
Verzerrter Frohsinn
Live-Übertragung auf Deutschlandfunk Kultur am 26. Februar 2021 um 20 Uhr
Michail Jurowski, Anna Vinnitskaya und Florian Dörpholz: Zwei Klavierkonzerte von Schostakowitsch und Prokofjews „Symphonie classique“
Programm
Sergei Prokofjew Sinfonie Nr. 1 D-Dur op. 25 („Symphonie classique“)
Dmitri Schostakowitsch Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester Nr. 1 c-Moll op. 35
Dmitri Schostakowitsch Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 F-Dur op. 102
Besetzung
Michail Jurowski - Dirigent
Anna Vinnitskaya - Klavier
Florian Dörpholz - Trompete
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Die Würde eines Vierteljahrhunderts
Wie eine glückliche Fügung muss es scheinen, dass verschiedene der Pandemie geschuldete Programmanpassungen das RSB-Radiokonzert am 26. Februar 2021 in die Hände von Michail Jurowski gespielt haben. Der Dirigent ist wie kaum ein zweiter seiner Generation berufen, Werke von Schostakowitsch und Prokofjew mit fesselnd authentischem Zugriff zu leiten. Davon konnten sich das Publikum des RSB sowie die Radiohörer regelmäßig überzeugen, als Michail Jurowski in den 1990er-Jahren und darüber hinaus beim RSB einen Schostakowitsch-Höhepunkt an den anderen reihte.
Ihm zur Seite steht heute die fabelhafte Pianistin Anna Vinnitskaya, auch sie häufig und gern beim RSB zu Gast. Einst mit allen drei Klavierkonzerten von Béla Bartók an einem Abend präsent, hat sie diesmal vorgeschlagen, beide Klavierkonzerte von Dmitri Schostakowitsch hintereinander zu spielen, nachdem das ursprünglich geplante Werk von Rachmaninow wegen der Virusepidemie an der Orchestergröße gescheitert ist.
Zweimal hat sich Dmitri Schostakowitsch dem Genre des Klavierkonzertes zugewandt, beide Male mit unmittelbar persönlichem Impetus. Zwischen dem ersten und dem zweiten Klavierkonzert liegen fast 25 Jahre. Während das unbekümmerte Werk von 1933 mit solistischer Trompete und Streichorchester stürmisch kokettiert, gleichsam den jungen, frechen Schostakowitsch porträtiert, zeigt das Werk aus dem Jahre 1957 eine völlig andere Situation. Vier Jahre sind seit Stalins Tod vergangen, die großen, existenzbedrohenden Anfeindungen gegen den Komponisten in den Jahren 1936 und 1948 liegen zurück. Nun ist es die wohlmeinende Nötigung zum sozialistischen Realismus, für den Schostakowitsch nur bitteren Hohn aufbringen kann. Das zweite Klavierkonzert pfeift hörbar auf den verordneten Optimismus, entlarvt ihn als fratzenhaft verzerrten Frohsinn. Am Schluss hämmert das Klavier wie eine Nähmaschine mit dem Geklimper des Xylophons um die Wette. Banalität kann so grausam sein für sensible Geister.
Dazwischen aber blüht eine Oase wie aus einer anderen Welt, das Andante: sechs Minuten berückende Klangschönheit, unendlicher Trost, liebevolles Verzeihen in sanftem Wechselspiel zwischen Klavier und Orchester. Dieser stille zweite Satz vermag die laute Welt von Grund auf zu beschämen.
Ticketinfos



