abendländischen Musik in einige Takte aus dem Trauermarsch aus Beethovens „Eroica“.

Kierkegaard Kierkegaard

„… tief, tief innen, zuallerinnerst in der heimlichsten Verborgenheit des Glückes, da wohnt auch die Angst, welche die Verzweiflung ist; sie möchte so gern Erlaubnis haben, drinnen zu bleiben, denn dies ist die liebste, die ausgesuchteste Wohnstatt der Verzweiflung: im innersten Innern des Glücks.“

Sören Kierkegaard

Ein letzter Akkord in c-Moll beschließt die „Metamorphosen“. Ein ganz ähnlicher beschließt auch die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach.

Wie funktioniert die RSB-Orchesterakademie? 

Berufsmusiker:in in einem renommierten Orchester zu sein – diesen Wunsch hegen viele Studierende. Während im Studium die persönliche Spielfertigkeit und solistische Interpretation geübt wird, fehlt es den Studierenden meist an Praxis in großen Ensembles oder Orchestern. Beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) wurde 2002 auf Initiative der Freunde und Förderer des Orchesters die Orchesterakademie für Streicher ins Leben gerufen. Mittlerweile werden 13 Stipendien für jeweils zwei Jahre an junge Musiker:innen unter 26 Jahren vergeben. Die Studierenden bewerben sich aus der ganzen Welt auf diese Stipendien. Im Orchester angekommen, bereichern sie die gelebte Diversität im RSB.

Die Mitglieder der Akademie werden für Orchesterdienste eingeteilt und spielen Seite an Seite mit ihren festangestellten Kolleg:innen in Proben, Konzerten und auf Tourneen sowie bei CD-Aufnahmen. Dabei haben sie in ihrer Stimmgruppe jeweils eine feste Bezugsperson. Diese Mentor:innen stehen den Mitgliedern der Akademie mit Rat und Tat und konstruktiver Kritik zur Seite, sie erteilen Unterricht und geben ihre eigenen Erfahrungen weiter. Regelmäßige Workshops abseits des eigentlichen musikalischen Repertoires vervollständigen die Ausbildung. Dabei werden beispielsweise Kenntnisse in Probespielvorbereitung, Dramaturgie von Konzertprogrammen, Musikvermittlung an Kinder und Erwachsene oder Musikergesundheit vermittelt. Einmal im Jahr geben die Mitglieder der Orchesterakademie ein Kammerkonzert, abwechselnd in kammerorchestraler oder in solistischer Besetzung, heute Abend also in verschiedenen kammermusikalischen Formationen. 

Für viele Mitglieder der Akademie stellt die Zeit beim RSB ein echtes Karrieresprungbrett dar, sie erspielen sich – teils noch wahrend ihrer Akademiezeit – eine Stelle in namhaften nationalen und internationalen Ensembles und können gestärkt in ihr weiteres Berufsleben starten, zum Teil auch als spätere Mitglieder im RSB selbst.

Bild- und Videoquellen

Theater im Delphi, Solist:innen: Peter Meisel

Strauss-Video: Richard Strauss: Eine kritische Würdigung, 13.06.2014, Zugriffsdatum: 22.09.2022